Unterwegs

Predigt über Johannes 14,1‑6 zum Neujahrstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jeder von uns wird im frisch an­gebroche­nen Jahr viele Kilometer unterwegs sein – sei es zum Einkaufen, zur Arbeit, zur Schule, in den Urlaub oder wieder nach Hause; sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Auto oder per Bahn. Selbst zu den Zeiten, wenn wir uns nicht fort­bewegen, sondern zu Hause im Sessel sitzen, werden wir dennoch unterwegs sein: Wir werden un­aufhalt­sam durch die Stunden, Tage, Wochen und Monate dieses Jahres reisen. Der Neujahrstag führt uns deutlich vor Augen: Wir können nicht in der Zeit stehen­bleiben. Wir haben das alte Jahr unwieder­bringlich hinter uns gelassen und beginnen, ein neues zu durch­wandern. Paul Gerhardt dichtete: „Wir gehn dahin und wandern / von einem Jahr zum andern.“

Jesu Jüngern war das ständige Unterwegs-Sein sicher noch bewusster als uns. Fast ständig befanden sie sich mit ihrem Meister auf Wander­schaft. Er ging voran und bestimmte den Weg, sie folgten ihm nach. Gegen Abend pflegte er zu einigen Jüngern zu sagen: Lauft schon mal voraus und schaut, ob uns jemand aufnimmt. Manchmal fanden sie freundliche Gastgeber, manchmal aber musste Jesus mit seinen Jüngern auch im Freien über­nachten. Nun waren sie nach Jerusalem gekommen, in die berühmte Tempel­stadt, die kurz vor dem Passafest aus allen Nähten platzte. Glücklicher­weise hatte Jesus gute Freunde in dem Vorort Betanien und fand dort mit seinen Jüngern Quartier. In einem an­gemieteten Raum in Jerusalem hielten sie dann das Passamahl. Dabei lag etwas in der Luft, das die Jünger verstörte: Jesus hatte angedeutet, dass sie nicht mehr lange zusammen sein würden, dass er leiden und sterben müsse. Die Jünger hatten Angst vor dem unbekannten Neuen, aber sie wagten nicht, mit ihrem Meister offen darüber zu sprechen. Jesus seinerseits hatte ihnen viel zu sagen an diesem Abend in seinen sogenannten Abschieds­reden. Der Predigt­text, den wir eben gehört haben, gehört in diesem Zusammen­hang.

Zunächst sagt Jesus den verwirrten und ver­ängstigten Jüngern: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Habt keine Angst, habt Vertrauen! Und dann redet er auch an diesem Abend über ein Quartier – aber nicht ein Quartier für das Ende des Tages, sondern über ein Quartier am Ende des Lebens und am Ende der Zeit. Er sagt: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?“ Jesus schickt an diesem Abend keine Jünger voraus, wie er es bei den Reisen durch Palästina immer getan hat. Nein, im Blick auf die Lebensreise durch die Zeit sagt er: Ich selbst gehe schon mal vor und bereite das Quartier am Ende des Weges. Das sagt er nicht nur für die Apostel, sondern für alle, die zu ihm gehören. Dafür ist er dann gestorben und wieder auf­erstanden von den Toten, dass wir am Ende unserer Lebensreise beim Vater im Himmel Quartier beziehen können. Jesus fährt fort: „Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wieder­kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.“ Damit erinnert er an sein Ver­sprechen, am Jüngsten Tag sichtbar wieder­zukommen und all die Seinen in den Himmel zu holen. Trotzdem wird den Jüngern damals nicht wohl gewesen sein bei diesen Worten. Das schöne gemeinsame Leben, die gemeinsamen Reisen, das abendliche Beisammen­sein in den Quartieren, immer in der Nähe des Meisters – das hört ja wohl jetzt auf, wo Jesus von ihnen geht, wo er vorausgeht in das Reich seines Vaters. Werden sie ohne ihn überhaupt den Weg finden? Wird nicht das herrliche Himmel­reich, das Jesus ihnen immer wieder verkündigt hatte, ein unerfüllter Traum bleiben? Jesus fügt ermuntigend hinzu: „Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.“ Nein, ruft Thomas dazwischen, wir wissen ihn nicht! „Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?“ Kein Mensch weiß, wo das Himmelreich liegt und welchen Weg man einschlagen muss, um am Ende bei Gott anzukommen! Da sagt Jesus zu Thomas und zu den anderen Jüngern und zu allen Menschen den berühmten Satz: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Dieser Satz ist ein schöner und klarer Wegweiser zum Himmel. Jesus hat ihn für alle Zeiten auf­gerichtet. Wer Gott finden und in sein ewiges Reich kommen will, der muss nicht viel wissen und nicht viel verstehen, der muss sich nur an Jesus halten. Er hat gesagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Und ebenso: „Glaubt an Gott und glaubt an mich.“

Jesus ist gestorben, auf­erstanden und in den Himmel voraus­gegangen, um uns dort ein Quartier vorzubereiten als Ziel für unsere Lebens­reise. Dann ist es Pfingsten geworden, und die Apostel haben in der Kraft des Heiligen Geistes diesen Wegweiser für die Öffentlich­keit enthüllt: Jesus ist der Weg; nur durch ihn kommt man zum Vater. Gleich zu Anfang haben Tausende diesen Weg mit Freuden betreten: Sie haben sich taufen lassen zur Vergebung ihrer Sünden. Weil sie zusammen mit den Aposteln immer neue Menschen auf den Weg des Glaubens einluden, hieß ihre Gemein­schaft bald „der Weg“. Alle, die getauft sind und an Jesus glauben, befinden sich auf diesem Weg zum Himmel, auch wir. Wenn wir an Jesus festhalten, braucht uns nichts Angst zu machen auf diesem Weg. Wir haben das Wort des Meisters: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Auch haben wir den Trost der Weg­gemein­schaft. Das entspricht ja dem Willen unsers Herrn: dass wir den Weg des Glaubens nicht allein gehen, sondern zusammen mit Brüdern und Schwestern. Jesus und seine Zeit­genossen wussten: Wer allein reist, lebt gefährlich, denn er kann schnell Räubern und Wege­lagerern zum Opfer fallen – so wie der Allein­reisende in Jesu Gleichnis vom Barm­herzigen Samariter. Deshalb schloss man sich damals, wenn irgend möglich, zu Reise­gruppen und Karawanen zusammen; so konnte man sich gegenseitig Hilfe leisten bei Unfall oder Überfall; auch konnte man sich gegenseitig stärken und ermuntern auf dem be­schwer­lichen Weg. Dazu dient hin­sicht­lich der Lebensreise die christliche Gemeinde und unser Gottes­dienst. Wir gehen den Weg des Glaubens gemeinsam, um uns gegenseitig zu helfen und zu stärken. Immer wenn wir gemeinsam loben und bekennen, macht uns das gewiss auf dem Weg nach Hause – dem Weg, der Jesus Christus heißt.

Jesus hat seinen Jünger gesagt: „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.“ Er ist voraus­gegangen an das herrliche Ziel, an dem die christliche Lebensreise endet. Seine Jünger waren verstört, weil sie meinten, sie würden die Reise nicht bewältigen können, wenn er nicht unter ihnen ist. Das Wunderbare ist nun aber: Auch wenn er voraus­gegangen ist, ist er trotzdem unter uns. So hat er den Jüngern vor der Himmelfahrt zugesagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ (Matth. 28,20). Wo auch nur zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, also gemeinsam unterwegs auf dem Weg des Glaubens, da will er mitten unter ihnen sein. So war er als Auf­erstandener auch mit den beiden Emmaus-Jüngern unterwegs gewesen. Wo immer sich Christen zum Gottes­dienst versammeln, lässt Christus seine Stimme hören in der Ver­kündigung des Evan­geliums. Wo immer sich Christen zum Gottes­dienst versammeln, ist er gegenwärtig mit seinem Leib und Blut im Heiligen Abendmahl.

Weil Jesus gegenwärtig ist, brauchen wir keine Angst zu haben, dass wir uns verirren. Wisst ihr, wie ein Navigationsgerät funktio­niert? Es bekommt Signale von oben, von Satelliten aus dem Weltall. Auf diese Weise kennt es seine Position und kann den rechten Weg weisen. So ist das bei uns Jüngern, die wir Jesus zwar nicht mehr sichtbar vorangehen sehen wie damals die ersten Jünger, die wir aber dennoch mit seiner Gegenwart rechnen dürfen: Wir kriegen unsere Wegweisung von oben, von Jesus im Himmel, der auf diese Weise bei uns gegenwärtig ist durch seinen Geist. Sein Geist und sein Wort sind das Licht, das uns auf dem richtigen Weg voran­leuchtet, wie es im Psalm heißt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege“ (Psalm 119,105). Und auch vom Ziel her leuchtet uns schon einladend das große Licht von Gottes Herrlich­keit entgegen wie eine Morgen­dämmerung im Osten. In den Sprüchen Salomos heißt es: „Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht am Morgen, das immer heller leuchtet bis zum vollen Tag“ (Spr. 4,18). Dass der Mensch durch die Zeit unterwegs ist hin zu vollendetem Leben in Gottes Vaterhaus, das wussten auch schon die Heiligen zu alt­testament­lichen Zeiten.

Wir haben dieses Ziel jetzt noch klarer vor Augen mit dem wunderbaren Wegweiser-Wort des Herrn: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Nun sind wir aufgerufen, diesem Wegweiser weiter zu vertrauen, auch im neuen Jahr. Für die nächste Jahres-Etappe auf unserer Reise durch die Zeit ermuntert uns der Herr: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Wenn wir am Morgen dieses Jahres mit solchem Vertrauen aufbrechen, dann werden wir auch am Abend dieses Jahres bei Gott Geborgen­heit und Quartier finden. Und wenn wir unsere Lebensreise vollenden – sei es in diesem Jahr, sei es später einmal – , dann werden wir bei unserem himmlischen Zuhause ankommen, wo Jesus mit herrlichen Wohnungen auf uns wartet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum