Zusammengehörig

Predigt über 2. Korinther 13,11‑13 zum Trinitatisfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der Schlager­sänger Max Raabe singt, was jedem sofort ein­leuchtet: „Küssen kann man nicht alleine.“ Wir können auch sagen: Der Kuss ist ein Zeichen der Gemein­schaft, des Zusammen­gehörens, der Beziehung. Das war er schon seit Menschen­gedenken. Darum braucht es uns nicht zu wundern, dass auch in der Bibel viel vom Küssen die Rede ist. Wer sich ein wenig im Alten Testament auskennt, der weiß, dass sich die Menschen damals üblicher­weise mit einem Kuss begrüßten und auch ver­abschiede­ten – jedenfalls dann, wenn eine herzliche Beziehung zwischen ihnen bestand. Und im Neuen Testament finden wir in den Paulus-Briefen gleich mehrfach ein Kuss-Gebot; wir haben es gerade im Predigttext gehört: „Grüßt euch unter­einander mit dem heiligen Kuss.“

Was soll das denn sein – „der heilige Kuss“? Ist es ein Kuss auf die Stirn, auf den Mund, auf die Hand oder auf den Fuß? All das war damals möglich. Oder handelt es sich einfach nur um eine herzliche Umarmung? Das griechische Wort „philema“ bedeutete ur­sprüng­lich einfach „Lieb­kosung“. Oder war es ein besonderes Ritual? Was soll an diesem Kuss überhaupt heilig sein? Ist vielleicht einfach nur gemeint, dass es kein unheiliger Kuss sein soll? Also kein Kuss in erotischer Begehrlich­keit, weil der in die Intimität von Partner­schaft und Ehe gehört? Auch kein an­biedern­der Kuss, kein ein­schleimen­der Kuss, kein höflicher Handkuss, kein Zeichen geheuchelter Freundschaft, kein Judas-Kuss? Aus all den Gedanken, die Christen im Lauf der Jahr­hunderte über den heiligen Kuss geäußert haben, könnte man einen langen Vortrag zusammen­stellen oder ein dickes Buch. Vor Jahren habe ich mal eine Abhandlung des Neu­testament­lers Otto Kuss gelesen: Er war es leid, dass man seinen Namen als unpassend empfand für einen Theologen, und verwies aus diesem Grund auf den heiligen Kuss in der Bibel. Um den Rahmen dieser Predigt nicht zu sprengen, stelle ich hier einfach nur fest, was offen­sicht­lich ist: Der heilige Kuss ist ein äußeres Zeichen des Zusammen­gehörens und der liebevollen Gemein­schaft von Glaubens­geschwis­tern. Die Anrede „liebe Brüder“, mit der Paulus den letzten Absatz dieses Briefes einleitet, steht in un­mittel­barem Zusammhang mit dem heiligen Kuss. Dabei sind die Schwestern in Christus keineswegs aus­geschlos­sen.

Überhaupt geht es in diesem Schluss-Absatz des 2. Ko­rinther­briefs vorrangig um Zusammen­gehörig­keit und liebevolle Gemein­schaft. Das betrifft nicht nur die zwischen­menschliche Beziehung von Christen, sondern das geht tiefer. Wenn wir der Frage heiliger Gemein­schaft in der Bibel auf den Grund gehen, dann gelangen wir direkt zu dem Thema des heutigen Festes, das ist die heilige Drei­einig­keit. Der eine wahre Gott hat sich uns Menschen in so einer Weise bekannt gemacht, dass wir drei göttliche Personen unter­scheiden können: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Das kommt auch im Schlusssatz des 2. Ko­rinther­briefs zum Ausdruck, in diesem herrlichen Segenswort nämlich: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus (das ist der Sohn) und die Liebe Gottes (das ist der Vater) und Gemein­schaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ Wenn wir uns auf dem Weg mensch­licher Vernunft der heiligen Drei­einig­keit annähern, dann bleiben freilich viele Fragen offen, und diese biblische Lehre wird uns eher verwirren als im Glauben stärken. Da hören wir einerseits in Jesajas Weissagung von der Geburt des Erlösers, dass sein Name „Ewig-Vater“ ist (Jes. 95), und da berichten uns anderer­seits die Evan­gelisten, dass Jesus mit seinem Vater im Himmel redete. Manchmal ist vom Heiligen Geis in so einer Weise die Rede, dass man meinen könnte, es handele sich um eine un­persönliche göttliche Kraft, aber dann wird er auch „Tröster“ genannt und es ist von einer Taufe im Namen des Heiligen Geistes die Rede. Nun will uns Gott damit keineswegs verwirren oder ärgern. Im Gegenteil: Die biblischen Aussagen zu Gottes Drei­einig­keit sind hilfreich für unseren Glauben und unser Christen­leben. Wir sollten aber darauf zu verzichten, diese Lehre spitzfindig mit kritischem Verstand zu analy­sieren, und stattdessen auf das Ent­scheidende achten. Das Ent­scheidende an der Drei­einig­keit ist offenkundig dies: Es gibt nur einen Gott, ein einziges göttliches Wesen, aber er ist kein einsames göttliches Wesen. Gott existiert vielmehr in einer inneren Gemein­schaft, einer inneren Zusammen­gehörig­keit. Wenn wir uns das bildlich vorstellen wollen, dann können wir durchaus sagen: Vater, Sohn und Heiliger Geist grüßen sich gegenseitig mit einem heiligen Kuss. Das heißt: Sie sind miteinander verbunden in heiliger Gemein­schaft und zeigen sich das auch; sie gehören zusammen und gehen liebevoll miteinander um. Jesus hat das besonders im Hinblick auf seine Beziehung zum himmlischen Vater betont und in vielen Predigten entfaltet: Der Vater liebt den Sohn, und der Sohn liebt den Vater. Der Vater sendet den Sohn, und der Sohn gehorcht dem Vater. Vater und Sohn gehören zusammen; sie sind eins. Was der Vater die Menschen lehren will, lehrt auch der Sohn, und was der Sohn tut, das tut auch der Vater. Beide aber reden und handeln durch den Heiligen Geist.

Gott hat sich als der Dreieinige offenbart, um uns zu zeigen: Auf die Gemein­schaft kommt es an, auf das friedliche Mit­einander! In die liebevolle Beziehung von Vater, Sohn und Heiligen Geist werden nun wir Menschen einbezogen. Genau das war ja der Grund, warum der Gottessohn Mensch wurde: Durch sein Opfer am Kreuz hat er uns mit Gott versöhnt; er hat die Feindschaft der Sünde überwunden und uns mit ihm in Frieden wieder­vereinigt. Jesus hat in seinen Predigten wiederholt darauf hin­gewiesen, dass wir in die Gemein­schaft von ihm und dem himmlischen Vater neu eingebunden werden sollen, also in die innere Zusammen­gehörigkeit des dreieinigen Gottes. Das ist die Kern­botschaft der Bibel, Gottes gute Nachricht, das Evangelium, auf Deutsch „Freuden­botschaft“. Es gibt keine größere Freude und kein größeres Glück als mit Gott zusammen­zusein, wie es ja auch in unserer Jahres­losung heißt: „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ (Psalm 73,28). Auch unser Predigttext setzt mit der herrlichen Auf­forderung ein: „Liebe Brüder, freut euch!“ Freilich kommt nur derjenige in den Genuss dieser Freude, der seinen inneren Widerstand gegen Gott aufgibt, sich von der Sünde lossagt, Buße tut und sich von Gott zurecht­bringen lässt. Darum schließt sich an die Auf­forderung zur Freude sogleich der Rat an: „Lasst euch zurecht­bringen, lasst euch mahnen!“ Diese Aufrufe hat Paulus bewusst in der Mehrzahl verfasst, denn er wendet sich an die Christen als Gemein­schaft, nämlich an die Gemeinde in Korinth sowie auch an die ganze christliche Kirche. Was für die drei Personen des einen Gottes unter­einander gilt und was für jeden einzelnen Christen in seiner Beziehung zu Gott gilt, das gelte auch für die Gemein­schaft der Christen unter­einander: Sie sei von herzlicher Liebe, Frieden und heiliger Zusammen­gehörig­keit geprägt. Folge­richtig fährt Paulus fort: „Habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.“ Dieses umfassende heilige Zusammen­sein findet wohl seinen stärksten Ausdruck im Heiligen Abendmahl. Das Sakrament des Altars wird darum auch „Kommunion“ genannt, auf Deutsch „Gemein­schaft“. Im Heiligen Abendmahl bewirkt der Heilige Geist, dass wir aufs Engste mit dem Gottessohn verbunden werden, wenn wir seinen Leib und sein Blut empfangen. Das Opfer des Sohnes aber überwindet, was uns von Gott trennt, und stiftet Frieden mit dem himmlischen Vater. Zugleich fügt das Abendmahl alle Kommunikanten (das sind die, die es gemeinsam empfangen) zu einem Leib zusammen, zu einer herzlichen und liebevollen Gemein­schaft.

In manchen Gemeinden ist es üblich, dass sich die Christen bei der Abendmahls­feier gegenseitig Gottes Frieden wünschen, die Hand reichen oder ein anderes „Zeichen des Friedens“ geben, wie es in neueren liturgi­schen Texten heißt. Die Sache, die dahinter­steckt, ist uralt: Es ist nichts anderes als der heilige Kuss! Manche Bibel­ausleger nehmen an, dass die Auf­forderung zum heiligen Kuss schon damals in Korinth dazu geführt hat, dass sich die Gemeinde­glieder in der gottes­dienst­lichen Versammlung liturgisch geküsst haben, zumindest die Männer. In den orthodoxen Kirchen hat sich daraus der Bruderkuss entwickelt, der in Russland auch auerßhalb der Kirche als herzliche Begrüßung oder Ver­abschie­dung üblich geworden ist. In der römisch-katholi­schen Kirche gibt es heute noch die Sitte, dass Christen dem Papst die Hand küssen beziehungs­weise den daran befind­lichen Ring.

Und wie steht es mit uns? Es kommt Gott nicht auf ein bestimmtes Ritual an. Ob wir uns als von ihm Geheiligte nun gegenseitig küssen oder um den Hals fallen oder die Hand reichen oder uns irgend­welche anderen Zeichen der Verbunden­heit geben, ist letztlich egal. Wichtig ist, dass wir uns mit dem dreieinigen Gott sowie auch unter­einander verbunden wissen und dass wir uns das auch auf angemessene Weise zeigen – und sei es nur dadurch, dass wir normaler­weise anwesend sind, wenn die Gemeinde zum Gottes­dienst zusammen­kommt, und dass wir dabei einander wahrnehmen. Denn küssen kann man nicht alleine, und Christ sein auch nicht. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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