Modelle

Predigt über Hebräer 8,1‑6 zum Kirchweihfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vor 130 Jahren konnte eine große Gemeinde bei der Einweihung unserer Kirche erfreut fest­stellen, was für ein schönes neues Gotteshaus hier in Fürsten­walde entstanden ist. Heute zählt es zu den Denkmälern dieser Stadt. Aber bevor der Bau begonnen wurde, hatten nur wenige eine Vorstellung vom Aussehen der Kirche – nämlich nur diejenigen, die die Baupläne lesen und verstehen konnten. Ein plastisches Modell gab es, so weit mir bekannt ist, nicht. Bei modernen Kirchbauten macht man es in der Regel so, dass man vorher ein Modell anfertigt; dann können sich alle gut vorstellen, wie das zukünftige Gotteshaus einmal aussehen soll.

Wenn unser Bibeltext von einem „Abbild und Schatten des Himm­lischen“ spricht, dann ist damit so etwas wie ein Modell gemeint. Es geht um Gottes irdisches Modell für den Himmel. Nun ist der Himmel freilich so beschaffen, dass kein irdisches Modell, kein Bauplan und auch keine Be­schreibung eine realis­tische Vorstellung vermitteln können. Aber doch bringt Gottes Wort das Kunststück fertig, uns etwas vom Himmel mit den Begriffen und Symbolen unserer Welt zu offenbaren. Dabei greift die Bibel auf Vor­stellungen zurück, die der antike Mensch von einem Königs­palast hatte. Da gab es es einen großen Raum, den Thronsaal. Auf dem erhöhten Thron saß der König, und um ihn herum standen oder knieten seine Berater, seine Diener und alle übrigen, die sich in der Nähe des Königs aufhalten durften. Manchmal gab es auch zwei Throne im Saal, der eine für den Senior­könig, den ersten Mann im Staat, der andere für den erwachsenen Königssohn, also den Junior­könig, dem der Seniorkönig alle Regierungs­geschäfte übertragen hatte. Wer sich dem König nahen wollte, um ihm zu huldigen oder ein Anliegen vorzu­tragen, der musste ein Geschenk mitbringen. Wenn der König das Geschenk wohl­gefällig annahm, wurde der Gast in den Thronsaal gelassen und durfte mit dem König Gemein­schaft haben. Diese Vor­stellungen lagen dem Entwurf der alt­testament­lichen Stiftshütte zugrunde und später dem Jerusalemer Tempel. Durch Mose hatte Gott den Israeliten genaue Anweisungen gegeben, wie sie dieses irdische „Modell“ des himmlischen Thronsaals bauen sollten. Im heiligsten Bereich des Heiligtums, im sogenannten Allerheiligsten, stand die Bundeslade mit den Tafeln der Zehn Gebote. Ihr Deckel galt als Gottes Thron, umrahmt von zwei Cherubim, also zwei goldenen Engels­figuren. „Gnaden­thron“ nennt man den Ladedeckel daher, oder auch „Gnaden­stuhl“. Die Priester, die in der Stiftshütte Dienst taten, gehörten gewisser­maßen zu Gottes Hofstaat. Sie brachten für sich selbst und für das Volk Opfergaben zu Gott – Opfertiere, die auf dem Brand­opfer­altar vor dem Heiligtum dargebracht wurden. Das geschah Gott „zu einem lieblichen Geruch“, wie es in der Bibel mehrfach formuliert ist; das heißt: Gott sah diese Opfer gnädig an und ließ die Menschen deshalb zu sich kommen mit ihren Lobliedern und Gebets­anliegen. Auf diese Weise wurde der unsichtbare Gott mit seinem himmlischer Thronsaal anschaulich für die Menschen; die Stiftshütte und später der Tempel waren gewisser­maßen ein iridisches Modell dafür, von Menschen nach Gottes Plänen gebaut.

Der Hebräer­brief greift diesen Sachverhalt auf, um die Hauptsache des Glaubens zu vermitteln. Diese Hauptsache ist ebenfalls etwas, das von Natur aus himmlisch und unsichtbar ist, das Gott aber auf Erden sichtbar gemacht hat. Wir lesen: „Das ist nun die Hauptsache bei dem, wovon wir reden: Wir haben einen solchen Hohen­priester, der da sitzt zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel und ist ein Diener am Heiligtum und an der wahren Stifts­hütte, die Gott auf­gerichtet hat und nicht ein Mensch.“ Wir sehen: Auch im himmlischen Thronsaal gibt es diesen zweiten Thron für den Sohn des Königs, dem alle Regierungs­geschäfte übertragen sind. Er heißt Jesus Christus, der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters. Nun aber wird etwas von ihm gesagt, das über die üblichen Vor­stellungen vom antiken Königtum hinausgeht: Dieser Königssohn verlässt seinen Thron und reiht sich ein in die Diener­schaft! Er wird ein Priester und Mittler – freilich nicht so wie die Modell­priester am irdischen Heiligtum der Stifts­hütte, sondern er wird ein himmlischer Priester, der am himmlischen Heiligtum tätig ist. Als Diener und Priester muss er Gaben bringen, die dem König gefallen und die den Menschen die Tür zum Thronsaal öffnen. Am Modell-Heiligtum der Stiftshütte brachten die Modell-Priester des Alten Testaments Rinder und Schafe als Modell-Opfer dar; im wahren Heiligtum muss der Gottessohn, der sich zum wahren Priester gemacht hat, ein anderes, ein wahres Opfer darbringen, dass die Menschen wirklich in Gottes Nähe bringt. Dieses Opfer ist nichts anderes als das Gotteslamm, das der Welt Sünde trägt. Man höre und staune: Der Königssohn lässt sich nicht nur herab, Diener und Priester zu werden, sondern er lässt sich sogar dazu herab, die Opfergabe zu werden – das Opferlamm, das die Menschen würdig macht, vor dem himmlischen Vater zu erscheinen. Das Kreuz auf Golgatha ist der wahre Brand­opfer­altar, auf dem dieses Opfer ein für alle Mal Gott dargebracht wurde. Noch einmal: „Das ist nun die Hauptsache bei dem, wovon wir reden.“

Weil der Gottessohn sichtbar erschienen ist in unserer Welt und weil sein Opfer ein Stück unserer Welt­geschichte geworden ist, haben wir das alt­testament­liche Modell nicht mehr nötig. Im Neuen Testament erkennen wir Gottes wahres Heiligtum und stellen beglückt fest, dass wir freien Zutritt haben zu seinem himmlisches Reich. Wo auch immer und wann auch immer, wir können unsere Stimmen zum ewigen König erheben, ihm mit unserem Lobpreis huldigen und auch all unsere Anliegen vortragen. Das kann unter freiem Himmel geschehen oder auch in jedem beliebigen Haus, sei es ein Wohnhaus oder ein Bürohaus, ein Krankenhaus oder ein Gefängnis. Wenn wir dafür auch noch besondere Häuser haben genannt Kirchen, dann bedeutet das nicht, dass wir abermalls Modelle für Gottes unsichtbare Welt schaffen müssten; mit Christus gehören wir ja bereits jetzt schon ohne Modell zum wahren Himmel­reich. Freilich sehen wir es bis jetzt nur mit Glaubens­augen, noch nicht mit leiblichen Augen. Da ist es hilfreich, wenn auch die leiblichen Augen etwas zu sehen bekommen, was uns auf Gottes Thronsaal weist. Eine ent­sprechend gebaute und ein­gerichtete Kirche kann uns dabei helfen; sie kann uns gewisser­maßen zur Glaubens­krücke werden im Zeitalter des neuen Bundes.

Lasst uns heute, am Kirchweih­fest, Gott dafür loben und danken, dass wir mit unserem Kirch­gebäude eine besonders schöne und stabile „Glaubens­krücke“ besitzen! Der hohe Kirchraum zieht die Blicke nach oben, sodass wir merken: Da oben ist unser wahres Zuhause, bei Gott im Himmel; wird gehören in seinen Thronsaal! Der Altar lenkt den Blick auf Christus, den Gottessohn, der zum Priester und Diener aller Menschen wurde, um sich auf dem Altar des Kreuzes selbst als Sühnopfer für die Sünden der Welt dar­zubringen. Der Altar ist es auch, von dem aus Leib und Blut des Gottes­lammes an uns ausgeteilt werden im Sakrament des Altars. Der Taufstein ist gewisser­maßen die Eingangs­pforte in den himmlischen Thronsaal. Die Kanzel ist der Ort, wo Gottes Regierungs­sprecher das Wort des Aller­höchsten laut werden lassen. Die Empore aber mit der Orgel und das ganze Kirchen­schiff bieten Gottes irdischem Hofstaat Platz – das sind wir, die wir ihn heute und in alle Ewigkeit loben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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