Die Freiheit des neuen Bundes

Predigt über Jeremia 31,31‑34 zum Sonntag Exaudi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Unser Bundes­präsident Joachim Gauck hat seit seinem Amtsantritt immer wieder hervor­gehoben, was für ein kostbares Gut die Freiheit ist. Er hat auch immer wieder betont, dass die Freiheit ver­antwort­lich gelebt werden soll. Ein paar hundert Jahre früher hatte der Reformator Martin Luther sich für die christliche Freiheit stark gemacht. In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christen­menschen“ entfaltete er den Satz, dass ein Christ grund­sätzlich ein freier Herr und niemandem untertan ist; nur um der Liebe willen macht er sich zu jedermanns Knecht. Luther hat damit keine neue Lehre eingeführt, sondern nur die ver­schollene Evangeliums­botschaft des Neuen Testaments wieder ans Licht gebracht, denn Jesus und seine Apostel hatten bereits viele hundert Jahre vor Luther die christliche Freiheit ausgerufen. Zum Beispiel schrieb der Apostel Paulus an die Galater: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knecht­schaft auflegen“ (Gal. 5,1). Es handelt sich dabei um dieselbe Freiheit, die noch einmal hunderte Jahre zuvor von den Propheten des Alten Testaments voraus­gesagt worden war. Jeremia hat sie mit dem Begriff des „neuen Bundes“ verkündet. Er erinnerte dabei an die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten und kündigte dann eine neue Freiheit für die Zukunft an. Wir haben davon eben in unserm Gotteswort gehört.

Da möchte ich nun eure Aufmerksam­keit besonders auf eine Formu­lierung richten, die man leicht überhören kann. Gott sagte durch Jeremia: Der neue Bund ist nicht, „wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen.“ „Bei der Hand“ werden kleine Kinder genommen, die noch nicht eigen­verantwort­lich leben können, sondern die darauf angewiesen sind, dass ihre Eltern sie führen. So war das auch mit Gottes Volk zur Zeit des alten Bundes: Gott nahm sie bei der Hand, Gott gab ihnen viele Gebote und Gesetze, Gott unterwarf sie einer Fülle von Regeln und Ritualen, die zwar alle gut waren, die die Israeliten aber in einer gewissen Unfreiheit hielten. Der Apostel Paulus hat das im Nachhinein gut analysiert, und zwar ebenfalls im Galater­brief: Da hat er ge­schrieben, dass man Gottes Volk mit dem Sohn eines reichen Gutsherren vergleichen kann. Zur Zeit des alten Bundes war dieser Sohn noch klein und unmündig; er wurde vom Vater herum­kommandiert und Aufsehern unterstellt wie ein Knecht. Der neue Bund aber bringt die Voll­jährigkeit und damit die Freiheit des mündigen erwachsenen Sohnes. Er trägt nun selbst Verant­wortung und hat im väterlichen Betrieb viel zu sagen.

Wir, liebe Brüder und Schwestern, leben in diesem neuen Bund. Gott hat uns mit der Taufe in seinen neuen Bund hinein­genommen, und wir sind seine Kinder geworden – mündige Kinder, erwachsene Kinder, freie Kinder. Wir freuen uns darüber, dass Gott uns so hohe Wert­schätzung zeigt. Wir sind vielleicht auch manchmal etwas beklommen, weil wir merken, dass wir dieser Freiheit noch nicht so ganz gewachsen sind. Wie dem auch sei: Lasst uns mit unserm Gotteswort die christliche Freiheit erkennen und wert­schätzen!

Es sind drei Gesichts­punkte der Freiheit, die wir in dem Propheten­wort vom neuen Bund erkennen können.

Erstens: Gottes Gesetz ist uns ins Herz ge­schrieben. Gott sprach durch Jeremia: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.“ Das alte Volk Israel bekam Gottes Gesetz noch auf Steintafeln gemeißelt – das waren die Zehn Gebote, die Mose von seiner Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai mitbrachte. Dazu brachte er eine Fülle weiterer Gesetze mit, die er später auf Pergament schriftlich festhielt: Opfer­gesetze, Speise­gesetze, Reinheits­gesetze, gottes­dienst­liche Ordnungen und vieles andere mehr. Das alles brauchen wir eigentlich nicht mehr – jetzt, wo wir Gottes­kinder des neuen Bundes geworden sind. Der Heilige Geist gibt uns ein waches Gewissen und ein feines Gespür dafür, was gut ist und was nicht. Der Heilige Geist hat uns nämlich mit dem Evangelium die Liebe Gottes ins Herz gegossen, und genau diese göttliche Liebe ist der beste und letztlich einzige Maßstab für gut und böse. Als Jesus einmal nach dem höchsten Gebot gefragt wurde, da hat er ge­antwortet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt… Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesem beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Matth. 22,38‑39). Und der Apostel Paulus schrieb den Römern: „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ (Römer 13,10). Wenn wir Gottes Liebe in unsern Herzen herrschen lassen, dann brauchen wir keine Gebote auf Stein oder Papier mehr und dann müssen wir nicht mehr an der Hand gehalten werden, denn dann tun wir ganz von allein das Richtige und Gute. Die Liebe Gottes in unseren Herzen sorgt dann auch dafür, dass wir unsere christliche Freiheit nicht faul oder egoistisch miss­brauchen, sondern dass wir sie ver­antwort­lich gebrauchen – unsern Mitmenschen zugute.

Zweitens: Wir erkennen Gottes wahres Wesen. Gott sagte durch Jeremia über den neuen Bund voraus: „Es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: Erkenne den Herrn!, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß.“ Also: Nicht Lebens­erfahrung oder theo­logische Bildung führen zur wahren Gottes­erkenntnis, die dann von den Gelehrten an die Un­erfahrenen weiter­vermittelt wird, sondern jeder kann unmittelbar selbst Gottes wahres Wesen erfahren durch seine Liebe. Diese göttliche Liebe hat im neuen Bund ein mensch­liches Gesicht bekommen: An Jesus erkennen wir, wie sehr Gott uns liebt. Machen wir uns bewusst: In den Zeiten des alten Bundes war Gottes wahres Wesen verhüllt und verborgen; kaum einer wagte es, sich ihm zu nahen. Als Gott am Berg Sinai den alten Bund schloss, da verbarg er sich in einer Wolke auf dem Berg. Als er dann später in der Stiftshütte und im Tempel mitten unter seinem Volk wohnte, da war der aller­heiligste Raum, also sozusagen sein Thron­zimmer, durch einen Vorhang vom Rest des Heiligtums abgeteilt; nur der Hohe­priester durfte sich einmal im Jahr unter genauer Beachtung vor­geschrie­bener Rituale in das Aller­heiligste wagen. Es war so wie früher das Verhältnis kleiner Kindern zu ihren mächtigen Vätern: Sie durften da nicht einfach hinein­platzen, und sie hatten oftmals eine große Scheu vor dem Vater. Nun aber haben wir die Freiheit des neuen Bundes: Wir dürfen ohne Scheu zum himmlischen Vater kommen und ihm alles sagen, was wir auf dem Herzen haben. Der Vorhang im Tempel ist zerrissen, keine Wolke verhüllt Gott mehr: In Jesus begegnet uns Gottes wahres Wesen, nämlich seine grenzenlose Liebe, unverhüllt.

Drittens: Wir sind frei von der Macht der Sünde. Gott verkündigte durch Jeremia als Grundlage für den kommenden neuen Bund: „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ Ja, genau das ist die Wurzel unserer Freiheit! Jesus hat den neuen Bund auf­gerichtet, indem er unsere Sünde gesühnt hat. Damit werden wir frei von Schuld; frei von einem schlechten Gewissen; frei von der tödlichen Verdammnis, die Gott über die Sünde verhängt hat; frei von Angst vor Gott; frei auch von Angst vor den Menschen; frei, selber großzügig zu vergeben, wo andere an uns schuldig werden. In der Sünden­vergebung liegt der Kern der göttlichen Liebe. Es geht dabei gar nicht darum, dass wir nett zu Menschen sind, die ihrerseits auch zu uns nett sind; das ist ein ganz natürliches mensch­liches Verhalten, das ist eigentlich selbst­verständ­lich. Es geht darum, dass der Teufels­kreis von Schuld und Hass und Feindschaft durch­brochen wird. Der Vater im Himmel selbst hat diesen Teufels­kreis durch­brochen, indem er seinen ein­geborenen Sohn auf seine gewaltige Liebes­mission sandte für Leute, die das überhaupt nicht verdient haben – nämlich für uns!

Liebe Brüder und Schwestern, an diesen drei Gesichts­punkten des neuen Bundes erkennen wir, dass die christliche Freiheit immer aus der Kraft der Liebe lebt. Mit dieser Freiheit können wir auch nur dann ver­antwort­lich umgehen, wenn wir sie in der Kraft der Liebe Christi nutzen. Denn erstens: Mit der Liebe Christi ist uns Gottes Gesetz ins Herz ge­schrieben. Und zweitens: Durch die Liebe Christi erkennen wir Gottes wahres Wesen. Und drittens: Die Liebe Christi hat uns von der Macht der Sünde befreit. Kurz: Freiheit und Liebe gehören untrennbar zusammen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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