Die schwere Reise und das schöne Ziel

Predigt über Lukas 13,31‑35 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Freund sagt zu seinem Freund: Wenn du so weiter arbeitest, kriegst du bald einen Burnout. Der antwortet: Ich muss so weiter­arbeiten, denn sonst verliere ich meinen Job. – Ein Meteorologe sagt zu einem Extrem­bergstei­ger: Wenn du heute auf diesen Berg willst, dann mach lieber vorher dein Testament, es zieht nämlich ein Gewitter auf. Der antwortet: Ich liebe das Risiko. – Ein Arzt sagt zu einer berühmten Pop-Sängerin: Diese Tournee stehen Sie nicht durch; Sie halten sich ja nur noch mit Aufputsch­mitteln über Wasser. Die antwortet: Wenn ich die Tour jetzt abbreche, kann ich meine Karriere vergessen. – Einige Pharisäer sagten zu Jesus, der gefährlich nahe an Jerusalem heran­gekommen war: „Mach dich auf und geht weg von hier; denn Herodes will dich töten.“ Jesus antwortete ihnen: „Ich muss heute und morgen und am folgenden Tag noch wandern; denn es geht nicht an, dass ein Prophet umkomme außerhalb von Jerusalem.“

Die Frage ist doch die: Wann lohnt es sich, ein Risiko einzugehen? Diese Frage stellt sich immer dann besonders dringend, wenn es um ein Risiko für Leib und Leben geht. Jeder, der sich in einer ent­sprechenden Situation befindet, sollte dieser Frage nicht ausweichen, sondern sich ihr ernsthaft stellen. Wann also lohnt es sich, ein Risiko für Leib und Leben einzugehen? Manche antworten: Niemals! Aber dann wird niemand mehr Feuerwehr­mann werden oder Polizist. Auch Jesus hätte dann un­verantwort­lich leicht­sinnig gehandelt, als er mit seinen Jüngern nach Jerusalem reiste, wo seine Feinde nur darauf warteten, ihn zu töten. Die Antwort „niemals“ stimmt also nicht – ebensowenig wie die Antwort „immer“. Wer jede Warnung in den Wind schlägt und immer bis ans Limit geht, der versucht Gott, und das ist schlecht.

Wir brauchen also eine differen­zierte Antwort auf die Frage: Wann lohnt es sich, ein Risiko einzugehen? Da können wir zunächst unsere Vernunft befragen, mit der uns Gott nicht zuletzt auch für solche Fälle aus­gestattet hat. Die Vernunft antwortet: Lebens­gefahr lohnt sich immer dann nicht, wenn es nur darum geht, seinen sportlichen oder künstle­rischen Ehrgeiz zu be­friedigen. Und wahr­schein­lich ist es auch nicht gut, sich kaputt­zuarbeiten, nur damit mein Chef mehr verdient und mein Job gesichert ist. Schon eher lohnt sich das Risiko, wenn man dadurch Menschen in Not helfen und sie womöglich aus Lebens­gefahr retten kann. Achten wir auf Jesus, dann gibt es auch eine Antwort, die über die Antworten der Vernunft hinausgeht. Jesus sagte: „Ich muss heute und morgen und am folgenden Tag noch wandern“ – nämlich so lange weiter­wandern, bis ich direkt in Jerusalem bin, direkt in der Höhle des Löwen. Hinter dem Wörtchen „muss“ steckt der Wille des himmlischen Vaters. Jesus hätte auch sagen können: Es ist der Wille meines himmlischen Vaters, dass ich jetzt nach Jerusalem reise und dort mein Leben zur Erlösung für die Menschheit hingebe. Jesus kannte das göttliche Muss hinter seinem Auftrag, und damit war die Frage, ob er sich in diese Gefahr begeben oder lieber vor ihr fliehen sollte, eindeutig be­antwortet.

Nun hat Jesus die Begründung seines Ent­schlusses freilich in so merkwürdige Worte gekleidet, dass wir sie uns etwas genauer ansehen müssen. Weil er gerade auf Wander­schaft war, nahm er den Fußweg als Gleichnis für seinen ganzen Lebensweg beziehungs­weise für Gottes Heilsweg mit uns Menschen. Er sagte: „Siehe, ich treibe böse Geister aus und mache gesund heute und morgen, und am dritten Tag werde ich vollendet sein.“ Zwei Jahre konnte Jesus bereits in der Öffentlich­keit wirken, predigen und heilen. Jetzt, im dritten Jahr, ist nach Gottes Willen das Leiden und Sterben dran. „Ich werde vollendet sein“, sagte Jesus, und benutzte dabei dieselbe Vokabel, die dann am Kreuz als letztes Wort aus seinem Mund kam: „Es ist vollendet“ oder „es ist vollbracht“ (Joh. 19,30). Jerusalem musste der Ort sein, wo er das Heilswerk vollendete – nicht nur durch seinen Tod auf dem Hügel Golgatha, sondern danach auch durch seine Auf­erstehung am dritten Tag und die Himmel­fahrt. Die Stadt Jerusalem ist ein Sinnbild für Gottes Volk in Gottes Gegenwart. Jesus hat seinen Heilsweg in Jerusalem vollendet, damit alle Menschen durch ihn mit dem Vater versöhnt werden und für immer zu seinem Volk gehören. Wenn ein Jude damals nach Jerusalem pilgerte, wurde er am Tempel traditio­nell mit dem Psalmwort begrüßt: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Psalm 118,26). Auch Jesus selbst wurde so begrüßt, als er nach langer Reise endlich in Jerusalem einzog, reitend auf einem Esel: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn!“ (Lukas 19,38). Darum sagte Jesus den warnenden Pharisäern, die aus Jerusalem zu ihm gekommen waren, voraus: „Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis die Zeit kommt, da ihr sagen werdet: Gelobt ist, der da kommt im Namen des Herrn!“ Aber auch hier liegt eine tiefere Bedeutung unter dem Gleichnis seiner Wanderung: Am Ende seiner gesamten Erdenreise kehrt er trium­phierend in Gottes ewigen Tempel zurück, in sein himmlisches Haus, und wird da von den Engeln empfangen. Und weil er das Heilswerk dann vollendet hat, bringt er alle Menschen, die ihm vertrauen, mit in diesen himmlischen Tempel. Nach dem Jüngsten Gericht wird er zu ihnen sagen: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“ (Matth. 25,34).

Was für ein herrliches Ziel! Für dieses Ziel hat Jesus seinen schweren Leidensweg auf sich genommen. Was ihn auf diesem Weg allerdings am meisten bekümmerte, das waren nicht die bevor­stehenden Qualen. Es war vielmehr das Wissen darum, dass viele Menschen seine Erlösung ablehnen – auch Menschen aus Gottes altem Bundesvolk Israel, auch Einwohner der heiligen Stadt Jerusalem. Er sagte: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt werden, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!“ Ja, oft schon hatten Propheten Gottes Erlöser angekündigt und zum Glauben an ihn aufgerufen. Nun, wo der Erlöser wirklich da war, lehnten die führenden Juden ihn ab und trachteten ihm sogar nach dem Leben. Dasselbe erleben wir heute im sogenannten christ­lichen Abendland, besonders aber in Mittel­deutsch­land, der Wiege der Re­formation: Jesus muss sich viel Nicht­achtung, Verachtung oder Spott gefallen lassen. Ja, darunter litt und leidet er am meisten; und wir, die wir zu ihm gehören, leiden mit.

Größer als das Leiden ist aber die Freude darüber, dass er uns erlöst hat. Er ist aus Liebe zum himmlischen Vater und zu uns den schweren Weg bis zum bitteren Ende gegangen. Er hat nicht aufgegeben, bevor vollendet und vollbracht war, was uns zu Gott bringt und für immer mit ihm leben lässt. Er nimmt uns mit auf den Weg, der zwar oft schwierig und leidvoll ist, der aber dort enden wird, wo es heißt: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ So werden wir, wenn es denn Gottes Wille ist, getrost auch solche Wege gehen, die eine Gefahr für Leib und Leben darstellen. Und wenn wir ganz verzagt sind, wenn unser Glaube klein und die Sorgen groß werden, dann tröstet er uns mit diesem herrlichen Bild: Er schenkt uns bei sich Geborgen­heit, wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel versammelt. Darum können wir unser ganzes Leben lang unverzagt beten, wie es die meisten von uns schon als Kinder gelernt haben: „Breit aus die Flügel beide, / o Jesu, meine Freude, / und nimm dein Küchlein ein. / Will Satan mich ver­schlingen, / so lass die Engel singen: / Dies Kind soll unverletzet sein.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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