Gerechte

Predigt über Psalm 34,16‑23 zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Botschaft unsers Gottes­wortes ist klar und einfach: Gott kümmert sich liebevoll um die Gerechten, aber die Gottlosen tötet er. Fragt sich nur: Wer sind denn die Gerechten, und wer sind die Gottlosen? Bei bestimmten Persönlichkeiten der Geschichte könnten sich die meisten da vermutlich schnell einig werden. Mutter Teresa oder Albert Schweitzer zum Beispiel haben sich aufopfernd um andere Menschen gekümmert und waren offen­sichtlich Gerechte. Adolf Hitler und Josef Stalin haben unsägliches Leid über viele Völker gebracht und unzählige Menschen­leben auf dem Gewissen; sie waren offen­sichtlich Gottlose. Aber was ist mit den vielen Menschen dazwischen? Was ist mit denen, die zwar nicht so gut sind wie Mutter Teresa, aber auch nicht so schlecht wie Adolf Hitler? Was ist zum Beispiel mit Christian Wulff? Ist der ein Guter oder ein Böser, ein Opfer oder ein Täter, ein Gerechter oder ein Gottloser? Wo liegt die Grenzlinie zwischen gut und böse, zwischen gerecht und gottlos? Ganz wichtig wird diese Frage, wenn jeder sie im Blick auf sich selbst stellt: Bin ich eher ein kleiner Albert Schweitzer oder eher ein kleiner Josef Stalin? Bin ich eher gut oder eher böse, eher gerecht oder eher gottlos?

Wir sind geneigt, aus dem Bauch heraus zu antworten: Ich gehöre zum Mittelfeld und kann mich deshalb nicht in die Nähe von Albert Schweitzer rücken, aber Stalin liegt mir noch ferner. Ich mag zwar dicht an der Grenzlinie sein – aber doch wohl auf der Seite der Guten und Gerechten, oder? Wenn das nicht so wäre, dann müsste ich ja ernsthaft um mein Seelenheil fürchten. Wie heißt es doch gleich in unserm Psalmwort? „Den Gottlosen wird das Unglück töten.“ Ähnlich werden wir über all diejenigen urteilen, die uns sympathisch sind. Ihre und unsere Sünden erscheinen uns klein und harmlos; im Großen und Ganzen sind wir nette Kerle, denen Gott doch nicht ernstlich böse sein kann, oder?

An dieser Stelle müssen wir uns klarmachen, dass es nicht auf unser Bauchgefühl ankommt, sondern auf Gottes Urteil. Gott fällt dieses Urteil nach dem Maßstab seines heiligen Gesetzes, und das lautet zusammen­gefasst so: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften… Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Markus 12,30‑31). Wer hält sich an dieses Gesetz, und wer übertritt es? Der Apostel Paulus, ein großer Kenner der Heiligen Schrift und des mensch­lichen Herzens, ist vom Heiligen Geist zu der Erkenntnis geführt worden: Niemand hält sich an dieses Gesetz, alle übertreten es. Er schrieb im Römerbrief: „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten“ (Römer 3,23). Bereits im ersten Buch der Bibel finden wir Gottes Fest­stellung: „Das Dichten und Trachten des mensch­lichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1. Mose 8,21). Nach Gottes Maßstab sind alle Menschen böse; keiner ist un­einge­schränkt gut – sogar Mutter Teresa nicht, und auch nicht Albert Schweitzer. Habgier, Machtgier und andere Formen von Egoismus sind keinem Menschen fremd, auch wenn sie bei den meisten nicht so brutal zutage treten wie bei Hitler oder Stalin. Darum sollten wir auch sehr vorsichtig sein mit unserem Urteil über andere. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Heißt das nun, dass wir nur resigniert auf unsern Tod warten können und auf das letzte ver­nichtende Strafurteil Gottes? Nein, das heißt es nicht. Es gibt da nämlich eine gute Nachricht, die alles in einem andern Licht erscheinen lässt. Diese gute Nachricht finden wir auch in unserm Psalmwort, wenn wir genau hinschauen. Es ist da nämlich eigentlich nicht von Guten und Bösen die Rede, auch nicht von Gesetzes­treuen und Gesetzes­brechern. Es ist da vielmehr von Gerechten und Gottlosen die Rede. Die gute Nachricht lautet nun: Du kannst ein Gerechter werden, auch wenn du böse bist, auch wenn du Gottes Gesetz gebrochen hast. Du kannst ein Gerechter werden, indem du einfach darauf vertraust, dass Gott selbst dich gerecht macht. So heißt es am Ende unsers Psalmworts ganz klar: „Alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld.“ Das ist die Glaubens­gerechtig­keit, die Paulus im Römerbrief ausführlich entfaltet hat. Da schrieb er unter anderem: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Römer 3,28). Aber nicht durch irgendeinen Glauben, sondern durch den Glauben an Gottes ein­geborenen Sohn Jesus Christus! Denn wegen seines Opfertodes am Kreuz sieht Gott Sünder als Gerechte an. Auch wenn unser Psalmwort schon tausend Jahre vorher entstanden ist, so ist doch eben dieser Christus-Glaube gemeint – der Glaube an den Erlöser nämlich, dessen Kommen Gott oftmals durch Propheten vor­angekündigt hat. Noch einmal: „Alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld.“ Alle, die an Gott und den Erlöser glauben, werden Gerechte. Wer ihm allerdings nicht vertraut, der sagt sich von Gott los und bleibt deshalb ein Gottloser. Wir sehen: Ob jemand ein Gerechter oder ein Gottloser ist, das entscheidet sich nicht an seinem Tun, sondern an seinem Glauben.

Bei dieser guten Nachricht können wir aufatmen und sagen: Danke, Gott, dass ich un­verdienter­weise ein Gerechter sein darf; dass ich zu dir gehören darf; dass ich unter deiner liebevollen Zuwendung leben darf! Gottes liebevolle Zuwendung bedeutet freilich nicht, dass wir nun wie im Schlaraffen­land leben. Achten wir nur mal darauf, wie die Gerechten auch genannt werden in diesem Psalmwort: zerbrochene Herzen, zer­schlagene Gemüter und Leidende! Da heißt es zum Beispiel: „Der Gerechte muss viel erleiden, aber aus alledem hilft ihm der Herr.“ Seht, das ist der ent­scheidende Unter­schied: Der Gerechte kann stets damit rechnen, dass Gott ihm aus allem Leid heraushilft und am Ende die ewige Seligkeit schenkt. Der Gottlose dagegen wird am Ende aus Gottes Gegenwart verbannt, auch wenn er eine Zeit lang ein angenehmes Leben hatte. Der Gerechte mag in noch so leidvolle Situationen kommen, die Hölle wird das niemals für ihn sein, denn das Ent­setzliche an der Hölle ist ja, dass es keine Hoffnung mehr gibt, der Gerechte aber hat in jeder Lebenslage Hoffnung. Es heißt ja: „Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien.“ Gott hat ständig vor Augen, wie es uns geht, und er hat ständig ein offenes Ohr für unsere Gebete. Und dann unternimmt er auch etwas, um uns zu helfen: „Wenn die Gerechten schreien, so hört der Herr und errettet sie aus all ihrer Not.“ Egal, wie groß die Not ist, eines weiß der Gerechte ganz sicher: Gott ist da, Gott ist unmittelbar in der Nähe. „Der Herr ist nahe denen, die zer­brochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zer­schlagenes Gemüt haben. Der Gerechte muss viel erleiden, aber aus alledem hilft ihm der Herr.“ Er hilft ihm so, dass er nicht dauerhaft Schaden nimmt; vielmehr wird er bewahrt zum ewigen Leben. Und das alles als un­verdientes Geschenk Gottes an Sünder, die eigentlich den ewigen Tod verdient haben.

Ja, es ist herrlich, ein Gerechter zu sein! Es ist herrlich, Gott zu vertrauen! Es hilft nicht nur in schweren Zeiten, sondern auch in guten. David hat diesen Psalm in schwerer Zeit gedichtet, als König Saul ihm nach dem Leben trachtete. David versuchte damals, bei den be­nachbarten Philistern Unter­schlupf zu finden und wendete sich deshalb an König Achisch von Gat. Der aber wurde von seinen Beratern gewarnt, dass David ein böser Feind sei. Nur mit knapper Not, nur mit einer List entkam David aus dieser gefähr­lichen Situation: Er simulierte einen Tobsuchts­anfall und wurde deswegen als harmloser Irrer davon­gejagt. Unter dem Eindruck dieser geglückten Flucht dichtete David den 34. Psalm, dessen Schlussteil wir eben betrachtet haben. Aber wie gesagt, auch in einem ganz normalen und un­gefähr­lichen Leben gilt: Gott ist da, Gott ist nah, Gott hilft, Gott rettet, Gott schenkt ewiges Leben – uns allen, die wir ihm vertrauen und dadurch gerecht geworden sind. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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