Der Tempel und der Davidssohn

Predigt über Haggai zum Sonntag Palmarum

Verlesener Text: Haggai 2,9

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Japaner haben angefangen, ihre durch Erdbeben und Tsunami verwüsteten Orte wieder aufzubauen. Das ist gar nicht einfach; es geschieht unter erschwerten Be­dingungen. Jerusalem hat einmal so ähnlich ausgesehen wie die verwüsteten japanischen Orte: zur Zeit des Propheten Haggai nämlich, als Juden aus der babylo­nischen Gefangen­schaft zurück­kehrten und sich wieder in ihrer Heimat ansiedeln wollten. Der persische König hatte ihnen die Erlaubnis dazu erteilt, und nun machten sie sich an den Wieder­aufbau Jerusalems – ebenfalls unter schwierigen Be­dingungen. Regiert wurden sie vom Statthalter Serubabel, einem direkten Nachkommen des Königs David. Serubabel war also auch ein Davidssohn – wie Jesus, der ziemlich genau 550 Jahre später unter dem Triumph der Bevölkerung in Jerusalem einzog.

Die Rückkehrer aus der Babylo­nischen Gefangen­schaft machten zunächst die Häuser bewohnbar. Bald sah die Stadt wieder gut aus – bis auf ein paar hässliche Trümmer­grundstücke. Zu diesen Trümmer­grundstücken gehörte der Tempel­platz. König David hatte einst persönlich diese Stelle als Standort für den Tempel bestimmt. Sein Sohn Salomo (auch ein Davids­sohn!) hatte dann dort den ersten Jerusalemer Tempel bauen lassen. Dieser Tempel war von den Babyloniern aus­geplündert und zerstört worden; zur Zeit des Propheten Haggai und des Statt­halters Serubabel waren, wie gesagt, nur noch Trümmer davon übrig. Im Zuge des Wieder­aufbaus der Stadt hatte man zwar feierlich den Grundstein zu einem Tempel­neubau gelegt, dann aber waren die Arbeiten ins Stocken geraten.

So, und nun wenden wir uns der Botschaft von Haggai zu. Das Propheten­buch enthält vier datierte Gottes­botschaf­ten, die Haggai dem Serubabel und allen zurück­gekehrten Juden in Jerusalem ver­kündigte. Er hat diese Botschaften alle in einem Zeitraum von etwa vier Monaten gepredigt. Diese Zeit war für die Juden besonders hart, weil zu den Schwierig­keiten des Wieder­aufbaus noch eine Dürre gekommen war. Die land­wirtschaft­lichen Erträge waren kümmerlich, die Bewohner Jerusalems litten Hunger.

In diese Situation hinein sagte Gott durch Haggai: „Dieses Volk behauptet, es sei noch zu früh, meinen Tempel wieder aufzubauen. Aber es ist offenbar nicht zu früh, dass sie selbst in prächtigen Häusern wohnen, während mein Haus noch in Trümmern liegt! Achtet doch einmal darauf, wie es euch ergeht! Ihr habt reichlich Samen ausgesät und doch nur eine kümmerliche Ernte ein­gebracht… Merkt ihr denn nicht, weshalb es euch so schlecht geht? Geht ins Gebirge, schlagt Holz und baut meinen Tempel! Daran habe ich Freude, damit ehrt ihr mich! … Aber ihr lasst mein Haus in Trümmern liegen, und jeder denkt nur daran, wie er sein eigenes Haus baut! Deshalb gibt es weder Tau noch Regen, und es kann nichts mehr wachsen. Deshalb habe ich diese Dürre über euer Land ge­bracht…“

Die Juden dachten damals so, wie viele Leute heute noch denken. Sie denken: Erst einmal muss ich für meinen Lebensunterhalt sorgen. Ich möchte ein gemütliches Heim haben und auch ein kleines bisschen Wohlstand. Für Gottes Reich und die Kirche bleibt da wenig übrig. Da müsste es mir wirtschaft­lich schon sehr viel besser gehen, wenn ich einen zwei‑ oder drei­stelligen monatlichen Kirchen­beitrag zahlen sollte. Die Leute, die so denken, merken nicht, dass sie sich irren. Es ist nämlich nicht so, dass es ihnen schlechter gehen würde, wenn sie anständig für Gottes Reich opfern würden. Im Gegenteil: Es würde ihnen besser gehen! Dann würde Gott sie nämlich segnen, und sie würden merken: Großzügiges Opfern macht glücklich, aber Knauserig­keit macht arm.

Zum Glück waren Serubabel und die Juden umkehr­bereit. Das zeichnet ja noch heute jedes Gotteskind aus: Die Bereit­schaft, sich von Gott und seinen be­vollmächtig­ten Boten etwas sagen zu lassen und sich ent­sprechend zu ändern. Wir lesen im Buch Haggai: „Seru­babel… und das ganze Volk nahmen sich zu Herzen, was der Herr, ihr Gott, ihnen durch Haggai sagen ließ. Sie erkannten, dass Gott den Propheten zu ihnen geschickt hatte, und erschraken darüber, dass sie den Herrn nicht gebührend geehrt hatten.“ Und sie änderten sich: Sie begannen noch im selben Monat mit dem Wieder­aufbau des Tempels.

Freilich waren die Juden nicht ganz zufrieden mit dem, was da auf der Baustelle entstand. Trotz ihres Einsatzes und ihrer Opfer sah es ziemlich kümmerlich aus. Das geht heute vielen Christen ebenso: Mit viel Liebe und Mühe setzen sie sich ein für das Reich Gottes und opfern auch großzügig für die Kirche, aber dennoch erscheint ihnen das kirchliche Leben ziemlich kümmerlich im Vergleich zu dem, was das große Kapital in unserer Welt auf die Beine stellt. In so einer Situation braucht man Trost. Und diesen Trost schickte Gott den Juden durch das zweite Wort des Propheten Haggai. Er rief ihnen zu, dass sie sich nicht entmutigen lassen sollen. Und er malte vor ihren geistigen Augen ein kühnes Bild: das Bild von einem herrlichen neuen Tempel, der den früheren an Pracht weit übertreffen wird. Er sprach davon, dass ein gewaltiges Ereignis die Welt erschüttern wird; daraufhin werden Menschen aus allen Völkern ihre Schätze zu Gottes Tempel bringen und ihn aufbauen helfen. Von diesem prächtigen Tempel wird dann Frieden und Wohlstand ausgehen für Gottes Volk.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, merkt ihr etwas? Haggai redet hier gar nicht mehr über das Tempel­projekt beim Wieder­aufbau Jerusalems. Als der fertig war, war er nämlich nicht viel größer als eine Dorfkirche. Haggai redet auch nicht über die riesige prächtige Tempel­anlage, die König Herodes ein paar hundert Jahre später errichten ließ – das ist der Tempel, in dem Jesus und seine Jünger sich aufhielten. Haggai weissagt vielmehr einen Tempel, der überhaupt nicht aus Holz und Steinen gebaut ist. Haggai weissagt den Tempel des Leibes Christi, den Tempel der Christen­heit, den Tempel des ewigen Gottes­reichs. Das ist ein Tempel, den Menschen aus allen Völkern bilden. Das ist ein Tempel, von dem Frieden für die ganze Welt ausgeht.

Mit seiner dritten Botschaft ermunterte und ermahnte Haggai die Juden nochmals zum un­mittelbaren Tempelbau. Und mit seiner vierten Botschaft wies er dann wieder über den Wieder­aufbau Jerusalems hinaus auf die Zukunft, auf den gewaltigen Anbruch des neuen Gottes­reiches. Er weissagte im Namen des Herrn: „Ich, der Herr der Welt, werde Himmel und Erde in ihren Fundamenten er­schüttern. Ich stoße die Königs­throne um und mache der Herrschaft der Völker ein Ende; ich stürze die Streitwagen samt ihren Fahrern um und werfe die Rosse zu Boden, dass die Reiter mit dem Schwert über­einander herfallen. An jenem Tag mache ich dich, Serubabel, den Sohn Sche­altiels, zu meinem Be­vollmächtig­ten. Du sollst für mich wie ein Siegelring sein. Ich, der Herr der ganzen Welt, sage es dir zu.“ Mit diesen Worten endet das Buch des Propheten Haggai.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, merkt ihr wieder etwas? Es ist in diesen Worten zwar noch einmal von dem gewaltigen welt­erschüttern­den Ereignis die Rede, aber überhaupt nicht mehr von einem Tempel. Stattdessen kündigt Haggai ein mächtiges Friedens­reich unter Serubabels Führung an. Nun ist der Davidssohn Serubabel freilich nie zu solcher Macht auf­gestiegen. Aber er ist in dieser Pro­phezeiung eigentlich auch nur Stell­vertreter, nur Platzhalter für den anderen mächtigen Davidssohn, den schon zuvor viele Propheten des Alten Testaments angekündigt hatten. Er wird stell­vertretend genannt für den Davidssohn Jesus Christus, durch den Gott dann wirklich sein mächtiges ewiges Friedens­reich auf­gerichtet hat – freilich nicht ein Reich von dieser Welt, auch nicht mit den Macht­mitteln dieser Welt, sondern ein Reich der Liebe und des ewigen Lebens. Ein „Siegel­ring“ an Gottes Hand ist dieser kommende Erlöser, so weissagte Haggai. Mit einem Siegelring hat man damals Eigentum ge­kennzeich­net. Und dazu ist Jesus ja wirklich in die Welt gekommen: dass er uns mit dem Vater im Himmel versöhne, dass er uns zurück­gewinne als Gottes Eigentum, als seine Kinder. Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir sind mit diesem Siegelring gesiegelt! Wir sind auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft! Wird sind sein Eigentum, seine Kinder! Wir gehören zu seinem Friedens­reich für Zeit und Ewigkeit!

Lasst mich noch einmal auf den Tempel zurück­kommen – den Tempel, der nicht mit Holz und Steinen gebaut ist. Als Jesus in der Nacht vor der Kreuzigung vom Hohen Rat der Juden verhört wurde, da warf man ihm vor, er wolle den Tempel zerstören. Man hatte da ein bestimmtes Wort Jesu in dunkler Erinnerung. Tatsächlich hatte Jesus einmal gesagt: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten“ (Joh. 2,19). Nun ist aber ganz wichtig zu wissen, wie er dieses Wort gemeint hat! Der Evangelist Johannes hat es erklärt: „Jesus redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auf­erstanden war von den Toten ‚ dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte“ (Joh. 2,21-22).

Da merken wir, liebe Brüder und Schwestern: Der Tempel des neuen Bundes und der Davidssohn des neuen Bundes, das ist ein und derselbe! Jesus ist der Davidssohn, der die ewige Friedens­herrschaft in Gottes Reich antritt. Jesus ist zugleich der prächtige lebendige Tempel. Die Christen­heit ist sein Leib – so lebendig, wie Jesus mit der Auf­erstehung wieder lebendig geworden ist! Wir sind die Glieder an diesem Leib, wir sind die Steine von diesem Tempel, wir sind die Bürger von diesem Reich. Und wir jubeln unserm König zu, jetzt und in Ewigkeit: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Hosianna! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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