Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Ich habe mich noch nie in Lebensgefahr befunden. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man denkt: Gleich werde ich sterben. Viele Menschen haben diese Erfahrung machen müssen: im Krieg, bei einem Unfall oder auch in schwerer Krankheit. Vielleicht sind hier einige unter uns, die auch schon mal in echter Lebensgefahr waren. Und vielleicht könnte der eine oder andere davon berichten, wie Gott ihn da rettete und sein Leben bewahrte. Ja, viele Menschen haben in Lebensgefahr Gottes Eingreifen erlebt. Die meisten von ihnen haben seitdem einen reiferen Glauben.
Ich möchte als Beispiel dafür eine Frau zu Wort kommen lassen. Vor mehr als 50 Jahren hat sie einen Brief an einen Pastor der Berliner Stadtmission geschrieben und darin mit ungefähr diesen Worten ihre Geschichte geschildert:
„Sehr geehrter Herr Pfarrer! Ich habe mich dem Heiland mit Leib und Leben übergeben, denn nun habe ich in Wahrheit erfahren, dass Jesus lebt! Ich musste in eine Fabrik, öffnete eine schwere Tür und ging hinein. Die Tür fiel zu, und – um mich her war es stockdunkel. Ich war versehentlich in einen Fahrstuhlschacht geraten. Ich tastete nach einer Klinke, fühlte alles ab – nichts von einer Klinke war zu spüren! Als sich meine Augen langsam an das Dunkel gewöhnt hatten, sah ich, dass über mir hoch oben ein Aufzug hing. Furchtbar! Eine entsetzliche Angst würgte mich. Ich trommelte an die Tür, ich schrie unaufhörlich – keine Hilfe nahte sich. Wie, wenn nun der Aufzug herunterkäme! Er würde mich mitleidslos zerquetschen. Da – o Schreck! Der Aufzug setzte sich in Bewegung und kam wirklich herunter auf mich zu. Immer näher. Und jetzt konnte ich ihn schon mit den Händen erreichen! Da warf ich mich flach auf den Boden, und in Herzensangst und Todesnot schrie ich: Herr Jesus! Wenn Du lebst, dann hilf mir! Was geschah? Der Aufzug blieb plötzlich stehen, 30 Zentimeter über dem Boden, gerade über meinem Körper. Der elektrische Strom war unterbrochen. Hatten hier Engelhände geschaltet? Ich schrie fürchterlich, man hörte mich jetzt, und endlich zog man mich unter dem Aufzug hervor. Gerade war ich gerettet, als dieser mit Getöse auf den Boden aufschlug. Er hätte mich erdrückt. Unverzüglich weihte ich mein Leben dem, der mich in diesem unheimlichen Schacht gerufen und wunderbar behütet hatte.“ (Nach einem Text aus R. Schmitz: Engeldienste, Bundes-Verlag Witten 1979, S. 75 f.)
Soweit der Bericht der Geretteten. Es gibt unzählige solcher Zeugnisse. Aber es gibt auch Zweifler, die einwenden und sagen: Solche Rettungsgeschichten erzählen ja immer nur die, die überlebt haben. Ihnen gegenüber stehen aber unzählige andere, die grausam umgekommen sind. Die hat Gott nicht gerettet, und die können nichts mehr erzählen. Objektiv gesehen muss man sagen, dass einige in Lebensgefahr überleben und andere sterben. Und einmal muss sowieso jeder sterben, ganz gleich, ob Gott ihn vorher schon einmal aus Lebensgefahr gerettet hat oder nicht.
Vielleicht macht uns das ein wenig ratlos: Da ist auf der einen Seite das herrliche Glaubenszeugnis der Geretteten, und da ist auf der anderen Seite die nüchterne Logik des Zweiflers. Was sollen wir davon halten?
An dieser Stelle bringe ich eine dritte Person ins Gespräch. Es ist der Apostel Paulus. Mehrmals hat er lebensgefährliche Situationen überlebt. In seinem 2. Brief an die Korinther hat er einiges davon aufgelistet und geschrieben: „Ich bin oft in Todesnöten gewesen… Ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern“ (2. Kor. 11,23‑26). Und gleich im ersten Kapitel dieses Briefes erwähnte Paulus eine Situation, wo er und seine Mitarbeiter wirklich schon mit dem Leben abgeschlossen hatten (das ist unser Predigttext). Er schrieb: „Wir wollen euch, liebe Brüder, nicht verschweigen die Bedrängnis, die uns in der Provinz Asien widerfahren ist, wo wir über die Maßen beschwert waren und über unsere Kraft, sodass wir auch am Leben verzagten und es bei uns selbst für beschlossen hielten, wir müssten sterben.“
Wie die Gerettete, von der ich anfangs sprach, haben Paulus und seine Gefährten diese Situation überlebt. Und wie für die Gerettete bedeutete das für Paulus und für seine Gefährten eine tiefe geistliche Erfahrung. Er schrieb darüber: „Das geschah, damit wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt, der uns aus solcher Todesnot errettet hat und erretten wird. Auf ihn hoffen wir, er werde uns auch hinfort erretten.“ In diesen Worten steckt zugleich die richtige Antwort an den Zweifler. Ich will mal das, was Paulus hier gesagt habt, für den Zweifler umformulieren und auslegen: Lieber Zweifler, es geht bei diesen Rettungsgeschichten gar nicht um Statistik; es geht nicht darum, wieviel Prozent Menschen in Lebensgefahr überleben und wieviel Prozent sterben. Es geht vielmehr darum, welche Erfahrungen Menschen in Lebensgefahr machen. Es sind wichtige Erfahrungen. Wir anderen, die wir noch keine Lebensgefahr kennengelernt haben, können von diesen Erfahrungen lernen. Es ist erstens die Erfahrung: „Mit unsrer Kraft ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.“ Paulus und seine Gefährten haben in der Lebensgefahr gelernt, ihre Hoffnung nicht auf sich selbst zu setzen, sondern auf Gott. Die Frau im Fahrstuhlschacht schrie in ihrer Todesnot: „Herr Jesus! Wenn Du lebst, dann hilf mir!“ Das ist eine ganz wichtige Erfahrung, auch grundsätzlich für jeden Menschen: Meiner eigenen Macht und Kraft sind enge Grenzen gesetzt; wenn es wirklich ernst wird, kann mir nur Gott helfen. Zweitens ist es die Erfahrung: Gott hilft wirklich! Gott ist stärker als die menschlichen Möglichkeiten; Gott ist stärker als die Sachzwänge dieser Welt; Gott ist stärker als die Naturgewalten; Gott ist stärker als der Tod. Ja darum geht es letztlich: In unserer eigenen Ohnmacht erfahren wir, dass Gott stärker ist als der Tod. Gott hat viele Menschen in Lebensgefahr gerettet, damit sie genau diese Erfahrung selbst machen und dann anderen Menschen bezeugen können. Unter diesen Menschen befinden sich auch die Gerettete aus dem Fahrstuhlschacht und der Apostel Paulus.
Gott ist stärker als der Tod – das ist das Evangelium! Das ist die Osterbotschaft, das ist die Christus-Botschaft! Jesus ist in die Welt gekommen, um Gottes Herrlichkeit zu zeigen und den Tod zu besiegen. Er verspricht allen, die ihm vertrauen, das ewige Leben. Jawohl, das ewige Leben. Wer das begriffen hat, der weiß: Gott wird mich aus jeder Lebensgefahr erretten – mich und alle Christenmenschen. Es ist dabei nicht entscheidend, ob ich zum irdischen Weiterleben bewahrt werde oder ob ich sterbe und danach zur ewigen Seligkeit erwache. Daran dachte Paulus, als er von seinem Vertrauen auf Gott schrieb, „der die Toten auferweckt, der uns aus solcher Todesnot errettet hat und erretten wird. Auf ihn hoffen wir, er werde uns auch hinfort erretten.“ Auch hinfort, auch in der letzten Lebensgefahr. Der Erdenleib wird die letzte Gefahr zwar nicht überleben, aber dennoch werden wir aus ihr herausgerettet werden durch die Auferstehung von den Toten. Den Christen in Rom schrieb Paulus: „Leben wir, so leben wir dem Herr; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Römer 14,8). Dem Zweifler aber, der Gottes Handeln allein an der irdischen Überlebensrate messen will, dem gibt Paulus zu bedenken: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ (1. Kor. 15,19).
Wer in Lebensgefahr Gottes Rettung erfährt, der lernt, an sich selbst zu verzweifeln und Gott zu vertrauen. Er lernt weiter: Gott ist stärker als der Tod. Er lernt weiter: Gott meint es gut mit mir und will mich durch Jesus der Macht des Todes entreißen – letztlich zum ewigen Leben, zur ewigen Seligkeit. Schließlich lernt er: Wenn ich in Not zu Gott rufe, dann hört er mich und hilft mir. Diese Erfahrung wiederum führt zum Danken und zu einem Leben zur Ehre Gottes aus Dankbarkeit. All dies lernt aber nicht nur derjenige, der unmittelbar selbst eine Errettung aus Lebensgefahr erlebt hat. Auch andere, die davon hören und lesen, können das alles lernen, wenn sie denn bereit sind, Gott zu vertrauen. Sie können es auch lernen, wenn sie Fürbitte tun für Menschen in Gefahr und dankbar miterleben dürfen, wie Gott ihnen hilft. Über dieses Miterleben göttlicher Rettung hat Paulus am Ende unseres Predigttexts geschrieben. Da heißt es: „Auf Gott hoffen wir, er werde uns auch hinfort erretten. Dazu helft auch ihr durch eure Fürbitte für uns, damit unsertwegen für die Gabe, die uns gegeben ist, durch viele Personen viel Dank dargebracht werde.“ Ich will das auf mich beziehen, der ich noch nie in Lebensgefahr war, und ich lade euch alle dazu ein, es ebenso zu machen: Lasst uns mit den Menschen lernen, die Gottes Macht und Bewahrung in Krisensituationen erfahren haben. Lasst uns mit ihnen danken, mit ihnen unser Leben der Ehre Gottes weihen und mit ihnen auf die Auferstehung der Toten hoffen – die Überwindung der letzten Not durch die Kraft unseres auferstandenen Herrn Jesus Christus. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
PREDIGTKASTEN |