Vier Dinge, die zum Christsein gehören

Predigt über Johannes 1,35‑42 zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wären Johannes der Täufer und Jesus Händler in Sachen Welt­anschauung gewesen, denn hätte Johannes sich schwarz ärgern müssen. Mit Fleiß und Eifer hatte er sich eine große „Stamm­kundschaft“ aufgebaut, nämlich einen eigenen Jünger­kreis. Unermüdlich hatte er gepredigt und getauft; mit Leib und Seele hatte er sich dieser Aufgabe ver­schrieben. Aber nun kam Jesus, die Konkurrenz, und schnappte ihm seine Jünger weg! Ein Jünger nach dem anderen verließ Johannes den Täufer und schloss sich Jesus an. In unserem Predigtwort erfahren wir, wie gleich drei Jünger auf einmal vom Täufer zu Jesus über­wechselten – der eine der Apostel Andreas, der andere vielleicht der Apostel Johannes, der dritte Andreas' Bruder Simon. Nun sind Jesus und der Täufer allerdings keine Händler in Sachen Welt­anschauung und darum auch keine Kon­kurrenten. Vielmehr arbeiten beide für dieselbe „Firma“, nämlich für Gott. Gott aber hatte bestimmt, dass Johannes durch seinen vorläufigen Dienst den Weg für Jesus bereiten sollte, damit die Menschen dann durch Jesus zum ewigen Heil finden. So versuchte Johannes der Täufer auch nicht, seine Jünger an sich zu binden und ihnen die Jesus-Nachfolge auszureden, sondern er wies sie im Gegenteil auf Jesus hin und lud sogar zu ihm ein. Mehrmals hatte der Täufer über Jesus verkündigt: „Das ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt trägt!“ (Joh. 1,29). Damit knüpfte er an Jesajas berühmte Prophe­zeiung vom Gottes­knecht an, in der es heißt: „Der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlacht­bank gefüht wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf“ (Jes. 53,6‑7).

Die Jünger, von denen unser Predigttext berichtet, zogen die richtige Kon­sequenzen aus der Botschaft des Johannes und wechselten zu Jesus über. Die Art und Weise, wie sie es taten, zeigt uns vier Dinge, die damals wie heute zum Christsein unbedingt dazu­gehören: erstens die Bereit­schaft zur Ver­änderung; zweitens die Sehnsucht, bei Jesus zu bleiben; drittens das Bedürfnis, andere zu Jesus einzuladen; viertens die Verwandlung zu neuen Menschen. Lasst uns diese vier Dinge nach­einander bedenken!

Zum Christsein gehört erstens die Bereit­schaft zur Ver­änderung. Die beiden Jünger sagten nicht: Wir haben uns so sehr an Johannes gewöhnt und fühlen uns in seinem Jüngerkreis wohl, da soll sich nichts ändern. Vielmehr nahmen sie Gottes Botschaft ernst: Bei Jesus ist das Heil, da müssen wir es suchen! „Siehe, das ist Gottes Lamm!“, hatte Johannes ihnen verkündigt. So soll es auch bei uns sein: Weil bei Jesus das Heil zu finden ist, darum sollen wir ihm nachfolgen. Aber immer wieder stellen wir fest: Andere Dinge halten uns fest, nehmen uns gefangen, halten uns ab von Jesus – sei es die Familie, das Geld­verdienen, das Vergnügen oder einfach nur unsere Trägheit. Gottes Wort ruft uns immer wieder zur Veränderung auf, zur Umkehr, zu Buße. Sowohl Johannes der Täufer als auch Jesus selbst als auch die Apostel haben ihre Ver­kündigung mit dem Ruf zur Buße begonnen. Mit Martin Luthers be­rühmtester der 95 Thesen sind wir überzeugt davon, dass Gottes Wort uns unser ganzes Leben lang zur Umkehr ruft. Täglich neu sollen wir all den Dingen eine Absage erteilen, die uns an der Jesus-Nachfolge hindern wollen. Täglich neu sollen wir bei Jesus das Heil suchen, und wir werden es auch ganz bestimmt bei ihm finden. Denn er ist Gottes Lamm für die ganze Welt – „Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.“

Zum Christsein gehört zweitens die Sehnsucht, bei Jesus zu bleiben. Die beiden Jünger verließen Johannes und liefen Jesus nach. Da wandte Jesus sich ihnen zu und fragte sie: „Was sucht ihr?“ Natürlich wusste Jesus von vornherein, was die beiden wollten, aber er fragte sie, damit sie sich selbst bewusst werden, was sie eigentlich wollen. Die zwei Jünger drucksten ein wenig herum, aber es wird dann in diesem etwas merk­würdigen Gespräch doch klar, was sie wollten. Zunächst antworten sie Jesus mit einer Gegenfrage: „Meister, wo ist deine Herberge?“ Wenn man den griechi­schen Text wörtlich übersetzt, dann sagten sie: „Rabbi, wo bleibst du?“ Das Wort „bleiben“ spielt eine ganz wichtige Rolle im Neuen Testament, vor allem in Texten des Apostels Johannes. Das Wort „bleiben“ bezeichnet die tiefe Verbunden­heit von Jesus mit allen, die ihm nachfolgen. Jesus verkündete später: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh. 6,56); und in seinen Abschieds­reden sagte er den Jüngern: „Bleibt in mir, und ich bleibe in euch“ (Joh. 15,4). Die beiden Jünger, mit denen sich Jesus unterhielt, wollten nicht nur ein un­verbind­liches religiöses Gespräch mit Jesus führen, sondern sie wollten dahin mitgehen, wo Jesus „blieb“, wo er wohnte, wo er sein Quartier genommen hatte; sie wollten ernsthaft und dauerhaft bei Jesus bleiben. Jesus erfüllte ihnen diesen Wunsch und lud sie zu sich ein: „Kommt und seht!“ Auch uns lädt er ein: „Kommt und seht!“ Ach, dass wir doch auch solche Sehnsucht nach ihm haben wie die beiden Jünger damals: die Sehnsucht, bei Jesus zu bleiben – ernsthaft und dauerhaft. Christsein heißt ja nicht, sich un­verbindlich ein bisschen mit dem christ­lichen Glauben zu be­schäftigen, sondern Christsein heißt, im Glauben mit dem Gotteslamm Jesus Christus verbunden zu sein. Wer an ihn glaubt, der bleibt mit ihm verbunden.

Zum Christsein gehört drittens das Bedürfnis, andere zu Jesus einzuladen. Das erkennen wir besonders an einem der beiden Jünger aus unserem Predigt­text, an Andreas nämlich, dem Bruder des Simon Petrus. Über den erfahren wir: „Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden!“ Und dann führte Andreas ihn zu Jesus. Als Andreas ein Jünger Jesu geworden war, verspürte er gleich das Bedürfnis, anderen von Jesus weiter­zusagen. Gleich die erste Person, die ihm begegnete, sollte von Jesus hören. Es war sein leiblicher Bruder Simon, mit dem er zusammen ein Boot besaß und Fische fing auf dem See Genezareth. Freude­strahlend sagte er ihm: „Wir haben den Messias gefunden!“ Messias, Christus oder Gesalbter, so bezeichnete man damals den großen Erlöser­könig, den Gott versprochen hatte zu senden. Und das ist Jesus bis heute: Der große Erlöser­könig für alle Menschen! Wer an ihn glaubt, der verspürt auch heute noch das Bedürfnis, andere Menschen zu ihm einzuladen. Wenn wir das tun, dann laden wir nicht bloß zu einem interes­santen Philosophen ein, dessen Worte uns noch heute etwas Gutes lehren können. Wir laden auch nicht bloß zu einem Wundertäter ein, der alles heilen und in Ordnung bringen kann, was Menschen beschwert. Nein, wir laden vor allem zum großen Erlöser­könig ein, zum Messias, zum Gotteslamm, das die Sünden der ganzen Welt auf sich genommen hat. Am Kreuz hat er sie überwunden, und am Auf­erstehungs­tag ist seine ewige Macht offenbar geworden. So sollen alle Menschen Jesus kennen­lernen: als den Ge­kreuzigten und Auf­erstande­nen, den König aller Könige von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Zum Christsein gehört viertens die Verwandlung zu einem neuen Menschen. Diese Verwandlung zeigt uns der Predigttext am Beispiel des dritten neuen Jüngers Jesu, nämlich an Simon, der von seinem Bruder Andreas zu Jesus gebracht wurde. Jesus sagte zu ihm: „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen!“ Jesus gab dem Simon einen neuen Namen; auf aramäisch heißt er „Kephas“, auf griechisch „Petrus“, auf deutsch „Fels“. Durch einen anderen Bericht im Neuen Testament wissen wir, dass sich dieser neue Name auf Simons Bekenntnis zu Jesus als Messias bezieht (Matth. 16,16‑18). Wer an Jesus als den Erlöser glaubt, der bleibt nicht der Alte, sondern der wird ein neuer Mensch – das will Jesus mit dem neuen Namen für Simon zeigen. Auch bei uns hat Jesus mit diesem Wunder begonnen, und zwar in der heiligen Taufe. Da sind wir neu geboren worden aus Wasser und Geist; da hat der himmlische Vater uns beim Namen gerufen und zu seinen Kindern gemacht. In dieser Taufgnade und bei diesem Glauben erhält uns der Heilige Geist; er macht, dass wir bei Jesus bleiben und dass Jesus in uns wohnen bleibt. Dadurch verändert er uns, schenkt uns ein neues Herz, lehrt uns lieben, lehrt uns hoffen, lehrt uns glauben – Gott bedingungs­los vertrauen.

Kann jeder so ein Jünger Jesu werden? Ja, jeder – genauso wie Petrus und Andreas und der andere Jünger. Jeder kann zu Jesus kommen, wie er ist – mit aller Sünde, allen Zweifeln, allen Sorgen, allen Miss­erfolgen. Aber Jesus lässt ihn nicht, wie er ist, sondern verwandelt ihn zu einem neuen Menschen. So radikal ist diese Ver­wandlung, dass der Mensch sogar über den Tod hinaus in Ewigkeit bei Jesus in Gottes Reich lebt. Das ist die schönste und wunder­barste der vier Eigen­schaften eines Christen: Zum Christsein gehört nicht nur die Bereit­schaft zu Ver­änderung, die Sehnsucht, bei Jesus zu bleiben, und das Bedürfnis, andere zu Jesus einzuladen, sondern vor allem die Verwandlung zu einem neuen Menschen. Das alles tut Gott an uns durch den Heiligen Geist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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