Mensch, pass doch auf!

Predigt über Lukas 12,13‑15 zum Erntedankfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Mensch, pass doch auf!“, sagte Jesus zu dem Mann, der ihn gern zum Schlichter in einer Erbschafts­angelegen­heit gemacht hätte. Der Mann hatte ganz höflich gebeten: „Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.“ Aber Jesus reagierte genervt: „Mensch, bin ich denn etwa ein Schieds­richter für Erben?“ Und dann wandte er sich an die Menge und warnte: „Hütet euch vor aller Habgier!“ – „Mensch, pass doch auf, sei nicht so habgierig!“ Und indem er das sagte, lehrte er drei Dinge: Dank­barkeit, Gelassen­heit und Genügsam­keit.

Jesus sagte nicht: „Hütet euch vor vielen Gütern!“ Wir können uns ungetrübt an all den schönen Dinge freuen, die wir durch Gottes Güte unser Eigen nennen können. Wer reich ist, braucht deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben – es sei denn, er wäre auf unrechte Weise zu seinem Reichtum gekommen. Wenn Jesus von uns erwarten würde, dass wir uns vor irdischem Besitz hüten sollen, dann dürften wir kein Ernte­dank­fest feiern. Aber Jesus gönnt uns all das Schöne, das wir haben. Fröhlich und mit gutem Gewissen können wir all das Gute aus Gottes Hand nehmen und uns herzlich bei ihm dafür bedanken. Ja, danke, Gott, für die vielen und ab­wechslungs­reichen Lebens­mittel, für die Kleidung und für alles andere, was du uns zum Leben gibst! So lehrt uns Jesus erstens Dank­barkeit.

Es gibt nun allerdings Leute, die wollen die Freude am Besitz und vor allem an jeglichem Reichtum vermiesen. Vor ein paar Tagen ist der Armuts­bericht der Bundes­regierung erschienen. Darin kann man nachlesen, dass die reichsten Leute in Deutschland in den vergangenen Jahren trotz Wirtschafts­krise noch reicher geworden sind. Ihr Vermögens­abstand zu den übrigen Menschen sowie auch zum Staats­vermögen hat sich vergrößert. „Die Schere geht weiter aus­einander“, sagt man. Nun schreien viele, das sei doch ein Skandal, und man müsse die Reichen jetzt dazu zwingen, mehr als bisher von ihrem Reichtum abzugeben. Hinter solcher Empörung lauert oft der blanke Neid. Wenn Jesus heute in Menschen­gestalt unter uns lebte, dann würden die Un­zufriedenen vielleicht zu ihm gehen und wie der Mann damals sagen: „Meister, sage den Reichen in Deutsch­land, dass sie ihren Reichtum aufteilen sollen!“ Und Jesus würde dann wieder antworten: „Mensch, bin ich etwa euer Schlichter? Nein, ich bin euer Heiland! Seid nicht so habgierig!“ Immerhin leben wir ja nach wie vor in einem der wohl­habendsten Länder der Erde. Die, die unter uns als arm gelten, sind in den Augen der Armen aus anderen Ländern reich. Die Armen aus den anderen Ländern könnten bei den meisten von uns an die Tür klopfen und sagen: „Gebt uns was ab, ihr habt doch viel mehr als wir!“ Viele Griechen könnten das tun und Menschen aus Asien, Afrika und Latein­amerika. Die hätten alle viel mehr Grund, zum Abgeben auf­zufordern.

Und sie haben auch ein Recht, nach dem Lebens­notwendigen zu verlangen. Jesus sagte nicht: „Begehrt keine Güter!“ Es ist durchaus keine Habgier, wenn man nach dem Lebens­notwendigen strebt. Jesus schob erklärend nach: „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Habgier bedeutet, viele Güter haben zu wollen, mehr haben zu wollen – nämlich mehr, als man braucht. Aber was wir nötig brauchen, das dürfen wir auch haben wollen; danach dürfen wir verlangen, das ist keine Habgier. Und wir kriegen es auch. Wir bitten ja Gott um das tägliche Brot. (Hoffent­lich bitten wir so und beten täglich das Vater­unser!) Wir bitten um das tägliche Brot und vertrauen darauf, dass Gott es uns geben wird. Er hat es ja ver­sprochen. Er hat zwar nicht ver­sprochen, dass wir stets herrlich und in Freuden leben, aber er hat ver­sprochen, dass uns das Nötige zufallen wird – Tag für Tag, auch wenn es mal wenig sein sollte. Und wenn wir täglich so bitten und vertrauen, dann lernen wir dabei zweitens Gelassen­heit. Im Haben dankbar, im Mangel gelassen – so leben wir als Jünger Jesu, und so feiern wir Erntedank.

Zum Thema Gelassen­heit möchte ich hier noch einen wichtigen Gedanken anfügen. Jesus sagte: „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Die Fülle des Lebens aber, nämlich die Gemein­schaft mit Gott, hat mit den Gütern dieser Welt überhaupt nichts zu tun. Darum sagte Jesus bei anderer Gelegen­heit: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Matth. 4,4). Vielmehr ist es Gottes Wort, das uns Leben mit Gott und sogar ewiges Leben beschert. Gottes Wort bringt uns die frohe Botschaft von der Gerechtig­keit, die Christus am Kreuz erworben hat. So werden unsere Sünden vergeben, und wir dürfen als Gottes Kinder in seinem Reich leben. Darum lehrte Jesus in der Berg­predigt: „Macht euch keine Sorgen! … Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtig­keit, so wird euch das alles zufallen“ (Matth. 6,25.33). Mit „das alles“ meinte er Nahrung, Kleidung und alle Dinge des täglichen Brots. Da merken wir: Gott will uns das obendrauf als Zugabe schenken zum aller­größten Reichtum, mit dem er uns schon beglückt hat – als Zugabe nämlich zum Reich Gottes, das uns durch die Gerechtig­keit des Herrn Jesus Christus bereits gehört. Wenn wir das bedenken, dann können wir erst recht gelassen sein im Hinblick auf alles Notwendige für unser leibliches Leben.

Jesus sagte nicht: „Hütet euch vor vielen Gütern!“, er sagte auch nicht: „Begehrt keine Güter!“, er sagte aber: „Begehrt nicht viele Güter!“, beziehungs­weise: „Hütet euch vor aller Habgier!“ Wenn jemand reich ist, dann darf er sich dankbar an seinem Reichtum freuen. Wenn jemand arm ist, dann darf er alles begehren, was zum Leben nötig ist, und darf gelassen darauf vertrauen, dass Gott es ihm auch geben wird. Aber weder die Armen noch die Reichen sollen danach streben, reich beziehungs­weise noch reicher zu werden. Damit lehrt Jesus drittens Genügsam­keit. Zur Dankbarkeit für das, was wir haben, und zur Gelassen­heit im Blick auf das, was uns fehlt, tritt die Genügsam­keit. Sie ist eine ganz wichtige Tugend. Wer habgierig ist, der ist stets versucht, auf Kosten anderer immer mehr zu bekommen. Er möchte den Mitmenschen die fettesten Bissen weg­schnappen und stets das größte Stück vom Kuchen abkriegen. Der Habgierige gibt nicht gern ab. Er verschließt Türen, Ohren und Herz vor denen, die ihn um etwas bitten. So macht der Habgierige seinen Mitmenschen das Leben schwer. Vor allem aber macht er sich selbst das Leben schwer. Der Apostel Paulus stellte fest: „Geldgier ist eine Wurzel alles Übels“ (1. Tim. 6,10). Wer Geldgier beziehungs­weise Habgier in seinem Herzen hat, der trägt eine üble Wurzel in sich, die sein ganzes Leben vergiften kann. Die Habgier lenkt seine Gedanken und Aktivitäten nämlich überwiegend darauf, wie er reicher werden kann; für Gottes­dienst und Nächsten­liebe bleibt dann nicht mehr viel Zeit und Kraft übrig. Auch betrügt sich der Habgierige oft selbst durch die Einbildung, er selbst sei seines Glückes Schmied und könne sich durch eigene Anstrengung ein gutes Leben aufbauen. Deshalb warnt Jesus: „Hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Gutes Leben, göttliches Leben, heiliges Leben lässt sich nicht mit Reichtum erwerben, nicht einmal mit einem Reichtum an Anständig­keit und an guten Werken. Das ewige Leben kann man nur wie ein Bettler als göttliches Gnanden­geschenk annehmen. Gut hat es da der, der auch im leiblichen Leben Genügsamkeit gelernt hat. Gott sprach einst zu Paulus: „Lass dir an meiner Gnade genügen!“ (2. Kor. 12,9). Diese geistliche Genügsamkeit vor Gott ist Genügsam­keit in höchster Vollendung; solche Genügsam­keit ist letztlich nichts anderes als der selig­machende Glaube.

Wir tun gut daran, solche Genügsam­keit auch im Blick auf die Güter dieser Welt einzuüben. Das steht nicht im Widerspruch zum Erntedank, das steht nicht im Widerspruch zur Freude über die vielen guten Gaben, mit denen Gott uns über­schüttet. Was es bedeuten kann, das lehrt auch heute noch das schlechte Beispiel von dem Mann, der Jesus zum Schieds­richter in seinem Erbstreit machen wollte. Wie jämmerlich sieht das auch heutzutage in vielen Familien aus, wenn die mehr oder weniger vermögenden Eltern gestorben sind! Wie oft kommt es da zu unwürdigen Streite­reien zwischen den Ge­schwistern – bis hin zu gericht­lichen Klagen und jahrelangen Prozessen! Da hülfe es wirklich, sich auf die Genügsam­keit zu besinnen. Falls der Bruder oder die Schwester wirklich etwas mehr bekommen, als ihnen zusteht – das macht doch nichts! Der Erbe, der dann weniger bekommt, kann ebenso fröhlich weiterleben wie vor dem Erbfall; er hat doch alles, was er zum Leben braucht. Warum will er denn der bösen Wurzel der Habgier in seinem Herzen Raum geben und damit letztlich die familiäre Gemein­schaft vergiften?

„Mensch, pass doch auf!“, sagte Jesus. „Hütet euch vor aller Habgier, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Lebt stattdessen dankbar, lebt gelassen, lebt genügsam! Lasst euch einfach von Gott beschenken – sowohl mit dem täglichen Brot als auch vor allem mit seiner Erlösung, die uns ewig leben lässt! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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