Frucht und Wurzel des Glaubens­baums

Predigt über Römer 10,9‑18 zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Von Berufs wegen führe ich viele Gespräche über den Glauben. Oft stoße ich dann auf ein Miss­verständnis: Viele Menschen halten den christ­lichen Glaube einfach für die Annahme, dass es da irgendwo in un­zugänglichen Welten ein höheres Wesen gibt. Sie meinen auch, dass religiös veranlagte Menschen mit dieser Vorstellung keine Schwierig­keiten haben und deshalb aus dem Glauben Trost und Kraft ziehen, während weniger religiös veranlagte Menschen sich mit dieser Vorstellung schwer tun und nicht glauben können. Wie gesagt, das ist ein Miss­verständnis, diese Vorstellung entspricht nicht dem wahren christ­lichen Glauben.

Vielmehr ist der christliche Glaube eher wie etwas Lebendiges, wie eine Pflanze, wie ein Obstbaum, der unter den richtigen Bedingungen blüht, wächst und Frucht bringt. Der wahre christliche Glaube macht einen Menschen gerecht und heilig vor Gott, er führt zur ewigen Seligkeit. In der heutigen Epistel erfahren wir etwas über die Frucht und über die Wurzel dieses Glaubens-Baumes. Lasst uns beides genauer ansehen!

Die Frucht des Glaubens­baumes nennt der Apostel Paulus ein „Bekennen mit dem Munde“. Davon handelt der erste Teil unseres Predigt­textes. Paulus schreibt: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.“

Da merken wir, dass der Glaube nichts Heimliches ist, keine private Welt­anschauung, die niemand anderen etwas angeht, und auch kein bloßes Für-wahr-Halten. Vielmehr ist der Glaube ein Baum, der ganz selbst­verständlich die Frucht des Bekennens trägt. Mit dem Herzen glauben und mit dem Mund bekennen, das gehört untrennbar zusammen. Solcher Glaube hat die Verheißung der Seligkeit – das belegt Paulus mit zwei Schrift­stellen aus dem Alten Testament: „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden“, zitiert er den Propheten Jesaja (Jes. 28,16). Und: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“, so heißt es beim Propheten Joel (Joel 3,5).

Beim zweiten Zitat fällt auf, dass hier statt „bekennen mit dem Mund“ „den Namen des Herrn anrufen“ steht. Da merken wir: Die Glaubens­frucht des Bekennens ist nicht nur ein Glaubens­zeugnis anderen Menschen gegenüber, sondern auch ein Glaubens­zeugnis Gott gegenüber. Bekennen kann ein Gebet und Lobpreis sein, wenn wir nämlich Gott selbst zurufen, was wir im Herzen glauben. Wir haben das heute schon gemacht, als wir gemeinsam das Glaubens­bekenntnis sprachen. Und da können wir gleich noch etwas anderes Wichtiges beobachten: Es geht beim rettenden Glauben und bei seiner Frucht nicht um irgendeinen Glauben, nicht um irgend­welches Vertrauen. Es ist ein weit ver­breiteter Irrtum unserer Zeit, wenn Leute sagen: „An irgend etwas muss man ja glauben“, und sie meinen damit: „egal, an was.“ Der rettende Glaube ist ein ganz bestimmter Glaube. Es ist der Glaube an den dreieinigen Gott, wie wir ihn im Glaubens­bekenntnis benennen. Es ist der Glaube an den Gott, den wir in seinem ein­geborenen Sohn Jesus Christus finden. Es ist der Glaube daran, dass dieser Jesus Christus unser Herr und der Herr über alles ist. Es ist der Glaube daran, dass Jesus mit seinem Tod und mit seiner Auf­erstehung unsere Seligkeit erworben hat. Rufen wir uns noch einmal den ersten Satz unserer Epistel in Erinerung: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“ Es geht um den Glauben, der auch das Herzstück der lutheri­schen Bekenntnis­schriften ist. Wir merken nun, wie ganz anders dieser Glaube und dieses Bekenntnis ist als das allgemeine Fürwahr­halten, dass da irgendwo im Jenseits ein lieber Gott sitzt.

Die Frucht des Glaubens­baums ist also das Bekenntnis, sowohl im Lobpreis Gottes als auch im Zeugnis den Mitmenschen gegenüber. Paulus nennt es ein Bekenntnis des Mundes; aber der Mund steht hier nur stell­vertretend für andere Körperteile und für den ganzen Menschen. Bekennen ist eine Glaubens­frucht, die sich am ganzen Menschen zeigt. So tritt zum Bekenntnis des Mundes das Bekenntnis der Augen: Wer an Jesus glaubt und von ihm spricht, dessen Augen werden dabei leuchten! Hinzu kommt auch das Bekenntnis der Hände: Wenn sie dienen und helfen und Werke der Liebe tun, dann bekennen auch sie dem Mitmenschen Gottes Liebe und loben den Herrn. Sogar mit unseren Füßen können wir bekennen: Wenn wir sie sonntags zum Gottes­dienst lenken und wenn sie in der Kirche dann vor den Altar treten zum Empfang des Heiligen Abendmahls, dann ist das ein Bekenntnis mit den Füßen! Der Apostel Paulus schrieb in einem anderen Brief: „Sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor. 11,26). All das hängt mit dem Glauben unseres Herzens zusammen; all solches Verhalten ist Glaubens­frucht!

Im zweiten Teil der heutigen Epistel richtet Paulus unseren Blick auf die Wurzel des Glaubens­baumes. Wir wissen: Mit der Wurzel nimmt ein Baum Wasser und Nährstoffe auf. Auch der Glaube braucht lebendiges Wasser und geistliche Nährstoffe, und die holt er sich wie mit Wurzeln aus den Gnaden­mitteln, aus Gottes Wort, aus dem Evangelium, aus der Predigt, aus dem Zuspruch der Sünden­vergebung, aus dem Heiligen Abendmahl. Ein Glaubens­baum, der nicht in Gottes Wort verwurzelt ist und daraus seine Nahrung bezieht, der wird bald ein toter Baum sein. Paulus hat das mit einer Kette von Fragen deutlich gemacht: „Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? … So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“ Auch in diesem Abschnitt zitiert der Apostel Paulus zwei alt­testament­liche Propheten­worte, die ich allerdings eben um der Klarheit willen ausgelassen habe.

Es war die große Sorge und das ernste Anliegen unserer kirchlichen Vorväter, im Wort Gottes und in der rechten Evangeliums­predigt verwurzelt zu bleiben. Nur darum haben diese ansonsten treuen Staats­bürger im 19. Jahrhundert Widerstand geleistet gegen die preußische Kirchen­union, nur darum haben sie hohe Geldstrafen und auf Seiten der Pfarrer­schaft sogar Haftstrafen erduldet. Nur darum sind sie den dornigen Weg einer von vielen verachteten Minder­heiten­kirche gegangen, der alt­lutherischen Kirche: damit ihr Glaube und der Glaube ihrer Nachkommen verwurzelt bleibe in dem, was diesem Baum gute Nahrung gibt, nämlich im un­verfälschten Wort Gottes. Und nur darum wird bis heute auch unter schwierigen Bedingungen das kirchliche Leben der Selbstän­digen Evangelisch-Lutheri­schen Kirche aufrecht erhalten für alle, die Hunger und Durst nach dem un­verfälschten Evangelium haben. Es sollte unser Herzens­anliegen sein, dass es weiter so bleibt, auch für nach­folgende Gene­rationen. Wer würde seinen Kindern schon verseuchtes Wasser vorsetzen wollen oder Essen ohne nennens­werten Nährwert? Was die geistliche Nahrung für den Glauben angeht, da sind heute leider viele Menschen so fahrlässig! Seht, darum ist es wichtig dass das un­verfälschte Evangelium, die rechte göttliche Lehre vom Gottessohn Jesus Christus und von seiner Erlösung, weiter verkündigt wird – ohne wenn und aber. Noch einmal: Es geht nicht darum, irgendeinen Glauben an irgendeinen Gott zu haben, sondern es geht um den einen selig­machenden Glauben an den Herrn Jesus Christus. Seinen Leib und sein Blut empfangen wir im Heiligen Abendmahl, und dabei nehmen wir wie mit Wurzel­härchen auf, was unser Glaubens­baum an Nahrung braucht.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, jetzt erkennen wir auch, dass Glaubens­zweifel und Glaubens­gewissheit keine Frage religiöser Veranlagung sind. Ich selbst würde mich eher so ein­schätzen, dass ich kein besonders religiös veranlagter Mensch bin; ich bin eher ein nüchterner und sachlicher Mensch. Aber ich bin ein Mensch, den Gott durch die Taufe zum Glauben gebracht hat und den er in seiner großen Güte bis heute durch Wort und Sakrament im Glauben erhalten hat. Wenn unser Glaube schwach und angefochten ist, dann sollten wir das also nicht als ein un­abänder­liches Schicksal beklagen, sondern wir sollten desto eifriger Gottes Wort suchen, desto eifriger zum Heiligen Abendmahl kommen! Auch wenn du sonst ein be­scheidener Mensch bist: Sei hier nicht bescheiden, sondern strecke deine Wurzeln aus und labe dich am lebendigen Wasser und am Brot des Lebens! Dann wird dein Glaubens­baum weiter­leben, weiter­wachsen und weiter schöne Früchte bringen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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