Was Glaube nicht ist

Predigt über Hebräer 11,11‑16 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was uns hier in der Kirche immer wieder zusammen­bringt, das ist unser Glaube. Bei einigen vielleicht auch nur die Sehnsucht nach Glauben oder die Neugier, mehr über den Glauben zu erfahren. Fragt sich nur: Was ist das denn eigentlich – dieser Glaube, mit dem wir uns hier befassen? Dazu lässt sich viel sagen – leider auch manches Falsche und Un­zutref­fende. Denn auch auf dem Gebiet des Glaubens sind wir vor Voruteilen nicht sicher. Mithilfe des Hebräer­briefs möchte ich jetzt drei verbreitete Vorurteile über den Glauben entkräften und auf diese Weise dazu beitragen, dass unser Glaube auf ein tragfähiges Fundament gestellt wird und dort stehen­bleiben kann. Die Kapitel 11 und 12 des Hebräer­briefs sind große Glaubens­kapitel. Im elften Kapitel werden uns Beispiele von Glaubens­vorbildern vor Augen geführt. In dem Abschnitt, den wir hier besonders betrachten, sind es Sara, Abraham und ihre Nachkommen. Was wir hier über ihren Glauben erfahren, korrigiert, wie gesagt, drei verbreitete Vorurteile über den Glauben.

Erstes Voruteil: Wenn man etwas Bestimmtes erreichen will, dann muss man fest dran glauben. Der Patient soll fest an seine Heilung glauben und an die Wirksamkeit seiner Medikamente (selbst wenn es sich nur um Schein-Medikamente handelt, um sogenannte Placebos). Der Sportler glaubt fest an seinen Erfolg, um ihn auf diese Weise dann auch wirklich zu haben, ebenso der Geschäfts­mann. Gilt dasselbe auch von dem Glauben, den die Bibel meint?

Der Satz über Saras Glauben scheint das zunächst zu bestätigen. Er lautet: „Durch den Glauben empfing Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervor­zubringen trotz ihres Alters.“ Zu gern hätte Sara mit ihrem Mann Abraham Kinder gehabt. Nun aber war sie alt geworden. Glaubte sie jetzt mit einer letzten Willens­anstrengung fest daran, dass sie doch noch schwanger werden wird? Und könnte dieser Glaube wirklich stark genug sein, eine un­fruchtbare Frau fruchtbar zu machen? Die Antwort lautet: Nein. Wir dürfen nämlich nicht übersehen, dass Sara zu diesem Zeitpunkt bereits ihre Wechsel­jahre hinter sich hatte. Es war biologisch unmöglich, in ihrem hohen Alter noch Kinder zu empfangen. Wie stark mensch­licher Glaube auch sein mag, er kann nichts Unmögliches bewirken. Der Glaube selbst kann keine Berge versetzen. Aber Gott kann es, und der Glaube traut es ihm zu. Schauen wir uns den Satz daraufhin noch einmal genau an: „Durch den Glauben empfing Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervor­zubringen trotz ihres Alters.“ Da sehen wir: Nicht ihr Glaube ist diese Kraft, mit der sie doch noch schwanger wird, sondern durch ihren Glauben empfing sie diese Kraft – nämlich von außen, von Gott. Der Glaube ist gewisser­maßen das Empfangs­organ für Gottes Ver­heißungen und Gaben. Der Glaube ist Saras vorbild­liche Art und Weise, wie sie Gott an sich handeln lässt – nämlich vertrauens­voll. Darum heißt es weiter: „…denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.“ Durch den Glauben sagte Sara so: Gott ist treu und kann nicht lügen; darum wird gewiss geschehen, was er mir versprochen hat.

Lasst uns Folgendes daraus lernen: Der rechte christliche Glaube bezieht sich niemals auf Dinge, die man von sich aus erreichen will. Er bezieht sich vielmehr immer auf das, was Gott versprochen hat. Gott hat uns weder sportlichen noch beruflichen Erfolg ver­sprochen, auch nicht die Heilung aller Krankheiten oder ein rundum sorgloses Leben, jedenfalls nicht in unseren Erdentagen. Wenn wir an solche Dinge glauben, dann wird dieser Glaube früher oder später enttäuscht werden. Aber Gott hat uns ver­sprochen, durch Jesus alle Sünden zu vergeben, alle Tage bei uns zu sein und uns nach dem Tod die ewige Seligkeit zu schenken. Auch wenn es noch so unglaublich klingt: Das können wir glauben, und das sollen wir auch glauben – nach Saras Vorbild. Da braucht unser Glaube auch nichts zu bewirken, sondern da wirkt Gott selbst und beschenkt uns, wie er es versprochen hat. Wie Sara sollen wir den für treu halten, der es verheißen hat.

Zweites Vorurteil: Nur wer sich Gott mit Glauben naht, wird Gottes Gaben empfangen. Oder im Bild aus­gedrückt: Gott schenkt dir einen Brunnen voll Heils­wasser, aber den Schöpfeimer des Glaubens musst du dir schon selbst mitbringen. Zugegeben: Das klingt sehr vernünftig, und das ist es auch. Aber die menschliche Vernunft kommt bei Gott ganz schnell an ihre Grenzen, und daher stimmen dieser Satz und dieses Bild nicht.

Wie war es denn bei Sara gewesen? Abraham und Sara waren Nomaden und lebten in Zelten. Als sie in Mamre kampierten, kamen drei göttliche Besucher zu Abraham und eröffneten ihm, dass er mit Sara ein Kind zeugen würde. Sara befand sich in ihrem Zelt und hörte durch die Plane alles mit. Achten wir darauf, wie sie auf diese Verheißung reagierte! Im 1. Buch Mose steht: „Sie lachte bei sich selbst und sprach: Nun ich alt bin, soll ich noch der Liebe pflegen, und mein Herr ist auch alt!“ (1. Mose 18,12) Spricht so der wahre Glaube? Eher nicht. Offen gesagt: Sara lachte ungläubigüber die Vor­stellung, dass Abraham mit ihr im Alter noch ein Kind zeugen würde; sie bezweifelte das. Im Bild gesprochen: Sara brachte keinen Schöpfeimer des Glaubens mit, um diese Verheißung vertrauens­voll anzunehmen. Erst als die drei göttlichen Besucher ihr ungläubiges Lachen zur Sprache brachten und fragten: „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“, da erwachte ein Fünkchen Glaube in ihr. Nun schämte sie sich für ihr Lachen und leugnete es sogar. Wenn der Hebräer­brief von Saras vorbild­lichem Glauben spricht, dann meint er offen­sichtlich das, was dann erst später aus diesem Glaubens­fünkchen gewachsen ist. Gottes Verheißung und deren Bestätigung hatte ihr dieses Glaubens­fünkchen erst ins Herz gegeben; und Gott war es auch, der es dann wachsen ließ.

Lasst uns Folgendes daraus lernen: Wahrer Glaube ist nie eine Voraus­setzung für Gottes Verheißung, sondern stets eine Folge von ihr. Kein Mensch hat von sich aus solchen Glauben, dass er sich damit Gott nahen kann; aber wenn Gott sich einem Menschen naht und zu ihm spricht, dann schenkt er ihm durch sein Wort auch Glauben. Im Bild: Niemand besitzt einen Schöpfeimer des Glaubens, den er sich zu Gottes Heils­brunnen mitbringen kann, aber er bekommt dort einen von Gott geschenkt. Der aktuelle Wochen­spruch erinnert uns daran, dass wir Menschen von Natur aus kein Gott­vertrauen haben, sondern ihm sogar feindlich gesonnen sind (Römer 5,8). Aber Jesus hat mit seinem Tod am Kreuz diese Feindschaft überwunden. Mit dem Wort vom Kreuz und all den wunderbaren Ver­heißungen des Evangeliums kommt dann der Heilige Geist zu uns und lässt uns glauben. Darum schrieb Paulus den Korinthern: „Niemand kann Jesus den Herrn nennen außer durch den Heiligen Geist“ (1. Kor. 12,3).

Drittes Vorurteil: Große Ver­heißungen erfordern einen großen Glauben. Wahrer Glaube müsse stark sein und klar erkennen, worauf er sich bezieht, sonst hilft er nicht – so meinen viele. Nun ist ein großer, starker und klarer Glaube gewiss eine schöne Sache; wohl dem, der ihn hat! Aber es wäre falsch zu meinen, ein schwacher und an­gefochtener Glaube reiche nicht aus, um Gottes Ver­heißungen zu empfangen. Die weiteren Verse unseres Textes machen das deutlich.

Da hören wir von Saras und Abrahams Nachkommen, den Kindern und Kindes­kindern des spät geborenen Sohnes. Sie sind bereits für sich selbst eine erfüllte Verheißung, denn Gott hatte dem Abraham eine unzählbar große Nach­kommen­schaft ver­sprochen. Wir lesen: „Darum (nämlich wegen der Verheißung) sind auch von dem einen, dessen Kraft schon erstorben war, so viele gezeugt worden wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, der unzählbar ist.“ Dann aber geht es unerwartet weiter: „Diese alle sind gestorben im Glauben und haben das Verheißene nicht erlangt, sondern es nur von ferne gesehen und gegrüßt und haben bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. Wenn sie aber solches sagen, geben sie zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen. Und wenn sie das Land gemeint hätten, von dem sie ausgezogen waren, hätten sie ja Zeit gehabt, wieder umzukehren. Nun aber sehnen sie sich nach einem besseren Vaterland, nämlich dem himm­lischen.“ Gott hatte Abraham und seinen Nachkommen drei Dinge verheißen: erstens, dass sie ein großes Volk werden; zweitens, dass sie im Land Kanaan leben werden; drittens, dass durch Abrahams Nachkommen alle Völker auf Erden gesegnet werden. Die erste Verheißung hatte sich bald erfüllt, ebenso die zweite. Aber die Erfüllung der dritten Verheißung lag noch in weiter Ferne: das Kommen des Abraham-Nachkommens Jesus Christus nämlich, durch den alle Völker der Erde mit Gottes neuem Bund gesegnet werden sowie mit der Verheißung des ewigen Lebens. Das ewige Leben war unter den Abrahams-Nachkommen zunächst noch eine sehr nebulöse Erwartung; der Glaube daran war nicht sonderlich stark ausgeprägt. Diesen Teil der Abrahams-Verheißung haben Abrahams Nachkommen zunächst „nur von ferne gesehen und gegrüßt“, wie es im Hebräer­brief formuliert ist. Ihr Glaube war nur eine unbestimmte Sehnsucht, irgendwann einmal die Mühen des Erdenlebens ab­zuschütteln und dann richtig zur Ruhe zu kommen. Der Hebräer­brief nennt es eine Sehnsucht nach Heimat, nach einem richtigen Vaterland. Abrahams Nachkommen spürten, dass sich diese Sehnsucht auf der ganzen Welt nicht stillen lässt; sonst hätten sie ja nach Haran zurück­ziehen können oder nach Ur in Chaldä, wo Abrahams einst herstammte. Aber ihre Sehnsucht war keine Vergangen­heits-Sehnsucht, sondern eine Zukunfts-Sehnsucht nach einem Vaterland, das sie noch gar nicht kannten: das himmlische Reich ihres himmlischen Vaters, die ewige Seligkeit.

Lasst uns daraus lernen: Solche vage Sehnsucht, solch ein schwacher Glaube reicht aus, um zu erlangen, was Gott verheißen hat. Denn noch einmal: Gott selbst ist es, der seine Verheißung erfüllt, nicht unser Glaube. Und dieser Glaube ist auch keine eigene Leistung, die wir als Vorleistung mitbringen müssten, um in den Genuss von Gottes Ver­heißungen zu kommen; er ist vielmehr ein Geschenk. Wir brauchen uns nicht krampfhaft an­zustrengen, um mit eigener Willens­kraft eine starken Glauben zu pro­duzieren; das ist auch gar nicht möglich. Wir dürfen vielmehr so sprechen wie ein ver­zweifelter Mann zur Zeit Jesu: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24), Wenn wir nur Sehnsucht haben nach Glauben und Gott und seinem Heil, dann sieht Gott das als selig­machenden Glauben an. Er hat ja ver­sprochen, dass er gerade dem „ab­geknickten Rohr“ helfen will und dem „glimmenden Docht“ (Jes. 42,3). Auch Saras Glaube war zunächst klein, er wuchs erst nach und nach. In dieser Zuversicht bringen wir Säuglinge zur Taufe: Sie haben noch keinen solchen Glauben, mit dem sie klar etwas von Jesus erkennen und bekennen können, aber Gott schenkt ihnen bei der Taufe das Samenkorn des Glaubens ins Herz.

Der letzte Satz unseres Predigt­textes lautet: „Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.“ Wenn Gott Abraham und seinen Nachkommen und uns große irdische Reichtümer verheißen hätte oder ein Leben ohne Probleme, dann müsste er sich dafür schämen, denn das geht nicht in Erfüllung. Aber stattdessen hat er uns sein Reich verheißen, das ewige Leben mit seinem herrlichen Ziel, der endgültigen Heimat im Himmel, der goldenen Stadt Jerusalem. Sich danach zu sehnen im Vertrauen darauf, dass Gott uns durch Jesus dafür erlöst hat und mit dieser Verheißung nicht belügt, das ist wahrer Glaube – selbst wenn er schwach und angefochten ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum