Jesus ist kein Engel

Predigt über Hebräer 1,1‑6 zum 1. Weihnachtsfeiertag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Elektronik-Kaufhaus warb im dies­jährigen Weihnachts­geschäft mit dem Slogan: „Weih­nachten wird unterm Baum ent­schieden.“ Das sollte heißen: Zu Weihnachten kommt es auf gute Geschenke an. Da wider­sprechen viele. Einige sagen: Nein, Weihnachten kommt es auf gutes Essen an, und aufs Trinken auch! Andere sagen: Nein, Weihnachten kommt es aufs weiße Winter­wetter an! Andere: Nein, Weihnachten kommt es darauf an, dass die Familie harmonisch beieinander ist! Wieder andere: Nein, Weihnachten kommt es darauf an, dass Frieden herrscht! Und wieder andere: Nein, sondern Weihnachten ist das Fest der Liebe! Und schließlich einige: Nein, das Kind in der Krippe ist das Wichtigste! Und die haben recht. Weihnachten wird nicht unterm Baum ent­schieden, sondern Weihnachten wird in der Krippe ent­schieden. Darum wollen wir jetzt mit dieser Weihnachts­predigt nichts anderes tun als über das Kind in der Krippe staunen. Das geht sehr gut mit dem Gotteswort, das wir eben gehört haben – mit dem Anfang des Hebräer­briefs. Denn diese Verse beantworten die große Frage: Wer ist das denn eigentlich, was ist das für ein Wesen, das Kind in der Krippe, der Heiland, der Gottessohn und Menschen­sohn und Davidssohn?

Da erfahren wir: Jesus ist kein Engel. Jesus ist viel mehr als die Engel. Die Engel haben zwar auch ihre Bedeutung zu Weihnachten und auch sonst, aber sie sind nicht so wichtig wie Jesus, sie haben nicht seinen Rang. Wir lesen im Hebräerbrief: „Zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt: ‚Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt‘? Und wiederum: ‚Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein‘?“ Zwar werden die Engel auch Gottes Söhne genannt, aber von keinem Engel heißt es, dass Gott ihn „gezeugt“ hat. „Gezeugt“ bedeutet „als Wesens­gleichen hervor­gebracht“. Ein mensch­licher Vater hat einen Menschen gezeugt, ein Wesen, das ihm gleicht. Und der eingeborene Gottessohn ist ein Wesen, das Gott dem himmlischen Vater gleicht. Dabei können wir allerdings nicht von seiner Zeugung als von einem Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt reden, denn Gott lebt ja in der Ewigkeit. Ent­scheidend ist an diesem Begriff vielmehr die Beziehung zwischen Vater und Sohn sowie die Tatsache, dass der Sohn wesens­gleich mit Gott ist. Er trägt auch seinen Namen – den höchsten Namen, den es gibt: Jahwe, Kyrios, Herr. Dieser Name ist höher als jeder Engelname. Kein Engel trägt diesen Namen, auch nicht den Titel „ein­geborener“ oder „erst­geborener Sohn“. Die Engel sind Geschöpfe Gottes, Geistwesen, die ihn ehren und ihm dienen sollen. Auch den ein­geborenen Sohn sollen sie ehren und ihm dienen, wie es am Ende unseres Predigt­textes heißt: „Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Kurz: Die Engel sind Gottes Geschöpfe, der eingeborene Sohn aber ist kein Geschöpf, sondern von Ewigkeit her seinem Wesen nach selbst Gott. Darum bekennen wir im Nizänischen Glaubens­bekenntnis: „Geboren, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“ Das Kind in der Krippe, das ist wirklich und wahrhaftig der ewige Gott. Oder, wie es in unserem Predigttext heißt: „Er ist der Abglanz seiner Herrlich­keit und das Ebenbild seines Wesens.“

Weil das Kind in der Krippe der allmächtige Gott ist, darum hat er auch Anteil an der Schöpfung. Unser Predigttext bezeugt, dass Gott durch ihn die ganze Welt gemacht hat. Und in der Evan­geliums­lesung vom 2. Weih­nachts­feiertag im Johannes­evangelium steht ge­schrieben, dass durch ihn alle Dinge gemacht sind und dass ohne ihn nichts geschaffen wurde (Joh. 1,3). So ist Jesus auch der Schöpfer der Engel. Wie der Vater ist er der Ursprung aller Dinge, der Ursprung aller Energie, der Ursprung aller Materie, der Ursprung allen geschaffenen schöpfe­rischen Geistes, der Ursprung aller Menschen, und damit auch unser Ursprung. Und er erhält das Schöpfungs­werk – er ist der Herr und Meister über allem, was ist. Im Hebräer­brief heißt es: „Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort.“ Ja, das Kind in der Krippe ist der Schöpfer und Erhalter aller Dinge.

Und trotzdem, das ist eigentlich das Unfassbare, ist er einfach ein neu geborenes Menschen­kind. Er ist noch dazu in so ärmlichen Verhält­nissen zur Welt gekommen, dass ein Futtertrog fürs Vieh als behelfs­mäßiges Bettchen dienen muss, und ein Viehstall ist die primitive Einraum­wohnung seiner Eltern. Der eingeborene Gottessohn wird ein Mensch – ganz und gar, in jeder Beziehung. Er ist kein Geschöpf, aber er wird zum Geschöpf, wird von einer mensch­lichen Mutter zur Welt gebracht, wie es schon viele Milliarden Male geschehen ist. Er betrat diese Welt, wie du und ich sie einst betreten haben. Der Gottessohn bleibt ganz Gottessohn und wird doch zugleich ganz Menschen­sohn. Da rufen wir staunend mit Christian Fürchtegott Gellert aus: „Wenn ich dies Wunder fassen will, / so steht mein Geist vor Ehrfurcht still; / er betet an und er ermisst, / dass Gottes Lieb unendlich ist.“ Ja, das Kind in der Krippe ist wirklich ein Menschen­kind.

Das ist geschehen, damit er unter das Gesetz kommt, das Gott für Menschen gemacht hat. Das ist geschehen, damit er dieses Gesetz in voll­kommenem Gehorsam erfüllen konnte. Das ist geschehen, damit er durch diesen Gehorsam frei war, stell­vertretend für andere Menschen die Strafe des Gesetzes zu tragen. Das ist geschehen, als er am Kreuz litt und starb. Ja, auch dieses letzte und tiefste menschliche Leid hat er sich nicht erspart, auch diese letzte Konsequenz des Menschseins hat er auf sich genommen: das Sterben. Im Hebräer­brief lesen wir: „Er hat vollbracht die Reinigung von den Sünden.“ Ja, das Kind in der Krippe ist wirklich dazu auf die Welt gekommen, dass es stirbt.

Aber auch dazu ist es auf die Welt gekommen, dass es von den Toten wieder aufersteht und zeigt: Ich habe den Tod besiegt! All das gehörte ja zu seiner Mission. Der Vater hat ihm als Auf­erstandenem dann alle Macht übertragen. Es ist wie beim Prinzen eines alten Königs, der alle Regierungs­geschäfte von seinem Vater übertragen bekommt. Er thront an der Rechten Seite seines Vaters, der auf einem Ehrenthron sitzt, und trifft alle Ent­scheidun­gen. Auch die höchste richter­liche Macht ist ihm übergeben worden. Er bestätigte nach seiner Auf­erstehung: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“ (Matth. 28,18). In unserem Predigttext steht: „Gott hat ihn eingesetzt zum Erben über alles.“ Und weiter: „Er hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Im Glaubens­bekenntnis sprechen wir: „Sitzend zur Rechten Gottes, des all­mächtigen Vaters, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Ja, das Kind in der Krippe ist der König und Herr über alles.

Liebe Gemeinde, Weihnachten wird in der Krippe ent­schieden, und nicht nur Weih­nachten, sondern unser ganzes Leben und das Leben der ganzen Welt. Wir haben uns mit dem Hebräer­brief vor Augen geführt, wer das eigentlich ist, der da in der Krippe liegt, und sind dabei hoffentlich ins Staunen gekommen. Aber es geht um mehr als ums Staunen über das Wichtigste vom Weihnachts­fest. All diese schwer begreif­lichen Dinge, die da von Christus gesagt sind, wollen von uns nicht nur bestaunt werden, sondern sie wollen auch als Gottes Botschaft angenommen werden. Ja, man kann sagen: Dass Gott seinen ein­geborenen Sohn als Menschen in die Welt geschickt hat, das ist seine wichtigste Botschaft überhaupt! Das meint auch dieses große und wunderbare Wort aus dem Johannes­evangelium, das immer wieder in den Weihnachts­gottes­diensten verkündigt wird: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Joh. 1,14). In unserem Predigttext finden wir dasselbe gleich zu Anfang feierlich aus­gedrückt; es ist zugleich der feierliche Anfang des gesamten Hebräer­briefs: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat der in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn.“ Durch ihn hat er gesagt: Seht her, jetzt komme ich zu euch, um euch zu erlösen. Ich werde dazu einer von euch; ich mache mich hilflos und klein. Wenn ihr mich finden wollt, den großen und ewigen Gott, dann müsst ihr das Kind in der Krippe suchen. Da findet ihr euren Heiland, da findet ihr euren Schlüssel zur Himmelstür. Und das ist und bleibt Gottes letztes Wort, auch für uns und für alle Menschen, die noch nach uns kommen werden. Bevor es Weihnachten wurde, hat Gott auf vielfältige Weise das Kommen seines Sohnes vor­bereitet, vor allem in der Geschichte des Volkes Israel. Immer wieder hat er diesem Volk Botschaften geschickt und hat ihm auf vielfältige Weise deutlich gemacht, wie nötig sie die Erlösung haben. Auch die vielen Tieropfer im Tempel waren letztlich nichts anderes als Vorzeichen dieser Erlösung. Nun aber ist mit Jesus Gottes letztes Wort zur Welt gekommen, die frohe Botschaft von seinem Gnaden­reich, das durch Glaube und Vergebung der Sünden besteht. Ein für alle mal, so führt es der Hebräer­brief in den folgenden Kapiteln aus, hat der Gottessohn sich selbst als Sühnopfer dargebracht für alle Menschen. Keine weiteren Opfer sind mehr nötig und auch keine neuen Bot­schaften. Wir haben alles, was wir für unser Heil brauchen, und es ist uns alles offenbart worden. Mit dem Kind in der Krippe haben wir alles geschenkt bekommen, um einst vor dem Welten­richter bestehen zu können – der ja niemand anders ist als eben dieses Kind in der Krippe! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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