Das Wir der Christus­gemeinschaft

Predigt über 1. Thessa­lonicher 5,14‑18 zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein große politische Partei macht Wahlkampf mit dem Motto: „Das Wir ent­scheidet.“ Dieses Motto hat sich schon früher eine Leih­arbeits­firma auf die Fahnen ge­schrieben. Und die sozial engagierte „Aktion Mensch“ wirbt mit einem ganz ähnlichen Motto: „Das Wir gewinnt.“ Beides könnte auch das Motto des Apostels Paulus sein und darüber hinaus das Motto der ganzen Christen­heit: Das Wir ent­scheidet; das Wir gewinnt. Paulus hat seinen ersten Brief an die Christen in Thessa­lonich bewusst in der Wir-Form ge­schrieben: „Wir ermahnen euch“, heißt es am Anfang des Abschnitts, den wir hier bedenken. Paulus schrieb diesen Brief also nicht als aposto­lischer Einzel­kämpfer, sondern, wie er am Anfang aus­drücklich hervorhob, zusammen mit Silas und Timotheus, die zu seinem Missions­team gehörten. Die Adressaten sind aus­drücklich die „lieben Brüder“, das ist die familien­ähnliche Gemein­schaft der Christen. Das Wir ent­scheidet, das Wir gewinnt. Nun gibt es allerdings einen bedeutenden Unterschied zwischen diesem christ­lichen Wir und dem Wir von Parteien, Firmen und anderen Organi­sationen: Das christliche Wir beschränkt sich nicht auf zwischen­menschliche Ver­bindungen und auf Solidari­tät, sondern es entsteht durch die Verbindung mit dem Herrn Jesus Christus. Christen gehören in der Weise zusammen, wie die Speichen eines Rades zusammen­gehören: Christus ist die Radnabe; da besteht die Verbindung mit allen sowie aller unter­einander. Christen sind ja allesamt Menschen, an denen der Herr Jesus Christus Großes getan hat; in der Taufe hat er ihnen Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott und ewiges Leben geschenkt. Christen sind Menschen, an denen der Herr Jesus Christus immer noch Großes tut; im Heiligen Abendmahl schenkt er sich ihnen mit seinem Leib und Blut und erneuert damit jedesmal die von ihm ausgehenden Gemein­schaft, also das christliche Wir. Christen sind Menschen, die das nicht vergessen wie neun geheilte Aussätzige in der heutigen Evangeliums­lesung, sondern die sich stets dankbar daran erinnern wie der eine geheilte Aussätzige, der Samariter, der umkehrte, um Jesus für die Heilung zu danken. Im letzten Kapitel des 1. Thessa­lonicher­briefs führen Paulus und seine Team­gefährten aus, was das Leben mit Christi Erlösung und das christliche Wir nun praktisch für das Leben der Gemeinde vor Ort bedeuten. Wir finden sieben knappe Auf­forderun­gen, die auch heute noch wesentlich für unser gemeinsames Christen­leben sind und die wir uns deshalb zu Herzen nehmen beziehungs­weise hinter die Ohren schreiben.

Erste Auf­forderung: „Weist die Un­ordent­lichen zurecht.“ Wir sollen den Mut haben, unsere Mitchristen zu beraten, wenn wir merken, dass in ihrem Leben etwas nicht in Ordnung ist. Umgekehrt sollen wir genug Demut haben, uns beraten zu lassen und uns mithilfe der anderen zu bessern, wenn etwas bei uns selbst nicht in Ordnung ist. Die Bibel nennt das Annehmen guter Ratschläge Weisheit – weise ist also nicht der, der meint, schon alles zu wissen und zu können, sondern der, der bereit ist, auf andere zu hören und dazu­zulernen. Mut und Demut zum Beraten und Sich-beraten-Lassen, das zeichnet das christliche Wir aus. Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan hat, beraten sich.

Zweite Auf­forderung: „Tröstet die Klein­mütigen.“ Es geht dabei um die An­gefochte­nen, Zweifelnden und Glaubens­schwachen. Wie gut ist es, wenn Mitchristen ihnen etwas Auf­munterndes und Hilfreiches sagen. Der Glaube wird nicht durch Grübeln stark, sondern dadurch, dass wir uns gegenseitig die Liebe des Herrn Jesus Christus bezeugen. Solches Trösten in Glaubens­krisen zeichnet das christliche Wir aus. Also: Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan hat, beraten sich und trösten.

Dritte Auf­forderung: „Tragt die Schwachen.“ Tragen ist mehr als trösten, tragen ist nach­haltiger. Es geht darum, den Glaubens­schwachen und auch den anderweitig Schwachen bei­zustehen, ihnen Hilfe anzubieten, für sie zu beten. Ein Trostwort ist schnell gesagt; das Tragen und Beistehen ist mühsamer. Aber gerade solcher Beistand zeichnet das christliche Wir aus. Also: Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan hat, beraten sich, trösten und stehen einander bei.

Vierte Auf­forderung: „Sei geduldig gegen jedermann.“ Wenn wir beraten, trösten und beistehen, dann sollen wir dabei einen langen Atem haben. Auch Jesus hat ja viel Geduld mit uns; hätte er sie nicht, dann hätte er uns schon längst fallen gelassen. Nun mag es Mitchristen geben, die uns besonders sympathisch sind; da fällt uns die Geduld nicht schwer, weil wir uns sowieso zu ihnen hingezogen fühlen. Aber es gibt auch die anderen, die wir uns freiwillig wohl eher nicht als Freunde wählen würden. Auch sie haben unsere Geduld verdient, denn es heißt ja: „Seid geduldig gegen jedermann.“ Solche Geduld ohne Ansehen der Person zeichnet das christliche Wir aus. Also: Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan hat, beraten sich, trösten, stehen einander bei und haben Geduld.

Fünfte Auf­forderung: „Seht zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach unter­einander und gegen jedermann.“ Das ist das besondere Marken­zeichen der christ­lichen Gemein­schaft: Wir sind nicht nach­tragend, wir wollen niemandem etwas heimzahlen, wir rächen uns nicht. Hier steht uns Christi eigenes Tun unmittelbar vor Augen: Er ist nicht in die Welt gekommen, um die Menschen, die sich gegen Gott auflehnen, zu strafen, sondern um sie zu erlösen. Diese Vergebungs­bereit­schaft beschränkt sich nicht auf den Kreis der Mit­christen, sondern erstreckt sich auf alle Menschen: „Jagt allezeit dem Guten nach unter­einander und gegen jedermann.“ Bedingungs­los Gutes tun, bedingungs­los Nächsten­liebe üben, das zeichnet das christliche Wir aus. Also: Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan hat, beraten sich, trösten, stehen einander bei, haben Geduld und sind nicht nach­tragend.

Sechste Auf­forderung: „Seid allezeit fröhlich.“ Verstehen wir das nicht falsch: Es geht nicht darum, eine permanente Grinsmaske auf­zusetzen, auch wenn uns innerlich zum Heulen zumute ist. Es geht vielmehr darum, dass wir uns stets daran erinnern: Durch Jesus haben wir mehr Grund zum Fröhlich­sein als zum Trau­rigsein. Wenn wir das nicht vergessen, dann wird das seine Aus­wirkungen in unserem Leben haben. Uns in diesem Sinne gegenseitig mit unserer Glaubens­freude anzustecken zeichnet das christliche Wir aus. Also: Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan hat, beraten sich, trösten, stehen einander bei, haben Geduld, sind nicht nachtragend und können sich immer freuen.

Siebente Auf­forderung: „Betet ohne Unterlass.“ Jeden Tag sollen wir beten. Beginnen wir also jeden Morgen mit Gebet und beschließen jeden Abend auf dieselbe Weise! Beten wir zu Tisch, in schwierigen Situationen und für die Menschen, die uns Tag für Tag begegnen! Machen wir uns das Beten zur lieben Gewohnheit! Und ermuntern wir uns gegenseitig dazu! Mir geht es so, dass ich mich manchmal zu beschäftigt fühle zum Beten oder zu müde, oder dass ich es einfach vergesse. Wie schön, dass es da ein paar Leute gibt, die mich daran erinnern und mich dazu ermuntern. Und wie schön, dass wir mit dem Sonntags­gottesdienst eine heraus­ragende Gelegenheit zum gemeinsamen Beten haben. So zeichnet auch das Beten das christliche Wir aus. Also: Leute, die nicht vergessen, was Jesus für sie getan, beraten sich, trösten, stehen einander bei, haben Geduld, sind nicht nach­tragend, können sich immer freuen und beten täglich.

So zu leben ist nicht nur gut für christliche Gemein­schaft und für jeden einzelnen Christen, es macht auch unser Leben zu einem Lob und Dank an Gott. Loben und Danken bedeutet ja letztlich, nicht zu vergessen, was Jesus für uns getan hat. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“, heißt es im 103. Psalm. Weil der aussätzige Samariter nicht vergaß, dass Jesus ihn geheilt hatte, kehrte er um und dankte ihm. So schließt sich an die sieben Auf­forderungen des Apostels Paulus und seines Teams zusammen­fassend diese Auf­forderung an: „Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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