Eine vorbildliche Familie

Predigt über Apostelgeschichte 6,1‑7 zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Nicht ohne Grund rede ich euch Sonntag für Sonntag so an, denn wir Christen sind eine große Familie. Wie bei einer leiblichen Verwandt­schaft bestehen wir aus ver­schieden­artigen Menschen: Männern und Frauen, Alten und Jungen, Lauten und Leisen, Ernsten und Fröhlichen. Anders als bei einer leiblichen Verwandt­schaft gehören Menschen aus unter­schiedlichen Völkern und Kultur­bereichen zur Christen­heit; Gott sammelt sich seine Familie aus allen Nationen und Sprachen. Das hat sich bereits am Geburtstag der Kirche gezeigt, zu Pfingsten: Da ließen sich Menschen taufen, die aus allen Himmels­richtungen und Sprach­räumen nach Jerusalem gekommen waren. Sie freuten sich mit­einander, feierten miteinander Gottes­dienste, hatten einander lieb, waren ein Herz und eine Seele – eben wie bei einer richtigen Familie.

Wie bei einer richtigen Familie? Sind denn da immer alle ein Herz und eine Seele? Haben sich denn da immer alle lieb? Wer richtige Familien kennt, der weiß, dass das keineswegs so ist. Manchmal können da auch ganz schön die Fetzen fliegen. Wenn ver­schieden­artige Menschen eng zusammen­leben, dann bleiben die Konflikte nicht aus. Das ist in Gottes Familie übrigens nicht anders. Wenn Christen in einer Gemeinde wirklich Gemein­schaft miteinander pflegen, dann kommt es auch mal zum Streit, dann bleiben die Konflikte nicht aus. Das ist ganz normal und menschlich; schließlich leben wir ja noch nicht im Himmel. Auch in der Jerusalemer Urgemeinde passierte das.

Was war das denn für ein Konflikt damals in Jerusalem? Wir lesen: „Es erhob sich ein Murren unter den griechi­schen Juden in der Gemeinde gegen die hebrä­ischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Ver­sorgung.“ Die Jerusalemer Urgemeinde hatte damals eine eigene Sozial­versorgung, eine Lebens­mittel­ausgabe­stelle für Arme, eine „Jerusa­lemer Tafel“ sozusagen. Besonders Witwen waren darauf angewiesen, denn sie konnten sich damals ihren Lebens­unterhalt nicht selbst verdienen. Wie nun die Urgemeinde aus Menschen ver­schiedener Nationali­täten bestand, so waren auch die Witwen von unter­schiedlicher Natio­nalität. Da kam es zu folgendem Konflikt: Die alt­eingesesse­nen „hebräischen“ Witwen, die von Abraham und Isaak und Jakob abstammten, wurden bevorzugt behandelt; die Ausländer (die oft pauschal als „Griechen“ bezeichnet wurden), hatten das Nachsehen. War das schlimm?

Ein Konflikt an sich ist nichts Schlimmes – weder in einer leiblichen Familie noch in der Familie Gottes. Schlimm wäre es aber, wenn man ihn unter­schwellig weiter­schwelen ließe und nichts dagegen täte. Schlimm wäre es, wenn unter dem Konflikt die Liebe in Hass umschlüge oder die Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben wollten. Die Jerusalemer Urgemeinde ist mit dem Konflikt damals vorbildlich umgegangen. Es ist gut, dass wir bis heute davon Kunde haben in der Apostel­geschichte des Lukas. Lasst uns genau darauf achten, was diese vorbild­liche Glaubens­familie mit ihrem Konflikt gemacht hat, und lasst uns davon lernen.

Vorbildlich ist es, dass die „Griechen“ murrten. Jawohl, das ist kein Ver­sprecher! Dass sie sich über die schlechte Versorgung ihrer Witwen beschweren, ist jedenfalls tausendmal besser, als wenn sie den Ärger in sich hinein­fräßen.

Vorbildlich ist es weiterhin, dass sie sich mit ihrem Murren an die richtige Adresse wenden. Sie tratschen nicht in der Nachbar­schaft herum, sie machen mit ihrem Ärger nicht die ganze Gemeinde wild, sondern sie gehen mit ihrem Kummer zu den Pastoren. Wenn jemand mit irgendeinem Problem nicht weiter weiß, kann er immer zum Pastor kommen. In der Urgemeinde waren die zwölf Apostel die Pastoren.

Vorbildich ist es, wie die Apostel auf den Konflikt reagieren. Sie nehmen ihn ernst, sie vertuschen auch nichts. Nein, im Gegenteil, sie berufen eine Gemeinde­versammlung ein. Jedes Gemeinde­glied soll die Möglichkeit haben, seine Meinung in der Sache zu äußern, und gemeinsam soll dann eine Lösung gefunden werden.

Vorbildlich ist es, dass die Apostel nicht alles allein machen wollen. Da muss ich mir selbst eine Scheibe ab­schneiden: Wie manche anderen Pastoren neige ich dazu, in der Gemeinde alles selbst in die Hand nehmen zu wollen – damit es so wird, wie ich mir das denke, und damit ich niemandem hinterher­zulaufen brauche. Die Apostel wissen: Unsere Haupt­aufgabe ist das Predigen, überhaupt das Ver­kündigen, und die Fürbitte für alle Gemeinde­glieder. Darum sagen sie: „Es taugt nicht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes ver­nachlässi­gen… Wir wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.“

Vorbildlich ist es auch, dass die Apostel nun nicht selbst­herrlich Mitarbeiter bestimmen, die ihnen in den Kram passen und nach dem Munde reden, sondern dass sie die Gemeinde Mitarbeiter wählen lassen. Wir sehen: Schon damals gab es Wahlen auf Gemeinde­versammlun­gen. Allerdings fühlen sich die Apostel ver­pflichtet, der Gemeinde zu sagen, welche Voraus­setzungen die Kandidaten mitbringen müssen: „Seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind.“ Sie müssen das Vertrauen aller Mitchristen genießen, sie müssen ihr Amt als eine geistliche Aufgabe ansehen und sie müssen auch den nötigen Sach­verstand besitzen, um die Sozial­versorgung gerecht ordnen zu können. Wohl den Gemeinden, die für ihre Konflikte kompetente Kirchen­vorsteher und sachkundige Mitarbeiter haben. Grundlegend wichtig ist dabei der Heilige Geist: Die Mitarbeiter müssen aus der Vergebung Christi leben, aus Wort und Sakrament, sonst sind sie ungeeignet für einen leitenden Dienst in Gottes Familie.

Vorbildlich ist es schließ­lich, wie die Apostel die gewählten Mitarbeiter in ihr neues Amt einführen. Wir kennen das ja von Vorsteher­wahlen: Wenn jemand neu gewählt ist und die Wahl auch angenommen hat, dann ist er noch nicht gleich Kirchen­vorsteher; dann muss er erst in einem Gottes­dienst in sein Amt eingeführt werden. In der Apostel­geschichte heißt es: „Die Apostel beteten und legten die Hände auf sie.“ Ja, unter Gebet und Segen treten die sieben Jerusalemer Diakone ihren Dienst an. Sie wissen: Sie sind nicht auf sich selbst gestellt, und ohne Gottes Segen könnten sie auch gar nichts ausrichten. Die Gemeinde aber weiß: Das sind die von Gott bestellten Mit­arbeiter; wir sollen sie achten, wir sollen auf sie hören, wir sollen mit ihnen zusammen­arbeiten. Nur wenn eine Gemeinde ihrer Mitarbeiter anerkennt und unter­stützt, kann das Werk gelingen, und nur so können auch Konflikte in der Gemeinde gelöst werden.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, merkt euch das, was in der Urgemeinde vorbildlich lief, und beherzigt es zur rechten Zeit auch in unserer Gemeinde! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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