Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Vor zwei Wochen führten Palästinenser aus dem Gaza-Streifen einen Terroranschlang aus, dem mehrere Israelis zum Opfer fielen. Es folgten Vergeltungsschläge und blutige Demonstrationen; wir haben in den Nachrichten davon gehört. Dieser Konflikt ist keineswegs neu. Schon vor 50 Jahren hätten die Palästinenser an den Grenzen des Heiligen Landes am liebsten Schilder angebracht mit der Aufschrift: Für Juden verboten! Und vor 70 Jahren haben die Nationalsozialisten die Juden in Europa grausam verfolgt, weil sie der Meinung waren, Europa müsse für Juden verboten sein. Allerdings waren auch sie nicht die ersten, die den Juden Gewalt antaten. Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden zieht sich eine Spur der Gewalt gegen Juden durch die Geschichte. Im Jahre 70 n. Chr. hat der römische Feldherr Titus mit seinen Legionen Jerusalem belagert, zerstört und die Bevölkerung grausam getötet; der zehnte Sonntag nach Trinitatis erinnert jedes Jahr daran. Danach haben die Römer den Juden wirklich verboten, Jerusalem und das Umland zu betreten; alle Juden mussten fortan unter fremden Völkern leben.
Gehen wir weitere 40 Jahre zurück in der Geschichte des jüdischen Volkes! Da lebte Jesus. Hatte auch er etwas gegen die Juden? Wir können im Neuen Testament lesen, dass er ihnen in Streitgesprächen öfters große Vorwürfe machte. Und wenn wir eben wieder an die Begebenheit erinnert worden sind, wie Jesus mit einer Peitsche die Händler aus dem Tempelvorhof vertrieb, dann sieht es beinahe so aus, als ob sogar Jesus mit Gewalt gegen Juden vorgegangen ist; zumindest gegen jüdische Geschäftsleute. Danach hätte er durchaus ein Schild an den Tempeleingängen anbringen können: Für jüdische Viehhändler und Geldwechsler verboten!
Liebe Brüder und Schwestern, sicher kennt ihr Jesus gut genug, um zu wissen: Er hat den Händlern keine Gewalt angetan, auch sonst keinem Juden und auch sonst keinem Menschen. Der Evangelist Johannes hat lediglich berichtet: „Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus.“ Er hat die Peitsche wohl über seinem Kopf geschwungen, geschlagen hat er aber niemandem. Was er getan hat, war keine Gewalttat, sondern eine prophetische Zeichenhandlung. Wer die alttestamentlichen Propheten kennt, der weiß, dass auch sie manchmal solche drastischen Zeichenhandlungen taten, um Gottes Botschaft Nachdruck zu verleihen; sie taten es im direkten Auftrag Gottes. So hatte Jeremia einen Tonkrug vor den Augen der Tempelpriester zerschmettert als Zeichen für Gottes Zorn. Durch solche Zeichenhandlungen kann man die Aufmerksamkeit der Menschen besser gewinnen als durch bloße Worte. So auch Jesus: Er schwang die Peitsche über seinem Kopf, trieb das Vieh weg und kippte die Tische der Geldwechsler um, um seiner Botschaft Nachdruck zu verleihen. Jesus mag ein Chaos im Vorhof des Tempels angerichtet haben; verletzt hat er dabei gewiss niemanden.
Jesus tat das alles, um seine Botschaft zu unterstreichen, die da lautet: „Macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!“ Er hat nichts gegen Juden und er hat nichts gegen Händler, denn er liebt ja alle Menschen. Aber Jesus hat etwas dagegen, dass Leute in Gottes Haus kommen, um dort Geschäfte zu machen statt zu beten. Nicht, dass Jesus Geld für etwas Schmutziges hält oder den Handel für ein unehrliches Gewerbe. Aber er war ja gekommen, um den Menschen Gottes gute Botschaft zu bringen, die da lautet: Ihr braucht nicht mit Gott zu handeln, ihr braucht ihm seinen Segen nicht zu bezahlen, ihr braucht kein Bußgeld für eure Sünden zu leisten, denn Gott will euch beschenken. Jeden, der seine Schuld bekennt und um Vergebung bittet, erhört Gott und schenkt ihm seine Gnade. Ja, das ist Jesu klare Botschaft bis zum heutigen Tag; die Austreibung der Händer aus dem Tempel unterstreicht sie einfach: Das Handeln hat in Gottes Gegenwart nichts zu suchen; von ihm kann man sich nur einfach beschenken lassen.
Die Juden, die diese eindrucksvolle Tat Jesu damals miterlebten, haben das durchaus verstanden. Sie haben Jesus nicht wegen Hausfriedensbruchs festgenommen, sondern sie merkten: Das ist eine prophetische Zeichenhandlung; Jesus tritt hier auf wie einer der alten Propheten. Sie fragten sich aber: Darf er das denn? Ist er denn überhaupt ein richtiger Prophet, hat Gott ihn denn überhaupt beauftragt? Sie wollten dafür Beweise sehen. Als angemessener Beweis, dass jemand ein Prophet ist, galt damals ein Wunder. So war es folgerichtig, dass sie von Jesus ein Wunder erwarteten. Sie sagten zu ihm: „Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst?“
Da hat Jesus ihnen wirklich ein Wunder gezeigt und dadurch seine Vollmacht als Beauftragter Gottes bewiesen. Er hat ihnen ein Wunder gezeigt, über das wir heute noch staunen und das uns heute noch in dem Glauben bestärkt: Jesus ist wirklich der versprochene Prophet und Retter der Menschheit. Ja, Jesus hat ein Wunder getan – aber nicht sofort, sondern erst einige Zeit später. Nach der Austreibung der Händler aus dem Tempel hat er dieses Wunder zunächst nur angekündigt und gesagt: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“
Mit dieser Wunderankündigung waren die Juden allerdings nicht zufrieden. Sie fanden, das klingt größenwahnsinnig; sie glaubten Jesus nicht. Darum erwiderten sie: „Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“ Und? Hat er es denn wirklich vollbracht? Hat er diese riesige prachtvolle Tempelanlage, die der bauwütige König Herodes schon seit 46 Jahren ständig erweiterte, niedergerissen, so wie er die Tische der Wechsler umgestürzt hat? Und hat er dann innerhalb von drei Tagen einen neuen Tempel gebaut, der mindestens ebenso groß und schön ist? Nein, das hat Jesus nicht getan. Zerstört haben diesen Tempel die Römer erst 40 Jahre später; ich habe das zu Anfang erwähnt. Aufgebaut hat ihn dann in den folgenden zwei Jahrtausenden niemand mehr. Bis zum heutigen Tag ist der Jerusalemer Tempelplatz leer; es steht nichts darauf als eine Moschee. Alles, was vom alten Tempel übrig ist, ist die sogenannte Klagemauer.
Was aber ist denn nun aus Jesu angekündigtem Wunder geworden? Der Evangelist Johannes greift vor und erklärt: „Jesus redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatt.“ Jesus hat nicht gesagt, dass er selbst den Tempel abbrechen will, so wie man es später wiederholt fälschlich behautete. Jesus hat gesagt: „Brecht ihr diesen Tempel ab!“ Damit sagte er seinen gewaltsamen Tod voraus, den der jüdische Hohe Rat gefordert und auch herbeigeführt hat. Wie gesagt, Jesus redete vom Tempel seines Leibes. Sein Menschenleib war ebenso ein Tempel, also eine Wohnstätte für Gott, wie der Leib jedes Gotteskindes ein Tempel ist – auch mein Leib, auch dein Leib. Ohne zu wissen, was sie taten, haben die Juden den Tempel des Leibes Jesu abgerissen, haben ihn getötet. In drei Tagen aber hat Jesus ihn wieder aufgerichtet: Nach drei Tagen ist er auferstanden von den Toten.
Das ist das große Wunder und alles überragende Zeichen, mit dem Jesus seine Vollmacht erwiesen hat – nicht nur als ein Prophet, sondern als der eine von Gott versprochene Retter der Menschheit. Mit diesem Wunder hat Jesus seine Botschaft bestätigt, dass niemand mit Gott handeln kann, dass auch niemand mit Gott zu handeln braucht, weil Gott allen seine Barmherzigkeit schenken will. Alle können frei und umsonst zu Gott kommen, seinen Segen empfangen und ewiges Leben erben! Aber nich nur seine Worte hat Jesus mit diesem Wunder eindrucksvoll unterstrichen, sondern vor allem seine Tat, mit der er diese Erlösung vollbracht hat: sein Opfertod am Kreuz zur Vergebung aller Sünden. Denn dass die Juden den Tempel seines Leibes abrissen, war kein tragischer Unfall, sondern Teil von Gottes ewigem Heilsplan. Jesus hat den Tempel seines Leibes in drei Tagen dann wieder neu errichtet; er ist leiblich auferstanden, hat sich leiblich seinen Jüngern gezeigt und wird sichtbar wiederkommen am Ende der Zeit.
Der Evangelist Johannes schrieb: „Als Jesus auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.“ Das wollen wir nicht überhören: Die Jünger glaubten auch der Schrift! Das heißt: Sie erkannten, dass Jesus mit seinem Tod und seiner Auferstehung auch die Verheißungen der alttestamentlichen Propheten erfüllt hat. Zum Beispiel jenes Psalmwort, in dem es heißt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (Psalm 118,22). Da haben wir eine alttestamentliche Ankündigung desselben Wunders, mit dem Jesus seine Vollmacht bestätigte: Die „Bauleute“, die führenden Juden, haben einen „Stein verworfen“, einen „Tempel abgerissen“, Jesus dem Tod ausgeliefert. Aber nach drei Tagen ist dieser verworfene Stein „zum Eckstein geworden“, ist dieser „Tempel aufgerichtet“ worden, ist Jesus von den Toten auferstanden. Und dieser auferstandenen Jesus ist zum „Eckstein“, zum Grundstein eines ganz neuen Tempels geworden, viel herrlicher als der alte Tempel in Jersualem war. Dieser neue Tempel ist die Christenheit, die Kirche und Gemeinde, die sich um den auferstandenen Christus sammelt und sich von ihm senden lässt. Hier im Gottesdienst ist jetzt Gottes Tempel; hier ist ja auch der Leib Christi. Hier wohnt Gott, hier kann man schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist. Hier predigt Jesus als Prophet und bezeugt zugleich seine Vollmacht, indem er immer wieder auf das größte Wunder hinweist, das er getan hat: seine Auferstehung von den Toten. Und das Beste: Dieser Tempel hat keine Vorhöfe und Verbotsschilder mehr. An diesem Tempel steht nicht: Für Heiden verboten!, wie es damals beim Jerusalemer Tempel der Fall war. An diesem Tempel steht aber auch nicht: Für Juden verboten!, wie es mit Jerusalem nach der Eroberung durch die Römer der Fall war. An diesem Tempel steht: Für niemanden verboten! An diesem Tempel steht das Wort Jesu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ (Matth. 11,28). Amen.
PREDIGTKASTEN |