Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Von Berufs wegen führe ich viele Gespräche über den Glauben. Oft stoße ich dann auf ein Missverständnis: Viele Menschen halten den christlichen Glaube einfach für die Annahme, dass es da irgendwo in unzugänglichen Welten ein höheres Wesen gibt. Sie meinen auch, dass religiös veranlagte Menschen mit dieser Vorstellung keine Schwierigkeiten haben und deshalb aus dem Glauben Trost und Kraft ziehen, während weniger religiös veranlagte Menschen sich mit dieser Vorstellung schwer tun und nicht glauben können. Wie gesagt, das ist ein Missverständnis, diese Vorstellung entspricht nicht dem wahren christlichen Glauben.
Vielmehr ist der christliche Glaube eher wie etwas Lebendiges, wie eine Pflanze, wie ein Obstbaum, der unter den richtigen Bedingungen blüht, wächst und Frucht bringt. Der wahre christliche Glaube macht einen Menschen gerecht und heilig vor Gott, er führt zur ewigen Seligkeit. In der heutigen Epistel erfahren wir etwas über die Frucht und über die Wurzel dieses Glaubens-Baumes. Lasst uns beides genauer ansehen!
Die Frucht des Glaubensbaumes nennt der Apostel Paulus ein „Bekennen mit dem Munde“. Davon handelt der erste Teil unseres Predigttextes. Paulus schreibt: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.“
Da merken wir, dass der Glaube nichts Heimliches ist, keine private Weltanschauung, die niemand anderen etwas angeht, und auch kein bloßes Für-wahr-Halten. Vielmehr ist der Glaube ein Baum, der ganz selbstverständlich die Frucht des Bekennens trägt. Mit dem Herzen glauben und mit dem Mund bekennen, das gehört untrennbar zusammen. Solcher Glaube hat die Verheißung der Seligkeit – das belegt Paulus mit zwei Schriftstellen aus dem Alten Testament: „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden“, zitiert er den Propheten Jesaja (Jes. 28,16). Und: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“, so heißt es beim Propheten Joel (Joel 3,5).
Beim zweiten Zitat fällt auf, dass hier statt „bekennen mit dem Mund“ „den Namen des Herrn anrufen“ steht. Da merken wir: Die Glaubensfrucht des Bekennens ist nicht nur ein Glaubenszeugnis anderen Menschen gegenüber, sondern auch ein Glaubenszeugnis Gott gegenüber. Bekennen kann ein Gebet und Lobpreis sein, wenn wir nämlich Gott selbst zurufen, was wir im Herzen glauben. Wir haben das heute schon gemacht, als wir gemeinsam das Glaubensbekenntnis sprachen. Und da können wir gleich noch etwas anderes Wichtiges beobachten: Es geht beim rettenden Glauben und bei seiner Frucht nicht um irgendeinen Glauben, nicht um irgendwelches Vertrauen. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum unserer Zeit, wenn Leute sagen: „An irgend etwas muss man ja glauben“, und sie meinen damit: „egal, an was.“ Der rettende Glaube ist ein ganz bestimmter Glaube. Es ist der Glaube an den dreieinigen Gott, wie wir ihn im Glaubensbekenntnis benennen. Es ist der Glaube an den Gott, den wir in seinem eingeborenen Sohn Jesus Christus finden. Es ist der Glaube daran, dass dieser Jesus Christus unser Herr und der Herr über alles ist. Es ist der Glaube daran, dass Jesus mit seinem Tod und mit seiner Auferstehung unsere Seligkeit erworben hat. Rufen wir uns noch einmal den ersten Satz unserer Epistel in Erinerung: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“ Es geht um den Glauben, der auch das Herzstück der lutherischen Bekenntnisschriften ist. Wir merken nun, wie ganz anders dieser Glaube und dieses Bekenntnis ist als das allgemeine Fürwahrhalten, dass da irgendwo im Jenseits ein lieber Gott sitzt.
Die Frucht des Glaubensbaums ist also das Bekenntnis, sowohl im Lobpreis Gottes als auch im Zeugnis den Mitmenschen gegenüber. Paulus nennt es ein Bekenntnis des Mundes; aber der Mund steht hier nur stellvertretend für andere Körperteile und für den ganzen Menschen. Bekennen ist eine Glaubensfrucht, die sich am ganzen Menschen zeigt. So tritt zum Bekenntnis des Mundes das Bekenntnis der Augen: Wer an Jesus glaubt und von ihm spricht, dessen Augen werden dabei leuchten! Hinzu kommt auch das Bekenntnis der Hände: Wenn sie dienen und helfen und Werke der Liebe tun, dann bekennen auch sie dem Mitmenschen Gottes Liebe und loben den Herrn. Sogar mit unseren Füßen können wir bekennen: Wenn wir sie sonntags zum Gottesdienst lenken und wenn sie in der Kirche dann vor den Altar treten zum Empfang des Heiligen Abendmahls, dann ist das ein Bekenntnis mit den Füßen! Der Apostel Paulus schrieb in einem anderen Brief: „Sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor. 11,26). All das hängt mit dem Glauben unseres Herzens zusammen; all solches Verhalten ist Glaubensfrucht!
Im zweiten Teil der heutigen Epistel richtet Paulus unseren Blick auf die Wurzel des Glaubensbaumes. Wir wissen: Mit der Wurzel nimmt ein Baum Wasser und Nährstoffe auf. Auch der Glaube braucht lebendiges Wasser und geistliche Nährstoffe, und die holt er sich wie mit Wurzeln aus den Gnadenmitteln, aus Gottes Wort, aus dem Evangelium, aus der Predigt, aus dem Zuspruch der Sündenvergebung, aus dem Heiligen Abendmahl. Ein Glaubensbaum, der nicht in Gottes Wort verwurzelt ist und daraus seine Nahrung bezieht, der wird bald ein toter Baum sein. Paulus hat das mit einer Kette von Fragen deutlich gemacht: „Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? … So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“ Auch in diesem Abschnitt zitiert der Apostel Paulus zwei alttestamentliche Prophetenworte, die ich allerdings eben um der Klarheit willen ausgelassen habe.
Es war die große Sorge und das ernste Anliegen unserer kirchlichen Vorväter, im Wort Gottes und in der rechten Evangeliumspredigt verwurzelt zu bleiben. Nur darum haben diese ansonsten treuen Staatsbürger im 19. Jahrhundert Widerstand geleistet gegen die preußische Kirchenunion, nur darum haben sie hohe Geldstrafen und auf Seiten der Pfarrerschaft sogar Haftstrafen erduldet. Nur darum sind sie den dornigen Weg einer von vielen verachteten Minderheitenkirche gegangen, der altlutherischen Kirche: damit ihr Glaube und der Glaube ihrer Nachkommen verwurzelt bleibe in dem, was diesem Baum gute Nahrung gibt, nämlich im unverfälschten Wort Gottes. Und nur darum wird bis heute auch unter schwierigen Bedingungen das kirchliche Leben der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche aufrecht erhalten für alle, die Hunger und Durst nach dem unverfälschten Evangelium haben. Es sollte unser Herzensanliegen sein, dass es weiter so bleibt, auch für nachfolgende Generationen. Wer würde seinen Kindern schon verseuchtes Wasser vorsetzen wollen oder Essen ohne nennenswerten Nährwert? Was die geistliche Nahrung für den Glauben angeht, da sind heute leider viele Menschen so fahrlässig! Seht, darum ist es wichtig dass das unverfälschte Evangelium, die rechte göttliche Lehre vom Gottessohn Jesus Christus und von seiner Erlösung, weiter verkündigt wird – ohne wenn und aber. Noch einmal: Es geht nicht darum, irgendeinen Glauben an irgendeinen Gott zu haben, sondern es geht um den einen seligmachenden Glauben an den Herrn Jesus Christus. Seinen Leib und sein Blut empfangen wir im Heiligen Abendmahl, und dabei nehmen wir wie mit Wurzelhärchen auf, was unser Glaubensbaum an Nahrung braucht.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, jetzt erkennen wir auch, dass Glaubenszweifel und Glaubensgewissheit keine Frage religiöser Veranlagung sind. Ich selbst würde mich eher so einschätzen, dass ich kein besonders religiös veranlagter Mensch bin; ich bin eher ein nüchterner und sachlicher Mensch. Aber ich bin ein Mensch, den Gott durch die Taufe zum Glauben gebracht hat und den er in seiner großen Güte bis heute durch Wort und Sakrament im Glauben erhalten hat. Wenn unser Glaube schwach und angefochten ist, dann sollten wir das also nicht als ein unabänderliches Schicksal beklagen, sondern wir sollten desto eifriger Gottes Wort suchen, desto eifriger zum Heiligen Abendmahl kommen! Auch wenn du sonst ein bescheidener Mensch bist: Sei hier nicht bescheiden, sondern strecke deine Wurzeln aus und labe dich am lebendigen Wasser und am Brot des Lebens! Dann wird dein Glaubensbaum weiterleben, weiterwachsen und weiter schöne Früchte bringen. Amen.
PREDIGTKASTEN |