Schlechte gute Taten

Predigt über Philipper 3,7‑14 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Dass Rauchen sehr schädlich ist, weiß jedes Kind. Hoffent­lich. Dass auch Nicht­rauchen unter bestimmten Umständen schädlich sein kann, ist nicht so bekannt. Und doch verhält es sich so: Nicht­rauchen kann einem Menschen schaden. Es schadet ihm dann, wenn er sich einbildet, dass er deswegen ein besserer Mensch ist als andere. Es schadet ihm dann, wenn er denkt, dass Gott ihn deswegen besonders lieb hat. Es schadet ihm dann, wenn er meint, dass Gott seine Nicht­raucherei als gute Tat vermerkt und ihm deswegen die ewige Seligkeit schenkt. Wenn jemand mit solcher Einstellung nicht raucht, dann wird aus der an sich guten Tat eine schlechte Tat, eine hochmütige und selbst­betrüge­rische Tat.

Was vom Nicht­rauchen gilt, das gilt grund­sätzlich auch von jeder anderen guten Tat. Wenn jemand sich um einen kranken Nachbarn kümmert und für ihn Besorgungen macht, dann wird auch diese an sich gute Tat zur schlechten Tat, falls er sich darauf etwas einbildet und meint, dass er deswegen in den Himmel kommt. Oder wenn jemand zehn Prozent von seinem Einkommen als Kirchen­beitrag abführt, dann wird auch diese an sich gute Tag zur schlechten Tat, falls er sich damit anderen Menschen überlegen fühlt und denkt, Gott hätte ihn deswegen besonders lieb.

Als der Apostel Paulus noch Saulus hieß und ein Pharisäer war, da war er so ein Mensch, der sich im Ruhm seiner guten Taten sonnte. Er war nicht nur stolz auf seine jüdische Abstammung, sondern er war auch stolz darauf, dass er sich gewissen­haft an Gottes Gesetz hielt. Als dann aber Jesus in sein Leben trat, da erkannte er, dass alle seine guten Taten wegen seiner falschen Einstellung eigentlich schlechte Taten waren. Er schrieb darüber: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der über­schwäng­lichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinet­willen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtig­keit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlicht die Gerechtig­keit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“ Was Luther mit „Dreck“ übersetzt hat, bezeichnet im griechi­schen Original­text eigentlich das, was Mensch und Tier hinten aus­scheiden. Man würde durchaus richtig übersetzen, wenn man sagen würde: „Was ich bei mir als Gewinn verbucht habe, ist doch eigentlich nur Scheiße.“

Wie gesagt, der Sinnes­wandel des Paulus geschah dadurch, dass Christus in sein Leben trat. Und Christus ist auch der Schlüssel­begriff in diesen Sätzen, die ich eben vorgelesen habe; viermal taucht der Name des Gottes­sohnes in diesem kurzen Abschnitt auf! Paulus hatte das Evangelium kennen­gelernt. Paulus glaubte nun daran, dass Jesus mit seiner voll­kommenen Gerechtig­keit Gottes Gesetz stell­vertretend für alle Menschen erfüllt hat. Paulus hatte erkannt, dass dem Glaubenden die Gerechtig­keit Christi von Gott so angerechnet wird, als wäre es seine eigene Gerechtig­keit. Weil das so ist, braucht niemand mehr mit eigenen guten Taten bei Gott gerecht zu werden. Und falls sich jemand einbildet, dass er mit seinen guten Taten doch noch Pluspunkte bei Gott sammeln kann, dann zeugt diese Einbildung von mangelndem Vertrauen: Wer so denkt, der traut Jesus nicht zu, dass Jesus bei Gott schon alles ins Reine gebracht hat; der meint, es sei noch ergänzungsbedürftig durch eigene Werke. Ja, durch diese Einbildung, durch solch mangelndes Vertrauen ins Evangelium, werden aus guten Werken schlechte gute Werke. Darum heißt es im 20. Artikel des Augsburger Bekennt­nisses: „Unsere Werke können uns nicht mit Gott versöhnen und uns Gnade erwerben, sondern beides geschieht allein durch den Glauben – wenn man nämlich glaubt, dass uns um Christi willen die Sünden vergeben werden; er allein ist der Mittler, um den Vater zu versöhnen. Wer das durch eigenes Tun zu erreichen glaubt und dadurch Gnade verdienen möchte, der verachtet Christus und sucht einen eigenen Weg zu Gott, der dem Evangelium wider­spricht.“

So richtig und wichtig diese Glaubens­erkenntnis ist, es steckt doch eine Gefahr in ihr: die Gefahr nämlich, dass man das Kind mit dem Bade aus­schüttet. Es könnte nämlich einer kommen und sagen: Wenn die guten Taten schädlich und gefährlich sein können, dann lasst uns doch lieber einen großen Bogen um sie machen! Lasst uns aufhören, nach Gottes Gesetz zu fragen, und aufhören, Gutes zu tun! Lasst uns in absoluter Freiheit leben und nur noch das tun, was wir selbst gerade gut und richtig finden! Lasst uns rauchen, damit wir uns nichts auf unsere Nicht­raucherei einbilden können! Lasst uns aus demselben Grund Gott nur ein Trinkgeld als Kirchen­beitrag zahlen; lasst uns dem Mitmenschen nur dann helfen, wenn wir gerade mal Lust dazu haben und er sich auch ordentlich dafür bedankt! Ja, es könnte einer mit solchen Gedanken kommen. Und er könnte nicht nur kommen, er tut's auch wirklich! Leider gibt es nicht nur einen, sondern viele Christen, die die christliche Freiheit derart miss­verstehen. Und es gibt sie nicht erst in unserer Zeit.

Mitte des sechzehnten Jahr­hunderts, als die Reformation gerade erst Fuß gefasst hatte in Europa, gab es einen treuen lutheri­schen Theologen, der hieß Nikolaus von Amsdorf. Er kämpfte wacker für das Evangelium von Jesus Christus gegen alle Werk­gerechtig­keit, aber er ließ sich im Eifer des Gefechts zu dem Satz hinreißen: „Gute Werke sind schädlich zur Seligkeit!“ Da ist er über das Ziel hinaus­geschossen. Gute Werke sind an sich nicht schädlich zur Seligkeit, nur in Verbindung mit der hochmütigen Annahme, man könne sich durch sie die Seligkeit verdienen, werden sie schädlich. Die letzte lutherische Bekenntnis­schrift, die Konkordien­formel, hat daher den Irrtum des ehrwürdigen Nikolaus von Amsdorf zurück­gewiesen und fest­gestellt: „Es ist nicht die Schuld der guten Werke an sich, sondern des falschen Vertrauens, das gegen Gottes aus­drückliches Wort in sie gesetzt wird.“

Halten wir also fest: Gute Taten sind an sich gut. Es ist gut, nicht zu rauchen. Es ist gut, zehn Prozent Kirchen­beitrag zu zahlen. Es ist gut, bedürftigen Nachbarn zu helfen. Ich kann nur jedem Christen­menschen wärmstens ans Herz legen, so zu leben. Schlecht werden solche guten Taten erst durch eine falsche Ein­stellung, nämlich wenn jemand durch sie bei Gott gerecht werden will und damit die Gerechtig­keit Christi schmälert. Anders­herum: Wer ein reines Herz hat, wer sich ganz auf Jesus verlässt und auf die Vergebung der Sünden, die Jesus ihm schenkt, bei dem werden sich die guten Taten fast von alleine einstellen. Wer Gottes Liebe im Glauben ergreift, den gestaltet diese Liebe um, und er wird ein liebevoller Mensch. Luther hat gesagt, es ist wie bei einem Apfelbaum: Wenn der Baum gut ist, bringt er selbst­verständlich gute Früchte, er kann gar nicht anders, es liegt in seiner Natur. So ist das bei allen Christen­menschen: Ihr Glaube bringt selbst­verständlich gute Taten hervor, er kann gar nicht anders. Aber ein rechter Christ bildet sich nichts darauf ein, er fühlt sich deswegen nicht anderen Menschen überlegen, er leitet daraus keinen Rechts­anspruch her auf eine Eintritts­karte für den Himmel. Hat er auch gar nicht nötig: Die Eintritts­karte in den Himmel hat Christus ihm ja schon geschenkt!

Damit richten wir nun also unseren Blick auf den Himmel, auf das Ziel des Christen­lebens. Auch der Apostel Paulus hat es getan in unserem Bibel­abschnitt. Er hat weiter ge­schrieben: „Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auf­erstehung und die Gemein­schaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auf­erstehung von den Toten.“ Paulus sieht sich noch auf dem Weg; sein Glaube ist noch nicht ausgereift. „Christus möchte ich erkennen“, schreibt er, und: „Ich gelange zur Auf­erstehung von den Toten.“ Besonders in den folgenden Versen betont er das Unfertige an seinem Glauben, das Unterwegs-Sein: „Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, wa da vorne ist, und jage nach dem vor­gesteckten Ziel, dem Sieges­preis, der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.“

Was bedeutet das für die guten Taten? Es bedeutet, dass sie bis zu unserem Lebensende un­vollkommen bleiben werden. Weil der Glaube noch nicht ausgereift ist, sind auch die Früchte des Glaubens noch nicht ausgereift. Weder Paulus noch irgendein anderer Christ schafft es, eine einzige vollkommen reine gute Tat zu voll­bringen. Selbst wenn wir etwas ganz Großes, Auf­opferndes und Liebevolles zuwege bringen, so wird doch in unserem Herzen da immer noch ein Rest der Sünde des Stolzes und des Hochmuts sein; wir werden dazu neigen, uns selbst toll zu finden wegen dieser Sache. Der reine Glaube aber findet nur Christus toll und was Christus für uns getan hat; der reine Glaube folgt ihm dann einfach aus Dank und Liebe nach, ganz selbst­verständlich, ganz demütig.

Ja, wir sind noch unterwegs; Gott hat noch viel an uns zu arbeiten. Bloß gut, dass unsere Seligkeit nicht von unseren un­vollkommenen guten Taten abhängt, sondern von Christi voll­kommener Gerechtig­keit, die er uns geschenkt hat! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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