Heute wirst du mit mir im Paradies sein

Predigt über Lukas 23,43 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt Situ­ationen, in denen Menschen mit ganz unter­schied­lichen Lebenswegen plötzlich zu einer Leidens­gemein­schaft werden. Das geschieht zum Beispiel bei einem Krankenhaus-Aufenthalt: Da teilt man plötzlich mit Menschen, die man vorher nicht gekannt hat, ein Zimmer und ein paar Tage seines Lebens. Auch im Gefängnis ergeben sich solche bunt zusammen­gewürfelten Leidens­gemeinschaf­ten, oder wenn Verbrecher Geiseln nehmen. Das zweite Wort unsers Herrn Jesus Christus am Kreuz führt uns die Leidens­gemein­schaft der drei Ver­urteilten auf Golgatha vor Augen: Da hängen drei sehr ver­schiedene Männer neben­einander an drei Kreuzen. Sie kennen sich nicht und sie haben drei unterschiedliche Lebenswege hinter sich. Gemeinsam ist ihnen lediglich, dass zur selben Zeit und am selben Ort ihr Todesurteil vollstreckt wird.

Obwohl sie sich fremd sind und obwohl sie große Schmerzen leiden, ergibt sich ein Gespräch zwischen ihnen. Es beginnt damit, dass der eine Verbrecher spöttisch zu Jesus sagt: „Bist du nicht der verheißene Retter? Dann rette dich doch jetzt selbst, und ebenso auch uns!“ Der andere Verbrecher aber hat erkannt, dass Jesus wirklich der Retter ist. Er glaubt, was man von Jesus erzählt und was Jesus selbst verkündigt hat. Darum weist er den anderen Verbrecher zurecht und sagt: „Fürchtest du dich denn nicht vor Gott, der du zur selben Strafe verurteilt worden bist wie er? Dabei sind wir zu Recht verurteilt worden und bekommen die verdiente Strafe für unsere Taten, er aber hat nichts Unrechtes getan.“ Und dann wendet sich dieser gläubige Verbrecher an Jesus und bittet ihn: „Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Er vertraut nicht nur darauf, dass Jesus der Retter ist, sondern er glaubt auch, was Jesus vor Pilatus bezeugt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36). In diesem ewigen Reich, in Gottes neuer Welt jenseits des Todes, möchte der zweite Verbrecher mit Jesus ewig leben, wenn er die Qualen des Sterbens überstanden hat. Da schenkt Jesus ihm diese wunderbare Verheißung, sein zweites Kreuzes­wort: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Wörtlich hat Jesus ihm versichert: „Amen, ich sage dir…“, aber „amen“ bedeutet „wahrlich“, „das ist gewisslich wahr“, „du kannst dich darauf verlassen“, „das gilt felsen­fest“, „garan­tiert“. „Amen, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Das Paradies war den Menschen schon lange vor Jesus ein Begriff – sogar besser, als es dem modernen Menschen ein Begriff ist. Heute halten viele das Paradies für einen Begriff der Werbe-Branche und denken an Teppich-Paradiese oder Betten-Paradiese. Das Wort Paradies stammt aus Persien und bezeichnet einen Garten oder Park. Als Fremdwort ist es in die griechische Sprache gekommen. Die Septua­ginta, die berühmte griechische Übersetzung des Alten Testaments, benutzt das Wort „Paradies“ für den Garten Eden, den Gott für die ersten Menschen angelegt hatte. Sie lebten dort herrlich und in Freuden, noch ungetrübt von der Sünde und ihren Folgen. In diesem ersten Paradies-Garten stand der Baum des Lebens. Er hieß so, weil die Früchte dieses Baumes den Menschen unsterblich machten. Als Adam und Eva aus dem Garten Eden verbannt wurden, konnten sie nicht mehr vom Baum des Lebens essen und wurden sterblich. Die Sehnsucht aber blieb in ihrem Herzen und vererbte sich auf ihre Nachkommen – die Sehnsucht nach dem Paradies. Auch der gläubige Verbrecher am Kreuz hat diese Sehnsucht, und Jesus verspricht ihm, dass sie nicht ungestillt bleibt: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Er soll wieder dahin gelangen, wo das Menschen­geschlecht herkommt: zu einem wunder­vollen Leben im Angesicht Gottes, das weder von der Sünde noch von ihren leidvollen Folgen getrübt ist. Im Himmel wird sich der Kreis zur Schöpfung schließen; da wird alles wieder „sehr gut“ sein, wie es am Anfang war (1. Mose 1,31). Dort wird der gläubige Verbrecher unsterblich sein, weil er von den Früchten des Lebensbaums essen darf, wie einst Adam und Eva es im Garten Eden tun durften.

Mit seinem Vertrauen auf Jesus hat dieser Sünder sein Todesurteil überwunden. Jesus verkündigt ihm: Gottes Todesurteil ist aufgehoben; er wird begnadigt zu ewigem Leben im Paradies. So rückt dieses zweite Kreuzeswort Jesu in die Nähe des ersten, auch wenn es diesmal kein Gebet ist. Mit seinem ersten Kreuzeswort hatte Jesus für Sünder gebeten: „Vater, vergib ihnen!“ (Lukas 23,34), und mit seinem zweiten Kreuzeswort spricht er einem Sünder die selige Frucht der Sünden­vergebung zu: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Und ebenso, wie wir das erste Kreuzeswort Jesu auf uns beziehen dürfen, so können wir es auch mit dem zweiten tun. Denn Jesus hat das Paradies ja nicht nur diesem einen Sünder ver­sprochen, sondern allen Sündern, die wie jener an Christus glauben und ihn um Hilfe bitten. So hat der erhöhte Herr der Christen­gemeinde in Ephesus die Botschaft zukommen lassen: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist“ (Offb. 2,7). Mit seinem Vetrauen in Jesus hat der Verbrecher am Kreuz sein Todesurteil überwunden, und mit dem Glauben an den ge­kreuzig­ten und auf­erstandenen Herrn können alle Menschen das göttliche Todesurteil überwinden, das um der Sünde willen über sie verhängt ist. In einer Predigt in Kapernaum hat Jesus es ganz allgemein verkündigt und sogar mit doppeltem Amen bekräftigt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben“ (Joh. 6,47).

Nur das „Heute“ hat Jesus ganz speziell für den gläubigen Verbrecher am Kreuz gesagt: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Dieses Wörtchen hat manche Bibel­ausleger irritiert: Muss nicht auch der Verbrecher am Kreuz erst den Jüngsten Tag abwarten, um dann zusammen mit allen Heiligen in Gottes neue Welt aufgenommen zu werden? Sollte das Bibelwort vielleicht so zu verstehen sein: „Wahrlich, heute sage ich dir: Du wirst mit mir im Paradies sein?“ Aber was für einen Sinn sollte das „Heute“ dann haben? Oder hat Jesus für den gläubigen Verbrecher eine Ausnahme gemacht, hat er ihn in seine eigene Auf­erstehung hinein­genommen und sogleich mitgerissen in des Vaters Reich, noch vor dem Jüngsten Tag? Das Problem erledigt sich von selbst, wenn wir bedenken: Jetzt leben wir in einer Welt, die vom stetigen Verrinnen der Tage und Jahre geprägt ist. Das Paradies aber gehört in den Bereich der Ewigkeit; da wird die Zeit „nicht mehr sein“, wie es in der Offenbarung des Johannes heißt (Offb. 10,6). Wenn sich im Tod Leib und Seele trennen, dann ist nur der menschliche Körper noch der irdischen Zeit unterworfen und ruht bis zum Jüngsten Tag, die Seele aber verlässt die zeitliche Welt und erwacht sogleich zum Gericht. Der gläubige Verbrecher am Kreuz konnte nach Jesu Zusage damit rechnen: Wenn er nun bald am Kreuz entschläft, dann wird er als nächstes aufwachen und die Stimme des Welten­richters hören: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt“ (Matth. 25,34). Die tausende von Jahren, die in unserer Welt dazwischen liegen, wird seine Seele nicht wahrnehmen; darum gilt für ihn: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wenn wir einmal unsere letzte Stunde kommen fühlen, dürfen wir uns damit trösten, was unser Herr dem gläubigen Verbrecher mit seinem zweiten Kreuzeswort verheißen hat: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Dafür hat er darauf verzichtet, sich selbst vom Kreuz herab­zuretten, ist vielmehr hängen geblieben und hat alle Sünden­strafen der Welt ausgehalten bis zum bitteren Ende. Ja, wahrlich, das ist gewisslich wahr, du kannst dich darauf verlassen, das gilt felsenfest, garantiert – Amen!

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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