Der Lauf des Christen

Predigt über Hebräer 12,1‑6

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vor einigen Wochen fand in Berlin wieder der all­jährliche „Marsch für das Leben“ statt. Mehrere tausend Menschen pro­testierten mit einem Schweige­marsch dagegen, dass man in Europa ungeborene Kinder mit Behinde­rungen sowie auch andere wehrlose Menschen ungestraft einfach töten kann. Viele der De­monstran­ten trugen Holzkreuze oder mahnende Trans­parente. Dieser Marsch war kein Erholungs­spazier­gang, und von allen Seiten gab es Pfiffe, Schmährufe und Störungen durch Gegen­demonstran­ten.

Lasst uns laufen“ heißt die zentrale Auf­forderung in dem Abschnitt aus Gottes Wort, den wir jetzt betrachten. Es geht dabei um unseren christ­lichen Lebensweg, unser Verhalten, unsern „Wandel“ (wie man früher sagte), unsere Nachfolge. Zu diesem Lebens­marsch sind wir seit unserer Taufe gerufen, denn da hat uns Gott zu Jüngern und Nachfolgern des Herrn Jesus Christus gemacht. Ebensowenig wie der „Marsch für das Leben“ ist der christliche Lebens­wandel ein Erholungs­spazier­gang. Unser Lauf hat eine klare Bestimmung: Mit allem, was wir tun, sollen wir Gott ehren und unseren Mitmenschen dienen.

Die Bibel vergleicht Jünger öfters mit Soldaten, die in einer bestimmten Mission auf dem Weg sind. In unserem Predigttext werden wir mit diesem Bild auf­gefordert, zu laufen „in dem Kampf, der uns bestimmt ist.“ Bei diesem Kampf geht es freilich nicht um mili­tärische oder politische Macht, sondern es geht darum, den Sieg des Herrn Jesus Christus in der Welt zu verbreiten. Es handelt sich also um den „guten Kampf des Glaubens“, wie Paulus ihn seinem Mitarbeiter Timotheus ans Herz legte (1. Tim. 6,12). Wem das sprachliche Bild aus dem Soldaten­leben nicht behagt, mag sich stattdessen einen Kata­strophen­helfer vorstellen, der nach dem ver­hehren­den Taifun auf den Philippinen im Einsatz ist. Auch das ist kein Erholungs­spazier­gang, sondern ein harter Kampf für das Überleben vieler Menschen. Wenn ich mein Christen­leben im scheinbar so friedlichen Mittel­europa bedenke, dann kommt es mir tatsächlich manchmal so vor, als wäre ich nach einem geistlichen Taifun in einem Kata­strophen­gebiet unterwegs: Überall sehe ich Trümmer von zebrochenem Gott­vertrauen, zer­brochenen ethischen Maßstäben und zer­brochenen Hoffnungen. Sogar viele Kirchen sind durch diesen geistlichen Taifun zerstört oder stark beschädigt.

Gott gibt uns mit diesen Versen des Hebräer­briefs ein paar wertvolle Hinweise für unser Verhalten beim Glaubens­kampf. Da lesen wir: „Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert.“ Wer als Soldat oder Kata­strophen­helfer bei einem Einsatz unterwegs ist, der darf sich nicht mit übermäßigem Marsch­gepäck beschweren; allen unnötigen Ballast lässt er besser weg. Das bedeutet nicht, dass wir asketisch wie Bettel­mönche leben sollen. Wenn es unsere Aufgabe ist, zu Gottes Ehre zu leben, dann gehört dazu auch, dass wir uns an den schönen Dingen des Lebens freuen und uns das Maß an Ruhe und Muße gönnen, das Leib und Seele nötig haben. Das beschwert uns nicht, sondern das hilft uns im Gegenteil zu einem guten christ­lichen Wandel. Beschweren tut uns aber ein Übermaß an Gepäck, an Krempel, an Status­symbolen, an Geräten, an Spielzeug, an Essen, an Alkohol, an Sucht­mitteln, an aufwändigen Hobbys oder an ständiger Zer­streuung. Die Bibel fasst solchen Ballast unter dem Begriff Fleisch zusammen. Weg damit! Wir belasten uns nur unnötig mit über­flüssigem Gepäck, und es hindert uns an der Christus-Nachfolge.

Noch etwas kann uns gefährlich werden: „die Sünde, die uns ständig umstrickt“. Wer als Kata­strophen­helfer in einem Trümmerfeld unterwegs ist, muss aufpassen, dass er nicht an Stolper­fallen hängen­bleibt und stürzt. Allerlei Sünden­fallen lauern auf dem christ­lichen Lebensweg, allerlei Fangstricke liegen da aus. Noch einmal: Der Marsch des Christen ist kein Erholungs­spazier­gang. So dürfen wir nicht die Gefahr unter­schätzen, die von verirrten Mehrheiten ausgeht – von der Welt, wie die Bibel sagt. Zu alt­testament­lichen Zeiten glaubte die Mehrheit der Völker, dass es viele Götter gibt und dass man sich zweck­mäßiger­weise mit allen von ihnen gut stellen sollte. Das wurde dem einen Volk, das Gott sich auserwählt hatte, zum Fallstrick und Verhängnis: Immer wieder dienten die Israeliten auch Götzen, obwohl der Herr ihnen das mit dem 1. Gebot aus­drücklich untersagt hatte. Im Mittelalter war eine Mehrheit davon überzeugt, dass man sich Gottes Wohl­gefallen mit schmerz­haften Bußübungen und Ablass­zahlungen verdienen könne; auch das wurde vielen zum Verhängnis, bis Martin Luther mutig dagegen anpredigte. Im Dritten Reich schwieg die Mehrheit der Deutschen dazu, dass man die Juden syste­matisch verfolgte und ganz ausrotten wollte, obwohl es ein himmel­schreiendes Unrecht war. Heute schweigen viele dazu, dass in unserem Land jährlich 100.000 ungeborene Kinder getötet werden, nur weil sie uns nicht genehm sind. Wer beim „Marsch für das Leben“ dabei war, konnte an den Pfiffen und Schmährufen der Gegen­demonstran­ten spüren, woher der Zeitgeist weht. Auch auf anderen Gebieten lauern fallstrick­artig ungöttliche Über­zeugungen von Mehrheiten, über die selbst hohe kirchliche Würden­träger stolpern. Also aufgepasst! Lassen wir uns nicht durch falsche Mehrheits­meinungen an der heilsamen Lehre von Gottes Wort irremachen.

Fleisch und Welt, also zuviel Gepäck und Fall­stricke, können unsern christ­lichen Lauf behindern oder im schlimmsten Fall sogar ganz vereiteln. Daran ist einer ganz besonders interes­siert: Gottes Feind nämlich, der Teufel. Darum hat Martin Luther immer wieder vor der sogenannten „unheiligen Dreifaltig­keit“ gewarnt, vor Teufel, Fleisch und Welt. Sehen wir zu, dass wir auf dem richtigen Weg bleiben! Jesus und auch seine Apostel sind nicht müde geworden zu betonen, dass nur der an Gottes Ziel gelangt, der beharrlich dranbleibt am Glauben. Unser Predigttext fordert uns deswegen auf, dass wir „mit Geduld“ laufen sollen in dem Kampf Glaubens.

Das Schöne ist, dass wir nicht allein laufen. Viele laufen neben uns; es ist gut, das wahr­zunehmen. Und viele sind auch schon vor uns gelaufen. Der Hebräer­brief nennt sie die „Wolke der Zeugen“. An sie können wir denken, wenn die Wolke der Verführer uns irremachen will. Das voraus­gehende Kapitel nennt einige der ganz alten Glaubens­zeugen beim Namen: Abel, Henoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Josef, Mose und Rahab. Auch Gideon gehört zu ihnen. Der Autor des Hebräer­briefs merkte, dass es unmöglich ist, auch nur die wichtigsten angemessen zu würdigen, und schreibt deshalb zusammen­fassend: „Was soll ich noch kurz mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Pro­pheten…“ (Hebr. 11,32). Wie gesagt, das steht in dem Kapitel vor unserem Predigt­text.

Ein Zeuge aus der „Wolke der Zeugen“ wird hier im Predigttext jedoch besonders hervor­gehoben. Es ist der, den Johannes im Buch der Offenbarung so nennt: „der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes“ (Offen­barung 3,14). Unser Predigttext fordert uns auf: Lasst uns „aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ Er war schon da am Anfang der Welt; er hat mit seinem Leiden und Sterben den neuen Bund des ewigen Lebens gestiftet; mit ihm sind wir in der Taufe verbunden worden am Anfang unseres Christen­lebens. Er geht an der Spitze der Wolke der Zeugen; sie alle folgen ihm nach; auch wir reihen uns ein. Zugleich ist er der, der als letzter kommen wird, wieder­kommen am letzten Tag der Welt in großer Herrlich­keit, um uns in seines Vaters Reich zu holen. Ja, Christus, der treue und wahrhaftige Zeuge, ist der Anfänger und Vollender des Glaubens. Er ist dabei nicht nur unser Erlöser, sondern auch unser Vorbild im christ­lichen Lauf. Von ihm heißt es: Er hätte Freude haben können, aber er hat Anfeindung und Kreuz nicht gescheut im Kampf gegen seine Widersacher und gegen alle finsteren Mächte. Natürlich müssen wir auch bei seinem Vorbild bedenken, dass er keineswegs freudlos und verbissen auf Erden gelebt hat. Er hat die Menschen geliebt und war daher gern mit ihnen zusammen; er hat gefeiert, gegessen, getrunken, gesungen und bestimmt auch gelacht. Aber als dann die schweren Stunden kamen, da ist er nicht geflohen, sondern hat den bitteren Kelch getrunken, den ihm sein Vater zumutete.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir wissen nicht, was der himmlische Vater uns noch alles zumuten wird in unserem Christen­leben. Noch ist es ja eigentlich nicht viel: Ein bisschen Un­verständ­nis, ein bisschen Spott, ein bisschen Feindschaft vielleicht – damit ist zu rechnen. Paulus schrieb an Timotheus: „alle, die fromm leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden“ (2. Tim. 3,12). Keiner von uns braucht um Leib oder Leben zu fürchten wegen seines Glaubens. Es trifft auch auf uns zu, was hier im Hebräer­brief steht: „Ihr habt noch nicht bis aufs Blut wider­standen im Kampf gegen die Sünde…“ Wie ernst ist denn unser Kampf, unser Einsatz für Gott und sein Reich in dieser Welt? Wie gewissen­haft und zielstrebig marschieren wir denn für unsern Herrn Jesus Christus? Hadern wir mit Gott, wenn er uns fast Un­erträg­liches zumutet? Oder sagen wir wie Jesus: Ja, Vater; „nicht, wie ich will, sondern wie du willst“ (Matth. 26,39)?

Unser Textwort leitet uns an, auch in schweren und schwersten Belastungen des Glaubens­kampfes Gottes liebevolle Führung zu sehen. Es ist zwar eine harte Schule, aber es ist eine Erziehung zum Guten. Wir lesen: „Habt ihr schon den Trost vergessen, der zu euch redet wie zu seinen Kindern: Mein Sohn, achte nicht gering die Erziehung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr liebhabt, den züchtig er, und schlägt jeden Sohn, den er annimmt.

Lasst uns also laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist! Lasst uns unnötiges Marsch­gepäck ablegen und auf Fallstricke achthaben! Lasst uns dem Vorbild derer folgen, die vor uns den guten Kampf des Glaubens gekämpft haben! Lasst uns vor allem auf Jesus schauen, der allen voran­gegangen ist und für alle den Sieg errungen hat! Ja, das lasst uns am aller­meisten tun: auf ihn schauen und bei ihm auch Trost und Hilfe finden in diesem Kampf. Denn es kommt darin nicht auf Heldentum an, nicht auf Kraft und große Taten. Es kommt letztlich nur auf eines an: auf den Glauben – das un­erschütter­liche Vertrauen, dass uns der, der uns auf diesen Weg geschickt hat, nicht im Stich lassen, sondern an das verheißene Ziel bringen wird. Solches Vertrauen hatten auch Gideon, Mose, Abraham und die ganze Wolke der Zeugen, und solches Vertrauen hatte auch unser Herr selbst. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum