Der verfluchte Christus

Predigt über Galater 3,13 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist ein Skandal, was Gott uns alles zumutet – ein „skandalon“ im wahrsten Sinne des Wortes: ein Stolper­stein, ein Hindernis. Da komme mir nur keiner und behaupte, er verstünde Gott. Wer das behauptet, der glaubt wahr­schein­lich nicht an den einen lebendigen Gott, sondern an einen aus­gedachten Götzen. Gott handelt nämlich ganz anders, als wir uns das vorstellen, und oft auch ganz anders, als wir das gern hätten. Wir hätten gern, dass er stets milde Nachsicht an uns übt im Hinblick auf unsere Ver­fehlungen. Wir hätten gern, dass er uns stets mit reichem Segen über­schüttet und keine Härten zumutet. Die Wahrheit ist: Er mutet uns Menschen durchaus große Härten zu; wer die Bibel kennt, der weiß das. Gott kann durchaus zürnen, fluchen und verdammen. Die größte Härte aber hat er seinem eigenen Sohn zugemutet; das erschreckt und verstört uns besonders am Karfreitag. Es ist ja kein tragischer Unfall, der Jesus so leiden lässt. Und es ist auch nicht so, dass nur Menschen Jesus an Kreuz gebracht haben und Gott lediglich bedauernd hinab­schaute auf das, was da auf Golgatha geschieht. Manche würden Jesu Tod gern so umdeuten, aber die Bibel wider­spricht dem. Die Bibel bezeugt un­missverständ­lich: Am Kreuz trifft Gottes Zorn mit voller Wucht seinen eigenen Sohn. Wir haben es eben aus dem Galater­brief gehört: „Christus wurde zum Fluch.“ Nicht nur Menschen fluchen ihm, sondern Gott verflucht ihn da am Holz der Schande. Jesus ist nicht nur scheinbar ein Verfluchter ein Kreuz, sondern er ist wirklich verflucht – von seinem eigenen himmlischen Vater verflucht. Bereits das Alte Testament spricht über alle Auf­gehängten dieses Urteil: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt.“ Ja, es ist ein Skandal, es ist völlig un­verständ­lich: Jesus wird am Kreuz zum verfluchten Christus. Und noch un­geheuer­licher: Weil Christus selbst wahrer Gott ist, eine Person der heiligen Dreieinig­keit, müssen wir fest­stellen, dass Gott sich am Karfreitag selbst verflucht!

Was ist das aber überhaupt: ein Fluch? Fluch und Segen beschreiben nach ihrer ur­sprüngli­chen Bedeutung den bösen oder guten Ausgang einer Sache. Der Segen ist ein Happy End, der Fluch eine Kata­strophe. Wenn der Bauer das Feld bestellt und wenn Gott dann Sonnen­schein und Regen schickt, so ist das Ergebnis eine gesegnete Ernte. Und wenn ein Bankräuber am Ende gefasst und verurteilt wird, dann erfährt er den Fluch der bösen Tat. Was gut und böse ist, das bestimmen letztlich nicht wir Menschen, sondern das bestimmt Gott allein. Egal ob wir es begreifen oder ob es uns gefällt: Was Gott gut nennt, das ist gut; und was Gott böse nennt, das ist böse. Niemand ist befugt, Gott zu beurteilen und ihm wie ein Lehrer Zensuren zu geben, etwa in der Weise: Dies hast du gut gemacht, Gott, aber jenes ist mangelhaft. Das gilt besonders für das, was wir heute „Werte“ nennen – also für die Grund­maßstäbe, die wir an mensch­liches Verhalten legen beziehungs­weise legen sollten. Die Bibel nennt es schlicht „Gesetz“: Gott hat den Maßstab für Gut und Böse fest­gesetzt, und niemand darf diesen Maßstab kriti­sieren. So hat Gott etwa in den Zehn Geboten verkündet, was gut und böse ist. Dabei hat er deutlich darauf hin­gewiesen, dass Gehorsam Segen erntet, Ungehorsam aber Fluch. Wer sich nach Gottes Gesetz richtet, der darf gutes Ergehen erwarten, wie es zum Beispiel im 4. Gebot heißt: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden.“ Wer aber Gottes Gesetz missachtet, der muss mit bösem Ergehen rechnen, wie es zum Beispiel im 2. Gebot heißt: „Gott wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen miss­braucht.“ Hier wird deutlich, was unser Bibelwort mit dem „Fluch des Gesetzes“ meint: Es ist das böse Ergeben, das auf den Ungehorsam folgt – der üble Ausgang der Sünde. Der letzte Fluch aber ist der Tod und die ewige Verdammnis. All das steht klar in der Bibel. Sie fasst auch das ganze göttliche Gesetz in folgenden beiden höchsten Geboten zusammen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.“ Und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Matth. 22,37.39) Wer sich danach richtet, ist über die Maßen gesegnet. Wer aber anders lebt, der steht unter Gottes Fluch.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, lasst uns ehrlich prüfen, ob wir uns denn nach Gottes Gesetz richten und seinen Segen verdient haben. Liegt dir das Wohlergehen deiner Mitmenschen ebenso am Herzen wie dein eigenes Wohl­ergehen? Ist dir Gott wichtiger als alles andere? Interes­siert du dich ernsthaft dafür, was sein Wille für dein Leben ist, oder erwartest du von ihm, dass er sich nach deinem Willen richtet und dann deine Pläne segnet? Hast du Gott so lieb, dass du ihn jedem Menschen, jedem Ding und jeder Liebhaberei vorziehst? Ist er wirklich dein Herr, oder nennst du ihn bloß so? Kommst du zu ihm, wenn er dich ruft, oder hast du hundert Ausreden, warum du nicht kommen kannst? Hältst du dich zu seinem Volk, der christ­lichen Gemeinde, oder sind dir deine Mitchristen egal? Brennst du vor Eifer, ihm zu dienen, oder ist deine Frömmigkeit lau und ab­gestanden? Kämpfst du gegen die Versuche des Teufels, dich vom Glauben ab­zubringen, oder lässt du dich leicht verführen? Ich fürchte, keiner von uns kann all diese Fragen ohne Einschränkung mit Ja be­antworten. Auch ich als Pastor kann das nicht, obwohl ich sozusagen als Berufs­christ ein Vorbild sein sollte. Ich fürchte, wir alle stehen unter dem Fluch des Gesetzes. Gott hat Grund, zu uns allen zu sagen: Du hast mich enttäuscht, du hast mein Gesetz mit Füßen getreten, du hast Böses getan; nun warten Fluch, Zorn und Verdammnis auf dich.

Ja, Gott hat allen Grund dazu, und er sagt auch so – aber er­staunlicher­weise nicht zu uns, sondern zu Christus! Zu seinem ein­geborenen Sohn, dem einzigen Menschen, der keinen Fluch, sondern nur Segen verdient hat! Gottes Wort bezeugt: „Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns.“ „Erlösen“ bedeutet hier dasselbe wie „einen Anspruch be­friedigen“. Wenn jemand im Zug schwarz fährt und erwischt wird, dann muss er Strafe zahlen – es sei denn, ein anderer Fahrgast zahlt für ihn. In diesem Fall befriedigt der freundliche Fahrgast den Anspruch der Bahn und erlöst den Schwarz­fahrer von der Strafe. Seht, ebenso hat Jesus es gemacht – nur dass es hier um unendlich viel mehr geht als als ums Schwarz­fahren. Gottes Anspruch an uns ist sein Gesetz. Weil wir ihm nicht gerecht werden, haben wir den Fluch des Gesetzes verdient. Diesen Fluch trägt Jesus am Kreuz stell­vertretend für alle Menschen. Ja, Jesus wurde ein Verfluchter um unsert­willen. Gott will sich offenbar lieber selbst verfluchen, als uns seinen Fluch zuzumuten. Das ist unfasslich. Gott handelt ganz anders, als Menschen an seiner Stelle handeln würden. Keiner kann behaupten, dass er das versteht. Aus mensch­licher Sicht fragen wir höchstens: Hätte Gott nicht eine andere Methode wählen können, um uns zu erlösen – eine Methode, die für ihn selbst weniger qualvoll ist? Die Antwort lautet: Ja, das hätte er, denn er ist ja allmächtig, das hat er aber nicht. Nach seinem un­begreif­lichen Ratschluss hat er gerade diese Methode gewählt, dass er selbst ein Mensch wurde und selbst den Fluch des Gesetzes getragen hat. Er selbst hat sich unter seinen eigenen Zorn gestellt, damit wir daran nicht zugrunde gehen. Gottes Zorn ist groß, und Gottes Fluch wiegt schwer, aber unendlich viel größer ist seine Liebe, und unendlich viel schwerer wiegt seine Barm­herzig­keit. „Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns.“

Martin Luther hat in seiner Auslegung dieses Bibelworts ge­schrieben: „Es liegt der Nachdruck auf dem Worte ‚für uns‘.“ Diese beiden Wörtchen sind es, an denen sich unser Glaube festmacht. Der Glaube hört sie und stimmt freudig zu und vertraut. Der Glaube nimmt diese Wörtchen zu sich wie eine köstliche Leben-spendende Speise, wie ein Himmels­brot. Der Glaube weiß, dass er im Heiligen Abendmahl diesen verfluchten Christus in sich aufnimmt – dessen Leib, der am Holz des Fluches zu Tode gebrochen wurde, und dessen Blut, das dort aus seinen Wunden floss. Darum begegnen uns auch in den Einsetzungs­worten des Heiligen Abendmahls diese segens­reichen Wörtchen „für euch“. Martin Luther hat im Kleinen Katechismus darauf hin­gewiesen, dass dieses Wort nichts anderes als gläubige Herzen erfordert, wenn wir Leib und Blut Christi würdig empfangen wollen. Dieses „Für euch“ ist der Segen, der aus den Wunden des verfluchten Christus fließt und den wir im Glauben annehmen. Wer das nicht glaubt, der empfängt dem Fluch des Gesetzes. Ja, hier kommt Gottes Barmherzigkeit zu uns wie nirgendwo anders; hier blickt uns Gott mit seiner Liebe direkt ins Gesicht. Wer wollte sich da noch abwenden und unter dem Fluch seiner Sünde verharren? Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre NNNN.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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