Gott in der Wolke

Predigt über 4. Mose 9,15‑23 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Bitte stellt euch vor, ihr habt einen Notizblock und einen Bleistift in der Hand. Eure Aufgabe besteht darin, ein Symbol für Gott zu zeichnen. Überlegt einen Moment, was ihr zeichnen würdet! – Viele würden ein Kreuz zeichnen. Es ist das wichtigste Symbol der Christen­heit. Das Kreuz ist ein Zeichen nicht nur für den Gottessohn Jesus Christus selbst, sondern auch für das, was er für uns getan hat: sein Erlösungs­werk. Andere würden vielleicht ein Dreieck zeichnen oder drei ineinander ver­schlungene Kreise als Symbol für den dreieinigen Gott: Vater Sohn und Heiliger Geist. Wieder andere würden ein Auge zeichnen als Symbol dafür, dass Gott alles sieht. Es gibt noch viel mehr Symbole für Gott, und man könnte sich auch ganz neue ausdenken. Vielleicht hätte jemand eine Wolke gezeichnet. Das liegt heute nahe am Himmel­fahrts­tag, denn Jesus ist von einer Wolke aufgenommen worden, als er vor den Augen seiner Jünger in den Himmel fuhr. Tatsächlich ist die Wolke in der Bibel eines der wichtigsten Symbole für Gott. Sowohl das Alte als auch das Neue Testament bringen Gottes Gegenwart mit Wolken in Verbindung. Einen alt­testament­lichen Text dazu haben wir eben aus dem 4. Buch Mose gehört.

Als das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit gezogen war, lagerte es längere Zeit am Berg Sinai. Auf dem Gipfel war Gott gegen­wärtig, verhüllt in Wolken. Nur Mose durfte zu ihm hinauf­steigen und mit ihm reden. Gott gab ihm sein Gesetz und trug ihm auf, mitten im Lager ein Zelt­heiligtum zu errichten, die sogenannte Stifts­hütte. In unserem Predigttext wird sie als „Wohnung“ bezeichnet. Als sie fertig war, bezog Gott tatsächlich diese seine Wohnung: Die Wolke vom Berg Sinai schwebte herab auf die Stifts­hütte. Nachts leuchtete sie wie Feuer. Und als die Israeliten weiter­ziehen sollten, da erhob sich die Wolke von der Stiftshütte und ging ihnen voran. So blieb die Wolke die ganze Zeit der Wüsten­wanderung über beim Volk Israel, und mit der Wolke Gott selbst. Sie war ein echtes und eindrucks­volles Zeichen der Gegenwart Gottes.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, was zeigt uns denn die Wolke Gottes? Sie zeigt uns Dreierlei: erstens Gottes Un­begreiflich­keit, zweitens Gottes Nähe, drittens Gottes Führung.

Erstens zeigt uns die Wolke Gottes Un­begreiflich­keit. Das gilt im wahrsten Sinne des Wortes: Eine Wolke kann man nicht anfassen. Als ich ein Kind war und Urlaub im Gebirge machte, da fas­zinierten mich tief hängende Wolken auf den Bergen. Aber ich war dann jedesmal enttäuscht, wenn ich in so eine Wolke hinein­wanderte oder hineinfuhr: Die Wolke war dann plötzlich weg, und stattdessen herrschte Nebel. Erst später verstand ich den Zusammen­hang, und noch später lernte ich das griechische Wort für Wolke (es heißt „nefelä“, das Urwort von „Nebel“). Dieses Wort finden wir auch im Himmel­fahrts-Evangelium, denn so wird die Wolke bezeichnet, die Jesus vor den Augen der Jünger verhüllte. Die Wolke zeigt: Gottes wahres Wesen liegt im Nebel und ist un­begreiflich wie eine Wolke. Von Gott können wir immer nur stückweise etwas erkennen und verstehen, nie sein gesamtes Wesen. Darum hat Gott uns auch verboten, sich ein Bild von ihm zu machen. Niemand kann Gott so darstellen, wie er wirklich ist, sondern wir können ihn immer nur mit Worten oder Symbolen notdürftig bezeichnen. Weil das so ist, meinen viele klugen Leute, man dürfe sich Gott nicht als Person vorstellen. Sie reden dann lieber von irgendeinem un­vorstell­baren Etwas, das alles erfüllt. Natürlich: Wenn wir uns eine Person vorstellen, dann denken wir un­willkürlich an einen Menschen und können dabei nicht Gottes ganze Herrlich­keit erfassen. Trotzdem behaupte ich: Wer sich Gott nicht als Person vorstellt, der erkennt ihn schlechter als einer, der sich Gott als Person vorstellt. Gott will durchaus, dass wir uns ihn als Person vorstellen, auch wenn das not­gedrungen eine verkürzte Gottes­vorstellung bleiben muss. Das Alte Testament ist voller mensch­licher Vergleiche für Gott: Er regiert mit starkem Arm, er hat einen Atem, seine Augen sehen auf uns, und er zeigt menschliche Gefühle. Das Neue Testament lässt uns gar keine andere Wahl, als dass wir uns Gott wie eine Person vorstellen: In seinem Sohn Jesus Christus ist er Mensch geworden und hat sich auf diese Weise höchst anschaulich gemacht. Jesus hat dabei immer wieder betont: Nur wer Gott in seinem Mensch gewordenen Sohn sucht, wird ihn auch finden; Jesus ist der einzige Zugang zu Gott. Die Himmelfahrt jedoch lehrt uns: Der sichtbare und greifbare Mensch Jesus von Nazareth ist nicht alles, was es von Gott zu erkennen gibt; seine wahre Herrlich­keit und sein wahres Wesen bleiben verborgen. Der Mensch Jesus von Nazareth ver­schwindet in einer Wolke, die Wolke aber erinnert an Gottes Un­begreiflich­keit – wie auch damals am Berg Sinai und über der Stifts­hütte.

Zweitens zeigt uns die Wolke Gottes Nähe. Die Wolke der Gottes-Gegenwart blieb damals nicht hoch oben über den Menschen auf dem Berg Sinai schweben, sondern sie kam herab und setzte sich auf die Stifts­hütte; die Stiftshütte aber war der Mittelpunkt des Lagers. Es ist so, als wollte Gott schon damals sagen: Siehe, ich bin mitten unter euch. Und die Wolke zog auch mit; oder besser: Gott wollte, dass die Menschen ihr folgen. Dasselbe will uns die Himmel­fahrts­wolke zeigen. Himmelfahrt bedeutet ja nicht, dass Jesus sich nun von den Seinen entfernt oder dass er sie gar im Stich lässt. Ganz bewusst hatte er vorher gelehrt: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück“ (Joh. 14,18), und: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matth. 28,20). Dann wurde er nach oben aufgehoben, und eine Wolke verhüllte ihn. Mit der Wolke sagt er: Auch wenn ihr mich künftig nicht seht, so bin ich doch da; ich bin und bleibe mitten unter euch. Weil sich aber die Himmel­fahrts­wolke wie alle Wolken irgendwann ver­flüchtigte, hat Christus uns darüber hinaus dauerhafte Zeichen für seine unsichtbare Gegenwart gegeben. Da ist an erster Stelle das Heilige Abendmahl zu nennen. Immer wenn wir es zu uns nehmen, dürfen wir wissen: Jetzt empfangen wir Christi Leib und Blut; jetzt ist Christus mitten unter uns; jetzt kommt er uns ganz nahe; jetzt geht er sogar in uns ein. Das Abendmahl und die anderen Zeichen von Gottes Gegenwart, die wir bei uns haben, sind gewisser­maßen unsere Wolke über der Stifts­hütte. Damit zeigt Gott uns auch heute noch seine Nähe.

Drittens zeigt uns die Wolke Gottes Führung. Das war ja das Bemerkens­werte damals beim Volk Israel in der Wüste: Gott führte sie mit der Wolke bei Tag und bei Nacht. Die Wolke zeigte an, wann es Zeit war auf­zubrechen, und sie zeigte an, wann es Zeit war zu rasten. Ebenso führen uns noch heute Gottes Geist und Gottes Wort. Das 3. Gebot zum Beispiel gibt uns einen guten Rhythmus für unser Alltags­legen vor: sechs Tage Arbeit und ein Tag Ruhe, geheiligt für den Gottes­dienst in der Gemein­schaft der Gläubigen. Erkennt doch, wie gut Gott es dabei mit uns meint. Und wenn du vor schwierigen Ent­scheidungen in deinem Leben stehst und nicht weiter weißt, dann bete einfach: „Weise mir, Herr, deinen Weg!“ (Psalm 85,11). Du wirst sehen: Er wird dir dann schon zur rechten Zeit ein Zeichen geben und eine Wegweisung, genauso wie er damals den Israeliten in der Wüste das Zeichen der Wolke schenkte. Auch die Himmel­fahrts­wolke ist eine Wegweisung Gottes, eine ganz wichtige sogar. Sie weist den Weg nach oben: Dahin sind wir unterwegs, die wir Jesus nachfolgen, da oben ist unser Ziel. Verliere nur niemals das Ziel des Himmels aus den Augen auf deinem Lebensweg, dann kannst du dich nicht verirren. Dass die Himmel­fahrts­wolke genau so gemeint ist, wurde den Augenzeugen der Himmelfahrt bei dieser Gelegenheit aus­drücklich bestätigt. Zwei Engel sagten ihnen nämlich: „Jesus wird so wieder­kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostel­gesch. 1,11). Auch Jesus selbst hatte zuvor prophezeit: „Sie werden sehen den Menschen­sohn kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlich­keit“ (Matth. 24,30). So ist die Wolke schließlich auch ein Zeichen für Christi Wieder­kommen am Jüngsten Tag und für die ewige Seligkeit. Da werden wir dann Gott näher sein als je zuvor.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, die Himmelfahrt des Herrn ist keine Frage des Orts­wechsels und auch keine Frage des Abschied­nehmens. Die Himmelfahrt ist ein großartiges göttliches Zeichen – das Zeichen der Wolke. An der Himmelfahrt und am Zeichen der Wolke lernen wir viel über Gottes Un­begreiflich­keit, Gottes Nähe und Gottes Führung. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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