Gottes Reich wird anschaulich

Predigt über Markus 4,30‑32 zum Kirchweihfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gottes Reich ist nicht von dieser Welt, und Gottes Reich ist unsichtbar. Darum können wir uns Gottes Reich schlecht vorstellen. Aber es gibt Hilfen, nämlich Bilder und Gleich­nisse, die uns Gottes Reich anschaulich machen. Jesus selbst hat immer wieder solche Reich-Gottes-Gleichnisse beziehungs­weise Himmelreich-Gleichnisse erzählt. Er hat sich immer wieder bemüht, das Reich seines himmlischen Vaters möglichst anschaulich vor Augen so führen. Wir haben eben seine Frage gehört: „Womit wollen wir das Reich Gottes ver­gleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden?“ Ja, welche Gleichnisse sind denn geeignet, uns das Himmelreich anschaulich zu machen?

Die Bibel nennt uns eine ganze Reihe solcher Vergleiche: Das Himmelreich ist wie eine Familie, und Gott ist das Familien­oberhaupt, der Vater über alle. Oder: Das Himmelreich ist wie ein Volk, und Gott ist sein König (dieser Vergleich wird im ganzen Alten Testament an­schau­lich, nämlich mit der Geschichte des Volkes Israel). Oder: Das Himmelreich ist wie eine Schafherde, und Gott ist der gute Hirte. Oder: Das Himmelreich ist wie ein Weinberg, und Gott ist der Wein­gärtner. Oder: Das Himmelreich ist wie ein Tempel aus lebendigen Steinen, und Gott ist der Bauherr.

Wenn wir jetzt noch einen kleinen Gedanken­schritt weiter gehen, dann können wir auch sagen: Das Himmelreich ist wie unsere Kirche, deren Geburtstag wir heute feiern. Sie ist zwar kein Tempel im biblischen Sinn, aber sie ist ein Haus, das speziell zur Ehre Gottes und zur gottes­dienst­lichen Versammlung seines Volkes gebaut wurde. Ja, unsere Kirche macht Gottes Reich anschaulich – und sei es auch nur mit der für alle sichtbaren Tatsache, dass sich in unserer Stadt an dieser Stelle Christen versammeln. Das ist schon seit vielen Gene­rationen so; unser Gotteshaus und die sonntäg­lichen Gottes­dienste in ihm haben diverse politische Systeme nahezu un­beschädigt über­standen. Als die damalige Gemeinde unter großen finan­ziellen Opfern und widrigen Umständen diese Kirche baute, da waren manche wohl skeptisch, ob sich denn die bekenntnis­bewussten Lutheraner überhaupt so lange halten werden, dass sich ein eigenes Gebäude für sie lohnt. Wir können heute mit Freude und Dankbarkeit sagen: Ja, es hat sich gelohnt; dieses Gotteshaus ist der Gemeinde nun schon für weit mehr als ein Jahrhundert zum Segen geworden.

Aber noch ein anderes Bild für Gottes Reich tritt heute besonders in unser Blickfeld. Wir haben eben die Frage Jesu gehört: „Womit wollen wir das Reich Gottes ver­gleichen?“, und wir wollen nun auch auf die Antwort achten, die er selbst gleich im Anschluss gegeben hat. Jesu eigene Antwort ist das Gleichnis vom Senfkorn. Er sagte: „Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn; wenn das gesät wird aufs Land, so ist's das kleinste unter allen Samen­körnern auf Erden; und wenn es gesägt ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.“ Es gibt ver­schiedene Arten von Senf-Pflanzen. Jesus spricht hier von der Senfstaude, dem sogenannten Schwarzen Senf (brassica nigra), der in den Kräuter­gärten Palästinas weit verbreitet war. Es handelt sich um eine einjährige Pflanze; der Gärtner muss sie also jedes Jahr neu aussäen. Aus diesem Grund war Jesu Zuhörern der ungeheure Größen­unterschied von Samenkorn und aus­gewachse­ner Pflanze vertraut: Das Samenkorn hat nur einen Millimeter Durch­messer, aber die aus­gewachse­ne Staude wird größer als ein Mann.

Gott ist in diesem Bild natürlich der Gärtner; zugleich ist er aber der Schöpfer, der alle Pflanzen geschaffen hat und ihnen Wachstum schenkt. Das haben alle Ver­anschau­lichungen von Gottes Reich gemeinsam: Sie zeigen Gott als Vater, als Chef, als König, als Schöpfer. Deshalb sprechen wir auch nicht vom „Reich der Kirche“ oder vom „Reich der Gläubigen“, sondern vom „Reich Gottes“. Gott als Oberhaupt muss besonders heraus­gestellt werden, sonst taugen alle Gleichnisse von seinem Reich nichts.

Nun hat aber jedes Bild auch seine Besonder­heit und macht dadurch einen speziellen Gesichts­punkt von Gottes Reich klar. Beim Gleichnis vom Senf ist diese Besonder­heit der gewaltige Größen­unterschied von Samenkorn und Pflanze. Es gibt noch andere Gleichnisse mit dieser Besonder­heit: Jesu Gleichnis vom Sauerteig, bei dem eine kleine Menge einen großen Teig durchsäuern kann (Matth. 13,33); oder das Gleichnis im Buch Daniel vom Stein, der zu einen großen Berg wird und die ganze Welt füllt (Daniel 2,35). Ja, so ist das mit Gottes Reich, das mit der Geburt des Jesuskindes seinen Anfang genommen hat und das heute in unzähligen christ­lichen Kirchen und Gemeinden auf der ganzen Welt sichtbar ist.

Nun mag ja mancher in unserer Gemeinde und in unserer Kirche ein wenig verzagt sagen: Ich sehe nichts vom Wachstum des Reiches Gottes. Als diese Kirche gebaut wurde, zählte die Gemeinde viele hundert Mitglieder; jetzt sind es aber nur noch wenige. Die meisten Plätze in den Bänken dieser wunder­schönen Kirche bleiben Sonntag für Sonntag leer. Ich kann solche traurigen Gedanken gut nach­empfinden. Aber wir sollten weder kurzsichtig noch klein­gläubig sein. Gottes Reich ist ja viel mehr als unsere Gemeinde hier vor Ort in der heutigen Momentaufnahme; wir müssen uns nur von Gott und seinem Wort den Blick weiten lassen. Denken wir daran, dass Jesus bei seiner Himmelfahrt eine kleine Schar ver­ängstigter Jünger ausssandte mit dem Auftrag, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen. Tatsächlich hat sich darauf die Zahl von Jesu Jüngern millionen­fach vergrößert und auf allen Kontinenten aus­gebreitet. Und denken wir daran, dass auch heute noch die christliche Kirche wächst – zwar nicht bei uns in Deutschland und in Mittel­europa, aber doch zum Beispiel in Afrika, Asien und Südamerika. Und denken wir daran, dass es auch in unserem Kirchen­bezirk eine Gemeinde gibt, die lange Zeit so klein war, dass man immer wieder erwogen hat, sie aufzulösen; heute zählt sie etwa tausend Seelen und ist die größte im Kirchen­bezirk. Und denken wir daran, dass viele hundert Menschen hier an diesem Taufstein in Gottes Familie aufgenommen worden sind und an diesem Altar ihrem Herrn die Treue gelobt haben. Wenn auch manche von ihnen später vom Glauben abfielen, so sind doch die meisten von ihnen selig gestorben und bleiben im Himmel für immer Bürger in Gottes Reich. Eine christliche Gemeinde ist ja kein Kaninchen­züchter­verein, wo das Mitglieder­verzeichnis der Größe entspricht. Nein, wir wissen: Die Namen der hier Getauften sind im Himmel auf­geschrie­ben, im „Mitglieder­verzeich­nis“ von Gottes Reich, und das kann kein Todesfall mehr ändern.

Liebe Brüder und Schwestern, ich sage das nicht, damit wir uns beruhigt mit der Kleinheit unserer gegen­wärtigen Gottes­dienst­gemeinde zufrieden geben. Es ist nicht verkehrt, sondern es ist geradezu geboten, dass wir uns auch um zahlen­mäßiges Wachstum bemühen. Dabei hilft die Erkenntnis, dass die „Senf­staude“ unserer Kirche und Gemeinde nicht nur ein Selbstzweck ist – also etwas, wovon wir selbst als Gemeinde­glieder etwas haben – , sondern dass sie auch ein Segen für Menschen sein soll, die nicht zu uns gehören – oder noch nicht. Als Jesus sein Gleichnis erzählte, hat er aus­drücklich darauf hin­gewiesen. Er hat von dem Senf gesagt, dass er große Zweige treibt, „sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.“ Das wäre schön: Wenn Menschen scharen­weise wie Vögel aus der Hitze und Hektik ihres Lebens im Schatten unserer Kirche Ruhe finden für ihre Seele. Eingeladen sind alle, besonders aber die Mühseligen und Beladenen. Jetzt brauchen wir es ihnen nur noch zu sagen – und darum zu bitten, dass sie auch wirklich kommen und dass Gott das Licht des Glaubens in ihren Herzen anzündet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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