Der Herr kommt zum Tempel

Predigt über Maleachi 3,1‑4 zum Tag der Darstellung des Herrn

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In der Epiphanias­zeit singen wir: „O süßer Herre Jesu Christ“, und zu Weihnachten haben wir gesungen: „O Jesulein süß, o Jesulein mild.“ Beide Lieder stehen in unserem Evangelisch-Lutheri­schen Kirchen­gesangbuch. Im Evan­gelischen Gesangbuch stehen sie nicht, und in dem neuen Gesangbuch, das in unserer Kirche zur Zeit erarbeitet wird, sollen sie auch nicht mehr stehen. Man meint wohl, dass die barocke Redeweise vom „süßen Jesulein“ nicht mehr zeitgemäß ist. Sprachlich mag das stimmen, aber der Sache nach ist das „süße Jesulein“ auch in der heutigen Zeit noch sehr beliebt. Christen nehmen nur allzu gern Zuflucht zum kindlichen, harmlosen, liebevollen und friedlich-tröstlichen Jesulein; sie hören nur allzu gern, dass mit ihm Gottes Liebe erschienen ist. Es ist kein Zufall, dass aus­gerechnet der Gottes­dienst am Heiligen Abend mit dem Jesus-Kind in der Krippe überall Rekord-Besucher­zahlen beschert. Gott in der Idylle des un­schuldigen Säuglings – so haben wir den Gottessohn gern. Aber wir wissen doch zugleich ganz genau: Die Schmerzen und Probleme unserer Welt bestehen trotzdem weiter; wir haben es immer noch mit Krieg, Krankheit, Un­gerechtig­keit und Sünde zu tun.

Vierzig Tage nach seiner Geburt wurde Jesus erstmals in den Tempel gebracht. Zu diesem Zeitpunkt wurde das sogenannte Reinigungs­opfer nach dem Gesetz des Mose fällig – für ärmere Leute zwei Tauben. So kommt es, dass wir heute, vierzig Tage nach Weih­nachten, das Fest der Darstellung des Herrn beziehungs­weise Mariä Reinigung begehen. Auch diese Geschichte, die wir als Evangeliums­lesung gehört haben, schildert eine Idylle und macht uns das Herz warm: Maria trägt das süße Jesuskind auf dem Arm; Josef hält die zwei Turtel­täubchen bereit; der greise Simeon tritt herzu, ist gerührt und lobt Gott dafür, dass seine alten Augen noch den Heiland sehen dürfen, bevor er stirbt. Aber diese Idylle ist nur eine Seite der Geschichte; sie hat noch eine ganz andere Seite. Den beiden Täubchen wird man bald den Kopf abschlagen; sie sind ja zum Brandopfer bestimmt. Das süße Jesulein wird in einigen Jahren als erwachsener Mann wieder­kommen und voller Zorn die Kaufleute und Geld­wechsler aus dem Tempel jagen – darunter möglicher­weise auch den Händler, der seinen Eltern die Tauben für das Reinigungs­opfer verkauft hat. Und Simeon besingt nicht nur glückselig Gottes Güte über den er­schienenen Heiland, sondern er prophezeit Maria, dass sie um dieses Sohnes willen einmal ent­setzliche seelische Schmerzen wird leiden müssen – nämlich unter dem Kreuz, an dem er sterben wird. Wir sehen: Die Geschichte von der Darstellung des Herrn ist nicht nur eine süße Jesulein-Geschichte, sondern unter der Oberfläche zugleich eine Leid‑, Kreuz‑ und Tod-Geschichte.

Wir kommen nun zu unserem Abschnitt aus dem Buch des Propheten Maleachi, der alt­testament­lichen Lesung für den heutigen Festtag. Maleachi hat darin geweissagt, dass der Herr und Bote des neuen Bundes, also der Gottessohn Jesus Christus, zu seinem Tempel kommt. Das hat sich mit der Darstellung des vierzig Tage alten Jesuskindes im Tempel erstmals erfüllt. „Siehe, er kommt!“, so richtet Maleachi Gottes Weissagung aus. Es geschah zu einer Zeit, als das Volk der Juden schon sehr lange und sehnsüchtig auf den Messias wartete. Auch in dieser Zeit sehnte man sich nach dem liebevollen und friedlich-tröstlichen Erlöser, der seinem Volk endlich aus allem Elend heraushilft – so, wie wir Christen uns heute nach Gottes Liebe sehnen und wie man sich zu allen Zeiten nach Gottes Liebe gesehnt hat. Diese Liebe sagt Gott den Seinen ja auch immer wieder zu. Auch damals hat er es getan durch Maleachi. Gleich die erste Botschaft in seinem Propheten­buch lautet: „Ich habe euch lieb, spricht der Herr.“ Aber das Volk und besonders das Priester­geschlecht fragten zurück: „Woran sehen wir, dass du uns lieb hast?“ Ja, so fragen auch heute immer wieder unzählige Menschen: Woran können wir denn Gottes Liebe erkennen – in einer Welt voller Leid und Sünde? Darauf hat Gott den damaligen Juden durch Maleachi erwidert: Ihr seid selbst verantwortlich dafür, wenn ihr in einer Welt voll Schuld und Leid lebt, denn ihr habt Gott zum Zorn gereizt; ihr lebt nicht so, wie er es von euch erwartet. Erst nach einer langen Standpauke kommt Maleachi zur Verheißung des Erlösers und sagt: „Der Bote des neuen Bundes, den ihr herbeisehnt – siehe, er kommt!“ Ja, er wird kommen – aber ganz anders, als sich viele das denken. Es kommt durchaus kein süßes Jesulein, das alles Leid und alle Schuld der Welt unter einem dicken Zuckerguss verbergen wird. Nein, es kommt vielmehr ein „Schmel­zer“, der mit seinem Läuterungs­feuer ver­unreinigtes Edelmetall so lange erhitzt, bis sich die Schlacken vom Gold und Silber trennen lassen. Und es kommt ein „Wäscher“, der mit aggressiver Waschlauge auch den hart­näckigsten Schmutz aus den Textilien entfernt. Ohne Bild: Es kommt einer, der Sünden­schuld und Sündenleid nachhaltig entfernen wird – ein durchaus schmerz­hafter Prozess. Es kommt einer, der zur Buße ruft, zur bitteren Selbst­erkenntnis und Reue, zu demüti­gendem Flehen um Gnade und Vergebung. Gott lässt Maleachi fragen: „Wer wird den Tag seines Kommens ertragen können, und wer wird bestehen, wenn er erscheint?“ Die Antwort: Nur der, der dem Feuer und der Lauge nicht ausweicht; nur der, der sich zur Umkehr rufen lässt. Der wird dann allerdings die beglückende Erfahrung machen, dass der Messias ihm nachhaltig hilft und ihn herausreißt aus aller Gottlosig­keit. So versöhnt mit Gott, kann er dann fröhlich und ewig Gott dienen, wie Gott es von Anfang an von den Seinen erwartet hat. Maleachi ver­kündigte: „Und es wird dem Herrn wohl­gefallen das Opfer Judas und Jerusalems wie vormals und vor langen Jahren.“

Der Name Maleachi bedeutet „mein Bote“. Maleachi weissagte im Zusammen­hang unseres Abschnitts das Kommen einer weiteren Person, die Gott ebenfalls „mein Bote“ nennt. Es ist der direkte Vorläufer des Messias, der ihn ankündigen und ihm dem Weg bereiten soll. Maleachi verkündigte im Namen Gottes: „Siehe, ich will meinen Boten senden, der vor mir her den Weg bereiten soll.“ So prophezeite der Maleachi des Alten Testaments einen „Maleachi“ des Neuen Testaments: Johannes den Täufer. Diese beiden Maleachis, diese beiden Gottes­boten, markieren die Schnitt­stelle zwischen den beiden Testamenten – einen Zeitraum von etwa dreihundert Jahren ohne Propheten. Der Prophet Maleachi ist ja der letzte Prophet des Alten Testaments, und Johannes ist der erste Prophet des Neuen Testaments, der Ankündiger und Wegbereiter des Herrn. Maleachi bestätigt damit die Weissagung des Jesaja, der Johannes bereits zuvor als eine Stimme in der Wüste voraus­gesagt hatte; diese Stimme werde dazu aufrufen, dem Herrn den Weg zu bereiten. Wir wissen, liebe Brüder und Schwestern, wie Johannes das gemacht hat: Er hat den Menschen ihre Sünden vorgehalten und sie zur Buße aufgerufen. Er wollte, dass die Leute den Weg zu ihren Herzen eben machen, damit der Erlöser dort einziehen kann. Was zu hoch ist, zu hochmütig nämlich, das muss niedrig und demütig werden. Was zu niedrig ist, also wo es an Gottes­furcht und Vertrauen mangelt, da sollen diese Schlag­löcher aufgefüllt werden. Johannes, der zweite Maleachi, hat mit solchem Predigen nichts anderes getan, als was der erste Maleachi tat. Wir erinnern uns: Der Prophet Maleachi sprach von der Läuterung des Schmelzers und von der Lauge des Wäschers. Auch als dann Jesus selbst kam, hat er diesen Bußruf auf­gegriffen und wie sein Vorläufer gesagt: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­kommen.“ Nach seiner Erlösungs­tat am Kreuz, nach seiner Auf­erstehung und nach der Himmelfahrt hat sich dieser Bußruf fortgesetzt in der Ver­kündigung der Apostel und ihrer Nachfolger. Auch Martin Luther hat betont, dass das ganze Christen­leben in ständiger Buße vebracht sein will.

Bis heute gilt: An der Buße führt kein Weg vorbei. Es gibt kein süßes Jesulein, dass angesichts unserer Sünde beide Augen zudrückt und uns dann mit Gottes Liebe tröstet. Wir leben in einer Welt, die von Schuld und Leid geprägt ist, und wir haben unseren eigenen un­rühmlichen Anteil daran, davor können wir unsere Augen nicht ver­schließen. Alle Gottesboten und Jesus selbst machen uns deutlich: Auch deine Sünde ist mit schuld an der Misere. Wir tun gut daran, dieses Urteil nicht ab­zustreiten, sondern es anzunehmen und um Vergebung zu bitten. Wenn wir das tun – aber nur dann! – werden wir die beglückende Erfahrung machen, was Gottes Liebe und Jesu Erlösung wirklich bedeutet: Er reinigt uns, er läutert uns, er beseitigt alle Schlacken der Schuld aus unserm Leben. Dazu hat er die Hitze des Läuterungs­feuers selbst ertragen und die beißende Lauge des Wäschers am eigenen Leib gespürt: Das war sein Tod am Kreuz, den seine Mutter Maria so besonders schmerzvoll erlebte. Da wurde er für die Sünden der ganzen Welt geopfert, so wie die beiden Tauben vierzig Tage nach seiner Geburt als Reinigungs­opfer herhalten mussten. Gottes Liebe ist nicht harmlos und idyllisch, jedenfalls nicht am Kreuz. Und doch ist es seine Liebe. Seine Liebe, die uns das Himmelreich auf­schließt. Seine Liebe, die uns nie im Stich lässt. Seine Liebe, die über den Tod hinaus in die Ewigkeit strahlt – ja, die dort noch tausendmal heller leuchten wird. Wie wunderbar! Wer durch die Läuterung echter Buße gegangen ist, der wird erst richtig merken, wie gut Gottes Liebe schmeckt: so süß wie Honig. Wenn wir es so verstehen, dann können immer noch mit vollem Recht singen: „O süßer Herre Jesu Christ, / der du unser Erlöser bist, / nimm heut an unsre Danksagung / aus Genaden.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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