Es ist, was es sagt, und es sagt, was es ist

Predigt über 2. Petrus 1,16‑21 zum letzten Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Diese Worte hat einer ge­schrieben, der dabei war: der Jünger Simon Petrus. Zusammen mit Johannes und Jakobus erlebte er einst, wie Jesus auf dem Berg im hellen Licht verklärt wurde. Diese Geschichte hat man sich in der jungen Christen­heit weiter­erzählt. Manche Hörer waren allerdings skeptisch: Ob sich das wirklich so zugetragen hat? Und was hat das überhaupt zu bedeuten? Die Worte des Petrus, die wir eben hörten, sind Gottes Antwort auf solche Fragen.

Petrus kommentiert die Geschichte von der Verklärung so: „Wir sind nicht aus­geklügelten Fabeln gefolgt.“ Also: Diese Geschichte ist, was sie sagt; sie ist wirklich so geschehen. Für „Fabeln“ steht da im Original­text „Mythen“. Ein Mythos ist eine erfundene Geschichte, mit der eine geistige Wahrheit zum Ausdruck gebracht werden soll. Ein Mythos ist so etwas wie ein Märchen. Nehmen wir zum Beispiel das Märchen vom Frosch­könig. Keiner wird behaupten, dass da wirklich mal eine Prinzessin einen Frosch geküsst hat und dass der sich dann in einen Prinzen verwandelt hat. Das Märchen will lediglich zum Ausdruck bringen: Es kann sein, dass man einen Menschen zuerst eklig findet; wenn man sich aber überwindet und näher mit ihm be­schäftigt, dann lernt man seine wahren Qualitäten kennen; es kann sogar sein, dass man sich in ihn verliebt. Liebe auf den zweiten Blick – das ist die geistige Wahrheit vom Mythos Frosch­könig.

Aber nun sagt Petrus: Wir sind nicht aus­gedachten Mythen gefolgt, sondern wir haben die Ver­herrlichung von Jesus selbst erlebt. Vor einem halben Jahrhundert lebte ein berühmter Theologe, der hieß Rudolf Bultmann. Sein Anliegen war es, das Neue Testament zu „ent­mythologi­sieren“, wie er es nannte. Er ging davon aus, dass die meisten Geschichten der Bibel Mythen sind, und wollte nun ihre geistige Wahrheit für das 20. Jahr­hundert heraus­arbeiten. Damit hat er praktisch genau das Gegenteil von dem getan, was er sagte: Er hat das Neue Testament nicht ent­mythologi­siert, sondern er hat es mythologi­siert, hat es zu einer Mythen­sammlung erklärt. Er hat die Berichte von Petrus, Johannes und den anderen Aposteln mytho­logisch aufgefasst – gegen ihren eigenen Anspruch. Noch einmal Petrus: „Wir sind nicht aus­geklügelten Fabeln gefolgt… Wir haben seine Herrlich­keit selber gesehen… Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen.“ Petrus schreibt hier als Augen‑ und Ohrenzeuge. An anderer Stellen der Bibel werden die Apostel wiederholt zitiert mit den Worten: „Wir sind Zeugen von dem allen.“ Auch damals war ein Zeuge jemand, der vor Gericht aussagen soll, was wirklich passiert ist. Wir können darüber hinaus fest­stellen, dass viele biblische Geschichten genaue historische Angaben enthalten. Die Weihnachts­geschichte zum Beispiel beginnt nicht wie ein Märchen mit „Es war einmal“, sondern sie beginnt mit einer präzisen geschicht­lichen Zeitangabe: „Es begab sich zu der Zeit, als Kaiser Augustus eine Steuer­schätzung aller Menschen ver­anlasste… und als Quirinius sein Statthalter in der Provinz Syrien war“ (Lukas 2,1‑2). Die Apostel haben keineswegs Mythen erzählt, sondern sie sind Zeugen davon geworden, wie Gott tatsächlich Wunder gewirkt hat – auch wenn diese Wunder noch so unglaublich klingen. Das kann man nicht deutlich genug betonen in einer Zeit, wo weite Teile der Theologen­zunft und der Christen­heit immer noch von Bultmanns Mythologi­sierungs-Irrtum beeinflusst sind. Die Apostel sind Augen- und Ohren­zeugen; ihre Berichte sind keine Mythen und Märchen; was sie verkündigt haben, das ist, was es sagt.

Damit endet der erste Teil meiner Predigt. Er hieß: Es ist, was es sagt. Nun kommt der zweite Teil. Er heißt: Es sagt, was es ist. Das bedeutet: Die Geschichte mit der Verklärung ist nicht nur wirklich passiert, sondern sie erklärt auch aus sich selbst heraus, was sie bedeutet.

Petrus hat in seinem Brief nicht die komplette Verklärungs­geschichte auf­geschrieben; er konnte davon ausgehen, dass seine Leser sie gut kannten. Aber eine Sache aus dieser Geschichte erwähnte er aus­drücklich. Wir lesen: „Christus empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlich­keit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohl­gefallen habe.“ Da hat Gott selbst also bei Jesu Verklärung gesagt, was die ganze Sache zu bedeuten hat: Dieser Jesus aus Nazareth, dieser Wander-Rabbi und Wunder­heiler, dieser außer­gewöhnliche Mann ist Gottes Sohn. Nicht irgendein Gotteskind, sondern der eingeborene Sohn – der eine, von dem schon die Propheten im Alten Testament gesprochen haben. Gottes Stimme hat dann auch noch gesagt: „Den sollt ihr hören“ (Matth. 17,5). So hatte es bereits Mose von dem kommenden Erlöser voraus­gesagt – eben derselbe Mose, der auch auf dem Berg der Verklärung in Erscheinung trat. Ja, diese göttliche Stimme sagt, was Sache ist: Auf Jesus kommt es an! Der ist der ver­sprochene Erlöser und kein anderer. Auf den muss man achten, auf den muss man hören. Nur dann lernt man Gott wirklich kennen. Nur an Gottes Sohn kann man erkennen, wer Gott ist und wie er ist: Strahlend und herrlich, zugleich aber auch mitfühlend, liebevoll und barmherzig. Gottes Stimme setzt beim Verklärungs­ereignis gewisser­maßen den ent­scheidenden Link für alle Menschen: Seht, das ist er, mein lieber Sohn, auf den kommt es an! Glaubt an ihn, hört auf ihn, lernt von ihm, findet mich durch ihn, findet das ewige Leben durch ihn!

Es sagt, was es ist – Gott selbst erklärt bei der Verklärung Jesu den Sinn dieses Er­eignisses. Diese Erkenntnis können wir auf die ganze Heilige Schrift ausweiten. Petrus tat das aus­drücklich im Blick auf den damals schriftlich vor­liegenden Teil der Bibel, nämlich das Alte Testament. Er sagte darüber: „Umso fester haben wir das pro­phetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“ Der dunkle Ort ist unsere Welt voller Schuld und Leid, der Morgenstern ist Gottes Sohn Jesus Christus. Er zeigt uns die Morgen­dämmerung von Gottes neuer Welt, von Gottes Neu­schöpfung. Wenn Gott nun über dem verklärten Jesus gesagt hat: Das ist er!, dann hat er damit alle Prophe­zeiungen des kommenden Erlösers mit diesem Mann aus Nazareth verknüpft. So schenkt Gott selbst Gewissheit, dass wir die Worte des Alten Testaments auf Jesus beziehen sollen. Martin Luther hat es klar erkannt und gelehrt, dass Christus die Mitte der Schrift ist und dass die Schrift sich selbst auslegt. Darum betonen wir in der luthe­rischen Kirche: Jesus Christus ist die Schlüssel­figur für die gesamte Bibel, sowohl für das Alte wie auch für das Neue Testament. Für die gesamte Bibel gilt: Es sagt, was ist – die Bibel legt sich selbst aus, und der Schlüssel zu ihrem richtigen Verständnis ist Jesus, in dem Gottes Herrlich­keit auf Erden erschienen ist. Eine Bibel­auslegung, die nicht Jesus in dem Mittelpunkt stellt, verfehlt den wahren Sinn von Gottes Wort. Darum hat Petrus auch ge­schrieben: „Das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus mensch­lichem Willen hervor­gebracht worden, sondern getrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.“ Der Geist bezeugt in der ganzen Bibel, dass Jesus der Sohn Gottes ist und der eine Erlöser, durch den wir Menschen Gott finden können.

Gottes Wort markiert für jeden Mensch den ent­scheidenden Link zum all­mächtigen Gott und zu gutem, ewigem Leben. Dieser Link heißt Jesus Christus. Dieser Link ist auch für mich da und für dich. Daraus folgt: Wenn du Gott finden oder besser kennen­lernen willst, dann suche ihn bei Jesus. Wie hat doch Gott selbst gesagt? „Das ist mein Sohn, an dem ich Wohl­gefallen habe, den sollt ihr hören.“ In ihm wurde Gottes Wort Fleisch – alles, was Gott uns Menschen zu sagen hat, finden wir demnach bei Jesus. Es geht beim Glauben also nicht in erster Linie um Gebote oder Rituale, auch nicht um kompli­zierte Gedanken oder auf­opferungs­volle Taten. Es geht beim Glauben nicht in erster Linie um Katechismus­lehren oder erhebende religiöse Gefühle, schon gar nicht um Mythen und Märchen. Es geht letztlich nur um eines: um die Beziehung zu Jesus Christus. Durch ihn ist Gott zu uns gekommen, durch ihn lernen wir Gott kennen, durch ihn kommen wir mit Gott ins Reine, durch ihn dürfen wir für immer mit Gott zusammen­bleiben. Christi wahre Geschichte steht in der Bibel, und ebenso der Sinn dieser Geschichte. Wie gesagt: Es ist, was es sagt, und es sagt, was es ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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