Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Die Japaner haben angefangen, ihre durch Erdbeben und Tsunami verwüsteten Orte wieder aufzubauen. Das ist gar nicht einfach; es geschieht unter erschwerten Bedingungen. Jerusalem hat einmal so ähnlich ausgesehen wie die verwüsteten japanischen Orte: zur Zeit des Propheten Haggai nämlich, als Juden aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrten und sich wieder in ihrer Heimat ansiedeln wollten. Der persische König hatte ihnen die Erlaubnis dazu erteilt, und nun machten sie sich an den Wiederaufbau Jerusalems – ebenfalls unter schwierigen Bedingungen. Regiert wurden sie vom Statthalter Serubabel, einem direkten Nachkommen des Königs David. Serubabel war also auch ein Davidssohn – wie Jesus, der ziemlich genau 550 Jahre später unter dem Triumph der Bevölkerung in Jerusalem einzog.
Die Rückkehrer aus der Babylonischen Gefangenschaft machten zunächst die Häuser bewohnbar. Bald sah die Stadt wieder gut aus – bis auf ein paar hässliche Trümmergrundstücke. Zu diesen Trümmergrundstücken gehörte der Tempelplatz. König David hatte einst persönlich diese Stelle als Standort für den Tempel bestimmt. Sein Sohn Salomo (auch ein Davidssohn!) hatte dann dort den ersten Jerusalemer Tempel bauen lassen. Dieser Tempel war von den Babyloniern ausgeplündert und zerstört worden; zur Zeit des Propheten Haggai und des Statthalters Serubabel waren, wie gesagt, nur noch Trümmer davon übrig. Im Zuge des Wiederaufbaus der Stadt hatte man zwar feierlich den Grundstein zu einem Tempelneubau gelegt, dann aber waren die Arbeiten ins Stocken geraten.
So, und nun wenden wir uns der Botschaft von Haggai zu. Das Prophetenbuch enthält vier datierte Gottesbotschaften, die Haggai dem Serubabel und allen zurückgekehrten Juden in Jerusalem verkündigte. Er hat diese Botschaften alle in einem Zeitraum von etwa vier Monaten gepredigt. Diese Zeit war für die Juden besonders hart, weil zu den Schwierigkeiten des Wiederaufbaus noch eine Dürre gekommen war. Die landwirtschaftlichen Erträge waren kümmerlich, die Bewohner Jerusalems litten Hunger.
In diese Situation hinein sagte Gott durch Haggai: „Dieses Volk behauptet, es sei noch zu früh, meinen Tempel wieder aufzubauen. Aber es ist offenbar nicht zu früh, dass sie selbst in prächtigen Häusern wohnen, während mein Haus noch in Trümmern liegt! Achtet doch einmal darauf, wie es euch ergeht! Ihr habt reichlich Samen ausgesät und doch nur eine kümmerliche Ernte eingebracht… Merkt ihr denn nicht, weshalb es euch so schlecht geht? Geht ins Gebirge, schlagt Holz und baut meinen Tempel! Daran habe ich Freude, damit ehrt ihr mich! … Aber ihr lasst mein Haus in Trümmern liegen, und jeder denkt nur daran, wie er sein eigenes Haus baut! Deshalb gibt es weder Tau noch Regen, und es kann nichts mehr wachsen. Deshalb habe ich diese Dürre über euer Land gebracht…“
Die Juden dachten damals so, wie viele Leute heute noch denken. Sie denken: Erst einmal muss ich für meinen Lebensunterhalt sorgen. Ich möchte ein gemütliches Heim haben und auch ein kleines bisschen Wohlstand. Für Gottes Reich und die Kirche bleibt da wenig übrig. Da müsste es mir wirtschaftlich schon sehr viel besser gehen, wenn ich einen zwei‑ oder dreistelligen monatlichen Kirchenbeitrag zahlen sollte. Die Leute, die so denken, merken nicht, dass sie sich irren. Es ist nämlich nicht so, dass es ihnen schlechter gehen würde, wenn sie anständig für Gottes Reich opfern würden. Im Gegenteil: Es würde ihnen besser gehen! Dann würde Gott sie nämlich segnen, und sie würden merken: Großzügiges Opfern macht glücklich, aber Knauserigkeit macht arm.
Zum Glück waren Serubabel und die Juden umkehrbereit. Das zeichnet ja noch heute jedes Gotteskind aus: Die Bereitschaft, sich von Gott und seinen bevollmächtigten Boten etwas sagen zu lassen und sich entsprechend zu ändern. Wir lesen im Buch Haggai: „Serubabel… und das ganze Volk nahmen sich zu Herzen, was der Herr, ihr Gott, ihnen durch Haggai sagen ließ. Sie erkannten, dass Gott den Propheten zu ihnen geschickt hatte, und erschraken darüber, dass sie den Herrn nicht gebührend geehrt hatten.“ Und sie änderten sich: Sie begannen noch im selben Monat mit dem Wiederaufbau des Tempels.
Freilich waren die Juden nicht ganz zufrieden mit dem, was da auf der Baustelle entstand. Trotz ihres Einsatzes und ihrer Opfer sah es ziemlich kümmerlich aus. Das geht heute vielen Christen ebenso: Mit viel Liebe und Mühe setzen sie sich ein für das Reich Gottes und opfern auch großzügig für die Kirche, aber dennoch erscheint ihnen das kirchliche Leben ziemlich kümmerlich im Vergleich zu dem, was das große Kapital in unserer Welt auf die Beine stellt. In so einer Situation braucht man Trost. Und diesen Trost schickte Gott den Juden durch das zweite Wort des Propheten Haggai. Er rief ihnen zu, dass sie sich nicht entmutigen lassen sollen. Und er malte vor ihren geistigen Augen ein kühnes Bild: das Bild von einem herrlichen neuen Tempel, der den früheren an Pracht weit übertreffen wird. Er sprach davon, dass ein gewaltiges Ereignis die Welt erschüttern wird; daraufhin werden Menschen aus allen Völkern ihre Schätze zu Gottes Tempel bringen und ihn aufbauen helfen. Von diesem prächtigen Tempel wird dann Frieden und Wohlstand ausgehen für Gottes Volk.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, merkt ihr etwas? Haggai redet hier gar nicht mehr über das Tempelprojekt beim Wiederaufbau Jerusalems. Als der fertig war, war er nämlich nicht viel größer als eine Dorfkirche. Haggai redet auch nicht über die riesige prächtige Tempelanlage, die König Herodes ein paar hundert Jahre später errichten ließ – das ist der Tempel, in dem Jesus und seine Jünger sich aufhielten. Haggai weissagt vielmehr einen Tempel, der überhaupt nicht aus Holz und Steinen gebaut ist. Haggai weissagt den Tempel des Leibes Christi, den Tempel der Christenheit, den Tempel des ewigen Gottesreichs. Das ist ein Tempel, den Menschen aus allen Völkern bilden. Das ist ein Tempel, von dem Frieden für die ganze Welt ausgeht.
Mit seiner dritten Botschaft ermunterte und ermahnte Haggai die Juden nochmals zum unmittelbaren Tempelbau. Und mit seiner vierten Botschaft wies er dann wieder über den Wiederaufbau Jerusalems hinaus auf die Zukunft, auf den gewaltigen Anbruch des neuen Gottesreiches. Er weissagte im Namen des Herrn: „Ich, der Herr der Welt, werde Himmel und Erde in ihren Fundamenten erschüttern. Ich stoße die Königsthrone um und mache der Herrschaft der Völker ein Ende; ich stürze die Streitwagen samt ihren Fahrern um und werfe die Rosse zu Boden, dass die Reiter mit dem Schwert übereinander herfallen. An jenem Tag mache ich dich, Serubabel, den Sohn Schealtiels, zu meinem Bevollmächtigten. Du sollst für mich wie ein Siegelring sein. Ich, der Herr der ganzen Welt, sage es dir zu.“ Mit diesen Worten endet das Buch des Propheten Haggai.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, merkt ihr wieder etwas? Es ist in diesen Worten zwar noch einmal von dem gewaltigen welterschütternden Ereignis die Rede, aber überhaupt nicht mehr von einem Tempel. Stattdessen kündigt Haggai ein mächtiges Friedensreich unter Serubabels Führung an. Nun ist der Davidssohn Serubabel freilich nie zu solcher Macht aufgestiegen. Aber er ist in dieser Prophezeiung eigentlich auch nur Stellvertreter, nur Platzhalter für den anderen mächtigen Davidssohn, den schon zuvor viele Propheten des Alten Testaments angekündigt hatten. Er wird stellvertretend genannt für den Davidssohn Jesus Christus, durch den Gott dann wirklich sein mächtiges ewiges Friedensreich aufgerichtet hat – freilich nicht ein Reich von dieser Welt, auch nicht mit den Machtmitteln dieser Welt, sondern ein Reich der Liebe und des ewigen Lebens. Ein „Siegelring“ an Gottes Hand ist dieser kommende Erlöser, so weissagte Haggai. Mit einem Siegelring hat man damals Eigentum gekennzeichnet. Und dazu ist Jesus ja wirklich in die Welt gekommen: dass er uns mit dem Vater im Himmel versöhne, dass er uns zurückgewinne als Gottes Eigentum, als seine Kinder. Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir sind mit diesem Siegelring gesiegelt! Wir sind auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft! Wird sind sein Eigentum, seine Kinder! Wir gehören zu seinem Friedensreich für Zeit und Ewigkeit!
Lasst mich noch einmal auf den Tempel zurückkommen – den Tempel, der nicht mit Holz und Steinen gebaut ist. Als Jesus in der Nacht vor der Kreuzigung vom Hohen Rat der Juden verhört wurde, da warf man ihm vor, er wolle den Tempel zerstören. Man hatte da ein bestimmtes Wort Jesu in dunkler Erinnerung. Tatsächlich hatte Jesus einmal gesagt: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten“ (Joh. 2,19). Nun ist aber ganz wichtig zu wissen, wie er dieses Wort gemeint hat! Der Evangelist Johannes hat es erklärt: „Jesus redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten ‚ dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte“ (Joh. 2,21-22).
Da merken wir, liebe Brüder und Schwestern: Der Tempel des neuen Bundes und der Davidssohn des neuen Bundes, das ist ein und derselbe! Jesus ist der Davidssohn, der die ewige Friedensherrschaft in Gottes Reich antritt. Jesus ist zugleich der prächtige lebendige Tempel. Die Christenheit ist sein Leib – so lebendig, wie Jesus mit der Auferstehung wieder lebendig geworden ist! Wir sind die Glieder an diesem Leib, wir sind die Steine von diesem Tempel, wir sind die Bürger von diesem Reich. Und wir jubeln unserm König zu, jetzt und in Ewigkeit: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Hosianna! Amen.
PREDIGTKASTEN |