Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Was gehört zu den häufigsten menschlichen Tätigkeiten neben schlafen, arbeiten und essen? Richtig, es ist das Reden! Gott hat uns Menschen die Sprache gegeben, und wir benutzen sie oft und gern. Moderne Kommunikationstechniken ermöglichen es uns heutzutage sogar, dass wir uns mit Leuten unterhalten können, die gar nicht da sind. Selbst weltweit können wir mit Menschen im Gespräch sein, wenn wir das wollen und wenn keine Sprachbarrieren uns hindern.
Das Werk des Heiligen Geistes, das wir besonders heute am Pfingstfest rühmen, bezieht sich nun zu einem großen Teil auf unser Hören und Reden. Wir können sagen: Wo der Heilige Geist in das Leben eines Menschen tritt, da heiligt er sein Hören und Reden. Wie das geschieht und was das für Folgen hat, das sehen wir an den Ereignissen, von denen uns die biblische Pfingstgeschichte berichtet.
Nachdem Jesus gen Himmel gefahren war, lebten seine Anhänger zunächst ganz zurückgezogen in der Stadt Jerusalem. Jesus hatte ihnen versprochen, dass bald der Heilige Geist zu ihnen kommen würde, und auf den warteten sie nun. Das Wichtigste, das wir von ihnen aus dieser Zeit hören, ist die Tatsache, dass sie beteten. Sie redeten mit Gott. Auch für jeden von uns sollte Gott der erste und wichtigste Gesprächspartner sein. Wenn jemand den lieben langen Tag mit allen möglichen Leuten quatscht, aber kein einziges Wort an Gott richtet, dann stimmt etwas nicht mit seiner Beziehung zum Schöpfer. Ist doch klar: Wenn man jemanden lieb hat, dann redet man auch mit ihm!
Jesu Anhänger beteten also viel in den zehn Tagen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Dann erfüllte Jesus sein Versprechen und schickte ihnen den Heiligen Geist. Es geschah beim jüdischen Wochenfest, das man auch schon damals „Pfingsten“ nannte. Dieses Fest gehörte zu den drei Hauptfesten des Jahres, an denen die frommen Juden nach Jerusalem pilgerten und zum Tempel gingen. So kam es, dass am Pfingstfest auch viele Juden aus fremden Ländern zugegen waren, ebenso mehr oder weniger fromme Touristen nicht-jüdischer Abstammung. Die Aufzählung einiger dieser Fremden in der Pfingstepistel ist eine echte Herausforderung für jeden Lektor; man muss schon aufpassen, dass man nicht mit der Zunge stolpert über Parter, Meder, Elamiter, Mesopotamier und wie sie alle heißen. Auch die Anhänger Jesu hielten sich zum Pfingstfest im Tempel auf; sie hatten sich in einem der Nebengebäude versammelt und beteten. Da geschah es, da kam der Heilige Geist wie mit einem Paukenschlag! Ein scharfer Windstoß fegte durch das Gebäude, und über den Köpfen der Jünger erschienen feurige Zungen. Wir können froh sein, dass der Heilige Geist nicht zu jedem Pfingstfest unter solch spektakulären Wunderzeichen kommt; der Wind bläst bei uns heute nur durch die Orgelpfeifen, und die Feuerflammen beschränken sich auf die Altarkerzen. In Afrika habe ich öfters bei starkem Wind Gottesdienst feiern müssen: War man dann in einem Kirchgebäude, so donnerte der Wind derart laut über das Blechdach, dass man sein eigenes Wort nicht verstand; feierte man den Gottesdienst im Freien, so musste man zusehen, dass der Wind beim Abendmahl nicht die Hostien vom Teller fegte. Aber damals, beim Pfingstfest der Apostel, da war das schon gut so, dass der Heilige Geist sich durch Wunderzeichen deutlich bemerkbar machte, denn nun wussten alle: Es tut sich etwas, der Geist kommt!
Dass die Feuerflammen die Form von Zungen hatten, das deutete bereits darauf hin, was der Heilige Geist an diesem Tag tun wollte: Er wollte die Zungen der Jünger anrühren, er wollte ihr Reden heiligen! Und so war das dritte und entscheidende Wunderzeichen an diesem Tag ein Sprachenwunder. Wir lesen in der Pfingst-Epistel: „Sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ Für „Sprachen“ steht da im griechischen Urtext eigentlich das Wort „Zungen“; „Sprache“ und „Zunge“ ist im Neuen Testament ein und dasselbe Wort. Natürlich würden wir jetzt gern wissen, was das denn für Sprachen waren. Waren es Sprachen, die sie sowieso beherrschten, wie Aramäisch, Griechisch oder Lateinisch? Waren es seltenere Sprachen, die sie nie gelernt hatten, die sie aber kraft des Heiliges Geistes plötzlich sprechen konnten? Waren es gar völlig unbekannte Sprachen, überirdische Sprachen, Engelszungen? Die Bibel sagt darüber nichts. Sie sagt uns lediglich, dass dieses Reden in anderen Sprachen vom Heiligen Geist kam, dass es also ein geheiligtes Reden war. Und sie sagt uns, was die Leute von diesen Sprachen hörten und verstanden. Inzwischen waren nämlich viele Tempelbesucher von den merkwürdigen Erscheinungen des Heiligen Geistes angelockt worden und wunderten sich sehr über das, was da geschah. Einige von ihnen verstanden nur Bahnhof; ihnen kam die Zungenrede der Jünger wie das Lallen Betrunkener vor. „Die haben wohl zu tief ins Glas geschaut“, spotteten sie. Andere aber verstanden den Sinn der Rede. Als sie sich darüber austauschten, stellten sie erstaunt fest, dass sie alle Worte in ihrer eigenen Muttersprache hörten und verstanden. Auf das Sprachenwunder folgte ein Hörwunder! Gottes Geist heiligte nicht nur das Reden der Apostel, sondern auch das Hören vieler Tempelbesucher!
Dieses Doppelwunder ereignet sich auch heute noch immer wieder: Der Geist heiligt unser Reden und unser Hören in der Kirche! Wenn wir Pastoren predigen und wenn Christen ihren Mitmenschen den Glauben bezeugen, dann lenkt der Heilige Geist unsere Worte, sodass nicht Menschenweisheiten und Werbespots aus unseren Mündern kommen, sondern das Evangelium von Jesus Christus, die Botschafts von seinem Tod, von seiner Auferstehung, von seiner Herrschaft im Himmel und von seinem Wiederkommen. Darum gehört die Bitte um den Heiligen Geist zu den wichtigsten Tätigkeiten bei der Predigtvorbereitung. Und wenn dann Menschen unsere Predigten hören oder auch das Glaubenszeugnis eines Christenmenschen, dann scheiden sich die Geister ebenso wie damals: Die einen halten es für dummes, unausgegorenes Geschwätz, die anderen aber trifft es mitten ins Herz, sie kommen zum Glauben oder werden gestärkt im Glauben. Ja, genau das tut der Heilige Geist: Er heiligt unser Reden und heiligt unser Hören!
Bei all dem Reden und Hören am Pfingsttag der Apostel, bei aller Erleuchtung und aller Verwirrung verschaffte sich schließlich eine einzige Stimme Gehör. Es war die Stimme des Simon Petrus. Die Worte seiner Predigt sind uns überliefert, und ihren Anfang haben wir in unserer Pfingstepistel gehört. Petrus redete die Menge freundlich an: „Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr euch in Jerusalem aufhaltet, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen!“ Achtet genau darauf, was Petrus sagte: „meine Worte – eure Ohren“ – wie gesagt, es geht um geheiligtes Reden und geheiligtes Hören! Und dann deutete er ihnen das erlebte Sprachenwunder. Er deutete es ihnen mit einem alten Gotteswort vom Propheten Joel, das vielen seiner Zuhörer gewiss bekannt war. Zunächst aber wandte er sich an diejenigen, die nur ein Lallen vernommen hatten, und sagte: „Diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage!“ Um neun Uhr früh ist man noch nicht so betrunken, dass man lallt. Danach sagte er allen das Wort des Propheten Joel: „Es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen.“ Und dann wiederholte Petrus noch einmal das Wichtigste davon: „Und sie sollen weissagen.“
Weissagen, prophezeien, prophetisch reden – das bedeutet: von Gott reden. Das bedeutet: Dinge sagen, die Menschen in ihrer natürlichen Umgebung nicht erleben und die sie sich auch nicht mit ihrer Vernunft ausdenken können. Das bedeutet: Dinge sagen, die einem der Heilige Geist geschenkt hat – sei es durch Träume, sei es durch Visionen, sei es auch durch andere Weisen der Offenbarung. Freilich hat es solches „Weissagen“ auch schon vor Pfingsten gegeben, auch schon lange, bevor Jesus auf die Welt kam. Nun aber wird der Geist der Weissagung „ausgegossen“ wie mit der Gießkanne, sodass alle etwas davon abbekommen! Vor Pfingsten hatte Gott den Heiligen Geist besonders auserwählten Menschen vorbehalten, nun aber kommt er über „alles Fleisch“, über alle möglichen Menschen: Er kommt auf Söhne und Töchter, also auf Männer und Frauen; er kommt auf Junge und Alte; er kommt auf jeden, der zu Gott gehört, auf all seine „Knechte und Mägde“, wie Joel prophezeite! Das ist das Besondere der „letzten Tage“, das ist das Besondere am Zeitalter des neuen Bundes, der mit Jesus angebrochen ist: Alle, die zu Gottes Volk gehören, empfangen den Heiligen Geist, werden geheiligt in ihrem Hören und in ihrem Reden! Das ist das Kennzeichen der christlichen Kirche: Sie ist durchdrungen vom Heiligen Geist!
Und damit sind wir wieder hier bei uns, in unserem Gottesdienst. Zwar kommt der Geist heute nicht mit starkem Wind und Feuerzungen, aber er kommt mit geheiligtem Hören und geheiligtem Reden. Ich betone es nochmals: Wenn wir hier gemeinsam Gottes Wort hören, dann schenkt uns der Heilige Geist durch Gottes Wort, dass wir es glauben können und damit selig werden. Die Predigt von Gottes Wort, das sind gewissermaßen unsere „Träume und Gesichte“, das sind die Geheimnisse des Glaubens, die wir weder durch unsere Lebenserfahrung noch durch unsere Vernunft erkennen können. Es ist das Wort vom Kreuz, es ist das Evangelium vom auferstandenen Herrn Jesus Christus, der nach diesen „letzten Tagen“ wiederkommen und uns zu sich in die ewige Seligkeit nehmen wird. Und nun schenke uns der Heilige Geist nach solchem geheiligten Hören auch geheiligtes Reden! Er schenke uns, dass wir „weissagen“, wie Joel es verheißen und wie Petrus es bestätigt hat! Er schenke uns, dass wir anderen Menschen zu Zeugen werden für die Liebe Gottes in Jesus Christus! Er heilige dazu unser Reden, dass wir die rechte Sprache für unsere Mitmenschen finden, und er heilige dazu auch ihr Hören, dass ihnen Gottes Wort mitten ins Herz geht! Amen.
PREDIGTKASTEN |