Markus – ein Christ wie du und ich

Predigt über Apostelgeschichte 15,36‑41 zum Tag des Evangelisten Markus

Der junge Mann hatte schon im Bett gelegen. Nun stand er spät abends noch einmal hastig auf und zog gar nicht erst Unterwäsche an, sondern warf sich nur rasch sein Obergewand über. Ein schreck­liches Ereignis zog ihn wie mit Magnetkraft in den Stadtpark; er musste hin; er musste es mit eigenen Augen sehen. So war der junge Mann anwesend, als die Polizisten kamen und den Einen festnahmen, der ihm so viel bedeutete: Jesus. Markus hieß dieser junge Mann ohne Unter­gewand, mit vollem Namen Johannes Markus. Ja, er war dabei gewesen, als man Jesus im Garten Gethsemane stellte, er wollte dabei sein – und wollte es auch wieder nicht. Er hatte einen schwan­kenden Charakter. Zu schrecklich war die Szenerie; am Ende wurde es sogar für ihn persönlich gefährlich. Als einer der Polizisten ihn am Gewand packte, da riss er sich los und floh – splitter­nackt (Markus 14,51‑52).

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, die Bibel stellt uns ihre Heiligen ohne Heiligen­schein vor. Das ist sehr sym­pathisch, denn wir sehen daran: Es sind Menschen wie du und ich. Und wir sehen daran auch: Die Bibel ist frei von Heuchelei; sie stellt die Dinge dar, wie sie sind. Da sieht man dann eben auch, dass selbst Anhänger Jesu sich Blößen geben, Schwächen haben und Sünder sind. Johannes Markus war ein Jünger Jesu wie du und ich: mit Sünde, mit Zweifeln, mit Hochs und Tiefs im Glaubens­leben. Und doch hat Gott etwas ganz Großes durch ihn getan: Er hat uns einen wichtigen Teil der Bibel von ihm auf­schreiben lassen, nämlich das Markus­evangelium; darum begehen wir heute seinen Gedenktag. Nur un­vollständig und unklar freilich können wir seinen Lebensweg erkennen; aber ich will dennoch versuchen, ihn für uns hier nach­zuzeichnen.

Als Jesus starb und von den Toten auferstand, lebte Markus in Jerusalem bei seiner Mutter Maria. Zusammen mit ihren anderen Angehörigen wurden sie Christen der ersten Stunde in der Jerusalemer Urgemeinde. Petrus hatte Markus persönlich getauft und nannte ihn darum später seinen geistlichen „Sohn“ (1. Petrus 5,13). Vielleicht war Markus unter den 3000 Personen gewesen, die zu Pfingsten die heilige Taufe empfingen. Markus war jedenfalls mit von der Partie, als eine Schar von Christen die halbe Nacht durch im Haus seiner Mutter Maria betete und dabei um das Leben des inzwischen gefangenen Petrus bangte. Wie überrascht waren sie alle, als Gott ihre Gebete prompt erhörte und Petrus als freier Mann an ihre Tür klopfte (Apostelgesch. 12,12‑16). Zur Jerusalemer Urgemeinde gehörte auch ein Cousin des Markus namens Josef mit dem Beinamen Barnabas. Ihm lag die Mission besonders am Herzen, darum war er maßgeblich an der Entstehung der Heiden­christen­gemeinde in Antiochien beteiligt. In Antiochien arbeitete Barnabas mit Paulus zusammen. Bei einem Aufenthalt in Jerusalem erkannten die beiden Missionare in Markus einen hoffnungs­vollen Nachwuchs-Mitarbeiter und bewegten ihn dazu, ebenfalls nach Antiochien zu ziehen (Apostel­gesch. 12,25). Als Paulus und Barnabas von Antiochien aus zu ihrer ersten Missions­reise nach Kleinasien aufbrachen, nahmen sie Markus als Mitarbeiter mit.

Auf dieser Missions­reise geschah es nun, dass Markus vorzeitig umkehrte. Alles deutet darauf hin, dass er es ohne zwingenden Grund tat. Vielleicht war ihm die Reiserei körperlich zu anstrengend – damals mit einem Segelschiff das Mittelmeer zu überqueren war keine Spazier­fahrt! Vielleicht schreckte ihn auch der grimmige Widerstand mancher Feinde des Evan­geliums, von dem er auf der Insel Zypern eine Kostprobe bekommen hatte. Was es auch gewesen sein mag: Er brach die Reise auf eigenen Wunsch vorzeitig ab (Apostel­gesch. 13,13). Markus war eben ein Christ wie du und ich, unsicher, wankel­mütig, klein­gläubig, un­beständig. Paulus allerdings hatte überhaupt kein Verständnis dafür und war wütend auf Markus; Barnabas beurteilte seinen Cousin etwas milder. So kam es zu dem Streit, von dem unser Predigttext berichtet.

Paulus und Barnabas waren von ihrer ersten Missions­reise nach Antiochien zurück­gekehrt. Aber die Sorge um die neu gegründeten Gemeinden sowie der Drang zur Evangeliums­verkündigung ließen sie dort nicht lange ausruhen. Wer vom Evangelium Jesu Christi richtig ergriffen ist, der kann nicht anders, der muss anderen davon weiter­sagen; dem kann es nicht egal sein, dass da noch unzählige Menschen den Weg zum Heil nicht kennen! Darum sagte Paulus zu Barnabas: „Lass uns wieder aufbrechen und nach unseren Brüdern sehen in allen Städten, in denen wir das Wort des Herrn verkündigt haben, wie es um sie steht.“ Barnabas war ein­verstanden, aber er wollte, dass Markus wieder mitkommt. Paulus lehnte das strikt ab: So einen wollte er nicht wieder mitnehmen – einen Feigling, einen Wankel­mütigen, einen Deserteur! Barnabas war für eine neue Chance, aber Paulus wollte den Ver­kündigungs­dienst nicht durch so ein Experiment aufs Spiel setzen. Sie disku­tierten, sie stritten, sie kamen nicht auf einen gemeinsamen Nenner. „Scharf kamen sie aneinander, sodass sie sich trennten“, heißt es in unserem Bibelwort. Ja, wirklich, die Bibel ist da ganz offen und ehrlich, auch Paulus und Barnabas werden uns hier ohne Heiligen­schein gezeigt. Es waren Christen wie du und ich, die sich auch mal gehörig streiten konnten. Und dieser Streit war kein vorüber­ziehendes Gewitter, sondern ein so schweres Zerwürfnis, dass sie meinten, nicht mehr zusammen arbeiten zu können. Ja, das hat es immer wieder gegeben in der christ­lichen Kirche, und das kommt auch heute noch vor: dass Christen­menschen bei allem Glauben, bei aller Liebe, bei allem gemeinsamen Eifer für Jesus einfach nicht miteinander können. Da muss man dann realistischer­weise sagen: Gut, es geht halt nicht zusammen; dann wollen wir uns eben ohne Groll trennen und jeder seinen eigenen Weg gehen.

Markus, Paulus und Barnabas, das waren Christen und Sünder wie du und ich, nur eben, dass Gott sie zu besonderen Werkzeugen seines Evangeliums gemacht hat. Wir können davon überzeugt sein, dass sie auch selbst aus der Kraft dieses Evangeliums gelebt haben. Bestimmt haben sie ihre Feigheit, ihre Lieblosig­keit und ihren Streit in die Beichte gebracht. Bestimmt hat Gott ihnen durch Jesus vergeben. So konnten sie trotz der traurigen Vorfälle weiterhin im Segen wirken – jeder an der Stelle, wo Gott ihn hinsandte.

Wo hat Gott den Markus denn danach hingesandt? Das können wir im Einzelnen gar nicht mehr genau sagen. Wir wissen nur, dass Paulus ihm vergeben hat und dass er später sogar wieder mit ihm zusammen arbeitete. So finden wir Grüße vom Mitarbeiter Markus am Ende der Briefe des Apostels Paulus an die Kolosser und an Philemon (Kol. 4,10; Philemon 24). Überwiegend hat Markus dann aber wohl mit seinem geistlichen Vater Petrus zusammen­gearbeitet. Es ist über­liefert, dass er der Dolmetscher des Petrus wurde – vielleicht in Rom. Da hat er nicht nur übersetzt, was Petrus aus den Erdentagen Jesu bezeugte, sondern da hat er das auch für sich selbst begierig aufgesogen. Er hing an den Lippen des Petrus, als dieser immer wieder erzählte, was nach Jesu Gefangen­nahme geschah, als Markus schon längst nackt davon­gerannt war. Er hing an den Lippen des Petrus, als dieser immer wieder bezeugte, wie Jesus ihnen als Auf­erstandener erschienen war, was er ihnen da gesagt hatte und dass er sogar mit ihnen gegessen hatte. Und dann gab der Heilige Geist dem Markus ins Herz, dies alles auf­zuschreiben, damit es nicht verloren geht, sondern kommenden Christen­generationen erhalten bleibt. So ist das Markus-Evangelium entstanden – aus den Predigten des Simon Petrus, auf­geschrieben von Johannes Markus, einem wankel­mütigen Christen wie du und ich. Aber er hatte den Herrn Jesus lieb und lebte aus der Kraft des Evan­geliums.

Das Ende des Markus verliert sich im Dunkel der Geschichte. Vielleicht war er im vor­gerückten Alter Bischof von Alexandrien geworden; vielleicht ist er in Rom den Märtyrertod gestorben. Vor allem aber wollen wir uns an Markus um seines Evangeliums willen erinnern, und wir wollen Gott dafür preisen. Wie gut, dass wir dieses wohl älteste Evangelium haben, das uns so dicht heranführt an die wesent­lichen Ereignisse aus den Erdentagen des Jesus von Nazareth! Denn auf dem Evangelium ruht unser Glaube, mit dem Evangelium können wir gut leben, mit dem Evangelium können wir auch gut sterben, mit dem Evangelium werden wir auferstehen und gut durch Gottes Gericht kommen, mit dem Evangelium werden wir schließlich ewig selig werden – wir ganz normale Christen ohne Heiligen­schein! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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