Aufbruch, Absturz, Heimkehr, Fest

Predigt über Lukas 15,11‑32 zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir alle sind traurig, wenn wir etwas verlieren, und wir freuen uns, wenn wir es wieder­finden. Diese Traurigkeit und diese Freude kannten die Menschen zu allen Zeiten. Jesus hat das in einigen Gleich­nissen auf­gegriffen, etwa in der Geschichte vom verlorenen Schaf oder in der Geschichte vom verlorenen Groschen. Das schönste und wichtigste Gleichnis aber in dieser Reihe ist die Geschichte vom verlorenen Sohn. Wenn ich aus diesem Gleichnis eine längere Erzählung machen sollte, dann würde ich sie in vier Kapitel einteilen. Das erste Kapitel heißt „Der Aufbruch“, das zweite „Der Absturz“, das dritte „Die Heimkehr“, das vierte und letzte „Das Fest“. Anhand dieser vier Kapitel­über­schriften möchte ich euch nun nahe­bringen, was Jesus uns mit diesem Gleichnis zu sagen hat.

Erstes Kapitel: Der Aufbruch. Der jüngere Sohn eines reichen Gutsherren hält es zu Hause nicht mehr aus. Er will hinaus in die Welt und etwas erleben; er will sein Leben in vollen Zügen genießen. Darum lässt er sich von seinem Vater vorzeitig das Erbe auszahlen und zieht mit einem Sack voller Geld los. Er kauft edle Kleidung und feiert wilde Parties. Weil er stets alle Rechnungen zahlt, findet er viele Freunde und willige Mädchen.

Was bedeutet das für unser Leben? Gott ist der Vater; er stattet uns mit reichlich Start­kapital fürs Leben aus. Er schenkt uns einen gesunden Leib und einen wachen Geist, dazu besondere Talente und Charakter­eigen­schaften. Er stellt uns Menschen zur Seite, die es gut mit uns meinen. Er lässt uns in Sicherheit und Wohlstand leben. Ja so sieht für die meisten von uns der Aufbruch aus; in einer so günstigen Ausgangs­position befinden wir uns. Der Vater zwingt uns nicht, das Start­kapital in einer bestimmten Weise zu gebrauchen; es ist uns zur freien Verfügung anvertraut. Was machen wir damit? Entfernen wir uns vom Vater und denken nur an das eigene Vergnügen – wie der verlorene Sohn? Kaufen wir uns Freunde und alles, was Spaß macht – bis das ganze Vermögen verplempert ist? Oder lassen wir es brach liegen und leben faul vor uns hin – so wie der Mann in einem andern Gleichnis, der das anvertraute Pfund einfach ver­buddelte? Oder bleiben wir in der Nähe des Vaters und achten darauf, was er uns rät? Nun, er rät uns, unser Start­kapital sinnvoll zu in­vestieren. Wir sollen es so einsetzen, dass es nicht nur uns selbst, sondern auch anderen Menschen nützt – das erfreut dann auch den Vater, und der Wert des Vermögens wächst dabei. Ja, genau das ist der Sinn unseres Lebens: das Vermögen, das Gott uns anvertraut hat, so ein­zusetzen, dass es den Menschen dient und Gott ehrt.

Zweites Kapitel: Der Absturz. Der verlorene Sohn merkt, dass sein Geldsack leicht geworden ist. Schnell sind die letzten Münzen ausgegeben. Aus­gerechnet da kommt eine Hungersnot, und die Lebens­mittel­preise steigen auf Rekordhöhe. Die gekauften Freunde verziehen sich; der Sohn ist nun ganz allein. Verzweifelt kämpft er ums Überleben: Er wendet sich an einen Schweine­bauern und bettelt so lange, bis der ihn als Hirten anstellt. Die Arbeit ist hart und schmutzig, der Verdienst ist schäbig. Der Sohn wird nicht satt von dem, was man ihm gibt. Begehrlich schaut er auf das Schweine­futter, aber es ist ihm streng verboten, damit seinen Bauch zu füllen. Vom Millionen­erbe zum hungrigen Schweine­hirten – was für ein Absturz!

Was bedeutet das für unser Leben? Ich denke, es gibt keinen Menschen, der in seinem Leben nicht wenigstens einen Absturz erlebt. Manche erleben sogar viele Abstürze. Da platzen dann alle Träume, und man weiß nicht, wie es weitergehen soll. In solcher Not reagieren viele Menschen ebenso wie der verlorene Sohn: Sie kämpfen verzweifelt und versuchen, sich selbst zu helfen. So will es uns die Welt ja weis machen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, heißt es, und: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.“ Immer wieder werden wir auf­gefordert, unser Schicksal in die Hand zu nehmen, dann würde sich der Erfolg schon einstellen. Ein Körnchen Wahrheit ist daran – aber eben nur ein Körnchen! Der Job als Schweine­hirt bewahrte den verlorenen Sohn zwar vor dem sofortigen Verhungern, aber satt machte er ihn nicht, und glücklich auch nicht. Das Problem war, dass er sich in der Fremde an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen wollte. So ist das auch mit uns: Fern vom himmlischen Vater, fern von seiner Liebe kann letztlich niemand erfülltes Leben finden. Selbst wenn der Leib nicht hungern muss, so hungert doch die Seele. Letztlich ver­anschau­licht der Absturz des verlorenen Sohnes dies, dass ein Mensch in die Fallgrube der Sünde gestürzt ist und auch bei größter Anstrengung da nicht wieder heraus­krabbeln kann. Martin Luther hat das in seinen ersten Jahren als Mönch erfahren und später darüber gedichtet: „Ich fiel auch imm tiefer drein, / es war kein Guts am Leben mein, / zur Hölle musst ich sinken.“

Drittes Kapitel: Die Heimkehr. Dem verlorenen Sohn fällt plötzlich ein, dass er es zu Hause viel besser haben könnte – zu Hause bei seinem Vater. Aber wie soll er seinem Vater noch unter die Augen treten nach all dem, was vorgefallen ist? Da gibt es nur eine Möglich­keit: Er muss ehrlich bekennen, dass er Fehler gemacht hat. Er muss ein­gestehen, dass er seinen Vater zutiefst enttäuscht hat. Er hat nun kein Recht mehr, in die Position des reichen Sohnes zurück­zukehren. Demütig will er einfach darum bitten, ein unter­geordneter Mitarbeiter im Haushalt seines Vaters zu werden, ein einfacher Arbeiter nur. Hauptsache daheim, Hauptsache beim Vater – denn der wird ihn gut versorgen und am Leben erhalten. Gesagt, getan. Aber nun kommt etwas Über­raschendes: Der Vater erwartet den Sohns bereits. Als der Sohn sich seinem Elternhaus nähert, erkennt der Vater ihn schon von weitem, lässt alles stehen und liegen und läuft ihm entgegen. Großes Mitleid empfindet er mit dem ab­gemager­ten Burschen in zerlumpter Kleidung. Er fällt ihm um den Hals und begrüßt ihn über­schwänglich. Und als der Sohn seine Schuld bekennt und dann sagt: „Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße“, da fällt ihm der Vater ins Wort: Unsinn, natürlich bist du noch mein Sohn, das wirst du auch immer bleiben! Dann lässt er ihn erstmal neu einkleiden, so wie es sich für den Sohn eines reichen Mannes gehört, und schenkt ihm einen Siegelring als Zeichen, dass er zur Familie gehört.

Was bedeutet das für unser Leben? Es bedeutet: Zu wahrhaft gutem und erfüllten Leben können wir nur dann finden, wenn wir heimkehren – zurück zu unserm himmlischen Vater. Freilich können wir bei ihm nichts fordern und beanspruchen, wir müssen vielmehr beschämt unsere Schuld bekennen und bitten, dass uns der Vater nicht wieder fortschickt. Das ist keineswegs eine über­triebene christliche Demuts­haltung, denn überlegt einmal: Was habt ihr mit dem Vermögen gemacht, mit dem ihr ins Leben auf­gebrochen seid? Habt ihr es ganz so eingesetzt, dass es euren Mitmenschen dient und Gott ehrt? Wer sich nichts vormacht, muss diese Frage verneinen. Wenn wir nun so ehrlich und demütig zum Vater heimkehren, dann erleben wir dieselbe Über­raschung, die der verlorene Sohn erlebte: Der Vater hat schon auf uns gewartet! Er begrüßt uns voller Freude und lässt uns seine Liebe spüren. Auch macht er uns deutlich, dass wir seine geliebten Kinder sind und bleiben. Unsere Heimkehr zum himmlischen Vater ist bei unserer Taufe geschehen, und sie geschieht immer wieder aufs neue in der Beichte. Bei der Taufe haben wir „Christus angezogen“, wie es in der Bibel heißt (Gal. 3,27) – da merken wir: Die vornehmen Kleider, die uns der Vater bei der Heimkehr anlegen lässt, sind Christi Blut und Gerechtig­keit. Bei der Taufe, so heißt es ebenfalls in der Bibel, sind wir auch mit dem Heiligen Geist „ver­siegelt“ worden (Eph. 1,13) – da merken wir: Der Siegelring, den uns der Vater bei der Heimkehr schenkt, ist sein Geist. Ja, wenn wir heimkehren und demütig unsere Schuld bekennen, dann machen wir die beglückende Erfahrung: Der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist, bezeugen uns, dass wir zu seiner Familie gehören, und das soll auch für immer so bleiben.

Viertes Kapitel: Das Fest. Der Vater lässt das Mastkalb schlachten. Mit bestem Fleisch wird ein Freudenfest gefeiert, weil der verlorene Sohn heimgekehrt ist. Man isst nicht nur, sondern man singt auch und tanzt dazu. Der fröhliche Lärm dringt in die Abendstille hinaus. Da kehrt der ältere Bruder von der Feldarbeit zurück. Ein Knecht gibt ihm Auskunft, warum da im Haus spontan ein Fest gefeiert wird. Da wird der ältere Bruder wütend. Er weiß genau Bescheid, wie schäbig sich sein jüngerer Bruder dem Vater gegenüber verhalten hat. Er selbst dagegen hat seinem Vater immer treu gedient. Das hat der Vater stets als selbst­verständ­lich hingenommen und nie ein Fest für ihn aus­gerichtet; nun aber wird dem treulosen Bruder solche Ehre zuteil! Der ältere Sohn will sich gerade auf sein Zimmer verdrücken und dort weiter­schmollen, da kommt der Vater aus dem Haus und geht auf ihn zu. Er hört sich ruhig den Wutausbruch seines Ältesten an und antwortet dann gütig: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder­gefunden.“ Mit diesem freund­lichen Appell des Vaters endet das Gleichnis. Jesus hat nicht mehr verraten, wie der ältere Sohn auf diese Worte reagiert.

Und was bedeutet das für unser Leben? Es bedeutet, dass Jesus diesen Appell direkt an seine Zuhörer weitergibt – und damit auch an uns. Wer im Glauben lebt und Gott treu dient, der soll sich nicht ärgern, wenn Gott sich besonders über die Umkehr zweifel­hafter Zeit­genossen freut. Er soll nicht gering­schätzig herabsehen auf die, die Gottes Start­kapital ver­schleudert haben und nun als gebrochene Typen bei ihm Zuflucht suchen. Er soll sich vielmehr über ihre Heimkehr mitfreuen und mitfeiern. Das Fest ist das Ziel, und der Vater möchte, dass alle Söhne daran teilnehmen – der eine wie der andere. Dieses Fest hat jetzt schon begonnen. Hier im Gottes­dienst ist die gute Stube des Vater­hauses, wo wir gemeinsam singen und feiern und fröhlich sind. Und hier freuen wir uns auch über jeden, der nach einem Absturz den Weg zu Gott gefunden hat. Ja, das Fest hat schon begonnen – und im Himmel wird dann weiter­gefeiert in alle Ewigkeit! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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