Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Nicht ohne Grund rede ich euch Sonntag für Sonntag so an, denn wir Christen sind eine große Familie. Wie bei einer leiblichen Verwandtschaft bestehen wir aus verschiedenartigen Menschen: Männern und Frauen, Alten und Jungen, Lauten und Leisen, Ernsten und Fröhlichen. Anders als bei einer leiblichen Verwandtschaft gehören Menschen aus unterschiedlichen Völkern und Kulturbereichen zur Christenheit; Gott sammelt sich seine Familie aus allen Nationen und Sprachen. Das hat sich bereits am Geburtstag der Kirche gezeigt, zu Pfingsten: Da ließen sich Menschen taufen, die aus allen Himmelsrichtungen und Sprachräumen nach Jerusalem gekommen waren. Sie freuten sich miteinander, feierten miteinander Gottesdienste, hatten einander lieb, waren ein Herz und eine Seele – eben wie bei einer richtigen Familie.
Wie bei einer richtigen Familie? Sind denn da immer alle ein Herz und eine Seele? Haben sich denn da immer alle lieb? Wer richtige Familien kennt, der weiß, dass das keineswegs so ist. Manchmal können da auch ganz schön die Fetzen fliegen. Wenn verschiedenartige Menschen eng zusammenleben, dann bleiben die Konflikte nicht aus. Das ist in Gottes Familie übrigens nicht anders. Wenn Christen in einer Gemeinde wirklich Gemeinschaft miteinander pflegen, dann kommt es auch mal zum Streit, dann bleiben die Konflikte nicht aus. Das ist ganz normal und menschlich; schließlich leben wir ja noch nicht im Himmel. Auch in der Jerusalemer Urgemeinde passierte das.
Was war das denn für ein Konflikt damals in Jerusalem? Wir lesen: „Es erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.“ Die Jerusalemer Urgemeinde hatte damals eine eigene Sozialversorgung, eine Lebensmittelausgabestelle für Arme, eine „Jerusalemer Tafel“ sozusagen. Besonders Witwen waren darauf angewiesen, denn sie konnten sich damals ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen. Wie nun die Urgemeinde aus Menschen verschiedener Nationalitäten bestand, so waren auch die Witwen von unterschiedlicher Nationalität. Da kam es zu folgendem Konflikt: Die alteingesessenen „hebräischen“ Witwen, die von Abraham und Isaak und Jakob abstammten, wurden bevorzugt behandelt; die Ausländer (die oft pauschal als „Griechen“ bezeichnet wurden), hatten das Nachsehen. War das schlimm?
Ein Konflikt an sich ist nichts Schlimmes – weder in einer leiblichen Familie noch in der Familie Gottes. Schlimm wäre es aber, wenn man ihn unterschwellig weiterschwelen ließe und nichts dagegen täte. Schlimm wäre es, wenn unter dem Konflikt die Liebe in Hass umschlüge oder die Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben wollten. Die Jerusalemer Urgemeinde ist mit dem Konflikt damals vorbildlich umgegangen. Es ist gut, dass wir bis heute davon Kunde haben in der Apostelgeschichte des Lukas. Lasst uns genau darauf achten, was diese vorbildliche Glaubensfamilie mit ihrem Konflikt gemacht hat, und lasst uns davon lernen.
Vorbildlich ist es, dass die „Griechen“ murrten. Jawohl, das ist kein Versprecher! Dass sie sich über die schlechte Versorgung ihrer Witwen beschweren, ist jedenfalls tausendmal besser, als wenn sie den Ärger in sich hineinfräßen.
Vorbildlich ist es weiterhin, dass sie sich mit ihrem Murren an die richtige Adresse wenden. Sie tratschen nicht in der Nachbarschaft herum, sie machen mit ihrem Ärger nicht die ganze Gemeinde wild, sondern sie gehen mit ihrem Kummer zu den Pastoren. Wenn jemand mit irgendeinem Problem nicht weiter weiß, kann er immer zum Pastor kommen. In der Urgemeinde waren die zwölf Apostel die Pastoren.
Vorbildich ist es, wie die Apostel auf den Konflikt reagieren. Sie nehmen ihn ernst, sie vertuschen auch nichts. Nein, im Gegenteil, sie berufen eine Gemeindeversammlung ein. Jedes Gemeindeglied soll die Möglichkeit haben, seine Meinung in der Sache zu äußern, und gemeinsam soll dann eine Lösung gefunden werden.
Vorbildlich ist es, dass die Apostel nicht alles allein machen wollen. Da muss ich mir selbst eine Scheibe abschneiden: Wie manche anderen Pastoren neige ich dazu, in der Gemeinde alles selbst in die Hand nehmen zu wollen – damit es so wird, wie ich mir das denke, und damit ich niemandem hinterherzulaufen brauche. Die Apostel wissen: Unsere Hauptaufgabe ist das Predigen, überhaupt das Verkündigen, und die Fürbitte für alle Gemeindeglieder. Darum sagen sie: „Es taugt nicht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen… Wir wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.“
Vorbildlich ist es auch, dass die Apostel nun nicht selbstherrlich Mitarbeiter bestimmen, die ihnen in den Kram passen und nach dem Munde reden, sondern dass sie die Gemeinde Mitarbeiter wählen lassen. Wir sehen: Schon damals gab es Wahlen auf Gemeindeversammlungen. Allerdings fühlen sich die Apostel verpflichtet, der Gemeinde zu sagen, welche Voraussetzungen die Kandidaten mitbringen müssen: „Seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind.“ Sie müssen das Vertrauen aller Mitchristen genießen, sie müssen ihr Amt als eine geistliche Aufgabe ansehen und sie müssen auch den nötigen Sachverstand besitzen, um die Sozialversorgung gerecht ordnen zu können. Wohl den Gemeinden, die für ihre Konflikte kompetente Kirchenvorsteher und sachkundige Mitarbeiter haben. Grundlegend wichtig ist dabei der Heilige Geist: Die Mitarbeiter müssen aus der Vergebung Christi leben, aus Wort und Sakrament, sonst sind sie ungeeignet für einen leitenden Dienst in Gottes Familie.
Vorbildlich ist es schließlich, wie die Apostel die gewählten Mitarbeiter in ihr neues Amt einführen. Wir kennen das ja von Vorsteherwahlen: Wenn jemand neu gewählt ist und die Wahl auch angenommen hat, dann ist er noch nicht gleich Kirchenvorsteher; dann muss er erst in einem Gottesdienst in sein Amt eingeführt werden. In der Apostelgeschichte heißt es: „Die Apostel beteten und legten die Hände auf sie.“ Ja, unter Gebet und Segen treten die sieben Jerusalemer Diakone ihren Dienst an. Sie wissen: Sie sind nicht auf sich selbst gestellt, und ohne Gottes Segen könnten sie auch gar nichts ausrichten. Die Gemeinde aber weiß: Das sind die von Gott bestellten Mitarbeiter; wir sollen sie achten, wir sollen auf sie hören, wir sollen mit ihnen zusammenarbeiten. Nur wenn eine Gemeinde ihrer Mitarbeiter anerkennt und unterstützt, kann das Werk gelingen, und nur so können auch Konflikte in der Gemeinde gelöst werden.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, merkt euch das, was in der Urgemeinde vorbildlich lief, und beherzigt es zur rechten Zeit auch in unserer Gemeinde! Amen.
PREDIGTKASTEN |