Schweres kommt auf uns zu

Predigt über Lukas 23,26‑31 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Niemand sollte meinen, als Christ lebt sichs leichter. Jedenfalls nicht, was die äußeren Lebens­umstände anbetrifft. Auch ein Christ muss damit rechnen, dass Schweres auf ihn zukommt – manchmal gerade deswegen, weil er ein Christ ist. Seit Jesu Zeiten nennt man es „das Kreuz tragen“. Jesus hatte seinen ersten Jüngern offen gesagt: „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,27). Ähnlich äußerte er sich, als er die „Mühseligen und Beladenen“ zu sich rief. Da sagte er: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir“ (Matth. 11,29). Er ließ keinen Zweifel daran: Wie auf ihn selbst Schweres zukommt, so wird auch auf seine Jünger Schweres zukommen. Ja, Schweres kommt auf uns zu – aber Jesus geht mit und nimmt uns die Last am Ende ab.

In dieser Woche, die mit dem Sonntag Estomihi beginnt, öffnet sich das Tor zur Passions­zeit: Am kommenden Mittwoch, dem Ascher­mittwoch, beginnt die Fastenzeit. Während die „Narren“ heute und an den nächsten beiden Tagen mit aus­gelassenem Lachen die Fastnacht feiern, stimmt uns dieser Estomihi-Gottes­dienst bereits auf den Ernst der Fastenzeit ein – nicht nur mit dem Predigt­text, sondern auch mit Jesu Leidens­ankündigung in der Evan­geliums­lesung und mit dem Wochen­spruch: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschen­sohn“ (Lukas 18,31). „Wir gehen hinauf“, sagt Jesus: Wie ihn selbst das Kreuz erwartet, so erwartet auch seine Jünger Schweres für die Zukunft. Aber Jesus ist ja dabei und nimmt die Last am Ende ganz auf sich; er nimmt sie allen ab.

„Wir gehen hinauf nach Jerusalem“ – bist du dabei? Bist du bereit, Jesus auf dem schweren Weg zu begleiten? Bist du bereit, sein Kreuz auf dich zu nehmen? Ich rede hier nicht vom Fasten, nicht von einem frei­willigen Verzicht und „sieben Wochen ohne“. Solches Fasten mag alle, die mitmachen, ein wenig drücken oder pieken, aber mit der Kreuzes­nachfolge hat es wenig zu tun. Wenn du wissen willst, was Kreuzes­nachfolge wirklich ist, dann sieh dir den Simon von Kyrene aus unserm Predigttext an! Er kommt gerade vom Feld und hat Feierabend. Es ist ein besonderer Feierabend, denn das Passsafest steht bevor. Er hat genug gearbeitet für den Tag; nun freut er sich aufs Essen und Ausruhen. Aber da zwingt man ihn, für Jesus das Kreuz zu tragen. Jesus ist zu sehr geschwächt und bricht unter der Last zusammen. Römische Soldaten hatten damals das Recht, alle Bürger in den besetzten Ländern zu zwingen, dass sie ihnen bis zu einer Meile weit schweres Gepäck tragen helfen. Dieses Gesetz zwingt nun Simon, seinen Feierabend auf­zuschieben, den schweren Holzbalken zu schultern und ihn den Hügel Golgatha hinauf­zutragen. Erst an der „Schädel­stätte“ darf Simon das Kreuz abwerfen und wieder frei sein – da, wo Jesus dann selbst die ganze schwere Sündenlast der Welt auf sich allein nimmt. Martin Luther hat in einer Predigt treffend bemerkt: „Mit den Christen wird es hier in dieser Welt nimmermehr anders, sie müssen mit dem Simon herhalten und Christo das Kreuz nach­tragen.“ Das Kreuz, das wir in dieser Welt als Christen zu tragen haben, ist kein selbst­gewähltes Fasten und kein frei­williges Opfer, sondern es ist das, was uns der der himmlische Vater auflegt und zumutet.

Nicht nur Simon und die römischen Soldaten ziehen mit Jesus nach Golgatha, sondern auch andere Menschen, darunter viele Frauen aus Jerusalem. Sie begleiten Jesus mit lautem Klagen und Weinen. Ihr Herz ist voller Mitleid mit dem gefolterten und zum Tode ver­urteilten Mann, der doch niemandem etwas zu Leide getan hat. Da wendet sich Jesus ihnen zu und sagt: „Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und eure Kinder.“ Zwei Dinge sind es, die er ihnen gebietet: Erstens sollen sie nicht ihn beklagen, und zweitens sollen sie sich selbst beklagen. Warum sollen sie ihn nicht beklagen? Weil sein Weg letztlich ein guter Weg ist. Zwar verlangt ihm dieser Weg das Äußerste an Schmerzen und Qualen ab, aber am Ende wird er auf diese Weise Tod und Teufel besiegen. Also kein Grund zum Klagen, kein Grund zum Mitleid! Jesus ist ein frisches „grünes Holz“, sein Tod führt zum ewigen Leben. Anders steht es mit uns Menschen: Wir sind „dürres Holz“, Sünder, zum Sterben verdammt. Es gibt nichts an uns und in uns, was uns das Leben retten könnte. Um künftige Gene­rationen steht es nicht besser: Sie machen dieselben Fehler wie ihre Eltern, sie sind ebenso Sünder. Darum sagte Jesus den Frauen: „Weint über euch selbst und über eure Kinder!“ Er will sie damit zu Tränen der Reue und zur Buße gewinnen. Und dann sieht der Herr ein besonderes göttliches Straf­gericht voraus: die grausame Zerstörung Jerusalems und die Vertreibung aller Juden aus der Stadt. Vierzig Jahre später ist das dann wahr geworden. Im Hinblick darauf sagt er diesen Frauen die merk­würdigste Selig­preisung, die wir in der Bibel finden: „Selig sind die Unfrucht­baren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben.“ Kinder galten damals unbedingt als Segen, und Kinder­losigkeit galt als Fluch. Jesus stellt das hier auf den Kopf im Hinblick auf Gottes zukünftiges Strafgericht: Ungeheuer Schweres wird auf die Menschen zukommen, und das „dürre Holz“ der Sünder wird daran zerbrechen. So schließt Jesus mit dem Satz: „Wenn man das tut am grünen Holz (damit meinte er seine Kreuzi­gung), was wird am dürren werden?“

Das Schwere, das Jesus den „Töchtern Jerusalems“ vorher­sagte, das hat er der ganzen Welt vorher­gesagt. Vom letzten Abschnitt der Welt­geschichte hat er prophezeit, dass Kriege kommen werden und dass man Kriegs­propaganda hören wird. Auch Erdbeben und Hungersnöte sagte er voraus. Das alles hängt damit zusammen, dass Glaube und Liebe nachlassen werden. Wir erleben heute, wie sich diese Worte erfüllen. Was haben Kriege allein in den letzten Tagen und Wochen an­gerichtet! Was für Spuren von Elend, Leid und Verwüstung haben sie hinter­lassen – in der Ukraine, in Syrien, im Iran, In Israel, im Jemen, in Nigeria! Wieviele Menschen hungern! Wieviele Menschen leiden unter den Folgen von Kata­strophen, die schon längst keine Schlag­zeilen mehr machen! Und hier bei uns, im reichen Deutsch­land, finden wir ein geistliches und moralisches Trümmerfeld vor. Der christliche Glaube hat stark abgenommen, und von echter christ­licher Nächsten­liebe ist nicht mehr viel übrig. Gottes Gericht über dieses „dürre Holz“ wird nicht ausbleiben. Und wer den Herrn Jesus Christus noch lieb hat und ihm nachfolgen möchte, muss all das Schwere in der Welt mittragen und kann sich gar nicht mehr richtig zu Hause fühlen. Dass Hundert­tausende von Kindern im Mutterleib getötet werden, dass die Scham­losig­keit regiert, dass Jesus verhöhnt und sein göttliches Wesen sogar von Kirchen­führern geleugnet wird, all das und vieles mehr drückt hart auf unserer Schulter, so wie der Kreuzes­balken auf der Schulter des Simon von Kyrene drückte. Ja, Schweres kommt auf uns zu und ist schon über uns gekommen.

Aber Jesus geht mit, und das ist die Hauptsache. Dabei ruft er auch uns heute zu, was er den Frauen damals zugerufen hat: „Weint nicht über mich!“ Martin Luther sagte dazu in seiner Predigt: „Wir weinen, klagen, zagen, als wäre Christus nicht gestorben, als hätte er für unsere Sünde nicht bezahlt, Gottes Zorn nicht gestillt, und uns vom Teufel nicht erlöst.“ Und ebenfalls: „Da wir unserer Sünden halben weinen sollten, lachen wir; da wir lachen und von Herzen frohlocken sollten, dass Christus für uns gestorben ist, und hat uns das ewige Leben erworben, da weinen wir.“ Wir merken: Die Passions­zeit ist nicht dazu da, um über Jesus und sein Leiden zu trauern, sondern vielmehr, um über unsere Sünden zu trauern und sie zu bereuen – um dann aus Jesu Leiden und Sterben den Trost und die Freude des Evangeliums zu gewinnen. Wenn wir das tun, dann können wir getrost alles Schwere annehmen, das Gott uns in dieser Zeit auferlegt. Dann können wir wie Simon von Kyrene das Kreuz unsers Herrn schultern – und dabei daran denken, dass wir es nach einem kurzen Wegstück wieder abwerfen dürfen. Denn das Schwerste hat Jesus uns ja auf Golgatha abgenommen und ganz allein getragen: Gottes Straf­gericht über das „dürre Holz“ unserer Sünde. Er hat damit das Wunder vollbracht, dass unser dürres Holz wieder ausschlägt und zum ewigen Leben grünt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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