Den un­vergleich­lichen Gott finden

Predigt über Jesaja 40,12‑25 zum 5. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Alle Menschen tragen in sich eine tiefe Sehnsucht nach Gott. Vor dreitausend Jahren war es daher bei vielen Heidenvölkern üblich, dass man sich ein Bild von Gott machte und es anbetete. Der Prophet Jesaja beschreibt hier spöttisch, wie so ein Do-it-yourself-Gott hergestellt wird: Man nehme einen Klotz aus hoch­wertigen Holz. Das Holz darf nicht leicht faulen, damit man lange Freude hat an seinem Gott. Diesen Klotz gebe man einem Bildhauer und lasse eine kunstvolle Figur daraus zurecht­hauen. Der Künstler muss darauf achten, dass die Figur standfest ist; wenn der Gott auf wackligen Beinen steht, kann er leicht umkippen. Diesen Gottes-Rohling bringe man dann zu einem Gold­schmied. Der nehme hauchdünne Goldbleche und überziehe den Klotz damit. Dann nehme er silberne Ketten und lege sie dem Goldgott als Schmuck um. Fertig ist der Götze!

Heutzutage werden wohl fast alle über solch einen naiven Götzen­glauben lachen, Christen und Atheisten gleicher­maßen. Aber es gibt ja auch andere Beispiele dafür, wie Menschen sich aufgrund ihrer Sehnsucht nach Gott etwas zum Anbeten gesucht haben. Manche hielten die Himmels­körper für Götter: Sonne, Mond und Sterne. Diesen Menschen hält bereits das erste Kapitel der Bibel entgegen: Falsch, das sind keine Götter, das sind bloß Lampen am Himmel, die der eine wahre Gott da installiert hat! Andere ver­götterten Tiere, wieder andere die sogenannte Mutter Erde. Die Griechen erfanden menschen­ähnliche Götter­gestalten und ließen sie in ihren Sagen allerhand Abenteuer erleben. Noch heute sind die Namen einiger dieser griechisch-römischen Gottheiten in aller Munde: Neptun oder Zeus oder Aphrodite. In Afrika werden verstorbene Menschen wie Götter verehrt: die Ahnen, die Toten­geister. Mancher moderne Mensch überträgt seine Sehnsucht nach Gott auf noch lebende Mit­menschen: Er vergöttert seinen Partner, seine Familie oder einen Star. Sogar Atheisten, die ihre Sehnsucht nach Gott eigentlich verleugnen, sind vor solchem Menschen­kult nicht sicher: Hitler wurde von vielen vergöttert, Lenin und Stalin ebenso. Dass Geld und anderer Reichtum zum Götzen werden kann, das wissen wir alle, und das war auch schon zu Jesu Zeiten so; „Mammon“ nannte er den Geldgott. Der größte Götze unserer Zeit aber heißt Ego; die dazu­gehörige Religion ist der Egoismus. Da ehren die Menschen sich selbst, ihr eigenes Ich. Sie dienen sich selbst, sie opfern alles für das persönliche Glück und Wohl­ergehen. Sie gehorchen keinen anderen Geboten außer denen, die sie sich selbst geben. Und sie meinen auch, dass niemand anderes sie retten oder ihnen helfen kann als nur sie selbst. Ja, die Sehnsucht nach Gott, die in jedem Menschen drin steckt, treibt die ver­schiedensten Blüten, manchmal auch sehr merk­würdige.

Der eine wahre Gott hat uns nicht deshalb diese Sehnsucht ins Herz gegeben, damit wir uns selbst die ver­schiedensten Götter suchen oder schaffen. Vielmehr hat er uns diese Sehnsucht deshalb gegeben, damit wir ihn suchen, der uns geschaffen hat. Er sagt: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Bleibt nur die Frage: Wie finden wir ihn denn? Und wie sollen wir uns ihn, den einen wahren Gott, denn vorstellen – wenn so viele menschliche Gottes­vorstellun­gen in die Irre führen?

Der Prophet Jesaja hat gesagt, wie wir uns Gott vorstellen sollen: Stellt euch eine Person vor, so groß, dass sie die Wassermassen aller Weltmeere in der hohlen Hand halten kann. Stellt euch jemanden vor, der die Strecke von Horizont zu Horizont mit einer Handspanne messen kann, mit dem Abstand vom Daumen zum kleinen Finger. Stellt euch jemanden vor, der allen Sand und alles Gestein der Erde mit einer Waage abwiegen kann. Und bedenkt dabei: Alle Menschen der Erde sind ja nur ein Tropfen im Vergleich zu den Wasser­massen der Weltmeere; sie sind nur ein Sandkorn im Vergleich zu allem Gestein. Stellt euch einen Gott vor, für den auch das größte denkbare Brandopfer viel zu klein wäre – alle Bäume der gewaltigen Bergwälder des Libanon und alle wilden Tiere, die darin leben! Stellt euch einen erhabenen König vor, der oben im Himmel thront. Stellt euch einen Herrn vor, in dessen Augen die Menschen klein wie Insekten sind. Stellt euch einen Schöpfer vor, der das Himmels­gewölbe so ausgespannt hat, wie ein Nomade eben mal sein Zelt aufschlägt. Stellt euch einen Herrscher vor, weit erhaben über den mächtigsten Staaten­lenker der Welt. Stellt euch einen Richter vor, der all die klugen Urteile mensch­licher Gerichte mit einem Wort aufheben kann. Und stellt euch diesen Gott ewig vor; im Vergleich zu ihm sind alle Menschen flüchtig wie Spreu im Wind. Am Schluss der Rede des Propheten Jesaja heißt es dann: „Mit wem wollt ihr mich also ver­gleichen, dem ich gleich sei?, spricht der Heilige.“

Also wie sollen wir uns Gott vorstellen? So sollen wir ihn uns vorstellen, wie wir uns ihn überhaupt nicht vorstellen können – so groß, so erhaben, so ewig! Alle Vor­stellungen von Gott sind letztlich falsch, oder sie entsprechen nur einem winzigen Teil von ihm. Wenn jemand behauptet, er habe Gott völlig erkannt, dann ist klar: Dieser Mensch kann nicht den wahren Gott meinen, sondern er meint einen selbst erfundenen Götzen. Gott ist zu groß, als dass die Vorstellung von ihm in ein so kleines Ding hineinpasst wie es das menschliche Gehirn ist. Jesaja fragt: „Wer bestimmt den Geist des Herrn, und welcher Ratgeber unterweist ihn?“ Die richtige Antwort lautet: niemand, denn niemand kann ihm das Wasser reichen, niemand auf Augenhöhe mit ihm disku­tieren. Jesaja fragt weiter: „Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Ver­standes?“ Wieder lautet die richtige Antwort: niemand. Und wir müssen hinzufügen: Gerade umgekehrt ist es doch! Wir sollten Gott um Rat fragen. Gott gibt uns Einsicht. Gott lehrt uns den Weg des Rechts. Gott lehrt uns Erkenntnis. Gott weist uns den Weg des Verstandes. Wenn wir das begreifen, dann stellen wir fest: Es geht überhaupt nicht darum, dass wir uns eine Vorstellung von Gott machen. Dieser Weg ist vergeblich; da wird unsere Sehnsucht nach Gott nie gestillt werden. Diese Sehnsucht kann nur auf dem umgekehrten Weg gestillt werden: wenn Gott selbst auf uns zukommt, wenn er selbst uns findet, wenn er selbst sich uns bekannt macht.

Lasst mich dazu eine Beispiel­geschichte erzählen. Ein Vater geht mit seinen zwei kleinen Kindern auf den Rummel­platz. Es herrscht großes Gedränge. Der Vater ist ein ver­antwort­licher Mann, darum schärft er seinen Kindern ein: Falls ihr mich in dem Gewühl verliert, dann geht zum Riesenrad und wartet dort am Kassen­häuschen auf mich; rührt euch auf keinen Fall von der Stelle, sondern wartet so lange, bis ich komme! Die drei haben einen herrlichen Nachmittag auf dem Rummel­platz. Aber zum Schluss passiert dann doch, was der Vater befürchtet hat: Er verliert seine beiden Kinder aus den Augen. Sie sind einfach zu schnell voraus­gelaufen; er ist wegen der vielen Menschen nicht hinterher­gekommen. Als die beiden Kinder das merken, bekommen sie einen tüchtigen Schrecken. Das jüngere Kind fängt sogar an zu weinen. Das ältere Kind sagt: Wein doch nicht; denk doch mal nach, was Papa uns vorhin gesagt hat! Da fällt es dem jüngeren Kind wieder ein. Sie gehen gemeinsam zum Riesenrad und warten dort am Kassen­häuschen. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Eine Viertel­stunde. Dem größeren Kind wird das zu dumm, und es sagt zum Geschwister­chen: Papa kommt nicht; wir müssen ihn jetzt suchen gehen! Das jüngere Kind antwortet: Nein, das dürfen wir doch nicht, hat Papa gesagt! Es kommt zum Streit, und schließlich geht das größere Kind weg, während das kleinere treu wartend beim Riesenrad bleibt. Es dauert nicht lange, da taucht der Vater auf, und das kleine Kind landet glücklich in seinen Armen. Das ältere Kind aber irrt irgendwo auf dem Rummelplatz herum, und es dauert sehr lange, bis es den Vater findet.

Die beiden Kinder gleichen uns Menschen mit unserer Sehnsucht nach Gott. Wir wollen mit ihm zusammen sein; wir suchen seine Nähe; wir suchen Geborgen­heit und Leitung. Das ältere Kind gleicht den Menschen, die sich mit ihren eigenen Gottes­vorstellun­gen auf die Suche machen, den wahren Gott dabei aber verfehlen. Sie finden nur andere Götter, falsche Götter, Götzen aller Art. Das kleinere Kind aber vertraut darauf, dass der Vater es findet. Es gleicht den Menschen, die darauf vertrauen, dass Gott sie schon finden und ihre Sehnsucht nach ihm stillen wird. Die gute Nachricht aber ist die: Gott hat uns schon gefunden, er ist schon bei uns! Er ist zu uns gekommen in seinem Sohn Jesus Christus. Jeder, der an Jesus glaubt, findet den großen und un­vergleich­lichen Gott. Jeder, der an Jesus glaubt, findet Geborgen­heit und Leitung, Vergebung der Sünden und ewiges Leben – weil Gott selbst ihn durch Jesus sucht und findet. Jeder, der an Jesus glaubt, bekommt seine Sehnsucht nach Gott gestillt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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