Wahrheit und Liebe

Predigt über 3. Johannes zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt zwei wunder­schöne Zwillings­schwestern, die heißen Wahrheit und Liebe. Sie sind un­zertrenn­lich. Wer die Zuneigung der einen gewinnt, der gewinnt auch die Zuneigung der anderen. Und wer sich mit der einen verkracht, der verkracht sich auch mit der anderen. Wahrheit und Liebe, diese beiden Zwillings­schwestern, gehen von Jesus Christus aus und kommen zu uns Menschen. Bei wem sie einkehren, der empfängt mit ihnen Gottes kostbarstes Geschenk, der wird ein Kind Gottes. Bei wem sie einkehren, den verändern sie auch: Wahrheit und Liebe prägen fortan sein Leben.

Um Wahrheit und Liebe geht es auch in den beiden kürzesten Schriften der Bibel, dem 2. und 3. Jo­hannes­brief. Diese beiden Zwillings­briefe hat der Apostel Johannes an zwei ver­schiedene Gemeinden mit ver­schiedenen Problemen gerichtet. Ja, die Probleme dieser beiden Gemeinden waren fast gegen­sätzlicher Natur: Die Gemeinde des 2. Jo­hannes­briefes war zwar muster­gültig liebens­würdig, aber sie nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. Johannes musste sie daher davor warnen, falsch lehrende Wander­prediger liebevoll aufzunehmen und ihnen Glauben zu schenken. Die Gemeinde des 3. Jo­hannes­briefes dagegen war muster­gültig wahrheits­liebend, aber es haperte bei ihr an der Bruder­liebe. So geschah es, dass man dort aus lauter Angst vor Irrlehren auch solchen Wander­predigern die Tür vor der Nase zuschlug, die im Grund genommen die rechte aposto­lische Lehre vertraten.

Dieses umgekehrte Problem stellte den Apostel Johannes nun allerdings vor eine besondere Schwierig­keit. Es gab ja damals noch keine reguläre Post­beförderung, und so wurden Briefe durch persönliche Boten zugestellt. Johannes pflegte seine Briefe an die Gemeinden immer den herum­reisenden Brüdern mitzugeben. Gerade die aber wurden von der Gemeinde des 3. Jo­hannes­briefes lieblos zurück­gewiesen! Jedenfalls schickte der selbst­ernannte Gemeinde­leiter Diotrephes sie mit ihrem Brief wieder zu Johannes zurück. So kam es, dass der Apostel eine Neufassung seines Briefes nieder­schrieb und diese diesmal privat einem einzelnen Gemeinde­glied zustellen ließ. Dieser Mann hieß Gajus und war ver­trauens­würdig. So kommt es, dass der 3. Jo­hannes­brief in seiner Neufassung an einen Einzelnen gerichtet ist, an Gajus nämlich.

In diesem Brief setzte der Apostel Johannes sich mit dem Problem der Gemeinde aus­einander. Zunächst rühmte er die Wahrheits­liebe des Gajus. Er schrieb: „Ich habe mich sehr gefreut, als die Brüder kamen und Zeugnis gaben von deiner Wahrheit, wie du ja lebst in der Wahrheit. Ich habe keine größere Freude als die, zu hören, dass meine Kinder in der Wahrheit leben.“ Sodann rühmte er auch die Liebe des Gajus, von der die Wander­prediger ihm ebenfalls berichtet hatten. Anders als Diotrephes nämlich pflegte Gajus christliche Wander­prediger herzlich aufzunehmen und sie beim Weiter­reisen sogar noch ein Stück zu begleiten, wie es damals bei guten Gastgebern üblich war. Johannes schrieb: „Mein Lieber, du handelst treu in dem, was du an den Brüdern tust, zumal an fremden, die deine Liebe bezeugt haben vor der Gemeinde; und du wirst gut daran tun, wenn du sie weiter­geleitest, wie es würdig ist vor Gott.“ Johannes wusste, dass solche Liebe zu den Predigern des Evangeliums nicht nur diesen selbst wohl tut, sondern dass die Prediger auf diese Weise auch für ihren Dienst gestärkt werden und so die Wahrheit des Evangeliums gefördert wird. Johannes schrieb: „Solche sollen wir nun aufnehmen, damit wir Gehilfen der Wahrheit werden.“ Sodann kritisierte Johannes die Lieblosig­keit des selbst­ernannten Gemeinde­leiters Diotrephes. Diotrephes, so erfahren wir, hat nicht nur die Wander­prediger mit bösen Worten beschimpft, sondern er hat sogar einige Gemeinde­glieder aus der Gemeinde geworfen, weil sie die Wander­prediger bei sich aufnehmen wollten. Johannes teilte Gajus mit, dass er dem Diotrephes beim nächsten per­sönlichen Besuch diese Lieblosig­keit vorhalten wird. Dann ermahnte er Gajus, sich nicht solche streit­süchtigen Leute zum Vorbild zu nehmen, sondern besser den guten Vorbildern nach­zueifern. Er schrieb: „Mein Lieber, folge nicht dem Bösen, nach, sondern dem Guten. Wer Gutes tut, der ist von Gott; wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“

Da haben wir in wenigen schlichten Worten den Kern des Evangeliums von Jesus Christus, auch für uns vom Apostel Johannes auf­geschrieben. Gott sehen wir, Gott erkennen wir in Jesus Christus. Jesus hat selbst von sich bezeugt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh. 14,9). In Jesus entdecken wir Gottes unfassbar große Liebe, die uns annimmt, wie wir sind, und die uns verändert, wie wir sein sollen. So bringt der Glaube an Jesus gute Frucht, Liebes­frucht: „Wer Gutes tut, der ist von Gott; wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“ Weil das so ist, wurde die herzliche Nächsten­liebe zum Marken­zeichen der Christen. Jesus sagte seinen Jüngern: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe unter­einander habt“ (Joh. 13,35). Diejenigen, die Gott durch Jesu Liebe erkannt haben, werden ihrerseits daran erkannt, dass sie Liebe üben! Das gilt für Christen aller Zeiten, das gilt auch heute bei uns. Wenn du die Wahrheit des Evangeliums im Glauben angenommmen hast, wenn also Jesus in deinem Herzen lebt durch den Heiligen Geist, dann steckt damit so viel Liebe in deinem Herzen drin, dass du sie nicht für dich behalten kannst. Die Liebe muss 'raus, hin zu den anderen Menschen! Wer sagt, dass er an Jesus glaubt, aber seine Mitmenschen nicht lieb hat, der glaubt nicht wirklich, sondern der bildet sich bloß ein, dass er glaubt. Denn, wie gesagt, Wahrheit und Liebe sind un­zertrenn­liche Zwillings­schwestern; wo die eine anwesend ist, da kann die andere nicht fern sein.

Nun ist es ja Gott sei Dank nicht mehr so wie bei Diotrephes und bei den Glaubens­kämpfen vergangener Jahr­hunderte, dass lieblose Wahrheits­fanatiker anderen um der Lehre willen die Köpfe ein­schlagen, sie hinaus­werfen oder auf andere Weise ihren Hass spüren lassen. Nein, da sind wir heute toleranter. Aber dennoch hat es die christliche Nächsten­liebe auch heute noch schwer, denn wir leben in einer kompli­zierten und anspruchs­vollen Welt. Da kommt es schnell vor, dass einer meint, für den anderen keine Zeit zu haben. Da kommt es vor, dass man sich von seinen Brüdern und Schwestern im Glauben entfremdet, weil sich anderes im Leben mehr aufdrängt. Ja, da kommt es leider auch immer wieder bei den treuen und aktiven Christen vor, dass sie lieblos aneinander handeln, sich be­schimpfen, sich verkrachen oder sich schmollend aus dem Weg gehen. Die Menschen sind heute in der Regel empfind­licher als früher und schneller beleidigt. Da ist es immer wieder nötig, dass wir das in die Beichte bringen und bei Jesus Christus Liebe auftanken. Wir sollten das nicht unter­schätzen, was da in der Beichte beim Zuspruch der Sünden­vergebung geschieht. Und wir sollten auch nicht unter­schätzen, was im Heiligen Abendmahl geschieht, wo wir alle gemeinsam, so verschieden wir sind, unabhängig von Familie und Sympathie, den Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus empfangen und zu einer Liebes­gemeinschaft zusammen­geschweißt werden. Nur wenn wir dranbleiben am Evangelium und an den Gnaden­mitteln, kriegen wir die Kraft, den Rat des Apostels Johannes in die Tat umzusetzen: „Folge nicht dem Bösen nach, sondern dem Guten!“ Und wenn uns das so gelingt, dass auch Außen­stehende es wahrnehmen und davon beeindruckt sind, dann werden wir durch unsere ausgeübte Liebe zu „Gehilfen der Wahrheit“. Denn die Liebe von uns Christen unter­einander ist ein mächtiger Begleiter der Ver­kündigung im Dienst der Mission; die Liebe kann Gottes Wort den Weg in die Herzen vieler Menschen ebnen!

Nicht zuletzt gilt das auch von der Liebe der Gemeinden zu ihren Ver­kündigern und ihren Pastoren. So, wie damals in aposto­lischer Zeit die Wander­prediger liebevoll aufgenommen und versorgt werden sollten, so soll auch heute noch jede christliche Gemeinde für ihren Pastor sorgen. In dem Ver­sprechen, das jede Gemeinde unserer Kirche bei der Einführung eines neuen Pfarrers ablegt, heißt es darum: „Bei seiner Amtsführung wird sie ihm Ehr­erbietung und Liebe, Gehorsam und Dankbarkeit als einem Botschafter Christi erzeigen, vor allem auch für ihn beten, damit er sein Amt in ihrer Mitte mit Freuden ausrichte und nicht mit Seufzen.“

Johannes hat seinen Brief an Gajus in aller Liebe und Freundlich­keit auf­geschrieben. Bei aller Kritik an Diotrephes und anderen Gemeide­gliedern hat er selbst doch nicht aufgehört, sie zu lieben. Er wollte sie keineswegs kaltstellen und loswerden, er wollte sie vielmehr auf's Neue gewinnen – sowohl für die Liebe als auch für die Wahrheit. Darum kündigte er am Schluss des 3. Jo­hannes­briefs seinen baldigen Besuch an, wo er persönlich mit der Gemeinde reden wollte. Auch für uns ist das ganz wichtig, wenn wir in der Liebe bleiben wollen und in der Wahrheit, und wenn wir uns nicht gegenseitig aufgeben wollen, sondern immer wieder neu anfangen: dass wir miteinander reden, dass wir aufeinander hören, dass wir gemeinsam auf Christus hören, dass wir uns an seinem Altar von ihm beschenken lassen und dass wir gemeinsam an ihm bleiben im rechten, lebendigen Glauben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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