Denken und lenken

Predigt über Jesaja 55,6‑13 zum Sonntag Sexagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Der Mensch denkt, Gott lenkt“, sagt man. Dieses Sprichwort fasst sinngemäß zusammen, was der Prophet Jesaja so ausgedrückt hat: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ Es besteht also ein himmel­weiter Unterschied zwischen mensch­lichen Gedanken und Gottes Wegen, zwischen mensch­lichen Vorhaben und Gottes Plänen. Kein Wunder, denn es besteht ja auch ein himmel­weiter Unterschied zwischen mensch­licher Weisheit und göttlicher Weisheit, zwischen Geschöpf und Schöpfer. Es wäre lächerlich zu meinen, Gottes Gedanken und Pläne könnten in einem kleinen Menschen­schädel Platz finden. Wie lächerlich, das zeigt der etwas daneben gegangene Versuch eines Deutsch-Schülers, den Satz „Der Mensch denkt, Gott lenkt“ in die Vergangen­heits-Form zu bringen: „Der Mensch dachte, Gott lachte.“ Aus Gottes Perspektive erscheint auch die klügste Professoren-Weisheit wie rührend einfältige Kleinkinder-Weisheit.

Rührend einfältig? Man könnte auch sagen: er­schreckend böse! Denn der Mensch denkt böse, Gott aber lenkt gut. Seit dem Sündenfall ist das menschliche Herz mit Bosheit verseucht. Bereits im ersten Buch der Bibel steht: „Das Dichten und Trachten des mensch­lichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1. Mose 8,21). Und hier in unserem Jesaja-Wort heißt es: „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken.“ Genau in diesen Zusammen­hang müssen wir das Wort vom himmel­weiten Unterschied stellen: Gottes Gedanken und Wege sind nicht nur deswegen himmelweit anderes, weil Gott weiser ist als wir Menschen, sondern vor allen Dingen deswegen, weil Menschen-Gedanken Übeltäter-Gedanken sind und Menschen-Wege gottlose Wege. Denke zum Beispiel mal an einen Menschen, der dir sehr weh getan hat, der dich sehr enttäuscht hat. Da kannst du er­schrecken, was für böse Gedanken da plötzlich in dir auftauchen; es sind Hass-Gedanken. Ganz anders sind Gottes Gedanken über alle Menschen, auch wenn sie ihm sehr weh getan und ihn enttäuscht haben: Es sind Liebes-Gedanken. Ein anderes Beispiel: Wir neigen dazu, den Weg des geringsten Wider­standes zu gehen. Nur nicht auffallen, nur nicht anecken, nur nicht den Unmut von Vor­gesetzten oder anderen einfluss­reichen Personen erregen! Wir möchten es möglichst bequem haben und gehen daher Konflikten am liebsten aus dem Weg – auch dann, wenn es nötig wäre, sich ihnen zu stellen. Gott dagegen geht nicht den Weg des geringsten Wider­standes, das sehen wir an Jesus: Gottes Sohn wählte den schweren Weg des Kreuzes. Er verzichtete auf Be­quemlich­keit und stellte sich dem einen großen Konflikt, der hinter allen Konflikten der Welt lauert: Es ist der Konflikt mit dem Teufel und seinen Bemühungen, Menschen auf seine Seite zu ziehen.

Wenn unsere Gedanken und Wege böse sind, Gottes Gedanken und Wege aber gut, dann muss ein Mensch umdenken und umkehren, wenn er gut werden will. Er muss die Hass-Gedanken und den Weg des geringsten Wider­standes verlassen und Gottes Gedanken und Wege suchen. Der himmelweite Unter­schied, der garstige Graben der Sünde, muss irgendwie überwunden werden. Der Mensch hat es nötig, umzukehren und Gottes Gedanken sowie Gottes Wege zu suchen. Darum fordert Jesaja auf: „Sucht den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.“ Achtet darauf, wie ernst und dringlich dieser Aufruf zur Buße ist! Die Umkehr muss erfolgen, „solange er zu finden ist…, solange er nahe ist.“ Es werden also Zeiten kommen, in denen er nur noch schwer zu finden ist, oder überhaupt nicht mehr. Oftmals sind Verfolgungs­zeiten über lau gewordene Christen herein­gebrochen; da waren Gottes Wort und Sakrament dann plötzlich Mangelware. Im Mittel­europa unserer Tage geschieht ein er­schrecken­der Abbruch christ­licher Tradition: Es wird immer schwerer, Gemeinden zu finden, wo noch die ganze Bibel als Gottes Wort ernst genommen und ent­sprechend verkündigt wird. Und doch: Wer Gott sucht, der kann ihn immer noch in Jesus Christus finden – nämlich da, wo auch nur ein paar Menschen in seinem Namen um Wort und Sakrament versammelt sind, und da, wo gebeichtet und die Vergebung der Sünden zu­gesprochen wird. Wenn jedoch ein Mensch ohne Buße stirbt, dann hat er wirklich keine Chance mehr, Gott zu finden – jedenfalls nicht den liebenden und vergebenden Gott; er wird dann nur noch einem strengen Richter begegnen. Also: Sucht Gott ohne Verzug! Ruft ihn jetzt an! Bittet ihn heute im Hilfe: Herr vergib! Herr, erbarm dich! Kyrie eleison! Hosianna! Jesaja predigte: „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.“

Der Mensch muss zwar umdenken und umkehren, wenn er gut werden will, aber er kann nicht umdenken und umkehren – jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Es geht letztlich nur so, dass Gott ihn umkehrt. Kein Mensch kann die himmelweite Kluft zwischen sich und Gott über­brücken, aber Gott kann sie über­brücken, und er tut es auch – für alle, die seine Hilfe suchen. Er tut es durch sein Wort. Gott sagte durch Jesaja: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurück­kehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein.“ Zu biblischen Zeiten sandte Gott sein Wort vom Himmel durch die Propheten und Apostel; heute lässt er es durch die Prediger des Evangeliums ver­kündigen. Vor allem aber hat Gott sein Wort durch Jesus Christus vom Himmel gesandt; Jesus ist das Fleisch gewordene Wort Gottes. Er, der das Wort heißt, kommt auch heute noch zu uns auf vielfache Weise: in der Taufe, wo sich Gottes Wort mit Wasser verbindet; im Abendmahl, wo sich unter Gottes Wort Leib und Blut Christi mit Brot und Wein verbinden; in der Beichte, wo das Vergebungs­wort direkt von Sünden befreit; im Lesen und Hören der Bibel; im Wort der Predigt; im Segenswort am Ende des Gottes­dienstes; im Trostwort in der Seelsorge und wie sonst uns das göttliche Wort noch erreicht. Dieses Wort ist nicht nur und nicht in erster Linie In­formation, sondern es ist Kraft. Das Wort kann etwas und wirkt etwas – so wie der Regen, der vom Himmel fällt. Oder so wie Getreide-Samen, der auf den Acker gestreut wird; dieses Gleichnis für Gottes Wort haben wir ja heute in der Evangeliums­lesung gehört. Gottes Wort hat die Kraft, das zu tun, was wir von uns aus nicht schaffen: nämlich uns umzukehren. Indem Gottes Wort uns von Sünden­schuld befreit, senkt es uns Gottes gute Gedanken in unsere Herzen und leitet uns auf seinen guten Wegen. Gottes Vergebung in Christus macht, dass seine Liebes-Gedanken unsere Hass-Gedanken vertreiben. Gottes Wort vom Kreuz macht, dass wir nicht mehr den Weg des geringsten Wider­standes wählen, sondern den Weg der Nachfolge unter dem Kreuz. Ein Leben in der Liebe und in der Jesus-Nachfolge ist die Frucht von Gottes Wort in unserem Leben. Gottes Wort fällt also nicht vergeblich aus dem Himmel auf die Erde, ebensowenig wie der Regen. Gott sagte durch Jesaja: „Es wird nicht wieder leer zu mir zurück­kommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“

Wenn in der Wüste Regen fällt, dann wachsen dort herrliche Pflanzen. Wenn Gottes Wort in Menschen­herzen fällt, dann beginnt es dort zu blühen und Frucht zu bringen. Wenn ein Mensch Gottes Liebes-Gedanken kennenlernt und den Weg der Kreuzes­nachfolge betritt, dann nähert er sich dem herrlichen Ziel der ewigen Seligkeit. Ja, wenn Gott lenkt, dann kommt das Leben schließlich ans richtige Ziel. Sind wir in dieser Welt noch unterwegs wie in einer Wüste mit Diesteln und Dornen, so werden wir am Ende in einem Paradies­garten ankommen. Jesaja hat verheißen: „Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln.“

Liebe Brüder und Schwestern, ich fasse zusammen: Der Mensch denkt böse, Gott lenkt gut. Der Mensch muss daher umdenken und Gott suchen. Der Mensch kann aber nicht von sich aus umdenken, daher muss Gott ihn umlenken. Gott tut es durch sein Wort und durch seinen Sohn Jesus Christus, der die himmelweite Kluft zwischen Gott und Sünder überwunden hat. Wenn Gott aber Menschen­herzen durch Jesus lenkt, dann werden sie auf Gottes guten Weg gebracht und gelangen an das herrliche Ziel, die ewige Seligkeit. Er schenke uns allen, dass wir dort ankommen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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