Manchmal merken wir wenig von Gott

Predigt über Jeremia 14,7‑9 zum 2. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Schon seit längerem be­schäftigen uns in Deutschland die Fremden. Viele von ihnen sind her­gekommen, weil sie in der Heimat ihres Lebens nicht mehr sicher sind oder weil sie dort unter Umständen leben mussten, die keiner von uns freiwillig ertragen würde. Einige von ihnen sind schon seit Jahren in Deutsch­land, andere erst seit ein paar Wochen. Jeder, der auch nur ein bisschen die Menschen lieb hat, wünscht, dass sich die Fremden unter uns bald nicht mehr so fremd fühlen, sondern angenommen und willkommen.

Nun gibt es aber einen, der unter uns immer fremder zu werden scheint, auch wenn er schon lange unter uns lebt. Es scheint so, als sei er den meisten nicht mehr willkommen. Ich spreche von Gott dem Herrn, der uns auch heute wieder hier zu sich eingeladen hat, den Vater unsers Herrn Jesus Christus. Viele fremde Menschen, die zu uns kommen, können uns Auskunft geben über den Gott, den sie anbeten, und viele tun es auch bereit­willig. Aber viele Deutsche verstummen, wenn man sie nach ihrem Glauben fragen, und wissen so gut wie nichts über den Gott, dem in allen deutschen Städten und Döfern Gebäude geweiht sind.

Auch unter uns, die wir noch etwas über diesen Gott wissen, entsteht manchmal der Eindruck, dass der himmlische Vater uns fremd geworden ist. Wir merken so wenig von ihm. Einerseits feiern wir mit Epiphanias die Erscheinung des Herrn, haben jedoch anderer­seits den Eindruck, dass er sich heute verborgen hält. Wir haben so viele Fragen und so wenig Antworten über ihn. Da kann sich auch bei uns das Gefühl einstellen, das der Prophet Jeremia in der Zwiesprache mit Gott so beschrieben hat: „Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?“ Ja, warum geschehen ständig schreck­liche Dinge, und Gott greift nicht ein? Warum scheint Gott zu resignieren angesichts der um sich greifenden Gott­losig­keit im Land?

Solche Phasen hat es nun allerdings auch schon früher gegeben. Und dann hat Gott die Menschen stets wieder damit überrascht, dass er sich stark erwies.

So gab es zum Beispiel zu DDR-Zeiten Phasen, wo viele meinten, die Kirche sei ein Auslauf­modell und würde mit den paar un­belehr­baren Alten, die noch fromm sind, aussterben. So mancher verzagte Christ wird da Gott sein Leid geklagt und gesagt haben: „Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?“ Dann kam die Wende, die kein Politiker und auch sonst kein mächtiger Mensch eingefädelt oder auch nur voraus­gesehen hat; sie kam als ein Geschenk Gottes. Da hat sich Gott als starker Held erwiesen, da konnte man wieder etwas von ihm merken.

Im 19. Jahrhundert war die Meinung weit verbreitet, Gott würde angesichts des Fort­schritts bald überflüssig sein. Man bildete sich ein, dass die menschliche Vernunft auch ohne Gott über kurz oder lang alles in den Griff bekäme und nichts Über­natürliches mehr übrig bliebe. Sogar in der Theologie machte sich ein Vernunft­glaube breit, der unter anderem Wunder abstritt und das Heilige Abendmahl zu einem bloßen Gemein­schafts­essen herab­würdigte. Auch da waren viele Fromme traurig darüber, dass Gott sich das einfach gefallen ließ. Sie mögen geklagt haben: „Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?“ Aber dann wurde Gottes Geist auch in dieser Zeit aktiv: Er erweckte viele Menschen zu lebendigem Glauben und schenkte ihnen die frohe Gewissheit seiner Nähe. Auch ließ er sie stark werden in der Erkenntnis, dass sein Wort in der Bibel wahr und zuverlässig ist. Aus dieser Erweckung ist unter anderem die alt­lutherische Kirche hervor­gegangen, und in diesem Zusammen­hang wurde auch unsere Gemeinde gegründet.

Viele weitere Beispiele ließen sich anführen: die Zeit der großen Christen­verfolgung in den ersten drei Jahr­hunderten nach Christus, oder die Zeit schlimmer Kriege, oder die Zeit großer Hungers­nöte. Bei Jeremia war tatsächlich eine Hungersnot der aktuelle Anlass für seine Klage: „Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?“ Solche Warum-Fragen haben Gottes Volk wohl zu allen Zeiten an­gefochten.

Nun lasst uns aber auch auf die Antwort achten, die Gott durch seinen Propheten gibt. Genau genommen sind es zwei Antworten, erstens die Antwort von Gottes Gesetz, zweitens die Antwort von Gottes Evangelium.

Hören wir erstens die Antwort des Gesetzes. Jeremia betete: „Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben!“ Wenn Gott sich fremd stellt und wenn er uns wie ein Fremder vorkommt, dann liegt das an unserer Sünde. Man kann es auch so ausdrücken: Dann liegt das daran, dass wir uns von Gott entfremdet haben. Wenn es uns gut geht, dann meinen wir, dass wir auch ohne ihn klarkommen, und lassen ihn nur noch eine Randfigur in unserem Leben sein. Wenn es uns aber schlecht geht, dann jammern wir darüber, dass wir so wenig von ihm merken. Wir sehnen uns dann nach seiner Hilfe und sind irritiert, wenn sie nicht sogleich in der von uns erwarteten Weise kommt. Wir sollten stattdessen zuerst zugeben, dass Gott uns deshalb fremd geworden ist, weil wir uns von ihm entfremdet haben. „Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben.“

Hören wir zweitens die Antwort des Evan­geliums. Jeremia betete: „Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!“ Gott hat seinem Volk feierlich ver­sprochen: Ihr gehört zu mir; das steht fest in alle Ewigkeit. Und uns, die wir getauft und nach dem Namen unsers Herrn Jesus Christus genannt sind, hat er zugesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ (Matth. 28,20) Wir können das ungläubig zurück­weisen; dann wird Gott uns fremd bleiben, und dann werden wir seine Hilfe nicht erfahren. Wir können aber auch in Zeiten der Anfechtung vertrauens­voll an unserm Herrn festhalten und wie Jeremia bekennen: „Du bis ja doch unter uns!“ Auch wenn dem äußeren Anschein nach nichts von Gott zu merken ist und er wie ein Durch­reisender inzwischen ganz woanders zu sein scheint, vertrauen wir auf seine Zusage und rechnen mit seiner Nähe. Wir dürfen wissen: Auch wenn Gott fremd und schwach erscheint, ist doch seine Hilfe nahe – so wie die Sonne mit un­verminder­ter Kraft weiter­scheint, wenn sie hinter dicken Wolken verborgen ist.

Dabei sollten wir nie vergessen: Gottes Hilfe erscheint sehr oft verborgen unter dem Anschein des Gegenteils. Warum? „Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?“ Weil es Gott gefallen hat, uns wie ein Anti-Held zu erlösen, in scheinbarer Ohnmacht, nämlich durch sein Leiden und Sterben am Kreuz. Auf diese Weise merken wir, dass es hier nicht um Hilfe nach Menschenart geht, sondern um Hilfe nach Gottes Art. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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