Die Feier einer Grundsteinlegung

Predigt über Esra 3,8‑13 zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Bei einem Volksfest geht es laut und lustig zu. Bei einem Volksfest machen alle Gene­rationen mit: die Alten, die Menschen in der Mitte ihrer Jahre und die junge Generation. Bei einem Volksfest gibt es meistens auch einen bestimmten Anlass, der die vielen Menschen zusammen­bringt. Im Jahre 536 vor Christus feierten die Juden in Jerusalem ein Volksfest aus einem ganz besonderen Anlass: Sie legten den Grundstein zu einem neuen Tempel. Das Gotteswort, das wir eben gehört haben, berichtet von dieser Feier. Wir finden darin alle Gene­rationen wieder mit ihrer je eigenen Art, so ein Fest zu begehen: die Alten, die Menschen in der Mitte ihrer Jahre und die junge Generation. Lasst uns diese drei Gene­rationen­gruppen jetzt je für sich betrachten.

Die Alten machten bei diesem Fest Lärm, indem sie lautstark weinten. Es heißt von ihnen: „Viele von den betagten Priestern, Leviten und Sippen­häuptern, die das frühere Haus noch gesehen hatten, weinten laut, als nun dies Haus vor ihren Augen gegründet wurde.“ Warum weinten sie? Darum, weil sie so gerührt waren angesichts der Erinnerung an den früheren Glanz Jerusalems und seines Tempels. Dieser alte erste Tempel, von König Salomo erbaut, stand nun schon über 50 Jahre nicht mehr. Er war unter­gegangen in dem rauchenden Trümmer­haufen, den die Babylonier aus Jerusalem gemacht hatten. Es war ein Krieg gewesen so grausam, wie ihn Israel zuvor noch nicht erlebt hatte. Manches schreck­liche Erlebnis aus jener Zeit wird in der Erinnerung der alten Juden wieder wach geworden sein und ihnen die Tränen in die Augen getrieben haben. Auf den Krieg folgten dann Vertreibung und Gefangen­schaft: Die Babylonier hatten viele Juden verschleppt und sie zu Zwangs­arbeitern in ihrem Land gemacht. Es folgten fünf schwere Jahrzehnte – voller Ent­behrungen, voller Be­lastungen, voller Heimweh in der Erinnerung an das einst so schöne Jerusalem, das nun zerstört in weiter Ferne lag. Vor einem Jahr endlich ging dann die über­raschende Freuden­botschaft durch die Reihen der Juden: Wir dürfen wieder zurück! König Kyrus erlaubt uns die Rückkehr nach Jerusalem! Wir dürfen unsere Heimat wieder aufbauen! Und wir dürfen auch wieder einen neuen Tempel bauen, dürfen dort dem Herrn, unserm Gott, dienen! Nun war es so weit, nun konnte der Grundstein dieses neuen Tempels gelegt werden. Nach all dem Auf und Ab, nach all den bewegten und bewegenden Jahren, erkannten die alten Juden, dass Gott sie nicht hatte fallen lassen, sondern dass er mit seiner Güte stets bei ihnen gewesen war, an guten wie an bösen Tagen. Und so war der Lobpreis dieses Tages ganz aus ihrem Herzen gesprochen: „Der Herr ist gütig, und seine Barmherzig­keit währt ewiglich über Israel.“

Diese Erfahrung wünsche ich noch heute jedem alten Menschen. Es gibt wohl niemanden, der nicht Höhen und Tiefen durch­gemacht hat. Viele von euch Alten wissen auch von Krieg, Vetreibung, Gefangen­schaft und Unter­drückung. Das private Leben ist ebenfalls stets eine Achterbahn­fahrt: Da gab es Höhen wie Verliebt­heit oder beruflichen Erfolg, da gab es Tiefen wie Krankheit und Trauer. Es bleibt nicht aus, dass ältere Menschen sich immer wieder an ihren erstaun­lichen Lebensweg erinnern und darüber nachdenken. Vielleicht treten dann manchmal auch Tränen in die Augen. Gut ist es dann, den Mund aufzumachen und die Erinne­rungen in Worte zu fassen. Am wichtigsten ist es aber, in der Rück­erinnerung Gott zu loben und zu danken: Seine Barmherzig­keit ist ewig und un­veränder­lich. Der Herr war nahe in allen Höhen und Tiefen des Lebens, und er ist immer noch da mit seiner Güte, die niemals aufhören wird. „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Psalm 103,13), heißt es im Wochen­spruch dieser Woche. Ja, gebe Gott, dass kein alter Mensch je vergisst: An allen Tagen meines Lebens, den guten wie den bösen, war Gott mir nahe mit seiner Güte, und er bleibt es auch!

Die Menschen mittleren Alters machten beim Fest der Grundstein­legung Lärm, indem sie arbeiteten und musi­zierten. Es heißt von ihnen: „Als die Bauleute den Grund legten zum Tempel des Herrn, stellten sich die Priester auf in ihren Amts­kleidern mit Trompeten und die Leviten, die Söhne Asafs, mit Zimbeln, um den Herrn zu loben nach der Ordnung Davids, des Königs von Israel.“ Als die Spitzhacken und Steinmetz-Hämmer der Handwerker schwiegen am Tag der Grundstein­legung, da ertönten die Blas­instrumente und die Becken und der Chor der levitischen Tempel­musiker, die einst König David geordnet hatte. Viel Mühe hatten sich alle gegeben: Der Tempelbau war zügig geplant worden; alle Vor­bereitungen hatten Hand und Fuß; die Ver­antwort­lichen überwachten die Bauleute gewissen­haft. Auch das Fest der Grundstein­legung war gut organi­siert; die Sänger und Musiker hatten fleißig geübt und gaben nun ihr Bestes, um Gott mit Psalmen und Lobgesängen zu ehren: „Der Herr ist gütig, und seine Barmherzig­keit währt ewiglich über Israel.“ Besonders bemerkens­wert ist bei diesen Menschen mittleren Alters, dass sie sogleich nach der Rückkehr aus der Babylo­nischen Gefangen­schaft begonnen hatten, den Tempel wieder aufzubauen. Sie hätten ja auch sagen können: Erst müssen wir unsere Versorgung sicher­stellen; erst müssen wir unsere Wohnhäuser aufbauen; erst sind die Stadtmauer und die Trinkwasser­versorgung dran. Aber sie haben sich ent­schieden, neben all diesen lebens­notwendigen Aufgaben zugleich auch den Tempelbau in Angriff zu nehmen, denn sie wussten: An Gottes Segen ist alles gelegen; wenn er uns von seinem Tempel aus segnet, dann wird alles andere auch gelingen. Wenn wir Gott aber vergessen und meinen, wir kämen ohne ihn klar, dann wird alle Mühe vergeblich sein.

Ihr Menschen in den mittleren Jahren, nehmt euch diese Grundstein­leger von damals zum Vorbild! Lebt nach der Devise, die Jesus in der Bergpredigt gelehrt hat: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtig­keit, so wird euch das alles zufallen“ (Matth. 6,33) – mit „das alles“ meinte er die Dinge des täglichen Lebens. Seht es als eure Haupt­aufgabe an, Gott zu loben. Macht die Münder auf und singt laut zu seiner Ehre. Und wenn ihr‘s könnt, dann lasst Instrumente zu seinem Lob erklingen, oder singt im Chor mit! Auch eure Arbeit und eure Alltags­verpflich­tungen sollen so geschehen, dass ihr damit Gott lobt. Ganz gleich, ob ihr Grundsteine legt oder Treppen­häuser putzt oder Kinder erzieht oder kocht oder backt oder pflanzt oder am Computer sitzt: Alles soll zum Lobe Gottes geschehen, wie es im Kolosser­brief heißt: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kol. 3,17). Denn das ist unser Lebens­zweck, dazu gibt Gott uns Gesundheit und Verstand und Kraft und Erfahrung, dass wir es alles einsetzen zu seiner Ehre, auf die eine oder andere Weise.

Die junge Generation machte beim Fest der Grundstein­legung Lärm durch fröhlichen Jubel. Wir kennen das heute von Groß­veranstal­tungen, etwa von Fußball­spielen oder Jahr­märkten: Es sind überwiegend die Jugend­lichen, die ihrer Lebens­freude durch Schreien, Lachen und Lärmen Ausdruck verleihen. Das wird damals nicht anders gewesen sein; und so ist wohl vor allem die Jugend gemeint, wenn wir lesen: „Das Volk jauchzte laut, sodass man den Schall weithin hörte.“ Die Jugend jubelte un­beschwert. Sie kannte zwar die trau­matischen Ereignisse der Vergangen­heit aus Er­zählungen, aber das belastete sie nicht; sie mussten nicht weinen wie die Alten. Die Jugend hatte auch noch nicht die Ver­antwortung der mittleren Generation; sie brauchte sich um den Wieder­aufbau und um die Or­ganisation des Festes keine Gedanken zu machen. Dass da der Grundstein zu einem neuen Tempel gelegt wurde, das war für sie vor allem ein Zeichen des Aufbruchs: Es bewegte sich nun etwas, es ging bergauf, es war ein Fortschritt zu merken für das ganze Volk! Ja, die Jugend schaute nach vorn und hoffte auf eine bessere Zukunft, auf Wohlstand und Glück unter Gottes Segen, der von diesem neuen Tempel ausgehen sollte. Für sie war der Lobpreis Ausdruck von Hoffnung für die Zukunft, dass Gottes Güte sie für immer begleiten werde: „Der Herr ist gütig, und seine Barmherzig­keit währt ewiglich über Israel.“

Dass die junge Generation opti­mistisch und hoffnungs­froh in die Zukunft schaut, das ist in allen Zeiten ganz natürlich; wo sie es nicht tut, da ist sie krank. Dass sie es aber unter lautstarkem Gotteslob und mit Glaubens­zuversicht tut, das sollte die heutige Jugend von der jungen Generation damals wieder neu lernen. Das Evangelium von Jesus Christus, das mit alt­ehrwürdigen Liturgien in alt­ehrwürdigen Gebäude verkündigt wird, ist ja keine Museums­veranstal­tung, sondern eine hoffnungs­frohe Botschaft für die Zukunft, für ein glückliches Leben mit Jesus Christus, das nie mehr aufhört. Jesus selbst will das so; er hat nämlich gesagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Darum sollten sich auch die älteren Gene­rationen von Herzen darüber freuen, wenn die Jugend Gott mit neuer Musik und neuen Formen zujubelt, auch wenn es dabei manchmal sehr lautstark zugeht.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, bei einem Volksfest treten oft Prominente auf. Bei der Tempel-Grundsteinlegung damals in Jerusalem war das nicht anders. Es waren die beiden Männer zugegen, die die Rückkehr der Juden aus der Babylo­nischen Gefangen­schaft geleitet hatten und die nun gewisser­maßen die Regierung dar­stellten: Serubabel und Josua. Serubabel war ein direkter Nachkomme des Königs David, ein „Davids­sohn“ also. Josua war ein Hoher­priester; sein Name kann auch mit „Jeschua“ oder „Jesus“ wieder­gegeben werden. Diese beiden Regierenden weisen durch ihre Herkunft und Namen auf den einen Davidssohn und König Jesus Christus hin, der dann später zum Eckstein eines ganz anderen Tempels wurde. Wir, die wir an Jesus Christus glauben, wissen: Jetzt, in der Zeit des neuen Bundes, ist Gottes Tempel überall dort zu finden, wo Jesus in den Herzen der Menschen wohnt. Durch ihn sind wir von aller Last der Vergangen­heit erlöst. Durch ihn haben wir Gottes feste Zusage, dass Gott uns immer gnädig ist. In seinem Namen wird all unser Tun und Musizieren zu einem großen Gotteslob. Auf diesem Grunstein wächst ein lebendiger Tempel, dessen Vollendung in der ewigen Seligkeit wir hoffnungs­froh entgegen­sehen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

 


 

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