Festung, Klinik, Straße

Predigt über Jesaja 26,1‑8 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Wort „Kirche“ ist ein sogenanntes Homonym oder Teekessel­wort, wie man auch sagt. Mit „Kirche“ können nämlich zwei ver­schiedene Dinge gemeint sein: erstens Gottes Volk der Christen­heit und zweitens das Gebäude, in dem sich Christen zum Gottes­dienst versammeln. Das Kirch­gebäude ist dabei aber nicht nur ein Zweckbau, sondern es zeigt zugleich symbolisch etwas über Gottes Volk an. Was das ist, können wir vom Propheten Jesaja lernen aus dem pro­phetischen Lied, das wir eben als Predigttext gehört haben: „Zu der Zeit (nämlich zur Zeit des neuen Bundes) wird man dies Lied singen“, heißt es bei ihm.

Dieses neue Lied des neu­testament­lichen Gottes­volkes beginnt mit den Worten: „Wir haben eine feste Stadt, zum Schutze schafft er Mauern und Wehr.“ Das Kirch­gebäude zeigt uns also erstens: Wir sind bei Gott geborgen wie in einer sicheren Festung, umgeben und geschützt von dicken Mauern. Nun sind für uns heute Burgen und Festungen ja eher interes­sante touris­tische Attrak­tionen als Symbole von Sicherheit. Aber zur Zeit Jesajas und auch noch zur Zeit Luthers bot eine gute Festung einen wirksamen Schutzraum für viele Menschen, wenn plündernde und mordende Horden durchs Land zogen. Und bis heute müssen wir anerkennend festellen: Wenn eine Festung solide gebaut ist, gegründet auf einem stabilen Felsen, dann geht sie nicht so schnell kaputt, sondern dann kann sie jahr­hunderte­lang halten.

In Jesajas Lied heißt es: „Gott der Herr ist ein Fels ewiglich.“ Weil wir zu Gottes Volk gehören, leben wir wie in einer un­zerstör­baren Festung, gegründet auf das ewige Felsen­fundament Jesus Christus. Da kann der Teufel uns noch so sehr mit Anklagen und An­fechtungen beschießen, wir können ihm aus unserer Burg heraus antworten: Jesus hat am Kreuz alle unsere Sünden gesühnt, du kannst uns nichts anhaben! Da können Krankheiten kommen oder Kata­strophen oder Kriege, in Gottes Festung wissen wir, dass uns das alles nicht aus seiner Hand reißen kann. Vielmehr bekennen wir mit dem Apostel Paulus, dass es uns letztlich alles zum Besten dienen wird – auch wenn wir im Moment nicht erkennen, wie das zugehen soll.

Nun gibt es aber einen bedeutenden Unterschied zwischen Gottes Kirche und einer Festung: Während bei der Festung im Belagerungs­zustand alle Tore verriegelt sind und die Zugbrücke hochgezogen ist, so stehen bei Gottes Kirche die Türen allezeit weit offen, und jedermann hat freien Zugang. In Jesajas Lied heißt es: „Tut auf die Tore, dass hineingehe das gerechte Volk, das den Glauben bewahrt!“ „Tut mir auf die schöne Pforte“, so singt man gern bei Kirch­einweihun­gen und zu Beginn eines Gottes­dienstes. Und im Advent singen wir: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“ Um das zu verstehen, müssen wir das Bild der Festung verlassen und uns ein anderes Gebäude als Gleichnis für die Kirche suchen. Ich schließe mich da Martin Luther an, der sagte, dass die Kirche ein Spital oder ein Siechenhaus ist, also ein Krankenhaus oder eine Klinik. Eine Klinik braucht große Tore und Türen, die Tag und Nacht un­verschlos­sen sind, damit die Kranken hinein­kommen können. Kranke sind Menschen, die wissen, dass bei ihnen etwas nicht in Ordnung ist und dass sie sich nicht selbst heilen können. Darum begeben sie sich vertrauens­voll in die Hände eines Arztes, der in der Klinik seinen Dienst tut.

Seht, das geschieht in der Christen­heit – besonders, wenn sie sich in der Kirche zum Gottes­dienst versammelt. Hier begeben wir uns vertrauens­voll in die Hände des großen Arztes, Hirten und Heilands Jesus Christus. Hier behandelt er uns. Dabei bedient er sich seiner Assistenz-Ärzte beziehungs­weise seiner Assistenz-Hirten, der Pastoren. Die frohe Botschaft des Evangeliums ist nämlich nicht nur eine Nachricht, die wir in der Kirche hören, zur Kenntnis nehmen und verstehen lernen; sie ist vielmehr eine Medizin, die uns das Herz zum Glauben kräftigt und uns ewig leben lässt. Diese eine Medizin zur Seligkeit wird uns hier in der Kirchen­klinik vielfältig verab­reicht: in den Lesungen aus der Bibel, in der Predigt, im Zuspruch der Sünden­vergebung bei der Beichte und nicht zuletzt auch im Heiligen Abendmahl. Keiner ist zu schlecht oder zu schwach­gläubig, als dass ihm hier nicht geholfen werden könnte. Gott erbarmt sich über alles Arme und Geringe. Nur wer sich einbildet, dass seine Seele ganz gesund ist oder dass er sich selbst helfen kann, der gehört nicht in diese Klinik. Der muss zuerst die Erfahrung machen, wie hilfe­bedürftig er in Wahrheit ist. Darum heißt es in Jesajas Lied: „Er erniedrigt, die in der Höhe wohnen; die hohe Stadt wirft er nieder, ja, er stößt sie zur Erde, dass sie im Staube liegen.“ Wenn es dazu kommt, liebe Brüder und Schwestern in Christus, und wenn wir das miterleben, dann wollen wir diesen Menschen eins nicht ver­schweigen: Es gibt da die Klinik mit den offenen Türen, wo wirklich jedem geholfen wird – die christliche Kirche.

Die Kirche ist wie eine Festung und die Kirche ist wie eine Klinik. Es gibt aber noch ein drittes Bauwerk, mit dem wir sie vergleichen können. Freilich ist das ein Bauwerk, dem unsere Kirch­gebäude überhaupt nicht ähnlich sehen. Jesaja hat auch über dieses dritte Bauwerk gesungen und gesagt: „Des Gerechten Weg ist eben, den Steig des Gerechten machst du gerade. Wir warten auf dich, HERR, auch auf dem Wege deiner Gerichte; des Herzens Begehren steht nach deinem Namen und deinem Lobpreis.“ Die christliche Kirche ist also auch wie ein Weg. Denn, liebe Gemeinde, in Wahrheit sitzen wir ja nicht nur in einer geistlichen Festung herum oder liegen in Gottes Klinik, sondern wir sind zugleich unterwegs durch die Zeit hin zur ewigen Seligkeit. Das ist unser Ziel, das uns besonders in der Adventszeit bewusst wird. Nun kennen wir ja das adventliche Bild vom Wegebau meistens anders­herum: Wir sind es, die für Gott einen Weg bauen sollen, damit er bei uns einziehen kann; wir sollen uns mit ernsthafter Selbst­kritik auf das Wieder­kommen Jesu vorbereiten und ihm zugleich auf diese Weise er­möglichen, mit seiner vergebenden Gnade jetzt schon in unsere Herzen zu gelangen. Durch Jesaja erfahren wir nun, dass dieses unser Tun in Wahrheit Gottes Tun ist: Gott ebnet den Gerechten den Weg – also uns, die wir durch Christi Blut gerecht geworden sind. Uns macht Gott den Steig gerade, sodass wir ohne Umwege oder Abwege dem Ziel der Seligkeit zustreben können. Das stimmt genau mit dem überein, was Gottes Wort auch sonst ohne Bild von der Buße lehrt: Sie ist keineswegs ein Kraftakt der mensch­lichen Seele, mit dem wir Gott erst mal unsere Ernst­haftigkeit zeigen müssen, ehe er uns hilft. Nein, sie ist bereits der erste Therapie­erfolg Gottes; es ist ja sein Heiliger Geist, der uns zur Umkehr leitet! Wenn du dein Gewissen spürst und merkst, wie vieles nicht in Ordnung ist in deinem Leben, dann erlebst du dich da bereits als Gottes Baustelle: Er repariert deinen Lebensweg, er füllt die Schlag­löcher deiner Seele, er begradigt deine krummen Touren und Gedanken!

Allerdings tut er es oft in einer Weise, die nicht besonders angenehm ist. Straßen­baustellen sind nun mal nicht angenehm. Lassen wir noch einmal Jesaja zu Wort kommen: „Wir warten auf dich, Herr, auch auf dem Wege deiner Gerichte.“ Mit „Gerichten“ meint Jesaja hier die Denkzettel, die Gott den Seinen manchmal geben muss, damit sie sich besinnen und in die richtige Richtung weiter­laufen. Lasst euch das ein Trost sein! Auch das Unangenehme und Schwere in eurem Leben hat einen Sinn: Es sind Gottes „Gerichte“, mit denen er richtig und gerade machen will, was noch krumm ist.

Wenn wir das akzep­tieren, dann können wir un­einge­schränkt fröhlich in und mit Gottes Bauwerken leben. Wir können uns als sein Volk bei ihm in Sicherheit bringen wie in einer Festung, von ihm heilen lassen wie in einer Klinik und dabei den rechten Weg zur Seligkeit finden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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