Liebe und Wahrheit

Predigt über 2. Johannes zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt zwei wunder­schöne Zwillings­schwestern, die heißen Liebe und Wahrheit. Sie sind un­zertrenn­lich. Wer die Zuneigung der einen gewinnt, der gewinnt auch die Zuneigung der anderen. Und wer sich mit der einen verkracht, der verkracht sich auch mit der anderen. Liebe und Wahrheit, diese beiden Zwillings­schwestern, gehen von Jesus Christus aus und kommen zu uns Menschen. Bei wem sie einkehren, der empfängt mit ihnen Gottes kostbarstes Geschenk, der wird ein Kind Gottes. Bei wem sie einkehren, den verändern sie auch: Liebe und Wahrheit prägen fortan sein Leben.

Der Apostel Johannes hat in all seinen biblischen Schriften stets betont, dass Jesus uns Gottes Liebe und Gottes Wahrheit gebracht hat. Sowohl in seinem Evangelium als auch in seinen Briefen tauchen diese beiden Begriffe immer wieder auf: Liebe und Wahrheit. Ja, das ist die Haupt­botschaft der Guten Nachricht vom Mensch gewordenen Gottessohn: Wer an ihn glaubt, der findet die Wahrheit, das heißt: der erkennt Gott, wie er wirklich ist – Gott in seiner unfassbar großen Liebe!

Auch der 2. und der 3. Jo­hannesbrief sind gewisser­maßen Zwillinge. Sie sind fast gleich lang; es sind die kürzesten Schriften der ganzen Bibel. In diesen Briefen wendet sich der Apostel Johannes an zwei Gemeinden und legt ihnen für ihre jeweils besondere Situation die beiden Zwillings­schwestern ans Herz: Liebe und Wahrheit. Gleich in der Anrede sagt er den Christen, dass er sie lieb hat in der Wahrheit. Und im 2. Brief, den wir heute besonders bedenken, fügt er das Segenswort an: „Gnade, Barm­herzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, sei mit uns in Wahrheit und in Liebe!“

In aposto­lischer Zeit gab es noch kein Neues Testament. Das Evangelium von Jesus Christus wurde vielmehr mündlich weiter­gegeben durch die Apostel sowie auch durch Wander­prediger, die von den Aposteln zugerüstet und aus­geschickt wurden. Sie zogen von Gemeinde zu Gemeinde und ver­kündigten die gute Nachricht von Jesus Christus, wie sie ihnen von den Aposteln anvertraut war. Manchmal über­brachten sie auch Briefe der Apostel; die Johannes­briefe sind auf eben diese Weise in die Gemeinden gekommen. Es war üblich, dass die Wander­prediger liebevoll aufgenommen und großzügig versorgt wurden.

So geschah es auch in der Gemeinde, an die sich der 2. Jo­hannesbrief ur­sprünglich richtete. Das Problem dieser Gemeinde bestand darin, dass sie im Überschwang der Liebe alle Prediger, die bei ihnen auf­kreuzten, herzlich aufnahmen und ihnen voll vertrauten – auch denen, die gar nicht von den Aposteln kamen, sondern die unter dem Anschein des christ­lichen Glaubens Irrlehren ver­breiteten, irgend­welchen philo­sophischen Quatsch. Die Gemeinde war also in ihrer Liebe zu leicht­sinnig; sie lebte nur in einem allgemeinen Liebes­gefühl, ohne genau nach der Wahrheit zu fragen. Jedenfalls war das bei der Mehrheit so – einigen bescheinigt Johannes zwar, dass sie „in der Wahrheit leben“; insgesamt warnte er die Gemeinde jedoch vor Verführung. Er schrieb: „Viele Verführer sind in die Welt aus­gegangen, die nicht bekennen, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist… Seht euch vor, dass ihr nicht verliert, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangt.“ Johannes erwartete von dieser liebevollen Gemeinde, dass sie sich auch als wahrheits­iebende Gemeinde bewährt. Gottes Wahrheit aber ist nirgendwo anders zu finden als in der Person Jesu Christi, dem Fleisch gewordenen Gottessohn. Er hat ja selbst von sich bezeugt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh. 14,6). Wer leugnet, dass der Gottessohn wirklich Mensch wurde, oder wer sonst irgend etwas Falsches von Jesus erzählt gegen das Zeugnis der Apostel, der verachtet damit Gottes Wahrheit. Wenn dies in einer Gemeinde geschieht, dann wird das, was die Apostel durch ihre Ver­kündigung zuvor aufgebaut haben, wieder kaputt gemacht. Und dann geschieht es, dass viele ihren selig­machenden Glauben verlieren und am Jüngsten Tag nicht den Gnadenlohn der ewigen Seligkeit empfangen können. „Seht euch vor“, warnte der Apostel Johannes, „dass ihr nicht verliert, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangt.“ Und in Bezug auf die falschen Wander­prediger gibt er die praktische Anweisung: „Wenn jemand zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht, so nehmt ihn nicht ins Haus und grüßt ihn auch nicht.“ Bei Irrlehrern ist Liebens­würdigkeit fehl am Platz, da entspricht sie nicht der echten Liebe, weil damit die Wahrheit verleugnet wird. Wahrheit und Liebe sind, wie gesagt, zwei un­zertrenn­liche Zwillings­schwestern. Die Liebe, die von Christus kommt, fragt immer auch nach der Wahrheit in Gottes Wort und in Gottes Geboten; niemand kann an Gottes Wort und Geboten vorbei Liebe üben. So hat Johannes auch ge­schrieben: „Das ist die Liebe, dass wir leben nach seinen Geboten.“

In den zwei christ­lichen Jahr­tausenden musste dieser Kampf um Gottes Wahrheit, wie sie im Wort der Apostel bezeugt ist, ständig geführt werden. Martin Luther zum Beispiel hat das Evangelium von Jesus Christus wieder neu ans Licht gebracht, als es im Mittelalter fast ganz verschüttet war (die Liebe übrigens auch). Heute sind wir immer noch dazu aufgerufen, die christliche Liebe nicht als allgemeine und letztlich gleich­gültige Liebens­würdigkeit zu leben, sondern zugleich mit der Liebe auch Gottes Wahrheit als ebenso kostbares Gut fest­zuhalten. Nun haben wir es heute allerdings nicht mit Irrlehrern zu tun, die abstreiten, dass Jesus ein richtiger Mensch geworden ist. Wohl aber gibt es heute viele Irrlehrer, die abstreiten, dass Jesus wahrer Gott ist. Jawohl, sogar evan­gelische Pastoren und Doktoren der Theologie vertreten diese Meinung, Jesus sei ein Mensch gewesen, den erst der Glaube der Alten Kirche in den Rang Gottes erhoben habe. Andere streiten ab, dass Jesu Kreuzestod ein Sühnopfer für alle Sünden der Menschheit gewesen ist. Wieder andere reden überhaupt nicht mehr viel von Jesus, sondern verbreiten einen allgemeinen Gottes­glauben, den man ebenso auch bei Juden und Muslimen finden kann. Hüten wir uns davor, hier eine ver­meintliche Liebe und Toleranz gegen die aposto­lische Wahrheit aus­zuspielen! Wenn Christen im Dialog mit Juden, Muslimen und Atheisten Jesus als Herrn der Welt und Schlüssel zur Seligkeit ver­schweigen, dann ist das keine Liebe, sondern dann ist das Lieb­losigkeit. Denn auch für Juden, Muslime und Atheisten gilt ja das Wort des Herrn, vom Apostel Johannes über­liefert: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Wo das ab­gestritten, ver­schwiegen oder herunter­gespielt wird, da haben wir es nicht mit Mitchristen zu tun, sondern mit Verführern. Auch wenn wir sie menschlich achten, so dürfen wir doch ihre Glaubens­haltung nicht begrüßen und nicht in unsere Häuser aufnehmen, denn sie entspricht nicht der Wahrheit. Wenn wir nicht beide Zwillings­schwestern verlieren wollen, sowohl die Liebe als auch die Wahrheit, dann müssen wir am Christus­glauben so festhalten, wie ihn Gottes Wort uns in der Bibel vorlegt durch das Zeugnis der Apostel. Unser christ­liches Verhalten aber muss sich nach den Geboten richten, wenn es denn der rechten göttlichen Liebe entsprechen soll.

Johannes hat sein mahnendes Wort an die Gemeinde in aller Liebe und Freundlich­keit auf­geschrieben. Er war keineswegs ein verbissener Fanatiker, sondern gütig und liebevoll. Er wusste auch, dass er seine ernste Mahnung in Form eines Briefes nur notdürftig 'rüber­bringen kann. Darum schrieb er zum Schluss: „Ich hätte euch viel zu schreiben, aber ich wollte es nicht mit Brief und Tinte tun, sondern ich hoffe, zu euch zu kommen und mündlich mit euch zu reden, damit unsre Freude vollkommen sei.“ Ja, darum geht es, auch heute bei uns: dass wir letztlich vollkommene Freude finden bei Gott und in der Familie von Gottes Kindern! Je besser es uns gelingt, in Liebe und Wahrheit zu leben, desto mehr werden wir jetzt schon von dieser Freude erleben, bevor Jesus wiederkommt und uns zur ewigen Freude führen wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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