Das Sakrament der Zugehörigkeit

Predigt über 1. Mose 17 zum Neujahrstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Dass mit dem heutigen Tag ein neues Jahr beginnt, wurde willkürlich festgelegt. Man könnte das Kalender­jahr auch am 1. Ad­vent zusammen mit dem Kirchenjahr beginnen lassen, oder am 1. Sep­tember mit dem Schuljahr, oder am 20. März mit dem Frühlings­anfang. Und wenn heute ein kirchlicher Feiertag ist, dann liegt das nicht so sehr am neuen Jahr, sondern daran, dass Marias erster Sohn am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten wurde und den Namen Jesus erhielt. Davon berichtet die heutige Evangeliums­lesung (übrigens das kürzeste Evangelium des Kirchen­jahres): „Als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war“ (Lukas 2,21). Aber warum „musste“ Jesus am achten Tag beschnitten werden? Und was hat die Be­schneidung zu bedeuten? Darüber gibt uns das 17. Ka­pitel des 1. Mose-Buchs Auskunft. Lasst uns dieses Gotteswort jetzt abschnitt­weise lesen und bedenken!

„Als Abram neunund­neunzig Jahre alt war, erschien ihm der HERR und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm. Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir schließen und will dich über alle Maßen mehren. Da fiel Abram auf sein Angesicht. Und Gott redete weiter mit ihm und sprach: Siehe, ich habe meinen Bund mit dir, und du sollst ein Vater vieler Völker werden. Darum sollst du nicht mehr Abram heißen, sondern Abraham soll dein Name sein; denn ich habe dich gemacht zum Vater vieler Völker. Und ich will dich sehr fruchtbar machen und will aus dir Völker machen, und auch Könige sollen von dir kommen. Und ich will aufrichten meinen Bund zwischen mir und dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, dass es ein ewiger Bund sei, sodass ich dein und deiner Nachkommen Gott bin. Und ich will dir und deinem Geschlecht nach dir das Land geben, darin du ein Fremdling bist, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz und will ihr Gott sein.“

Abram ist bereits neunund­neunzig Jahre alt; das galt auch damals als hohes Alter, obwohl die Menschen sehr viel älter wurden als heute. Isaak ist noch nicht geboren; Abram und seine Frau Sara sind kinderlos. Da erscheint Gott Abram und schließt einen Bund mit ihm. Es gehört zum Wesen eines göttlichen Bundes, dass immer Gott die Initiative ergreift und seinen Bund dem Menschen zum Geschenk macht. Man kann ihn deswegen ein „Ver­mächtnis“ nennen oder ein „Testa­ment“. Auch Gottes neuer Bund, von dem das Neue Testament handelt, ist so ein Vermächtnis und Geschenk.

Vor der Gabe nennt Gott jedoch die Aufgabe beziehungs­weise den Anspruch, den er an seine Geschöpfe hat: „Wandle vor mir und sei fromm.“ „Fromm“ ist hier im ur­sprüng­lichen Sinn gemeint: Lebe anständig und ordentlich, so wie ich es von meinen Menschen­geschöpfen erwarte! Später hat Gott mit dem Sinai-Bund und den Zehn Geboten näher ausgeführt, was er darunter versteht. Abram lässt sich demütig auf Gottes Anspruch ein: Er beugt sich vor ihm. Das gilt auch für uns und für alle Menschen: dass wir uns demütig vor Gott beugen und sein Gesetz akzeptieren sollen.

Dann folgt Gottes Verheißung: Ein Vater vieler Völker soll Abram werden. Sein neuer Name macht das deutlich: Bisher hieß er Abram, „erhabener Vater“, nun soll er Abraham heißen, „Vater vieler Völker“. In der Tat ist er ja nicht nur der Stammvater des großen Volkes Israel geworden mitsamt seinen Königen, sondern durch Ismael auch der Vater der arabischen Völker sowie durch Jesus, den König aller Könige, der Vater aller Gläubigen. Somit sind auch wir ein Teil der Erfüllung von Gottes damaliger Verheißung. Gott sagt in der Bibel: „Siehe, ich mache alles neu.“ Er schenkt Abraham hier einen neuen Abschnitt und eine neue Per­spektive, die weit über sein restliches Erdenleben hinaus­reicht. Ein „ewiger Bund“ soll dieser Bund sein. Und er macht das deutlich mit dem neuen Namen. Dann schließt er eine Verheißung an, die ins­besondere dem Volk Israel gilt: Das Land Kanaan, in dem Abraham selbst noch als Migrant und Nomade lebt, soll einmal Israels Heimat werden.

Hören wir weiter.

„Und Gott sprach zu Abraham: So haltet nun meinen Bund, du und deine Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht. Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr be­schneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Jedes Knäblein, wenn‘s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. Desgleichen auch alles, was an Gesinde im Hause geboren oder was gekauft ist von irgend­welchen Fremden, die nicht aus eurem Geschlecht sind. Beschnitten soll werden alles Gesinde, was dir im Hause geboren oder was gekauft ist. Und so soll mein Bund an eurem Fleisch zu einem ewigen Bund werden. Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an seiner Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volk, weil er meinen Bund gebrochen hat.“

Hier haben wir nun den Abschnitt, der direkt mit unserem heutigen Fest zusammen­hängt: Alle männlichen Nachkommen Abrahams sollen am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten werden, und dasselbe soll für alle Jungs und Männer gelten, die unter Abrahams Nachkommen leben. Wer sich dieser Anordnung widersetzt, hat sein Lebensrecht in der Gemein­schaft der Abrahams-Nachkommen verwirkt. Darum musste auch Jesus am achten Tag beschnitten werden, wie es im heutigen Evangelium heißt.

Die Be­schneidung ist ein Zeichen dafür, dass jemand zum jüdischen Volk gehört. Wohl­bemerkt: Nur die Be­schneidung an allem, „was männlich ist“; die vor allem in Afrika verbreitete Be­schneidung von Mädchen dagegen stellt eine grausame Körper­verletzung dar, die unbedingt abgeschafft gehört. Und wohl­bemerkt: Die Be­schneidung soll am acht Tage alten Säugling geschehen, nicht erst am Jugend­lichen, wie es die Muslime tun. Und wohl­bemerkt: Nicht nur die leiblichen Nachkommen Abrahams sollen beschnitten werden, sondern auch die zu­gewander­tern Männer, die sogenannten „Bei­sassen“. Das ist eine Art Integrations-Gebot: Selbst­verständ­lich wurde von den Migranten innerhalb des jüdischen Volkes erwartet, dass sie den Gott Israels anbeten und sich nach seinen Geboten richten.

Dass Jesus wie alle anderen Abrahams-Nachkommen beschnitten wurde, kann uns Dreierlei lehren. Damit ist erstens bestätigt, dass Jesus Abrahams Segens­träger ist, durch den alle Völker auf Erden gesegnet werden sollen. Damit ist zweitens bestätigt, dass der Gottessohn ein Mensch ohne Sonder­behandlung wurde; er war Gottes Gesetzen für die Menschheit völlig unter­worfen. Drittens markiert Jesu Be­schneidung auch einen Neuanfang, so wie Abraham damals einen Neuanfang erlebte. Weil Abraham damals seinen neuen Namen bekommen hatte, war es üblich geworden, den Namen eines Jungen am Tag seiner Be­schneidung bekannt­zugeben. Darum nannten Maria und Josef ihren Sohn am Tag der Be­schneidung „Jesus“, das heißt auf Deutsch: „der Herr rettet“, „der Herr hilft“. Dieser Name ist Gottes Programm: Mit Jesus schenkt Gott der hoffnungs­los in Sünde ver­strickten Welt einen Ausweg. Mit ihm stiftet er einen Bund, der nicht an irgend­welche Bedingungen geknüpft ist, sondern dessen Segen alle erleben, die Jesus vertrauen. Es ist der neue Bund, offenbart im Neuen Testament.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, seit unserer Taufe gehören wir zu diesem neuen Bund. Bei der Taufe ist Gott so in unser Leben getreten, wie er damals in Abrahams Leben trat, und hat uns einen neuen Lebens­abschnitt geschenkt – einen Lebens­abschnitt, der nie enden soll. Darum wird die Taufe auch „Wieder­geburt“ und „Neu­schöpfung“ genannt. Und wenn wir das Neue Testament aufmerksam lesen, dann werden wir fest­stellen, dass die Taufe in Gottes neuem Bund an die Stelle der Be­schneidung getreten ist. Im Kolosser­brief heißt es: „In Christus seid ihr auch beschnitten worden mit einer Be­schneidung, die nicht mit Händen geschieht, als ihr nämlich euer fleisch­liches Wesen ablegtet in der Be­schneidung durch Christus. Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auf­erstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.“ (Kol. 1,11-12) Die Taufe ist die geistliche Be­schneidung des neuen Bundes und als solche ebenfalls ein Zeichen der Zu­gehörig­keit zu Gottes Volk.

Hört nun noch den Rest des Kapitels.

„Und Gott sprach abermals zu Abraham: Du sollst Sarai, deine Frau, nicht mehr Sarai nennen, sondern Sara soll ihr Name sein. Denn ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben; ich will sie segnen, und Völker sollen aus ihr werden und Könige über viele Völker. Da fiel Abraham auf sein Angesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären? Und Abraham sprach zu Gott: Ach dass Ismael möchte leben bleiben vor dir! Da sprach Gott: Nein, Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären, den sollst du Isaak nennen, und mit ihm will ich meinen ewigen Bund aufrichten und mit seinem Geschlecht nach ihm. Und für Ismael habe ich dich auch erhört. Siehe, ich habe ihn gesegnet und will ihn fruchtbar machen und über alle Maßen mehren. Zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich will ihn zum großen Volk machen. Aber meinen Bund will ich aufrichten mit Isaak, den dir Sara gebären soll um diese Zeit im nächsten Jahr. Und er hörte auf, mit ihm zu reden. Und Gott fuhr auf von Abraham. Da nahm Abraham seinen Sohn Ismael und alle Knechte, die im Hause geboren, und alle, die gekauft waren, und alles, was männlich war in seinem Hause, und beschnitt ihre Vorhaut an eben diesem Tage, wie ihm Gott gesagt hatte. Und Abraham war neunund­neunzig Jahre alt, als er seine Vorhaut beschnitt. Ismael aber, sein Sohn, war dreizehn Jahre alt, als seine Vorhaut beschnitten wurde. Eben auf diesen Tag wurden sie alle be­schnitten, Abraham, sein Sohn Ismael und was männlich in seinem Hause war, im Hause geboren und gekauft von Fremden; es wurde alles mit ihm be­schnitten.“

Wenn auch nur die Männer beschnitten werden, so gilt der göttliche Bund sowie der neue Lebens­abschnitt natürlich auch für Frauen; das macht Saras neuer Name deutlich. Darum tauft die Kirche nicht nur Jungs und Männer, sondern auch Mädchen und Frauen. Die Taufe ist das Zeichen von Gottes neuem Bund, den er von sich aus verfügt und stiftet. Sie ist das Zeichen, dass Gott uns zu seinem Volk gehören lässt. Christsein ist also eigentlich keine welt­anschau­liche Ent­scheidung oder eine positive Grund­haltung zum Zweck der Lebens­bewälti­gung, sondern es ist Gottes Handeln an uns, das wir wie Abraham demütig und gläubig annehmen sollen. Gott schenkt uns durch Jesus alles Heil – durch den einen Nachkommen Abrahams, Isaaks, Jakobs und Davids, den alle Propheten angekündigt haben. Gott hat damit etwas Wunderbares und Großes in unserem Leben begonnen, das nie enden soll. Lasst uns darum auch im neuen Jahr aus der Kraft der neuen Geburt und der neuen, geistlichen Be­schneidung leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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