Hoffnung für die Kinder

Predigt über Jeremia 31,15‑17 zum Tag der unschuldigen Kinder

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Weihnachts­freude ist ein zartes Pflänzchen. Immer wieder droht das Unkraut der Traurig­keit, dieses Pflänzchen zu ersticken. Und wie die Weihnachts­freude im Spiegel leuchtender Kinderaugen einen besonderen Glanz erhält, so wuchert die Traurigkeit besonders heftig dort, wo Kindern Gewalt angetan wird.

Damals, bei der ersten Weihnacht, sagte Gottes Engel: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Das ist die Weihnachts­freude über das eine Kind aus Bethlehem, das in Windeln gewickelt in einer Krippe lag. Aber nur kurze Zeit später hörte man lautes Weinen und Klagen über viele Kinder aus Bethlehem, die König Herodes kaltblütig ermorden ließ. Daran denken wir besonders heute, am 28. Dezember, dem „Tag der un­schuldigen Kinder“. Ich wünschte, wir könnten darauf zurück­schauen wie auf ein längst über­wundenes Unrecht und wie auf längst verheilte Wunden. Aber leider hat das Kinder­morden nicht aufgehört, sondern es geht bis heute in vielfacher Weise weiter. Die grausamen Hin­richtungen, die der sogenannte „Islamische Staat“ im Namen Allahs durchführt, machen auch vor Kindern nicht halt. Unzählige Kinder werden täglich brutal misshandelt und missbraucht – auch in unserem Land. Mehr als hundert­tausend Kinder wurden bei uns dieses Jahr wieder umgebracht, noch bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblickten – wobei besonders bedenklich ist, dass große Teile der Bevölkerung das in Ordnung finden. Noch mehr Kinder werden geistlich ums Leben gebracht: Man tauft sie nicht mehr, man enthält ihnen das Bad der Wieder­geburt vor, und man sagt ihnen nicht, dass sie einen Vater im Himmel haben, auch nicht, wer der Heiland ist, der ihnen das ewige Leben schenken will. Das alles sind Traurig­keiten, die uns sehr an die Nieren gehen und die Weihnachts­freude ersticken können.

Das Matthäus-Evangelium bringt den Kindermord des Herodes mit einem Bibelwort aus dem Buch des Propheten Jeremia in Verbindung. Es heißt dort: „Da wurde erfüllt, was geweissagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht: ‚In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen‘“ (Matth. 2,17‑18). Rama war die am höchsten gelegene Grenzstadt zwischen dem früheren Nordreich Israel und dem Südreich Juda. Dass das Klage­geschrei aus Bethlehem auch in Rama gehört wurde, drückt in poetisch-pro­phetischer Sprache aus, dass es durch ganz Israel erscholl beziehungs­weise dass diese brutale Tat ganz Israel er­schütterte. Was aber hat es zu bedeuten, dass Rahel als untröstlich Weinende genannt wird? Rahel war die zweite Frau des Stammvaters Israel. Er hatte sie ganz besonders lieb. Leider wurde sie ihm durch einen frühen Tod genommen. Sie starb, als die ganze Familie gerade unterwegs war, und zwar in un­mittelbarer Nähe der Stadt Bethlehem. So ist es im 1. Buch Mose über­liefert. Rahels Grab befand sich also dort, wo der grausame Kindermord geschah. Rahel, die Stammmutter des Volkes Israel, wird hier stell­vertretend genannt für die trauernden Mütter von Bethlehem – auch wieder in poetisch pro­phetischer Sprache. Mit einer Redensart, die uns heute geläufiger ist, könnten wir vielleicht sagen: Rahel würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, was da ganz in der Nähe ihres Grabes Schlimmes geschehen ist.

Als der Prophet Jeremia sein Wort 600 Jahre zuvor gesprochen hatte, da herrschte eine andere Traurigkeit in Israel: Die junge Generation war nach einem verlorenen Krieg weggeführt worden in die Babylo­nische Gefangen­schaft. Man dachte, das sei das Ende für die ver­schleppten Nachkommen, und sagte: „Es ist aus mit ihnen!“ Als dann später die Mütter von Bethlehem die Leiber ihrer toten Kinder zu Grabe trugen, waren sie sich ebenfalls sicher: „Es ist aus mit ihnen!“ Und auch wir denken im Blick auf getötete, traumati­sierte oder auch ungetauft sterbende Kinder: „Es ist aus mit ihnen!“ Es scheint keine Hoffnung zu geben für die ver­schleppten, miss­handelten, ermordeten und verführten Kinder aller Jahr­hunderte. So steht Rahels lautes Klagen, das man bis nach Rama hört, stell­vertretend für alles Leid frommer Seelen über die Verlorenen der nächsten Generation: „Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder; denn es ist aus mit ihnen.“

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ganz bewusst habe ich als Predigttext die Original­fassung des Prophetenwortes aus dem Jeremia-Buch gewählt, nicht das Zitat aus dem Matthäus-Evangelium. Denn bei Matthäus erscheint nur der trostlose Anfang des Zitats; die tröstliche Fortsetzung können wir nur im Original finden. Da heißt es nämlich weiter bei Jeremia: „Aber so spricht der Herr: Lass dein Schreien und Weinen und die Tränen deiner Augen; denn deine Mühe wird noch belohnt werden, spricht der Herr. Sie sollen wieder­kommen aus dem Lande des Feindes, und deine Nachkommen haben viel Gutes zu erwarten, spricht der Herr, denn deine Söhne sollen wieder in ihre Heimat kommen.“

Die traurigen Mütter beziehungs­weise Eltern klagen über den Verlust ihrer Kinder: „Es ist aus mit ihnen.“ Gott selbst setzt dieser Ver­zweiflung das „Aber“ seines Propheten entgegen: „Aber so spricht der Herr: Lass dein Schreien und Weinen…“ Er lässt die Mütter wissen, dass die Mühe ihrer Schwanger­schaft und die Arbeit ihrer Geburt nicht vergeblich gewesen ist. Er versichert den alten Juden, deren Kinder in die Babylo­nische Gefangen­schaft verschleppt worden sind: „Sie sollen wieder­kommen aus dem Land des Feindes“, und: „Deine Söhne sollen wieder in ihre Heimat kommen.“ Auch wenn sich die Juden damals überhaupt nicht vorstellen konnten, wie das vonstatten gehen soll – es ist so gekommen: Als der Perserkönig Koresch die Macht im Nahen Osten übernahm, da erlaubte er den Juden im Exil, wieder in ihre Heimat zurück­zukehren.

Kann das auch ein Trost sein für die Mütter aus Bethlehem, die um ihre ermordeten Kleinkinder trauerten? Gewiss. Denn wir wissen ja, dass der Tod nicht das letzte Wort über einen Menschen behalten muss. Und so gibt es auch für diese toten Kinder die Hoffnung der Auf­erstehung und des ewigen Lebens. Die christliche Kirche hat im Blick auf sie stets die Ansicht vertreten: Diese Kleinen, die unschuldig hin­gerichtet wurden um des neu­geborenen Jesus willen, die sind den Märtyrern zu­zurechnen, den Blutzeugen des Glaubens, und darum werden sie mit ihnen zum ewigen Leben eingehen.

Kann das aber auch uns trösten im Blick auf die Kinder unserer Zeit, denen man an Leib und Seele Gewalt antut? Können die ab­getriebenen Kinder denn selig werden, ohne getauft zu sein? Und was ist mit denen, die Jesus nie kennen­gelernt haben? Und was ist schließlich mit denen, die sich bewusst vom Glauben abwenden? Müssen wir da nicht mit Gottes Wort urteilen: „Es ist aus mit ihnen“ – so schwer uns das auch fällt?

Ich muss ehrlicher­weise zugeben, dass ich vom Zeugnis der Bibel her nicht sagen kann: Natürlich wird Gott sie am Ende alle selig machen. Ich erkenne vielmehr, dass sie ja wie alle Menschen Sünder sind und darum den endgültigen Tod durchaus verdient haben – so wie auch ihre Eltern, so wie alle Menschen, so wie auch ich selbst. Dennoch darf ich euch mit dem Propheten Jeremia Gottes „Aber“ ver­kündigen: „Aber so spricht der Herr: Lass dein Schreien und Weinen und die Tränen deiner Augen… Sie sollen wieder­kommen aus dem Land des Feindes… und deine Nachkommen haben viel Gutes zu erwarten, spricht der Herr.“ Und noch wichtiger: Ich darf euch mit dem Evange­listen Matthäus darauf hinweisen, dass ja ein Kind dem Morden des Herodes entronnen ist: Jesus, der Heiland der Welt. Beides zeigt uns Gottes un­ermess­lich große Liebe. Sie ist so groß, dass sie unsere theo­logische Erkenntnis und unser Hoffen übersteigt. Und wir wissen: Dieses eine entronnene Kind ist den Weg ans Kreuz gegangen, um die Sünden aller Menschen zu sühnen. Da sühnte Jesus auch die Erbsünde der kleinen Kinder, die in Bethlehem getötet wurden. Da ließ er sein Leben auch für alle Kinder, die starben, noch bevor sie geboren wurden. Da gab er sich auch für all diejenigen hin, die ihn nie als Erlöser kennen­gelernt haben. Und da trug er sogar die Schuld derer, die sich mutwillig von ihm abwenden. Wer wollte sagen, dass er nicht auch Wege finden kann, sie irgendwie doch noch zur Umkehr zu leiten? Wer könnte behaupten, dass es dem All­mächtigen unmöglich ist, Christi Erlösung irgendwie auch denen zuzueignen, die sie nicht auf dem Weg der Taufe empfangen haben? Dieser Gedanke darf natürlich nicht zum Freibrief werden dafür, dass wir die Taufe unserer Kinder leicht­fertig heraus­schieben oder die Taufgnade gering schätzen. Aber anderer­seits: Wer wollte Gott vor­schreiben, dass er in seiner großen Barmherzig­keit nicht auch Wege gehen kann, die wir überhaupt nicht für möglich halten? Darum, wenn wir traurig klagen: „Es ist aus mit ihnen“, dann wollen wir dabei nicht vergessen, was Gottes Wort uns ans Herz legt: „Deine Nachkommen haben viel Gutes zu erwarten“, und: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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