Keine Angst vor der Drachenschlange

Predigt über Offenbarung 12,13‑17 zum 1. Sonntag nach Weihnachten

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Geschichte, die wir eben gehört haben, klingt unheimlich und unwirklich wie ein Alptraum. Ein Traum ist sie in der Tat, nämlich ein von Gott geschickter Traum, eine Vision. Gott zeigte dem Apostel Johannes diese Vision zusammen mit all den anderen Visionen, die im Buch der Offenbarung auf­geschrieben sind. Wenn wir das bedenken, sollten wir diese Geschichte lieber nicht mit einem Alptraum ver­gleichen, sondern besser mit einem epischen Theaterstück. Wer ein bisschen was vom Theater und von Berthold Brecht weiß, dem ist der Begriff des epischen Theaters vertraut. Es geht dabei nicht darum, eine Illusion von Wirklich­keit zu schaffen und auf diesem Wege Gänsehaut-Gefühle zu erzeugen, wie das normaler­weise im Theater und auch bei Spielfilmen der Fall ist. Beim epischen Theater geht es vielmehr darum, dass mit Mitteln der Schau­spielerei eine Lehre beziehungs­weise eine Botschaft ver­anschau­licht und einprägsam ver­deutlicht wird. So sollen wir diese Visionen ansehen, die Gott dem Johannes schickte und die er dann im Buch der Offenbarung auf­geschrieben hat. Auch die Geschichte unseres Predigt­textes will uns Gottes Botschaft anschaulich vor Augen führen und auf diesem Wege einprägen. Betrachten wir sie also wie die Szene in einem epischen Theater­stück!

Erstens: Die Drachen­schlange wird auf die Erde geworfen. Mit großem Gepolter fällt sie auf die Erdenbühne. Warum fällt sie? Weil sie geworfen wurde – nämlich hinaus­geworfen aus dem Himmel. Die Drachen­schlange ist Satan, der Teufel, der ungehorsame Engel, der gegen Gott eine Revolution angezettelt hat. Satan ist mitsamt seinem ganzen Anhang aus dem Himmel hinaus­geworfen worden, weil er beim heiligen Gott nichts mehr verloren hatte. Aber er gibt sich nicht geschlagen – noch nicht. Er verlegt den Schwerpunkt seiner unheil­vollen Tätigkeiten nun auf die Erde. Wir können ein Lied davon singen, liebe Brüder und Schwestern, denn auch wir sind täglich den Nach­stellungen und Ver­führungen Satans ausgesetzt.

Zweitens: Die Drachen­schlange verfolgt die Frau, die den Knaben geboren hat. Wie heißt diese Frau? Wir hängen ihr gleich drei Namens­schilder um den Hals: Eva heißt sie, und Maria, und Ekklesia. Eva war die erste Frau, die Mutter aller Menschen. Gott hatte verheißen, dass ihr Nachkomme einmal der Drachen­schlange den Kopf zertreten wird (1. Mose 3,15). Das ist die älteste Weissagung der Bibel: Eva brachte aus ihrer Nachkommen­schaft den Drachen­töter hervor, den Erlöser, den Heiland. Der Apostel Johannes hat bestätigt: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre“ (1. Joh. 3,8). Der zweite Name der Frau kenn­zeichnet sie als direkte Mutter des Gottes­sohnes Jesus Christus: Maria hat den Knaben geboren. Der dritte Name der Frau bezieht sich auf die neue Geburt, die geistliche Geburt, die Wieder­geburt aus Wasser und Geist in der Taufe. Die Wieder­geburt hat in der christ­lichen Kirche ihren Ort, und das griechische Wort für Kirche heißt Ekklesia. Ekklesia ist die Mutter Kirche, durch die Gottes Heiliger Geist immer wieder neu Gottes­kinder für die Ewigkeit hervor­bringt. Da kommen wir ins Bild, liebe Brüder und Schwestern: Wir dürfen Gott loben und danken, dass er uns mit der heiligen Taufe durch die Ekklesia wieder­geboren hat aus Wasser und Geist. Zugleich aber sollten wir gewarnt sein, denn wir sehen: Der Teufel hat es auf die Kirche abgesehen!

Drittens: Der Frau werden zwei Adlers­flügel gegeben, damit sie vor der Drachen­schlange fliehen kann. Der „große Adler“, von dem Johannes schreibt, ist ein Sinnbild für Gott, und seine Flügel stehen für Gottes Kraft. Der Prophet Jesaja predigte: „Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“ (Jesaja 40,31). Gott lässt seine Kirche und alle ihre Kinder nicht im Stich. Alle ihre Kinder – auch uns nicht. Wenn der Teufel uns quälen oder verführen will, dann dürfen wir Gott immer wieder neu um Kraft bitten, um Adlers­flügel, damit wir dem bösen Feind entkommen können. Die Vision des Johannes beantwortet unsere Bitte, ehe wir sie aus­gesprochen haben: Ja, Gott gibt uns solche Flügel, Gott gibt uns seine Kraft!

Viertens: Die Frau flieht in eine Wüste, wo Gott sie am Leben erhält „eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“. Das ist eine merkwürdige Zeitangabe. Die meisten Ausleger dieser Bibelstelle rechnen alles zusammen und sagen: Das macht dreieinhalb Zeiten gleich dreieinhalb Jahre. Diese Zeitangabe könnte zur Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten passen: Weil König Herodes die Kinder von Bethlehem ermorden ließ, hielten sich Maria, Josef und Jesus wahrscheinlich von 7 v. Chr. bis 4 v. Chr. als Asylanten in diesem fremden Land auf. Zugleich aber kann die Zahl noch anders gedeutet werden: Dreieinhalb Jahre sind 42 Monate – eine Zeitspanne, die zwei weitere Male im Buch der Offenbarug erwähnt wird. Beide Male geht es um die vom Teufel bedrohte Kirche. Diese Zeitspanne steht symbolisch für die sogenannte Endzeit, die Zeit der kämpfenden Kirche, die Zeit zwischen Pfingsten und dem Jüngsten Tag. In diesem Zusammen­hang bedenken wir noch einmal die besondere Art und Weise, wie diese Zahl hier angegeben ist: „eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“. Ich glaube, damit will Gott uns daran erinnert, was auch Jesus mehrfach lehrte: Die Zeit bis zum Jüngsten Tag ist von un­bestimmter Dauer; niemand weiß vorher, wann sie zuende ist. Es kann „eine Zeit“ sein; es kann auch länger dauern als gedacht, nämlich „zwei Zeiten“; es kann auch schneller gehen als gedacht, nämlich „eine halbe Zeit“. Die ersten Christen haben nicht geglaubt, dass noch tausende von Jahren vergehen werden, ehe Christus sichtbar wieder­kommt. Anderer­seits sollen wir jeden Tag mit seinem Wieder­kommen rechnen – sei es, dass dann direkt der Jüngste Tag anbricht, sei es, dass wir sterben werden. Wie dem auch sei, wir dürfen vorher damit rechnen: Gott erhält seine Kirche in der Fremde dieser Welt. Es ist so, wie Jesus seinem Jünger Simon Petrus von der Ekklesia verheißen hat: „Die Pforten der Hölle werden sie nicht über­wältigen“ (Matth. 16,18).

Fünftens: Jetzt ergießt sich ein gewaltiger Wasser­schwall aus dem Maul der Drachen­schlange – ein Fluss, eine Flutwelle, ein Tsunami! Er ergießt sich hinter der Mutter her, um sie zu ertränken. Der Teufel will sich nicht geschlagen geben. Was das Leben Jesu betrifft, können wir den grausamen Kindermord des Königs Herodes mit dieser Flutwelle gleich­setzen. Als die Heilige Familie aus Bethlehem nach Ägypten geflohen war, da ließ Herodes der Große alle neu geborenen Kinder in Bethlehem töten. Er hoffte, auf diese Weise seinen vermeint­lichen Konkur­renten, den neu geborenen König der Juden, aus­zuschalten. Dahinter erkennen wir den Versuch des Teufels, Gottes Heilsplan mit Jesus im Keim zu ersticken. Auch später noch hat der Teufel ja auf ver­schiedene Weise versucht, Christi Erlösungs­werk zu vereiteln. Er versucht es bei jedem einzelnen von uns immer noch, indem er unseren Glauben mit einer Flutwelle von Zweifeln und Bedenken ertränken will.

Sechstens: Nun tritt die Erde auf. Sie stellt sich zwischen die Drachen­schlange und die Heilige Familie und trinkt mit ihrem Maul die gesamte Wasserflut weg, sodass sie der Mutter und ihrem Kind nicht schaden kann. Wer oder was ist mit der Erde gemeint? Diese Frage ist nicht leicht zu be­antworten. Vielleicht steht sie hier als Sinnbild für die Gräber der in Bethlehem getöteten Kinder. Ja, die Erde nahm das Blut und die Leiber der Kinder auf, die wegen der grausamen Eifersucht des Herodes ihr Leben lassen mussten. Die Kirche hat diese Kinder stets zu den Märtyrern gerechnet, den Blutzeugen des Herrn Jesus Christus. Die Märtyrer spielen in der Offenbarung des Johannes eine bedeutende Rolle. So nehme ich an, dass dies gemeint ist: Die Märtyrer kommen unter dem Zorn der Drachen­schlange um, aber dadurch wird das Werk der Ekklesia nicht gehindert, sondern im Gegenteil gefördert. Das Zeugnis der Märtyrer hat immer wieder Menschen beeindruckt und ihnen geholfen, an Jesus zu glauben. Auch wir, liebe Brüder und Schwestern, sollten nicht vergessen, wie ernst es den Märtyrern mit ihrem Christus­zeugnis war und bis in unsere heutige Zeit hinein ist.

Siebentens: Der Drache kämpft gegen die übrigen Nachkommen der Frau. Das sind die Brüder und Schwestern des neu geborenen Knaben, des Gottes­sohnes. Es sind die Kinder der Ekklesia, der Mutter Kirche. Es sind die Getauften, die Wieder­geborenen aus Wasser und Geist, und wir sind darunter. An diesem siebenten und letzten Teil der Szene lernen wir, wie das Leben Jesu mit unserem Leben und dem Leben der Kirche verbunden ist. Wie der Teufel mit großem Zorn unsern Herrn verfolgte, so verfolgt er uns noch heute. Und wie Gott seinen ein­geborenen Sohn vor den Angriffen der Drachen­schlange beschützte, so beschützt er auch uns, seine Kinder. Denkt daran in Zeiten der Anfechtung, in Zeiten des Zweifels, in Zeiten der Verführung und in Zeiten der Trauer über den Zustand der Kirche! Denkt an die Adlers­flügel, denkt an das rettende Asyl, denkt an die hilfreiche Erde, die die Wasserflut der Drachen­schlange für uns wegnimmt! Denkt daran und preist Gott für seine Hilfe. Wie er den einen Knaben der Maria dann von den Toten auferweckte und zu sich in den Himmel nahm zu ewiger Seligkeit, so wird er es einmal auch mit uns machen, seinen Kindern. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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