Die Geburt der Auferstehung

Predigt über Jesaja 26,16‑19 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Rätsel: Wer ist noch nicht geboren und lebt doch schon? Die Lösung: Der Embryo! Er ist bereits ein einzig­artiger lebendiger Mensch, von Gott geschaffen, aber er ist noch nicht zur Welt gekommen. Seine Welt ist noch der Mutterleib der Schwangeren – eine kleine, warme, dunkle Welt, die so ganz anders ist als unsere große Welt. So ähnlich ist das auch mit den Eiern. Ich meine jetzt keine Schokoladen-Eier oder Über­raschungs-Eier, auch nicht bunt gefärbte und hart gekochte Eier, sondern ich meine Eier, aus denen einmal Kücken schlüpfen oder andere Vögel. Der Vogel lebt bereits im Ei, aber wir sehen nur eine harte und tote Schale. Er lebt schon, aber er ist noch nicht geboren.

Ich möchte euch nun noch einen dritten Lösungs­vorschlag für mein Rätsel machen: Wer ist noch nicht geboren und lebt schon? Das galt in besonderer Weise für Gottes ein­geborenen Sohn. Auch er war einmal ein Embryo gewesen im Mutterleib der Jungfrau Maria. Aber bevor er das wurde, lebte er auch schon – nämlich in der Ewigkeit bei seinem himmlischen Vater. Freilich war da sein Geist nicht an einen mensch­lichen Körper gebunden. Dann wurde er empfangen vom Heiligen Geist und lebte als Embryo in Marias Mutterleib. Er war derselbe wie in der Ewigkeit, und doch anders. Dann wurde er geboren und lebte als Mensch in unserer Welt; da war er immer noch derselbe, und doch wieder anders. Dann wurde sein Leben ausgelöscht am Kreuz auf Golgatha. Danach legte man seinen Leib in eine Grabshöhle, und sein Geist ruhte in Gott. Dann hat Gott Jesus auferweckt und ihm seinen erneuerten Auf­erstehungs­leib geschenkt. Und dann hat der Vater ihn mit Leib und Seele zu sich hinauf­gehoben zum ewigen Leben im Himmel. Es liegt nahe, Jesu Auf­erstehung mit einer Geburt zu ver­gleichen; ja, eigentlich ist sie eine erneute Geburt. Die Grabeshöhle entspricht dabei dem Mutterleib; in ihr wurde der tote Jesus zu neuem Leben erweckt. Dann kam es gleichsam zu Wehen, zu Geburts­schmerzen: Die Erde bebte, die Grabwachen des Pontius Pilatus fielen wie tot zu Boden, der Verschluss­stein wurde beiseite geschoben und der lebendige Herr trat heraus mit seinem Auf­erstehungs­leib.

Die Auf­erstehung unsers Herrn kann uns die Augen öffnen dafür, was Leben eigentlich ist – Leben nicht nur im bio­logischen Sinn, sondern im vollen Sinn, nach Gottes Ratschluss und wie die Bibel davon spricht. Da erkennen wir, dass es wichtige Einschnitte beziehungs­weise Übergänge gibt; wir können sie „Geburt“ nennen oder „Auferstehung“. Der auf­erstandene Jesus Christus war vor seinem Kreuzestod lebendig gewesen, und er ist zu Ostern dann wieder neu lebendig geworden – und doch war er irgendwie anders. Er wurde von manchen seiner Freunde nicht sofort erkannt. Er tauchte plötzlich auf und verschwand ebenso plötzlich wieder. Er konnte durch ver­schlossene Türen gehen. Ja, er war anders, und doch war er derselbe. Zum Beweis dafür wies sein Auf­erstehungs­leib noch die Wundmale auf, die man ihm am Karfreitag zugefügt hatte.

Es ist so wie beim Ei und dem Kücken, wie bei einer Raupe und einem Schmetter­ling, wie bei einem Embryo und einem erwachsenen Menschen: Er ist derselbe, und doch ist er anders. So betrachtet, hat jeder von uns in gewisser Weise schon mal eine Auf­erstehung durch­gemacht, die Auf­erstehung aus dem Mutterleib nämlich, die Geburt. Aus der kleinen, warmen, dunklen Welt der Gebärmutter sind wir heraus­gekommen wie Christus aus dem Grab und haben das Licht der großen hellen Welt erblickt, in der wir jetzt leben. Für Christen ist es dann noch zu einer zweiten Auf­erstehung gekommen, einer zweiten Geburt, einer Wieder­geburt: Das ist bei der Taufe geschehen. Der Apostel Paulus vergleicht die Taufe im Römerbrief sehr bewusst mit Christi Auf­erstehung. Da heißt es nämlich: „So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlich­keit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln“ (Römer 6,4). Da hat Gott uns aus der finsteren Welt der Sünde heraus­gezogen und in das Licht seines Reiches gestellt, in das Licht seiner neuen Welt, in das Licht seiner Liebe. Auch für die Taufe gilt: Wir sind nach der Taufe zwar noch dieselben Personen wie vor der Taufe, aber doch anders, heilig nämlich durch Christi Erlösung und Gottes Gnaden­urteil. Und noch eine dritte Auf­erstehung wartet auf uns, eine dritte Geburt: Der Übergang von dieser irdischen Welt zur himmlischen. Ebenso wie die Taufe ist auch diese dritte Geburt mit Christi Auf­erstehung verknüpft. Wir werden dann diese Welt verlassen, wie Christus die Grabeshöhle verließ und wie wir den Leib unserer Mutter verließen und wie wir in der Taufe das unheilige Sünderleben verließen. Wir werden dann heraus­treten aus der Dunkelheit des Erdenlebens in die allergrößte Helligkeit und Herrlich­keit, in die ewige Seligkeit nämlich. Wir werden dann immer noch dieselben sein – dieselben wie als Embryos, dieselben wie als Ungetaufte, dieselben wie jetzt, und doch ganz an ders.

Bei jeder Geburt liegen Schmerz und Freude dicht beiein­ander. Wer die Oster­berichte im Neuen Testament aufmerksam hört und liest, der merkt, dass da keineswegs nur eitel Freude und Auf­erstehungs­jubel herrschten bei den Frauen und bei den Jüngern. Im Gegenteil: Wir lesen da von Trauer, Er­schrecken, Verwirrung und Unglaube. Es kann nicht anders sein bei so ein­schneiden­den Ver­ände­rungen und Umbrüchen. Auch die Geburt eines Kindes ist schmerzhaft – wahr­scheinlich nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Baby. Aber danach ist die Freude groß über den neuen Erden­bürger. Die Wieder­geburt der Taufe ist insofern schmerz­haft, als dass wir zwar von Sünden gereinigt werden, aber an­schließend immer noch mit Versuchung und Sünde zu kämpfen haben. Außerdem wartet das Kreuz der Nachfolge auf alle Christen, also die Leiden, die sich aus dem Glauben ergeben. Der leibliche Tod wird dann auch sehr schmerzhaft sein. Aber danach folgt die ewige Seligkeit, wo alles Leid vergessen sein wird. Man kann es so sehen: Unser ganzes Christen­leben auf Erden ist ein lang­wieriger geistlicher Geburts­prozess beziehungs­weise eine langwierige Auferstehung – jawohl, das ganze irdische Christen­leben, angefangen von der Taufe bis hin zum Tod. So betrachtet, ist die Wieder­geburt ein gestreckter Vorgang. Luther hat gesagt, wir sind erst im Werden, wir sind noch nicht fertig als Christen, noch nicht vollendet. Von der Taufe bis zum Tod werden Christen wieder­geboren zum Himmel, zur vollendeten Heiligkeit und Seligkeit. Von der Taufe bis zum Tode sind Christen dabei, auf­zuerstehen nach dem Vorbild Christi. Dann erst werden wir am Ziel und ganz mit unserm Herrn zusammen sein – zwar immer noch dieselben, aber doch ganz anders.

Von diesem Prozess des Auf­erstehens spricht Jesaja in dem Gotteswort, das ich anfangs verlesen habe. Es ist ja eigentlich ein Gebet, gesprochen unter den Schmerzen der Wieder­geburt. Gottes alt­testament­liches Volk Israel befand sich gerade in großer Bedrängnis; viele fühlten sich von Gott im Stich gelassen. Da betete Jesaja: „Herr, wenn Trübsal da ist, so suchen wir dich: wenn du uns züchtigst, sind wir in Angst und Be­drängnis.“ Der Prophet betete als einer, den das Kreuz des frommen Lebens gerade ziemlich hart drückte. Da leuchtet es ein, dass er diese Situation tatsächlich mit den Wehen einer werdenden Mutter verglich: „Gleich wie eine Schwangere, wenn sie bald gebären soll, sich ängstigt und schreit in ihren Schmerzen, so geht‘s uns auch, Herr, vor deinem Angesicht. Wir sind auch schwanger und uns ist bange, und wenn wir gebären, so ist‘s Wind.“ Zu gern würden wir selbst alles in die Hand nehmen und bewirken, dass die geistliche Geburt schnell zum Abschluss kommt. Zu gern würden wir selbst eine Erweckung in Gang setzen und herbei­führen, dass wir doch möglichst schon jetzt un­angefochten heilig und selig leben, ebenso die Menschen um uns herum. Aber Gott allein ist es, der Leben und Wieder­geburt schenken kann; Menschen sind da machtlos. Darum betonte Jesaja noch einmal: „Wir können dem Land nicht helfen, und Bewohner des Erdkreises können nicht geboren werden.“ Aber wo Menschen mit ihren Möglich­keiten am Ende sind, da ist Gott noch lange nicht am Ende: Er kann auf­erwecken, er kann neues Leben schenken – und er tut es auch, das können wir am Auf­erstandenen sehen. So mündet denn das Klagegebet des Jesaja im zuversicht­lichen Jubelruf: „Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auf­erstehen.“

Ja, liebe Brüder und Schwestern in Christus, so ist es, und so wird es sein: Auch wenn wir jetzt noch in Leid und Anfechtung stecken, so ist Gott doch bereits dabei, uns zum ewigen Leben neu zu gebären und auferstehen zu lassen. Haltet euch nur im Glauben fest an den Heiland Jesus Christus, dann werdet ihr mitgerissen mit seiner Auf­erstehung in das Leben der ewigen Seligkeit! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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