Der Regierungssprecher

Predigt über 2. Korinther 12,1‑10 zum Sonntag Sexagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jede anständige Regierung hat einen Regierungs­sprecher. Ein Regierungs­sprecher ist so eine Art Botschafter für die Presse und für das eigene Volk. Er soll ihnen die Standpunkte der Regierung deutlich machen. Seine eigene Meinung spielt dabei keine Rolle. Trotzdem ist ein Regierungs­sprecher ein Mensch mit bestimmten Eigenarten; das kann er bei der Ausübung seines Amtes nicht verstecken, und das soll er auch gar nicht. Im Gegenteil: Der Regierungs­sprecher kann seine Persönlich­keit mit dazu einsetzen, dass die Botschaft der Regierung gut rüberkommt. Das fängt schon bei Äußerlich­keiten an: Wenn der Regierungs­sprecher auf einer Presse­konferenz korrekt gekleidet und gut frisiert ist, wenn seine Schuhe geputzt und seine Fingernägel sauber sind, dann macht er einen seriösen Eindruck, und man wird seinen Worten eher Glauben schenken. Auch sollte er gesund und belastbar sein, auf scharfe Interview-Fragen freundlich antworten können sowie insgesamt einen sympathischen Eindruck machen. Kurz: Eine starke Regierung sucht sich einen starken Regierungs­sprecher, denn seine Persönlich­keit soll der Botschaft entsprechen.

Der dreieinige Gott ist die oberste Regierung. Auch er hat Regierungs­sprecher. Ein ganz bedeutender unter ihnen war der Apostel Paulus. „Apostel“ heißt auf deutsch „Abgesandter“ oder „Bot­schafter“. Allerdings gab es eine Zeit, wo die Christen in Korinth daran zweifelten, dass Paulus wirklich ein Apostel war, ein „Regierungs­sprecher“ Gottes. Sie hielten ihm vor, dass er ja gar nicht zum Kreis der zwölf Jünger gehörte, die Jesus in seinen Erdentagen begleitet hatten. Außerdem nahmen sie Anstoß an seinem persönlichen Auftreten. Sie fanden zum Beispiel, dass dieser kränkliche Mann längst nicht so gut reden kann wie andere Apostel.

Paulus war ein demütiger Mensch. Er selbst war es gewesen, der seinen ur­sprünglichen Namen „Saulus“ in „Paulus“ umgeändert hatte, das heißt „der Kleine“, „der Geringe“. Im 2. Ko­rinther­brief betonte er mehrfach, dass er sich am liebsten seiner Schwachheit rühmt. Da merken wir, dass er nun in einer Zwickmühle steckte: Einerseits wollte er demütig und bescheiden sein, andererseits musste er sich gegen die falsche Behauptung wehren, er sei gar kein richtiger Apostel. Er musste die Korinther davon überzeugen, dass er als schwacher Mensch nichts anderes als die starke Botschaft von Jesus Christus verbreitete.

Paulus löste diese schwierige Aufgabe in dem Abschnitt seines Briefes an die Korinther, den wir eben als Predigttext gehört haben. Er löste sie, indem er von sich selbst wie von zwei verschiedenen Personen sprach: Die eine Person ist der Botschafter des starken Gottes, die andere Person ist der schwache Mensch Paulus. Als Botschafter Gottes rühmte er sich der Offen­barungen, die er direkt von Christus empfangen hatte; als Mensch rühmte er sich seiner Schwachheit.

Schauen wir zunächst auf seinen ersten Ruhm. Nur widerstrebend war Paulus dazu bereit, sich seiner Offenbarungen zu rühmen. Er sagte: Eigentlich ist solches Rühmen ja nicht gut, aber jetzt muss es sein, damit kein falscher Eindruck von mir entsteht. Und dann schrieb er Näheres über die Offen­barungen, die er empfangen hatte – jedoch mit großem inneren Abstand: Er sprach von sich selbst wie von einem entfernten Bekannten. Paulus schrieb: „Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es – da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.“ Das geschah in der Zeit zwischen der Bekehrung des Paulus und dem Beginn seiner Predigt­tätigkeit. Wir würden dieses Ereignis heute eine Vision nennen. Paulus erlebte Gottes Himmel und die Gegenwart des Herrn Jesus Christus damals allerdings so real, als wenn er leibhaftig im Himmel gewesen war; er kann nicht einmal sagen, ob diese Begegnung im Traum oder in der Wirklichkeit stattgefunden hatte. Paulus nannte Gottes Himmel hier den „dritten Himmel“ im Unterschied zum „ersten Himmel“ über uns, nämlich dem Wolkenhimmel, und auch im Unterschied zum „zweiten Himmel“, dem Sternen­himmel. Bei diesem wunderbaren Offenbarungs­ereignis geschah es, dass Paulus von Christus selbst die Botschaft empfing, die er danach als sein Regierungs­sprecher bekanntgeben sollte. Er hörte diese Botschaft zunächst mit „un­aussprech­lichen Worten“, wie er schrieb. „Engelzungen“ hat er diese himmlische Sprache an anderer Stelle genannt, „Sprache der Engel“. Gottes Geist befähigte ihn, diese Sprache zu verstehen. Es war das ganze Evangelium, die starke Botschaft von Gottes Liebe in Christus, die Paulus da empfing. Auch den Galatern hat Paulus davon berichtet; in seinem Galaterbrief kann man lesen: „Ich habe das Evangelium nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi“ (Gal. 1,12). Ja, dieses Evangelium ist der erste Ruhm des Paulus – eigentlich nicht sein eigener Ruhm, sondern Gottes Ruhm, den er als dessen Apostel den Menschen weiter­vermitteln sollte.

Schauen wir nun auf den zweiten Ruhm des Paulus, auf den Ruhm der Schwachheit. Das ist jetzt sein ganz eigener Ruhm; da sagte er „ich“; da hatte er auch keine Scheu mehr zu rühmen. Vielmehr schrieb er: „Am allerliebsten will ich mich meiner Schwachheit rühmen.“ Bereits im vorigen Kapitel hatte er aufgezählt, was ihn alles für Leiden belasten: Todesnöte, Prügel­strafen, Steinigung, Schiffbruch, gefährliche Reisen, Raub­überfälle, Feindschaft, Arbeits­stress, Schlafmangel, Hunger, Durst, Kälte und viele, viele Sorgen! Hier nun kam er besonders auf seine chronische Krankheit zu sprechen. Er schrieb von einem „Pfahl im Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlägt“. Wir wissen nicht genau, was das für eine Krankheit war; vielleicht eine Sehschwäche oder ein Nervenleiden. Nun war es allerdings nicht so, dass Paulus sich über die Krankheit an sich gefreut hätte. Nein, im Gegenteil, er wäre sie gern losgeworden. Mehrmals hatte er zu Gott gebetet, dass er ihn heilt. Er schrieb mit Blick auf den Satansengel: „Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche.“ Aber Gott erfüllte diesen Wunsch nicht. Trotzdem hatte Gott das Flehen des Paulus gehört und ihm auch geantwortet. Seine Antwort ist der berühmte Satz: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Durch diese Antwort bekam Paulus eine andere Einstellung zu seiner Krankheit, und diese andere Einstellung ließ ihn schreiben: „Am allerliebsten will ich mich meiner Schwachheit rühmen.“

Rein menschlich betrachtet ist das un­verständlich. Ein Regierungs­sprecher sollte doch stark und belastungs­fähig sein. Er sollte eine starke Persönlich­keit besitzen, um überzeugend die Botschaft der Regierung rüberbringen zu können. Seine Persönlich­keit sollte der Botschaft entsprechen. Bei Paulus ist es genau umgekehrt: Gottes starke Botschaft kommt durch einen schwachen und kränklichen Boten! Warum hat sich die höchste Macht ausgerechnet diesen Regierungs­sprecher ausgesucht? Oder warum hat Gott diesen Apostel nicht geheilt und gestärkt, sodass er die starke Heils­botschaft besser verkündigen konnte? Paulus erkannte: Gott hat ganz bewusst darauf verzichtet. Gott wollte keinen selbst­bewussten Apostel, sondern einen, der sich nur seiner Schwachheit rühmt. Paulus schrieb: „Damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch.“ Die Schwachheit des Boten gehört zu Gottes Regierungs­programm. Denn es geht hier ja nicht um die starke Botschaft einer menschlichen Regierung, sondern es geht hier um die starke Botschaft der göttlichen Regierung. Gott ist kein Mensch, er regiert ganz anders als Menschen. Damit wir erkennen, dass die Botschaft von ihm kommt und nicht von einem Menschen, hat er seine Botschaft in menschliche Schwachheit eingekleidet. Ein Mensch käme nicht auf die Idee, in Schwachheit stark zu sein; das zeigt vielmehr Gottes Handschrift. Darum erniedrigte sich Gott auch selbst und wurde ein schwacher Mensch in Jesus Christus. Darum erlöste er uns durch Leiden und Sterben. Und darum schickte er einen kränklichen Apostel aus, um das Wort vom Kreuz in die Welt zu tragen. Er heilte die Leiden des Paulus nicht, sondern er ließ ihn bloß wissen: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Gott zeigte damit, dass sein göttliches Handeln ganz anders ist als menschliches Handeln, geradezu gegen­sätzlich. Und er zeigte darüber hinaus: Meine gute Nachricht verspricht das Heil nicht den Starken, den Gesunden, den Gerechten, den Siegern, sondern vielmehr den Schwachen, den Kranken, den Sündern, den Mühseligen und Beladenen. Ja, das ist das Evangelium – das starke Wort von Gottes Gnade, die in den Schwachen mächtig ist!

Dieser Bogen lässt sich über die ganze Kirchen­geschichte weiter­spannen. In den ersten Jahrhunderten nach Christus wurden viele Christen um ihres Glaubens willen umgebracht von den Mächtigen der Welt. Aber ihr un­erschrockenes Zeugnis von Gottes Liebe festigte Gottes Reich und breitete es weiter aus. Auch bei diesen sogenannten Märtyrern zeigte sich, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist. Dann kam das Mittelalter, wo die Kirche durch allerlei Macht­missbrauch und Gräueltaten geschwächt wurde, die in ihrem Namen geschahen. Wäre die Kirche eine menschliche Organisation, dann wäre sie da hundertmal moralisch bankrott gegangen. Aber wieder erwies sich Gottes Gnade in den Schwachen mächtig: Die Macht des Evangeliums ist nicht nur zweitausend Jahre hindurch erhalten geblieben, sondern hat sich in dieser Zeit auch über die ganze Welt ausgebreitet. So ist die ganze christliche Kirche mit all ihren Evangeliums­boten bis heute gleichsam Gottes Regierungs­sprecher nach dem Vorbild des Paulus: eine schwache, kranke und angefochtene Organisation, in der sich Gottes Gnade immer wieder neu mächtig erweist.

Das können wir auch in der Gegenwart und in unserer kleinen Kirche erleben. Im Moment steht sie gerade wieder vor enormen finanziellen Heraus­forderungen; es ist nicht zu erkennen, wie die Pfarrer­gehälter in ein paar Jahren noch gezahlt werden können. Auch erleben wir viel Abwanderung sowie auch Schwachheit und Not bei denen, die sich treu zur Gemeinde halten. Die Pfarrer sind meistens keine starken und strahlenden Persönlich­keiten; unter ihnen gibt es viel Krankheit und Not. Erwarten wir nur nicht, dass es anders sein muss! Noch einmal: Gott ist keine menschliche Regierung; er muss nicht durch kraftvolles Auftreten starker Persönlich­keiten auftrumpfen. Vielmehr gilt noch heute seine Devise, an der wir seine Handschrift erkennen können: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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