Die Vernichtung der Feinde

Predigt über Obadja zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist zwar höchst bedauer­lich, aber wir können es nicht leugnen: Schon immer gab es Streit unter den Menschen. Überall sind Menschen miteinander verfeindet. Das fängt bereits im Kinder­zimmer an – Eltern können ein Lied davon singen. Und wenn wir in der Bibel nach­schauen, dann machen wir die erstaun­liche Entdeckung: Es kann sogar schon im Mutterleib anfangen! Das lesen wir von Rebekka, der Frau Isaaks, die lange Zeit keine Kinder bekommen konnte. Endlich erhörte Gott ihre Gebete, und sie wurde schwanger – sogar mit Zwillingen! Aber was taten die noch ungeborenen Zwillingen? Sie traten und stießen sich im Mutterleib, sie kämpften mit­einander. Rebekka litt entsetzlich darunter und wollte von Gott wissen, was das denn zu bedeuten habe. Gott ließ sie wissen, dass sie da gerade die Stammväter von zwei Völkern unter ihrem Herzen trägt, die sich einst feindlich gegenüber­stehen werden. Dann kam der Tag der Geburt, und sie brachte Jakob und Esau zur Welt. Diese beiden Brüder waren so verschieden wie Tag und Nacht. Ihr Zusammen­leben war stets von Spannungen geprägt. Und wie Gott es prophezeit hatte, so wurden sie Stammväter von zwei Völkern: Jakobs Nachkommen wurden das Volk Israel, und Esaus Nachkommen wurden das Volk Edom.

Die Feindschaft dieser beiden Völker ist der Hintergrund des Propheten­buchs Obadja. Es ist mit 21 Versen die kürzeste Schrift im Alten Testament. Ihr Inhalt: Gott kündigt den Edomitern, den Nachkommen Esaus, sein Straf­gericht an – letztlich ein Ver­nichtungs­urteil. Das erschreckt und verstört uns. Mir geht es jedenfalls immer so, wenn ich im Alten Testament von Gottes Straf­gerichten lese: Ich kann es nicht fassen, wie hart Gott die Menschen anfasst und was er ihnen alles zumutet. Und manchmal kann ich es auch nicht fassen, wie hart Gott Menschen heute noch anfasst. Dass er sie erzieht, dass er sie durch Schicksals­schläge mahnt und warnt, das verstehe ich. Aber dass er einem ganzen Volk die Vernichtung ankündigt, die völlige Auslöschung – das ist extrem hart.

Ich lasse jetzt diesen persön­lichen Eindruck zunächst einmal so stehen und wende mich der Frage zu, womit die Edomiter denn Gottes Strafe verdient haben. Da erfahren wir durch den Propheten Obadja eine ganze Menge. Zusammen­gefasst sind es aber eigentlich nur zwei Dinge, die Gott den Edomitern vorwirft: erstens ihre Über­heblich­keit, zweitens ihre Feindschaft gegen Israel.

Gottes Anklage gegen Edoms Über­heblich­keit lautet so: „Der Hochmut deines Herzens hat dich betrogen, weil du in den Felsen­klüften wohnst, in deinen hohen Schlössern, und du sprichst in deinem Herzen: Wer will mich zu Boden stoßen? Wenn du auch in die Höhe führest wie ein Adler und machtest dein Nest zwischen den Sternen, dennoch will ich dich von dort herunter­stürzen, spricht der Herr.“ Dieses Wort spielt auf die besondere Wohn­situation der Edomiter an. Sie lebten im Bergland südlich des Toten Meeres. Noch heute kann man die Reste ihrer Felsen­wohnungen be­sichti­gen, die sie sich hoch oben im Gebirge gemacht haben. Die Edomiter meinten hochmütig, mit diesen Festungen seien sie un­einnehm­bar. Sie fühlten sich wie Herren der Welt, sie sahen buch­stäblich auf die anderen Völker von oben herab. Das ist etwas, was Gott überhaupt nicht leiden kann und unter keinen Umständen duldet: wenn Menschen hochmütig sind; wenn sie sich einbilden, sie können alles; wenn sie sich Macht über andere anmaßen, ohne sie von Gott verliehen bekommen zu haben. „Gott widersteht den Hoch­mütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, so heißt es im 1. Petrus­brief (5,5).

Gottes Anklage gegen Edoms Feindschaft gegen Israel lautet so: „Um deines Frevels willen, an deinem Bruder Jakob begangen, sollst du zuschanden werden und für immer ausgerottet sein… Du sollst nicht mehr herabsehen auf deinen Bruder zur Zeit seines Elends und sollst dich nicht freuen über die Söhne Juda zur Zeit ihres Jammers und sollst mit deinem Mund nicht so stolz reden zur Zeit ihrer Angst.“ Die Edomiter haben die Israeliten in einer bestimmten Zeit schlecht behandelt und waren schaden­froh, als es ihnen schlecht ging. Israel aber ist Gottes Liebling, Gottes Bundesvolk von alters her, auserwählt aus allen Völkern und mit dem Sinai-Bund beschenkt. Weh dem, der diesem Volk feindlich gesinnt ist! Weh dem, der schadenfroh auf das Leid der Juden herabsieht oder ihnen gar selber Leid zufügen will!

Liebe Gemeinde, wir merken: Die Schuld der Edomiter entspricht in etwa der Schuld der National­sozialisten im Dritten Reich. Denn die National­sozialisten hatten genau diese beiden Fehler, die Gott bereits den Edomitern durch den Propheten Obadja vorwarf: Sie waren erstens überheblich und hielten sich für die Herren der Welt; zweitens verachteten sie die Juden und trachteten danach, sie aus­zurotten. Und ebenso wie Gott den Edomitern sein Straf­gericht angekündigt und es dann auch ver­wirklicht hat, ebenso wie er die Edomiter ver­nichtete, so hat er die Nazi-Diktatur am Ende bestraft und vernichtet. Daran erkennen wir, wie schlimm die Sünde ist und wie groß Gottes Zorn gegen den Sünder ist. Auch heute noch sollte niemand meinen, er dürfe sich ungestraft gegen Gott und sein aus­erwähltes Volk erheben. Das können wir übrigens auch auf Gottes neues Bundesvolk beziehen, auf das Israel des Glaubens, auf das Gottesvolk aus den vielen Völkern also, das unter dem einen Hirten Jesus Christus zu der einen Herde der Christen­heit geworden ist. Also: Auch wer die Christen anfeindet und verfolgt, darf sich nicht wundern, wenn Gott androht, ihn hart zu strafen und schließlich zu vernichten.

Ich komme noch einmal auf mein Erschrecken über Gottes Zorn und harte Strafe zurück. Es ist ja eigentlich ein Erschrecken über Gottes Gerichts­handeln an anderen. Zugleich aber muss es auch ein Erschrecken über meine eigene Sünde sein. Denn auch in mir regt sich immer wieder die Stimme des Hochmuts, die sich über andere erheben will. Selbst wenn ich es gelernt habe, nach außen demütig zu sein, so ist doch das Unkraut des Hochmuts nicht gänzlich ausgerottet aus meinem Herzen. Wenn mir das bewusst wird, dann kann ich nur bitten: Herr, erbarme dich; rechne mir meine Sünde nicht an; lass Gnade vor Recht ergehen!

Und dann höre ich Gottes Antwort. Ich höre Gottes gnädige Antwort, Gottes letztes Wort – ein barm­herziges Wort, das über seinen Zorn trium­phiert. Es ist sein Wort, das in Jesus Fleisch geworden ist, die frohe Botschaft von der Vergebung und vom ewigen Leben. Ich höre dieses Wort auch heraus aus der großen und schreck­lichen Anklage des Propheten Obadja. Am Ende heißt es da: „Auf dem Berg Zion werden Gerettete sein, und er soll heilig sein, und das Haus Jakob soll seine Besitzer besitzen. Und das Haus Jakob soll ein Feuer werden und das Haus Josef eine Flamme, aber das Haus Esau Stroh; das werden sie anzünden und verzehren, sodass vom Hause Esau nichts übrig bleibt; denn der HERR hat‘s geredet… und die Königs­herrschaft wird des Herrn sein.“

Gottes Volk soll eine Flamme sein, die Gottes Feinde wie Stroh verbrennen wird… das klingt zunächst auch nach Zorn und Gericht. Aber wir wissen, wie dieses Gericht in Gottes neuer Königs­herrschaft aussieht: Es ist Gottes Gericht durch den König Jesus Christus, der im Volk der Juden geboren wurde und aus dem Volk der Juden heraus der Heiland für alle wurde. Es ist Gottes Gericht am Kreuz, wo der ganze Zorn den ein­geborenen Sohn trifft an unserer Statt. Wie ein Blitz­ableiter zieht Jesus Gottes Zorn auf sich und bewirkt damit, dass der Sünder nicht sterben muss, sondern ewiges Leben gewinnt. Das geschieht ganz unabhängig von seiner Nationali­tät, von seiner Zu­gehörig­keit zu dem einen oder dem anderen Volk. Zwar hat Gott in der Geschichte immer wieder ganze Völker gerichtet und untergehen lassen, aber wenn die Menschen ihre Schuld bereuten und Gott vertrauten, dann fanden sie Vergebung und ewiges Leben, dann wurden sie hinein­genommen in Gottes neues Volk, das in seinem Reich ewig lebt. Das gilt für Juden und Nicht-Juden, für Edomiter und Nazis, für dich und für mich. Das Feuer, von dem Obadja prophe­zeite, ist letztlich das Feuer der göttlichen Liebe, das mit Jesus auf die Welt gekommen ist. Es vernichtet Gottes Feinde in der Weise, dass es aus ihnen Gottes Freunde macht. Das Feuer der göttlichen Liebe frisst alle Über­heblich­keit und alle Feindschaft gegen Gottes Volk auf. Wer dies im Glauben annimmt, der wird von diesem Feuer nicht gänzlich auf­gefressen, sondern im Gegenteil: Er wird verändert, erneuert, geläutert und gerettet zum ewigen Leben.

Auch der Apostel Paulus hat so vom Feuer des göttlichen Gerichts geredet. Er hat verheißen, dass ein Mensch durch Christus auch dann noch durch dieses Feuer hindurch gerettet werden kann, wenn sein Tun wegen der Sünde nichts anderes als Stroh ist – so wie bei den Edomitern. Er hat ge­schrieben: „Wenn jemand auf den Grund (Christus) baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gericht wird's klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch“ (1. Kor. 3,12‑15). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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