Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
„Der Pflaumenkuchen ist besser als der Apfelkuchen“, sagte sich der Gast an der Kaffeetafel und griff zum Pflaumenkuchen. Das ist allerdings eine Geschmacksfrage – im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn aber Gott durch den Propheten Samuel verkündigt: „Gehorsam ist besser als Opfer“, dann ist das keine göttliche Geschmacksfrage, sondern dann steckt viel mehr dahinter.
„Acht Zylinder sind besser als sechs Zylinder“, pflegten wir als Kinder zu sagen, wenn wir Autoquartett spielten. Mancher von euch wird sich daran erinnern, es war damals ein sehr beliebtes Spiel für zwei Personen. Jeder bekam die Hälfte des gut gemischten Kartenstapels, und dann wurde eine Eigenschaft der jeweils zuoberst liegenden Autokarte verglichen, zum Beispiel die Zahl der Zylinder. Wer das größere oder stärkere Auto hatte, der gewann die Karte des schwächeren hinzu. Beim Autoquartett geht es also nicht um eine Geschmacksfrage, sondern es geht darum, dass das Bessere das Schlechtere schlägt. Damit kommen wir dem göttlichen Wort unseres Predigttextes schon näher.
„Gehorsam ist besser als Opfer“, sagte Gott durch den Propheten Samuel dem König Saul. Gott hatte diesem ersten König in Israel zuvor ausdrücklich aufgetragen, die Viehherden der feindlichen Amalekiter zu vernichten. Saul aber gehorchte nicht, sondern nahm das Vieh für sich in Besitz. Als der Prophet Samuel ihn darauf ansprach, fiel Saul keine bessere Ausrede ein als zu sagen: „Wir wollen mit diesen Tieren ein Opferfest für Gott veranstalten.“ Samuel lässt sich gar nicht erst auf eine Diskussion über die Glaubwürdigkeit dieser Rechtfertigung ein, sondern verkündet im Namen Gottes: „Gehorsam ist besser als Opfer.“ Er meint es nicht im Sinne von „Pflaumenkuchen ist besser als Apfelkuchen“, sondern im Sinne von „Acht Zylinder sind besser als sechs Zylinder.“ Also: Der Gehorsam gegenüber Gottes Wort und Willen ist viel wichtiger als alle selbst ausgedachten Werke der Gottesverehrung; er hat Vorrang; er „schlägt“ sozusagen das freiwillige Opfer. Niemand, der Gott ungehorsam ist, soll meinen, er könne ihn dann noch mit einer Opfergabe erfreuen. Kein Sünder kann Gott gnädig stimmen, indem er etwa eine Kerz für ihn anzündet oder einen großen Geldbetrag spendet.
Eine Mutter trägt ihrer achtjährigen Tochter auf: Jetzt mach erst mal deine Hausaufgaben für morgen. Die Tochter setzt sich an ihren Schreibtisch und füllt eifrig ein Blatt Papier. Sie malt ein schönes buntes Bild mit Blumen für ihre Mutter. Als sie fertig ist, überreicht sie es ihr mit den Worten: Da, Mutter, das schenke ich dir! Wir können uns vorstellen, dass die Mutter nicht gerade begeistert ist. Sie wird der Tochter bestimmt klarmachen: Es wäre besser gewesen, wenn du mir gehorcht und die Hausaufgaben gemacht hättest! „Gehorsam ist besser als Opfer.“
Wenn man so leben will, wie es sich gehört und wie es Gott erwartet, dann muss man zuerst darauf achten, was er uns aufträgt. „Gehorsam“ hängt mit „hören“ zusammen; in unserem Bibelwort und überhaupt in der hebräischen Sprache ist es ein und dasselbe Wort. Gottes Gebote hören, lernen und befolgen, das ist das Wichtigste beim menschlichen Verhalten. Der Pharisäer, der uns in der heutigen Evangeliums-Lesung begegnet ist, hat das begriffen. Als Jesus ihn an Gottes wichtigstes Gebot erinnerte, nämlich an das Doppelgebot der Liebe, da bestätigte der Pharisäer das und zitierte dabei unser Textwort: „Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer“ (Markus 12,33). Auch an anderen Stellen in der Bibel finden wir die grundlegende Erkenntnis: „Gehorsam ist besser als Opfer.“ Schon im ersten Buch Mose begegnet uns das abschreckende Beispiel von Kain: Ebenso wie sein Bruder Abel hat er ein Opfer dargebracht, aber er hat es nicht im Gehorsam getan, sondern er hat in seinem Herzen Gott verachtet. Das führte sogar dazu, das er dem Gebot „Du sollst nicht töten“ ungehorsam wurde und Abel erschlug.
Martin Luther und die lutherische Reformation haben ebenfalls diese Wahrheit erkannt und die mittelalterliche Kirche daran erinnert. Es war damals nämlich die Unsitte eingerissen, dass man den Leuten allerlei Riten und religiöse Pflichten auferlegte, die gar nicht in der Bibel stehen, sondern die sich Menschen selbstständig als Opferleistung ausgedacht hatten. In der wichtigsten lutherischen Bekenntnisschrift, der Augsburger Konfession von 1530, heißt es zum Beispiel bei der Beurteilung von Klostergelübden: „Dabei erkannten sie nicht, dass man Gott nach den von ihm selbst gegebenen Geboten dienen muss, nicht nach von Menschen erdachten Geboten.“ (Art. 27,57) Und bei der Behandlung von Fastengeboten und Ähnlichem urteilt das Augsburger Bekenntnis: „Diese Traditionen haben Gottes Gebote verdunkelt, weil sie weit wichtiger genommen wurden. Man glaubte, das ganze Christsein bestünde aus der Einhaltung bestimmter Feiertage, heiliger Handlungen, Fastenzeiten und Bekleidung… Aber Gottes Gebote wurden nicht gerühmt.“ (Art. 26,8.10)
Damit erhalten wir auch heute die allerbeste Empfehlung für gutes Leben. Wer zu Gottes Ehre leben möchte, der handele nach der Devise: „Gehorsam ist besser als Opfer.“ Am Anfang steht das Hören und Fragen nach Gottes Willen, so wie er uns in seinem Wort und seinen Geboten offenbart ist. Da denken wir natürlich gleich an die Zehn Gebote. Aber wir sollten nicht übersehen, wie Jesus selbst die Zehn Gebote und das ganze göttliche Gesetz zusammengefasst hat. Er tat es mit dem sogenannten Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften… Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Markus 12,30-31) Die Liebe ist unsere oberste christliche Gehorsamspflicht; ohne Liebe kann niemand Gott gefallen. Was es heißt, Liebe zu üben und Gottes Geboten treu zu sein, können wir auch vom Vorbild unsers Herrn Jesus Christus ablesen, wie er gelebt hat und mit anderen Menschen umgegangen ist. Zum Gehorsam gehört aber auch dazu, dass wir Gottes Wort und Gebot in unseren jeweiligen Lebenszusammenhang stellen. Gehorsam gegen Gott bedeutet nämlich nicht für alle Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten dasselbe. Für Abraham beispielsweise bedeutete Gehorsam, sein Vaterland zu verlassen und in ein unbekanntes Land zu ziehen. Für Saul bedeutete Gehorsam, die Viehherden eines gottlosen Volkes zu vernichten. Für Eltern bedeutet Gehorsam, ihre Kinder liebevoll zu erziehen und ihnen dabei auch den Glauben ans Herz zu legen. Für einen Pastor bedeutet Gehorsam, seine Gemeinde treu mit Gottes Wort und Sakrament zu versorgen sowie für alle Gemeindeglieder zu beten. Für einen Angestellten bedeutet Gehorsam, sorgfältig und zuverlässig alle vereinbarten Aufgaben zu erledigen. Für einen Regierenden bedeutet Gehorsam, sich ohne Ansehen der Person für Frieden und für das Wohlergehen aller ihm Anvertrauten einzusetzen. Niemals darf es darum gehen, eigenmächtig mit selbst ausgedachten Tätigkeiten Gott dienen zu wollen; das Hören auf sein Wort und das Ernstnehmen seines Willens hat immer Vorrrang.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wenn wir uns das klar machen, dann werden wir schnell merken, was bei uns nicht in Ordnung ist. Wir werden feststellen, dass auch wir immer wieder in die Falle tappen, in die Saul getappt ist und die ihm schließlich sein königliches Amt gekostet hat: Wir erliegen der Versuchung, selbst zu bestimmen, was Gott gefallen muss, und verfehlen dabei das, was er tatsächlich geboten hat. „Gehorsam ist besser als Opfer“ – aber genau daran mangelt es bei uns: am bedingungslosen Gehorsam dem allmächtigen Gott gegenüber. Was können wir da tun?
Wir können den Satz auf den Kopf stellen beziehungsweise ihn umdrehen: „Opfer ist besser als Gehorsam.“ Dann wird aus dem freiwilligen Dankopfer ein Sündopfer – also ein Opfer, mit dem mangelnder Gehorsam wiedergutgemacht werden soll. Aber sind wir zu so einem Wiedergutmachungs-Opfer wirklich in der Lage? Gibt es so ein Opfer überhaupt, das über den mangelnden Gehorsam triumphiert?
Als der Pharisäer im Gespräch mit Jesus über Gottes größtes Gebot urteilte, dass es beser als Brandopfer und Schlachtopfer ist, da erwiderte Jesus: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“ (Markus 12,34). Nicht fern, also ganz nah dran – aber eben noch nicht drin. Hinein kommt man in Gottes Reich nämlich nur, wenn man diesen Satz tatsächlich umdreht, und zwar in dieser Weise: Christi Opfer ist besser als jeder menschliche Gehorsam. Denn wie sehr wir uns auch abmühen, unser Gehorsam wird nie vollkommen sein, sondern er ist immer von Ungehorsam und Eigenmächtigkeit verunreinigt. Christi Sühnopfer am Kreuz aber ist vollkommen und besiegt alle Sünde der Welt. Ja, es gibt also dieses Opfer, das über den Ungehorsam triumphiert – ein einziges nur, das Opfer, das Gott selbst uns mit seinem eingeborenen Sohn gestiftet hat. Das ist die gute Nachricht des Evangeliums. Während Gottes Gesetz zu recht sagt: „Gehorsam ist besser als Opfer“, so verkündigt Gottes Evangelium das Einzige, was uns wirklich vor Gott gerecht machen kann: Opfer ist besser als Gehorsam. Ja, Christi Sühnopfer am Kreuz ist besser und größer und heilsamer als die besten und größten Werke der Liebe und Gottesfurcht, zu denen Menschen fähig sind. Amen.
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