Wie Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist

Predigt über 2. Korinther 12,9 zum Altjahrsabend

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Oft kann man darüber staunen, was schwache Menschen alles zuwege bringen. So geschieht es immer wieder, dass Sportler, denen man als Außenseiter keine Chancen eingeräumt hat, plötzlich auf dem Sieger­treppchen stehen. Oder es geschah vor fast fünfhundert Jahren, dass der un­bedeutende und politisch völlig unbedarfte Augustiner­mönch Martin Luther mit seinen theo­logischen Erkennt­nissen plötzlich ganz Europa auf den Kopf stellte und eine Kirchen­reformation bewirkte, die noch heute ihre Früchte trägt. Oder es geschah vor etwa dreitausend Jahren, dass ein kleiner, nur leicht bewaffneter Hirtenjunge David dem kriegs­erfahrenen und hoch­gerüsteten Riesen Goliat gegenüber­trat und ihn mit Gottes Hilfe zur Strecke brachte. An solchen Beispielen zeigt sich, dass Gottes Kraft in schwachen Menschen sehr stark und mächtig sein kann – wie es in der Jahreslosung für 2012 heißt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Die Leute, die dieses Gotteswort für 2012 ausgesucht haben, dachten sich vielleicht: Solchen Davidsmut können alle Menschen gut gebrauchen! Wir tun gut daran, uns vor Augen zu führen, dass nicht immer nur die Starken Erfolg haben und gewinnen, sondern dass wir auch dann etwas bewegen können, wenn wir schwach sind. Man muss nicht besonders reich, mächtig, klug oder gesund sein, um etwas Gutes auf die Beine zu stellen. Wer solchen Davidsmut nicht hat, der wagt nichts, der probiert es gar nicht erst, der fängt gar nicht erst an. Wer solchen Davidsmut nicht hat, der ist schnell entmutigt und sagt: Ich bin zu schwach, ich schaffe ja sowieso nichts; die Starken sind es, die sich immer wieder durchsetzen. Lasst uns aber nicht re­signieren, sondern Davidsmut aufbauen und dazu Gottes Ermutigung aus der Jahres­losung annehmen: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Allerdings ist damit die Botschaft der Jahres­losung noch nicht aus­geschöpft; ja, sie ist eigentlich noch gar nicht richtig gefunden. Denn was in der Jahres­losung als selbst­ständiger Satz erscheint, ist nur der zweite Teil eines längeren Satzes. Der voll­ständige Satz lautet in der Bibel so: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Da bekommt die Jahres­losung gleich einen anderen Sinn. In diesem Zusammen­hang sagt sie uns: Bei Gott müssen wir gar nichts auf die Beine stellen, wir müssen keine Riesen besiegen, keine Kirche reformieren und auch keinen Wettkampf gewinnen. Wir können einfach sagen: Gottes Gnade ist mir genug! Dass ich sein geliebtes Kind bin, daran lasse ich mir genügen! Dass Jesus mir die Sünden vergibt und im Gericht gnädig ist, das ist letztlich alles, was ich brauche! „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ – so sprach Gott zu dem eifrigen Missionar Paulus, der unermüdlich in Asien und Europa herum­reiste, um Menschen für Christus zu gewinnen und neue Gemeinden zu gründen. Oder besser, so sprach Gott zu dem kranken und leid­geplagten Missionar Paulus, der so gerne noch viel mehr für Gott getan hätte, als es seine schwachen Kräfte zuließen: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Und da merken wir: Dieses Wort ermutigt uns eigentlich nicht so sehr zu einem Davidsmut, sondern vielmehr zu einer Paulus-Demut. Einst hieß Paulus Saulus, aber er hat sich selbst demütig den Namen Paulus gegeben: Paulus heißt „der Kleine“, „der Geringe“, „der Schwache“.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, es ist nicht verkehrt, wenn wir das neue Jahr mit Davidsmut angehen. Viel wichtiger ist es aber, dass wir sowohl das alte als auch das neue Jahr mit Paulus-Demut betrachten.

Wenn wir das tun, dann müssen wir rück­blickend sagen: Leider habe ich mir im vergangenen Jahr nicht immer an Gottes Gnade genügen lassen. Vielmehr hatte ich darüber hinaus große Wünsche und hohe Ansprüche. Und wenn sie nicht erfüllt wurden, dann bin ich ungeduldig und unzufrieden geworden. Wir wollen das zum Jahresende in die Beichte bringen und Gott um Vergebung bitten. Zugleich wollen wir ihn bitten, dass er uns für das neue Jahr ein dankbares und zufriedenes Herz schenkt, auch wenn nicht alle unsere Wünsche und Erwartungen in Erfüllung gehen.

Ferner können wir rück­blickend sagen: Vieles ist uns gelungen, bei vielen Dingen hatten wir Erfolg – trotz unserer Schwach­heit. Lasst uns das nicht vergessen, sondern bewusst und fröhlich ausrufen: Danke, Gott, dass ich deine Kraft erleben durfte, die in mir Schwachen mächtig war! Danke für alles, was du durch mich auf die Beine gestellt und Gutes getan hast!

Wir werden aber auch rück­blickend sagen: So manches ist schief gegangen, so manches Vorhaben ist ge­scheitert. Es gibt wohl keinen Menschen, der nicht auch Misserfolge einstecken muss; trotz dieser Erkenntnis sind Misserfolge bitter. Gottes Gnade aber nimmt ihnen viel von ihrer Bitterkeit. Denn wenn ich mich von Gott geliebt weiß, unabhängig von meinen Werken und Leistungen, dann können die Misserfolge nicht mehr an meinem Selbstwert­gefühl kratzen. Mein Wert steht und fällt ja nicht mit meinen Leistungen und Miss­erfolgen, sondern er steht mit Gottes Gnade. Ich bin und bleibe wertvoll in Gottes Augen, weil ich durch Jesus sein Kind geworden bin und ein Erbe des ewigen Lebens.

So wie wir unter Gottes Gnade zurück­blicken, so lasst uns auch voraus­blicken! Demütig und bescheiden wollen wir sein im Blick auf das neue Jahr. Wir wollen sagen: Herr, ich will nichts Großes erwarten, ich will auch nicht vor möglichen Leiden und Krankheiten zurück­schrecken, sondern ich bitte dich einfach, mir mit deiner Gnade nah zu sein an jedem Tag des kommenden Jahres. Lass mich spüren, wie sehr du mich liebst, und lass mich spüren, dass ich von dir bedingungs­los angenommen bin. Wenn Gott uns diese Einsicht verleiht, dann ist letztlich nicht mehr wichtig, was uns im neuen Jahr gelingen oder misslingen wird. Der Erfolg wird uns dann nicht stolz machen, der Misserfolg aber wird uns nicht verzagen lassen. Das Stärkste ist und bleibt ja nicht unser eigenes Tun, sondern Gottes Tun an uns und durch uns. Darum legt Gott uns jetzt dies Wort ans Herz: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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