Die geistliche Dimension des Lebens

Predigt über Jakobus 5,13‑16 zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir alle wissen es, wir alle kennen es: Das Leben ist eine Achterbahn­fahrt; mal sind wir oben auf, mal am Boden zerstört; mal geht‘s uns gut, mal liegen wir krank darnieder. Wichtig ist in jedem Fall, dass wir dabei die geistliche Dimension des Lebens nicht übersehen, also unsere Beziehung zu Gott – egal ob wir oben auf sind oder am Boden zerstört oder, wie meistens, irgendwo dazwischen. Dazu hilft diese Anweisung aus dem Jakobus­brief: „Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.“ Ganz ähnlich hat es der Apostel Paulus formuliert mit seinem berühmten Wort im Römerbrief: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet“ (Römer 12,12). Gleich ob es uns gut geht oder schlecht, immer sollen wir es vor Gott bringen als fröhlichen Lobgesang oder als Dankgebet oder als Bitte um Hilfe oder auch nur als einen zum Himmel gerichteten Seufzer. Wenn wir diese geistliche Dimension unseres Lebens nicht vergessen, dann bleiben wir mit Gott in Verbindung.

So weit, so gut und ein­leuchtend. Was Jakobus aber danach schreibt, kann uns merkwürdig vorkommen: „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.“ Habt ihr das schon mal gemacht oder wenigstens mit dem Gedanken gespielt: bei Krankheit einen Kirchen­vorsteher anrufen und ihn bitten, er möge doch mit etwas Salbe vorbei­kommen und ihn im Namen Gottes salben? Oder wenigstens: einen Kirchen­vorsteher anrufen und ihn bitten, er möge beten und ein Segenswort sprechen? Oder wenigstens: einen Kirchen­vorsteher um Fürbitte bitten? Das Letztere werden manche bejahen können, und das ist schön. Ich ermutige euch alle aus­drücklich, eure Mitchristen um Fürbitte zu bitten, wenn ihr krank seid oder sonst eine Not habt. Und da darf man sich ruhig besonders an die Vorsteher wenden, denn ihr Amt ist ja ein geist­liches. In unserer Gemeinde­ordnung heißt es aus­drücklich: „Die Kirchen­vorsteher sind in besonderem Maße für das geistliche Leben in der Gemeinde und die Erfüllung der gemeind­lichen Aufgaben verant­wortlich. Als Mitarbeiter des Pfarrers unter­stützen sie ihn in seinem Dienst.“ Wenn ihr also krank seid oder Hilfe braucht, dann vergesst nicht, dass es Kirchen­vorsteher gibt, die für euch und mit euch beten können! Darüber hinaus haben wir einen Gebets­kreis, der sich fast jede Woche trifft und dann auch persönliche Not von Gemeinde­gliedern vor Gott bringt, soweit sie ihm bekannt ist.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man den Pastor außen vor lassen sollte. Wenn unser Bibelwort von „Ältesten“ redet, dann sind damit nicht nur Kirchen­vorsteher gemeint (die gab es in unserem Sinne damals eigentlich noch gar nicht), sondern allgemein alle, die ein leitendes Amt in der Kirche haben – allen voran natürlich die „Hirten und Lehrer“, also die Pastoren. Sogar die Apostel haben es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben angesehen, für die Gemeinde­glieder zu beten. Deshalb sollte sich niemand scheuen, in persön­licher Not den Pastor um Fürbitte zu bitten. Gerade in einer kleinen Kirchen­gemeinde wie der Unsrigen ist es leicht möglich, dass der Pastor sich direkt um die Nöte einzelner Gemeinde­glieder kümmern kann. Das muss sich nicht auf ein Gebet aus der Ferne be­schränken, sondern der Pastor kommt zu den Kranken ins Haus, wenn sie das möchten. Er hört ihnen zu und versucht, sie mit Gottes Wort zu trösten. Er betet mit ihnen und segnet sie. Wenn es gewünscht wird, hört er die Beichte und erteilt im Namen Gottes die Vergebung der Sünden. Das kann besonders tröstlich und entlastend sein für Menschen, die den Tod nahen fühlen und die Gewissheit suchen, dass alle Fehler und Irrwege ihres Lebens vor Gott bereinigt sind. Gern kommt der Pastor auch mit dem Heiligen Abendmahl ins Haus und gibt einem Kranken mit dem Leib und Blut Christi die Medizin, die alles Übel von seiner Wurzel her bekämpft. Und schließlich ist der Pastor auch zu einer heiligen Ölung bereit, selbst wenn diese Tradition in unserer Kirche nicht besonders entwickelt ist. Die römisch-katholische Kirche hat ja mit der sogenannten „Letzten Ölung“ ein Sterbe­sakrament daraus gemacht; aber neuerdings hat man dort sowie auch im Bereich evange­lischer Kirchen die Kranken-Ölung wieder neu entdeckt im Sinne des Jakobus­briefes: „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.“ Er muss gar nicht todkrank sein; die heilige Ölung und vor allem die Fürbitte haben in jedem Fall eine große Verheißung. Es heißt nämlich weiter: „Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.“

Dieser Satz ist bemerkens­wert, man sollte ihn mit größter Auf­merksam­keit hören. Es heißt da nicht, dass das Gebet den Kranken in jedem Fall wieder gesund machen wird, schon gar nicht, dass eine spontane Wunder­heilung geschieht und er in der nächsten Minute putzmunter aus dem Bett springt. Es heißt da vielmehr: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen.“ Das Wort, das für „helfen“ im griechi­schen Urtext steht, ist an anderen Stellen des Neuen Testaments mit „retten“ oder „erlösen“ übersetzt. Da merken wir: Es geht hier tatsächlich um die geistliche Dimension des Lebens und besonders um die geistliche Dimenison von Krankheit. Da ist es das Wichtigste, dass dem Kranken Ruhe für seine Seele geschenkt wird, damit er sich in seiner Not ganz von Gott geborgen und getragen weiß. Der Glaube und die Gemein­schaft mit Gott sind die größte Hilfe für einen Kranken, alles andere ist zweit­rangig. Es mag sein, dass Gott den Kranken bald zu sich holt in sein ewiges Reich; es mag sein, dass er ihm noch eine längere Zeit der Krankheit zumutet, bevor er ihn heimgehen lässt; es mag sein, dass er ihn leiblich wieder ganz gesund macht; es mag sogar sein, dass er dies durch ein plötzliches Wunder tut – all das können wir getrost dem Herrn anheim­stellen und darauf vertrauen, dass er für jeden Einzelfall genau die richtige Variante weiß. Aber helfen, retten, erlösen – das tut er in jedem Fall, wenn wir ihn darum bitten.

Der zweite Teil des bemerkens­werten Satzes bestätigt und vertieft diese Erkenntnis. Da heißt es: „…und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.“ Das Wort „auf­richten“ ist dabei ebenso inhalts­schwer wie vorher das Wort „helfen“. Das Wort, das für „auf­richten“ im griechi­schen Urtext steht, ist an anderen Stellen des Neuen Testaments mit „auf­erwecken“ übersetzt. Wir erkennen hier die Wirkung von Gottes Hilfe, Rettung und Erlösung, die durch sein Wort und die Fürbitte der Mitchristen zum Kranken kommt. Der Kranke erfährt eine geistliche Auf­erweckung; sein Glaube wird lebendig, und er kann selbst in größter Not zu­versicht­lich auf den endgültigen Ausgang seiner Krankheit und seines Lebens blicken: die Auf­erstehung zum ewigen Leben am Ende der Zeit. Dieser ganze Zusammen­hang gründet darauf, dass Jesus alles menschliche Übel und Leid von der Wurzel her bekämpft, indem er zur Vergebung aller Sünden am Kreuz gestorben ist. Darauf weist der letzte Teil des Jakobus-Satzes aus­drücklich hin: „…und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.“

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, es lohnt sich, in allen Situationen die geistliche Dimension des Lebens zu berück­sichtigen. Es lohnt sich, Gott durch seinen ein­geborenen Sohn Jesus Christus zu suchen und ihm zu vertrauen. Es lohnt sich, bei Krankheit Mitchristen um Fürbitte und auch um ihr Kommen zu bitten. Es lohnt sich, den Pastor kommen zu lassen – auch mit dem Heiligen Abenmdahl, auch mit der Kranken­salbung. Und es lohnt sich, die Ursache allen Leides beim Namen zu nennen, die Sünde nämlich, und Gottes Vergebung zu empfangen. All das wird helfen und aufrichten, denn Gott hat es ver­sprochen. Und so will ich meine Predigt nicht anders schließen, als der Apostel Jakobus diesen wichtigen Abschnitt seines Briefes geschlossen hat, nämlich mit dieser Auf­forderung und dieser Verheißung: „Bekennt also einander eure Sünden und betet für­einander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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