Anwältinnen für Leib und Seele

Predigt über Lukas 10,38‑42 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Bertolt Brecht dichtete 1934: „Und weil der Mensch ein Mensch ist, / drum braucht er was zum Essen, bitte sehr! / Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, / das schafft kein Essen her.“ Die Ein­stellung, die dieses berühmte Arbeiter­einheits­front­lied zum Ausdruck bringt, ist heute weit verbreitet; die große Mehrheit denkt so. Die meisten sagen: Das ist das Wichtigste, dass alle Menschen genug zum Essen haben, und Kleidung, und Unterkunft, und medi­zinische Versorgung, und auch Bildung – damit sie einen Beruf finden und ihren Lebens­unterhalt selbst verdienen können. Aber das Reden über Gott und Jesus halten viele für so ein „Ge­schwätz“, das niemanden satt macht. Einige sind ganz dagegen; andere meinen: Wenn das ein paar Leuten gefällt und sie es hören wollen, dann lasst ihnen doch ihr frommes Hobby! So wie manche Yoga machen oder Basketball spielen, können die Christen doch ihre Gottes­dienste feiern.

Zweifellos braucht der Mensch etwas zu essen, sonst verhungert sein Leib. Aber der Mensch hat ja nicht nur einen Leib, sondern er hat auch eine Seele. Die braucht auch was zum Essen, bitte sehr! Und diese Seelen­nahrung wird nun mal nicht in der Kantine serviert, sondern in der Kirche. Es fragt sich dabei, was wichtiger ist: Das tägliche Brot oder das Lebensbrot.

Ich möchte jetzt zwei Anwältinnen zu Wort kommen lassen, die eine für den Leib, die andere für die Seele. Die Anwältin für den Leib heißt Marta, die Anwältin für die Seele Maria. Diese beiden Schwestern sind uns eben im Predigttext begegnet. Die Geschichte von Marta und Maria ist recht bekannt: Marta gibt sich viel Mühe, um was Gutes zu kochen. Schließlich hat sie ja lieben Besuch zu bewirten: Jesus und zwölf hungrige Jünger. Der Marta ist die Leibsorge wichtig. Maria dagegen setzt sich Jesus zu Füßen und hört zu, wie er über Gottes Reich predigt. Ihr liegt die Seelsorge am Herzen. Und nun noch einmal unsere Frage: Was ist wichtiger, die Leibsorge oder die Seelsorge?

Marta würde sagen: Natürlich die Leibsorge! Wenn ich eine Woche lang nichts trinke, bin ich tot. Und wenn ich einen Monat lang nichts esse, bin ich auch tot.

Maria würde erwidern: Tot? Ja, der Leib wäre dann tot, aber nicht die Seele. Wenn die Seele mit Gott im Reinen ist, dann lebt sie ewig, sagt Jesus. Seelsorge ist also wichtiger als Leibsorge.

Dann würde Marta sagen: Das ist doch weltfremd! Das kannst du nur sagen, weil du jeden Tag satt wirst. Ich will dich mal sehen, wenn du plötzlich nichts mehr zu essen hättest, ob dir dann immer noch dein Seelenleben wichtiger ist.

Maria würde antworten: Jedenfalls sollte es mir wichtiger sein, und dir auch. Der Leib muss früher oder später sowieso sterben, davor brauchen wir uns nicht zu fürchten. Jesus hat gesagt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können. Fürchtet euch vielmehr vor dem, der Leib und Seele in der Hölle verderben kann“ (Matth. 10,28). Und Jesus hat auch gesagt: „Was hilft es denn dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden nimmt“ (Matth. 16,26).

Marta würde ägerlich werden: Jesus hat gesagt, Jesus hat gesagt…! Er hat aber auch gesagt, wie wir beten sollen: „Unser tägliches Brot gib uns heute“, so sollen wir den Vater im Himmel bitten. Da kannst du mal sehen, dass Jesus auch das Essen wichtig ist.

Maria würde darauf eingehen: Ja, das hat Jesus uns mit dem Vaterunser gelehrt. Aber das ist nur eine Bitte von sieben, nur eine! Und wovon handeln die andern sechs Bitten? Von Gottes Reich, von der Sünden­vergebung, von der Erlösung – alles Dinge, die die Seele betreffen! Da hast du es: sechs zu eins für die Seelsorge!

Jetzt würde Marta wider­sprechen: Nein, sechs zu eins für die Leibsorge! Gottes Gebot sagt, dass wir an sechs Tagen arbeiten sollen, und zwar für unser tägliches Brot. Danach erst gibt es einen Tag Pause für die Seelsorge. Sechs Tag Leibsorge, ein Tag Seelsorge – so will der himmlische Vater es haben. Komm mir also nicht damit, dass die Seelsorge wichtiger ist.

Da würde Maria sagen: Am liebsten hättest du es wohl, wenn am Feiertag dann auch noch über das tägliche Brot gepredigt wird. Du sagst doch immer, dass in der Predigt die all­täglichen Sorgen der Leute vorkommen müssen. Du willst doch, dass da die Reichen zum Abgeben auf­gefordert weden und die Mächtigen zu sozialer Gerechtig­keit. Dir gefällt es also nicht mal am Feiertag, wenn du etwas für deine Seele tun sollst, wenn du dich da mit Sünde und ewigen Leben be­schäftigen sollst.

Marta würde sich jetzt ein bisschen in die Enge getrieben fühlen und darum das Thema wechseln: Denk doch mal an die Kinder, würde sie sagen. Die sind doch darauf angewiesen, dass wir ihnen zu essen geben. Es wäre schlimm, wenn wir das nicht tun würden. Und für ihre Bildung sind wir auch ver­antwort­lich. Sie sollen was Ver­nünftiges lernen, damit sie später mal Arbeit finden und ihren Lebens­unterhalt verdienen können. Was haben die Kinder davon, wenn man ihnen nur irgend­welche Geschichten erzählt oder sie mit hoch­fliegenden Gedanken verwirrt. Nein, sie sollen einmal tüchtige Mitglieder der Gesell­schaft werden – unabhängige Menschen, die was anpacken und bewegen können.

Maria würde darauf eingehen: Das macht mir direkt Angst, wie du das sagst. Wie kalt wäre es in unserer Gesell­schaft, wenn es da nur solche Macher-Typen gäbe, solche Lebens-Manager, denen Brot und Geld das Wichtigste ist. Wo bleibt denn da die Seele? Nein, am Wichtigsten ist es, dass Kinder zu Jesus finden! Er hat doch selbst gesagt: „Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran, denn ihnen gehört Gottes Reich“ (Markus 10,14). Was nützt ihnen die beste Bildung, wenn sie nicht wissen, wie sie selig werden können? Und selbst wenn sie dann satt und reich 80 Runden auf der Erde Karussell fahren – es wäre doch furchtbar, wenn sie dann nicht in dem Himmel kommen, nur weil ihnen niemand den Weg dorthin gezeigt hat.

Marta: Das kann man ihnen ja im Religions­unterricht sagen. Aber zunächst ist doch wichtig, dass sie satt werden. Ich denke da übrigens vor allem an die armen Kinder. Das will Jesus doch auch, dass wir den Armen helfen. Ich spende darum lieber was für die Armen als für die Kirche.

Maria: Diakonie und Mission gehören zusammen. Was nützt es, wenn du Bäuche füllst, aber Seelen verhungern lässt?

An dieser Stelle brechen wir den aus­gedachten Dialog von Marta und Maria ab, den Anwältinnen von Leib und Seele. Zwar ließe sich noch viel aus der einen und der anderen Richtung sagen, aber hilft es uns wirklich weiter, liebe Gemeinde? Was uns hier in erster Linie inter­essiert (oder inter­essieren sollte), ist doch nicht, was Marta sagt und was Maria sagt, sondern was der Herr sagt. Darum wenden wir uns zum Schluss Jesus zu. Er kommt ja auch vor in der Geschichte von Marta und Maria, ja, er ist eigentlich sogar die Haupt­person. Am Schluss geht er auf beide ein – und da wird es für uns richtig inter­essant. Leibsorge oder Seelsorge – was ist wichtiger? Was meint Jesus dazu?

Jesus sagt zu Marta: „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.“ Er sagt es liebevoll und an­erkennend. Er weiß die Leibsorge zu schätzen. Er weiß, wieviel Mühe eine Hausfrau hat, wenn sie viele Gäste gut bewirten will. Er weiß, dass das tägliche Brot nicht von allein kommt wie im Schlaraffen­land; der himmlische Vater hat vielmehr angeordnet, dass wir es im Schweiße unseres Angesichts erst erarbeiten müssen. Jesus zeigt damit, dass die Leibsorge durchaus etwas Wichtiges ist. Er hindert Marta auch nicht daran; er sagt nicht: Hör mir jetzt lieber zu und koche danach was Un­komplizier­tes! Aber er möchte nicht, dass Marta ihre Schwester an der Seelsorge hindert, am Hören, am Aufnehmen geistlicher Nahrung. Vielmehr sagt Jesus im Blick auf Maria: „Eins ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ Die Seelsorge, sagt Jesus, ist das gute Teil, das Not ist. Und er sagt damit: Die Seelsorge ist in der Tat wichtiger als die Leibsorge. Nicht, dass die Leibsorge unwichtig wäre; aber sie ist etwas Vor­läufiges, etwas zeitlich Begrenztes. Was für die Ewigkeit zählt, ist allein die Seelsorge. Und so, wie Jesus es hier im Blick auf Maria sagt, so hat er es auch seine Jünger gelehrt. In der Bergpredigt lehrte er: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtig­keit, so wird euch das alles (Essen, Trinken, Klei­dung…) zufallen“ (Matth. 6,33). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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