Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Es lohnt sich, den Weg des konfessionellen Luthertums zuversichtlich weiterzugehen, auch wenn er beschwerlich ist. Es lohnt sich deshalb, weil unsere Kirche drei Eigenschaften hochhält, die für die christliche Kirche aller Zeiten grundlegend wichtig sind – nämlich die drei Eigenschaften bußbereit, bibeltreu und bekenntnisfreudig. Sie lassen sich an dem Wort unsers Herrn Jesus Christus festmachen: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Dieser Satz gehört zur ersten Predigt Jesu, die im Markusevangelium überliefert ist. Daran erkennen wir: Dieser Satz hat grundlegende Bedeutung für die Christenheit. Anhand dieses Herrenwortes möchte ich jetzt nacheinander die drei Eigenschaften bedenken, die für uns und die Kirche aller Zeiten so wichtig sind: bußbereit, bibeltreu und bekenntnisfreudig.
Bußbereit sollen wir sein nach dem Willen unseres Herrn. Jesus sagte: „Tut Buße!“ Vergessen wir dabei aber alle landläufigen Gedankenverbindungen mit Buße! Vergessen wir das künstliche Hineinsteigern in eine tränenreiche Reue, das aufgesetzte Betroffenheits-Getue vergangener Bußtage sowie auch das Bußgeld! Wenn Jesus sagt: „Tut Buße!“, dann fordert er uns einfach zu einem Sinneswandel auf, zu einem Umdenken. Bußbereitschaft ist die Bereitschaft zur Veränderung, und zwar von innen nach außen, vom Herzen her zu Mund und Händen.
Mit Martin Luthers zweiter These sind wir der Überzeugung: Buße ist nicht der einmalige Startschuss für ein Christenleben, sondern vielmehr ein lebenslanger und alltäglicher Prozess. Christi Aufforderung zur Buße gilt auch noch für den frömmsten Christen. Solange wir leben, ist Christsein unzertrennlich verbunden mit der Bereitschaft zum Sinneswandel.
Es gibt heute eine bestimmte geistige Richtung, die solche fortdauernde Bußbereitschaft beiseite schieben will. Man sagt, es sei der psychischen Gesundheit abträglich, immerfort an seine Sünden und Fehler zu denken; es zerstöre das Selbstwertgefühl. Das wäre richtig, wenn mein Selbstwert von mir selbst abhinge, von meinen eigenen Leistungen. Dem ist aber nicht so. Entscheidend für meinen Selbstwert ist, wie wert ich in Gottes Augen geachtet bin; und da erfahre ich die allerhöchste Wertschätzung: Ich bin ein Himmelserbe! Gott schenkt mir das ganz unverdient durch Jesus. Auf dieser Grundlage ist Buße nichts Ungesundes, sondern etwas höchst Erquickendes und Befreiendes. Ich habe es nun nicht mehr nötig, eine Lügenmauer oder eine Heuchelfassade aufzubauen vor all dem Blödsinn, den ich gemacht habe; ich kann ehrlich dazu stehen und Besserung aus Gottes Kraft erhoffen. Ich muss nicht mehr alle Suppen auslöffeln, die ich mir eingebrockt habe, sondern ich darf immer wieder neu anfangen.
Buße gehört nicht nur ins stille Kämmerlein, Buße gehört auch in die Gemeinschaft. Zur Zeit Jesu war das ganz selbstverständlich, und darum forderte er sein Volk auch kollektiv auf im Plural: „Tut Buße!“ Deshalb gibt es in unserer Kirche nicht nur die Aufforderung zur persönlichen Herzensbuße und die Einladung zur Einzelbeichte, sondern es gibt auch Beichtandachten und Bußgottesdienste. Wenn jemand diese Formen gemeinsamen Buße-Tuns in unserem gottesdienstlichen Leben an den Rand schieben wollte, dann könnte er sich auch gleich dafür stark machen, die fünfte Vaterunserbitte zu streichen: „Vergib uns unsere Schuld.“ Aufpassen müssen wir nur, dass aus der Beichtkultur in unserer Kirche kein sinnentleertes Ritual wird. Vergessen wir nicht: Buße heißt Sinneswandel und Bereitschaft zur Änderung! Konservativ sollten wir also nur im Blick auf die Lehre sein, nicht im Blick auf unser Leben, auch nicht im Blick auf das kirchliche Leben. Christi Liebe will die Kirche stets erneuern und von innen her verändern. Es sollte uns daher leicht fallen, dass wir uns von altvertrauten Strukturen trennen oder von denkmalgeschützten Gebäuden, wenn das Vorteile bringt. Und erst recht sollte es uns leicht fallen, von Vorurteilen untereinander Abschied zu nehmen und jederzeit misstrauensfrei aufeinander zuzugehen. Wir sind stets zum Neuanfang bereit, wir sind bußbereit – weil Jesus es so will und weil Jesus es uns auch schenkt.
Zweitens: Bibeltreu sollen wir sein nach dem Willen unsers Herrn. Jesus sagte: „Glaubt an das Evangelium!“ Die Quelle des Evangeliums ist die Heilige Schrift. Das Alte Testament kündet davon, wie Gott in der Geschichte Israels das Kommen des Erlösers vorbereitet hat; das Neue Testament bezeugt uns Jesus von Nazareth als den versprochenen Messias. Ohne die Bibel wüssten wir so gut wie nichts über Jesus, oder wir hätten nur Fragmente einer unzuverlässigen Überlieferung. In der Bibel aber kriegen wir das Evangelium aus erster Hand. Hier hören wir die Stimme jener Leute, die von Gott selbst als unmittelbare Evangeliumszeugen beauftragt und bevollmächtigt worden sind. Durch sie kommt Gott selbst zu Wort, und darum ist die Heilige Schrift zuverlässig sein Wort. Wir können uns darauf verlassen, dass der Heilige Geist diese Worte eingegeben hat und dass er noch heute durch sie wirkt.
Wenn wir bibeltreu sind, dann bedeutet das nichts anderes, als dass wir diesem Buch angemessen begegnen und seine Worte vertrauensvoll hören. Wir machen es wie Samuel, der auf Gottes Anruf antwortete: „Rede, denn dein Knecht hört“ (1. Sam. 3,10). Wie ein Knecht wollte er hören, nicht wie Kritiker! Und wir machen es wie Maria aus Betanien, die sich einfach Jesus zu Füßen setzte und ihm zuhörte (Lukas 10,39). Sie blickte nicht stehend auf ihn herab, sie setzte sich auch nicht auf Augenhöhe, sondern sie blickte vom Fußboden her zu ihm auf. Das heißt nicht, dass wir immer alles verstehen. Das heißt auch nicht, dass wir immer alle dasselbe verstehen. Es heißt nur, dass wir als bibeltreue Christen darauf vertrauen: Hier ist die Quelle des Heils, hier ist das unverfälschte Evangelium, hier ist Gottes hundertprozentig zuverlässiges Wort, hier ist der Maßstab für alles rechte Glauben, Leben und Verkündigen.
Bibeltreu sein heißt: Wir machen unsere Hoffnung an einem Eichenstamm fest und nicht an einem Strohhalm. Wir sind uns darüber im Klaren, dass von der Verlässlichkeit der Bibel unsere Seligkeit abhängt. Wir bekennen mit Martin Luther: Allein durch die Schrift werden wir selig, „sola scriptura“ (mit langem „a“, weil es sich um einen instrumentalen Ablativ handelt, der hier nichts weniger bezeugt als ein Instrument zum Seligwerden).
Die Pfarrerschaft unserer Kirche hat auf ihrem letzten Allgemeinen Konvent einstimmig ein Hermeneutikpapier verabschiedet, das solcher Bibeltreue Rechnung trägt. Darüber freue ich mich sehr. Es ist ein klare Zeugnis in einer Zeit, wo wissenschaftliche Theologie sich überwiegend von anderen Vorverständnissen leiten lässt. Wir aber wollen weiter mit Samuels und Marias Grundhaltung die Bibel auslegen, predigen, lehren, Theologie treiben und nach Einmütigkeit in der Lehre streben. Ja, lasst uns bibeltreu bleiben.
Drittens: Bekenntnisfreudig sollen wir nach dem Willen unsers Herrn sein. Noch einmal weise ich hin auf die Aufforderung Jesu: „Glaubt an das Evangelium!“ Das Bekenntnis ist die selbstverständliche Folge und Frucht des rechten Evangeliums-Glaubens. Ich erinnere an das Wort aus dem Römerbrief: „Wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet“ (Römer 10,10).
Bekenntnisfreudig ist die Kirche Jesu Christi in einem doppelten Sinn: Zum einen freuen wir uns über jede Gelegenheit, anderen Menschen die gute Nachricht von Jesus Christus zu bekennen – sowohl mit Worten als auch mit Taten der Liebe. Zum anderen freuen wir uns aber ebenso darüber, dass wir inhaltlich in das Bekenntnis der Kirche einstimmen können. Wir tun das zum Beispiel immer dann, wenn wir sonntags den Glauben bekennen oder wenn wir uns mit unseren Konfirmanden an die Worte des Kleinen Katechismus' erinnern. Beide Seiten der Bekenntnisfreude gehören zusammen: Wir wollen andere Menschen ja nicht zu irgendwelchem Glauben an irgendeinen Gott einladen, sondern wir wollen sie zur Buße und zum seligmachenden Glauben an den dreieinigen Gott einladen, wie es die rechtgläubige Kirche aller Zeiten getan hat und wie es im Konkordienbuch bezeugt ist.
Herzstück solchen Bekennens ist die frohe Botschaft von der Rettung des Sünders durch den Herrn Jesus Christus, den wahren Gott und wahren Menschen, der durch seinen Kreuzestod alle Sünden der Menschheit gesühnt hat und der von den Toten auferstanden ist. Ja, dies ist die Hauptlehre des christlichen Bekennens – gleichsam die Sonne, von der aus alle anderen Lehren wie helle Strahlen ausgehen. Nicht Rechthaberei, sondern die Liebe Gottes drängt uns, dass wir mit unserem christlichen Zeugnis nichts von diesen Strahlen verdunkeln, sondern vielmehr dabei mithelfen, dass sie alle in die dunkle Welt und in die teilweise verdunkelte Christenheit gelangen.
Im Zeitalter der Ökumene wird eine derartige Bekenntnisfreude nicht immer gern gesehen. Viele üben sich lieber in der zweifelhaften Kunst, christliche Lehren so undeutlich zu formulieren, dass jeder das heraushören kann, was er gern glauben möchte. Ich kenne selbst diese Versuchung, so zu sprechen, wenn ich kirchenfernen Menschen oder Christen am Rand der Gemeinde das Evangelium sage. Es kostet Mut, klar zu bekennen in einer Situation, wo man genau weiß: So denkt der andere nicht, und er nimmt womöglich Anstoß an meinen Worten. Aber wenn wir das Evangelium weitersagen wollen, dann müssen wir auch unseren Mitmenschen den Sinneswandel der Buße zumuten, ohne den niemand selig werden kann. Wir können nicht anders bekennen als im Sinne der Aufforderung Jesu: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“
Liebe Brüder und Schwestern, ich wiederhole den Satz, mit dem ich diese Predigt begonnen habe: Es lohnt sich, den Weg des konfessionellen Luthertums zuversichtlich weiterzugehen, auch wenn er oft beschwerlich ist: bußbereit, bibeltreu und bekenntnisfreudig. Amen.
PREDIGTKASTEN |