Gottes Buchhandlung

Predigt über Jesaja 62,11‑12 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Kirche unsers Herrn Jesus Christus ähnelt auf Erden einer Buch­handlung. Es ist der Hauptsinn einer Buch­handlung, Worte unter die Leute zu bringen – Worte gedruckt in Büchern; und es ist der Hauptsinn der Kirche, dass Gottes Wort zu den Menschen kommt. Gott ist der Inhaber und Geschäfts­führer diese Buchladens, und wir Menschen sind die Kunden. Die Pastoren aber hat Gott als Verkäufer und Helfer angestellt. Natürlich gibt es in vielen Buch­handlungen noch mehr zu sehen und zu kaufen als nur Bücher, aber das gedruckte Wort bleibt die Hauptsache. Ebenso äußert sich kirchliches Leben auch noch anders als in Predigt, Unterricht und per­sönlicher Seelsorge, aber das verkündigte Wort Gottes ist die Hauptsache in der Kirche. Jede Buch­handlung hat nun ihr bestimmtes Sortiment. Ein traditio­neller Buchhändler nimmt solche Bücher in sein Sortiment auf, mit denen er seine Kunden erfreuen will und mit denen er ihnen einen Dienst erweisen kann. Von den hunderten von Titeln, die er auf Lager hat, empfiehlt er einige besonders und stellt sie daher groß heraus: Sie bekommen einen Ehrenplatz im Schau­fenster, oder sie liegen auffällig direkt neben der Kasse, sodass kein Kunde sie übersehen kann. Dasselbe gilt für Gottes Wort: Es enthält viele Ge­schichten, Botschaften und Mahnungen, aber einiges davon will Gott uns besonders ans Herz legen. Wir wollen nun der Frage nachgehen: Welche Mit­teilungen sind es denn, die Gott im „Sortiment“ seiner Kirche hat, und welche davon will er uns besonders ans Herz legen?

Zum Ausgang des Mittel­alters gab es „Verkäufer“ in der Buch­handlung der Kirche, die wollten nur Gesetze „ver­kaufen“. Sie sahen in Gott vor allem den harten Richter, der jeden Menschen nach seinen strengen Maßstäben beurteilt und bestraft. Die Bischöfe und Priester der mittel­alterlichen Kirche setzten alles daran, dass die Gläubigen vor Gott Angst haben sollten. Sie taten es oftmals mit dem Hinter­gedanken, dass sie selbst sich die Menschen unterwerfen und gefügig machen wollten. Sie drohten mit Hölle und Fegefeuer, mit schreck­lichen Folterungen für die Sünder. Dabei gingen sie über das hinaus, was in der Bibel steht, und ver­mittelten Schreckens­bilder ihrer eigenen Fantasie. Auch was das Gesetz anbetraf, erfanden sie eigene Regeln und erhoben sie in den Rang von göttlichen Geboten. Da wurde zum Beispiel zur Sünde erklärt, wenn man in der Fastenzeit Butter aß oder am Freitag Fleisch. Am schlimmsten aber war die Ver­fälschung der Haupt­botschaft, die Gott den Menschen besonders an Herz legen will: Sie stellten die Vergebung der Sünden unter bestimmte Bedingungen wie Sühne­leistungen und Ablass­zahlungen. Kurz: Die mittel­alterlichen „An­gestellten“ in Gottes „Buch­handlung“ ließen das gute Sortiment ihres Arbeit­gebers in der Versenkung ver­schwinden und legten stattdessen die Schund­literatur aus, die sie selbst den Leuten andrehen wollten. Martin Luther wurde auf diesen Missstand aufmerksam und prangerte ihn mutig an. Das begann am 31. Oktober 1517 mit Ver­öffent­lichung seiner berühmten 95 Thesen. Luther hatte bei seinem Bibel­studium entdeckt, dass Gott den Menschen etwas anderes ans Herz legen will, als was den damaligen Kirchen­männern wichtig war: eine gute und beglückende Nachricht nämlich, das Evangelium von Jesus, die frohe Botschaft von Gottes bedingungs­loser Liebe und Gnade. Dieses Evangelium wollte er in der „Buch­handlung“ seiner Kirche groß heraus­stellen; es sollte das ganze „Sortiment“ seines Wortes prägen.

Das Wort des Propheten Jesaja, das dieser Predigt zugrunde liegt, macht das besonders deutlich. Freilich ist das Bild ein anderes: Die Menschen erscheinen hier nicht als Kunden einer Buch­handlung, sondern als Bewohner einer Stadt, der Stadt Jerusalem. Und die Prediger von Gottes Wort erscheinen hier nicht als Verkäufer und Angestellte des Inhabers, sondern als Botschafter des Königs. Das, was der König den Bewohnern seiner Stadt besonders ans Herz legt, hat der Prophet Jesaja so formuliert: „Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! Man wird sie nennen ‚Heiliges Volk‘, ‚Erlöste des HERRN‘, und dich wird man nennen ‚Gesuchte‘ und ‚Nicht mehr verlassene Stadt‘.“ Das Ganze ist eine große Liebes­erklärung Gottes an uns Menschen. Sie umfasst alle Völker; „bis an die Enden der Erde“ soll man sie hören. Genau das hat der auf­erstandene Christus seinen Aposteln aufgetragen und damit den Grundstein zur kirchlichen Ver­kündi­gung gelegt: „Ihr werdet meine Zeugen sein… bis an das Ende der Erde“ (Apostel­gesch. 1,8). „Tochter Zion“ bedeutet „Einwohner­schaft Jerusa­lems“, wobei die heilige Stadt für Gottes Reich des neuen Bundes steht, für die Kirche also. Gott sagt allen Menschen: Hier findet ihr Heil; hier werdet ihr geheiligt durch die Heilige Taufe und durch den Heiligen Geist. Hier seid ihr wahrhaft erlöst, losgekauft auf der Sklaverei der Sünde, befreit, frei von der Last des Gesetzes und von der Angst vor Gottes Zorn. Auch erhaltet ihr diese Gnade frei und umsonst, ohne dass ihr dafür bezahlen müsst mit Sühne­leistungen oder Ablass. Hier habt ihr eine „Buch­handlung“, wo der Inhaber nichts an euch verdienen, sondern euch nur beglücken will mit seiner frohen Botschaft.

Ja, diese Haupt­botschaft Gottes hat Martin Luther zusammen mit den anderen Re­formatoren den Menschen wieder ins Blickfeld gerückt und zugleich manches Ungöttliche und Schädliche im Altpapier ver­schwinden lassen. Dafür wollen wir Gott besonders heute, am Re­formations­tag, danken. Aber nun ist die Reformation schon rund 500 Jahre her. Wir lächeln heute oder schütteln die Köpfe über jene mittel­alterlichen Gottes­boten, die anstelle des Evangelium Menschen­gesetze, Höllen­qualen, Gottes Zorn und Ablass predigten. Heißt das aber: Nun ist alles in Ordnung in Gottes Buch­handlung? Mir scheint, wir haben heute ein anderes Problem. Das Problem geht diesmal von den Kunden aus, also den Menschen, die nach Gottes Wort fragen. Ich meine nicht diejenigen, die sich von der Kirche abgewandt haben und glauben, dass es in dieser Buch­handlung nichts gibt, was sie interes­sieren oder ihnen helfen könnte. Ich meine vielmehr diejenigen, die mit bestimmten Erwartungen kommen – Erwartungen nicht zuletzt an die Predigt und überhaupt an die Ver­kündigung, die hier geschieht. Und da frage ich: Sind diese Erwartungen angemessen? Entsprechen sie dem, was der Inhaber der Buchhändler uns vermitteln und ans Herz legen will? Suchen die Menschen in der „Buch­handlung“ Kirche vielleicht nur praktische Ratgeber, sozusagen Kochbücher, damit ihr Leben gelingt wie eine raffinierte Soße? Oder suchen sie ein paar nette und tröstliche Worte, harmlose und niedliche Lebens­weisheiten, die den Alltags­stress bewältigen helfen? Oder wollen sie ihr Wissen vermehren über Dinge, die der mensch­lichen Natur grund­sätzlich un­zugänglich sind, über Eso­terisches also, über Außer­irdisches? Oder suchen sie die große Weltformel, mit der sich alle Erkenntnis auf einen Nenner bringen lässt? Wollen sie einfach nur unterhalten werden mit schönen Geschichte aus alten und neuen Zeiten? Oder sind sie historisch interes­siert und möchten mehr über die Geschichte Israels erfahren und über die Geschichte der Christen­heit?

All dies sind Dinge, die in Predigten behandelt werden können; auch ich versuche, beim Predigen vielseitig zu sein und meine Hörer nicht zu langweilen. Das Buch der Bibel und das Buch der Welt enthalten durchaus ein breit gefächertes Sortiment, sodass jeder in Gottes Buch­handlung etwas finden kann, das ihn interes­siert. Aber wenn man von kirchlicher Ver­kündi­gung und von Predigten nicht mehr erwartet als so ein reich­haltiges Sortiment, dann hat man nicht verstanden, was Gott, der Buch­händler, will und wozu es seine Buch­handlung gibt. Wenn man nicht mehr erwartet, dann geht man an Gottes Haupt­anliegen ebenso blind vorüber wie die „Verkäufer“ in der Kirche des Mittel­alters. Da ist es gut, wenn wir uns auf Martin Luther und seine Reformation besinnen. Da ist es gut, wenn wir beachten, was Gott ganz groß in sein Schau­fenster gestellt haben will und was alle Menschen vor allen Dingen erfahren sollen: Seine Liebes­erklärung, seine Heils­botschaft, seine gute Nachricht, sein Evangelium. Den größten Gewinn haben wir von der kirchlichen Ver­kündi­gung dann, wenn wir vor allem dies heraus­hören. Den größten Gewinn haben wir dann, wenn wir nicht auf die Erfüllung unserer eigenen Interessen und Erwartungen pochen, sondern wenn wir uns einfach überraschen und über­wältigen lassen von Gottes wunderbarer Haupt­botschaft. Denn das ist es, was er noch heute uns vor allen anderen Dingen vermitteln will: „Siehe, dein Heil kommt!“ Siehe, Jesus kommt zu dir und macht dich heil! Siehe, er kommt mit seinem Heiligen Geist und zieht in dein Herz ein! Siehe, er kommt durch das Wort der Predigt und darüber hinaus mit vielerlei Zeichen, mit den Sakramenten Taufe und Abendmahl sowie auch mit dem Zuspruch der Vergebung in der Beichte! Siehe, er kommt und befreit dich von Angst und Last! Siehe, er kommt und erlöst dich von des Todes Macht! Siehe, er kommt, um für immer zu bleiben! Siehe, er kommt, um dich ewig selig zu machen! Bitten wir den Herrn und tragen wir je nach unseren Gaben und Kräften dazu bei, dass diese großartige Botschaft im Schau­fenster des Buchladens Kirche, aber auch drinnen, ganz groß heraus­kommt! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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