Die Liebe Christi nimmt uns in die Pflicht, denn wir sind überzeugt: Einer ist für alle gestorben. Das bedeutet, dass alle an seinem Tod Anteil haben. Und das bedeutet weiter, dass die Lebenden künftig nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den Einen, der für sie gestorben und wieder lebendig geworden ist. Aus diesem Grund kennen wir nun niemanden mehr auf rein menschliche Weise. Das gilt auch für unsere Beziehung zu Christus selbst: Früher haben wir ihn einfach wie einen Mitmenschen gekannt, aber das ist jetzt anders. Wir sehen: Wenn jemand zu Christus gehört, dann ist er ein ganz neues Lebewesen. Das Alte ist vorbei, also aufgepasst: Es hat jetzt etwas Neues angefangen! Das alles hat Gott so gefügt. Durch Christus hat er sich mit uns ausgesöhnt. Danach hat er uns damit beauftragt, diese Versöhnung auszubreiten, und zwar entsprechend unserem Bekenntnis, in dem es heißt: Gott war in Christus und hat die Welt mit sich selbst versöhnt. Er hat den Menschen ihre Übertretungen nicht angekreidet, sondern das erlösende Wort unter uns aufgerichtet. Wegen Christus sind wir nun gewissermaßen Gottes Gesandte mit einer tröstlichen Botschaft. Wir bitten wegen Christus: Lasst euch mit Gott versöhnen! Er hat den einen Sündlosen wie einen Sünder behandelt, damit wir durch ihn bei Gott unsere Sünde los sind.
Liebe Gemeinde!
Viele Leute denken, der Karfreitag ist so etwas Ähnliches wie eine Beerdigung. Jesus ist gestorben, da muss man traurig sein oder wenigstens so tun, als ob man traurig ist. Man denkt an Jesus zurück wie an einen lieben verstorbenen Menschen. Vielleicht ehrt man sein Andenken und nimmt ihn sich zum Vorbild. Ja, so ist das am Karfreitag – menschlich betrachtet. Aber da sagt der Apostel Paulus: Stopp! Da sagt Gott selbst durch seinen Apostel: Stopp! Ihr seid Christen, und deshalb könnt ihr den Tod Jesu nicht rein menschlich sehen. „Wir kennen nun niemanden mehr auf rein menschliche Weise“, heißt es, auch Jesus nicht, denn wir sind ja nun völlig umgekrempelt, völlig neu. Ja, lieber Paulus, das wollen wir ja gern glauben, aber was bedeutet das denn nun für unser Karfreitag-Feiern? Was ist denn da nun anders als bei einer Beerdigung? Es hängt alles an dem einen Satz, den wir in unserem Bibelabschnitt dick unterstreichen wollen: „Einer ist für alle gestorben.“ „Für alle“, darauf kommt es an! Jesu Tod hat Erlösungskraft für alle Menschen. Diese Erlösungskraft bewirkt nicht nur die Vergebung unserer Sünden, sondern sie krempelt uns völlig um; wir sind nun keine normalen Menschen mehr. Diesen drei Sachen wollen wir jetzt etwas gründlicher nachgehen, und zwar einer nach der andern: 1. Einer ist für alle gestorben, 2. sein Tod erlöst uns, 3. wir sind keine normalen Menschen mehr.
Erstens: Einer ist für alle gestorben. Das „Für“ hat dabei eine doppelte Bedeutung: erstens „zum Nutzen für alle“, zweitens „stellvertretend für alle“. Beides soll uns groß und wichtig werden, wenn wir auf Jesus am Kreuz achten. Was da geschah, das ist eigentlich keine traurige Geschichte, das ist auch nichts Symbolisches für alles Leiden in der Welt, sondern das geschieht zum echten Nutzen für alle Menschen, also auch für dich und für mich. Diesen Nutzen beschreibt Paulus folgendermaßen: „Durch Christus hat Gott sich mit uns ausgesöhnt…. Gott war in Christus und hat die Welt mit sich selbst versöhnt.“ „Versöhnung“ hat mit „Sohn“ zu tun, mit „Sohn-Sein“ oder „Kind-Sein“. Stellt euch vor, ein Sohn ist mit seinem Vater völlig verkracht. Er selbst, der Sohn, ist schuld daran. Er hat sich aus Hass von seinem Vater losgesagt, er will nichts mehr von ihm wissen. Es wäre dem Vater jetzt nicht zu verdenken, wenn er ebenfalls von seinem Sohn nichts mehr wissen wollte. Wir könnten uns gut vorstellen, dass er diesen enttäuschenden Sohn sogar vom Erbe ausschließt. Aber er tut es nicht. Er gibt die Hoffnung nicht auf, ihn zurückzugewinnen. Er signalisiert ihm: Ich verzeihe dir alles, was du mir angetan hast! Ich trage dir nichts nach! Meine Tür ist immer offen für dich! Wir können neu anfangen! Genau das ist die Botschaft des himmlischen Vaters an alle Menschen, die frohe Botschaft des Evangeliums. Und genau das zeigt der Tod von Jesus am Kreuz. Da, am Kreuz, stirbt mit Jesus alles, was du Gott Böses angetan hast. Da stirbt aller Hass, alle Schuld, alle Entfremdung. Da werden deine Altlasten entsorgt, damit eine neue Beziehung der Kindschaft wachsen kann. Da hat Gott die ganze Welt mit sich ausgesöhnt. So hat Jesu Kreuzestod einen Nutzen für alle. Und weil der Vater im Himmel kein Mensch ist, sondern Gott, darum geschieht dieser Kreuzestod zugleich auch stellvertretend für alle. Denn „Tod“ bedeutet ja letztlich „endgültige Trennung von Gott“. Die braucht nun nicht mehr zu sein, weil Jesus sie stellvertretend für uns erlitten hat. Am Kreuz hängend sagte er: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, und dann starb er – wie gesagt, stellvertretend für alle war er da von Gott verlassen; niemand braucht künftig mehr von Gott verlassen zu sein. Paulus fasste abschließend Gottes Versöhnungshandeln so zusammen: „Er hat den einen Sündlosen wie einen Sünder behandelt, damit wir durch ihn bei Gott unsere Sünde los sind.“
Zweitens: Sein Tod erlöst uns. Paulus schreibt, dass „alle an seinem Tod Anteil haben“. Wie geht das denn, dass wir Anteil kriegen am Tod von Jesus? Dass wir also nicht einfach nur verlegen wie Trauergäste hier am Karfreitag herumsitzen, sondern den Nutzen vom Sterben Jesu tatsächlich mit nach Hause nehmen können? Auch das hat Paulus klar gesagt: „Gott hat uns damit beauftragt, diese Versöhnung auszubreiten… Wegen Christus sind wir nun gewissermaßen Gottes Gesandte mit einer tröstlichen Botschaft. Wir bitten wegen Christus: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ Paulus war ein Apostel, zu deutsch: ein Abgesandter, ein unmittelbarer Botschafter des Herrn Jesus Christus. Seine Botschaft und die Botschaft der anderen Apostel können wir im Neuen Testament nachlesen. Und wir können diese Botschaft auch heute noch hören, und zwar immer dann, wenn sie von Gottes heutigen Botschaftern gepredigt wird. Das sind zwar nicht mehr die Apostel, aber die Botschaft ist immer noch dieselbe (wenigstens sollte sie das sein): die Botschaft davon, wie Gott die Welt durch das Kreuz Christi mit sich versöhnt hat. Die heutigen Botschafter, das sind die Prediger, Pastoren und Pfarrer; einer von ihnen bin ich. Und wenn ich hier in der Kirche predige, dann tue ich nichts weniger als das, wovon der Apostel Paulus schreibt; ich bitte euch im Namen des himmlischen Vaters: „Lasst euch mit Gott versöhnen!“ Ich tue es in der Hoffnung, dass diese Botschaft nicht von vielen verhärteten Herzen abprallt, sondern dass sie ihr Ziel findet, dass sie Reue bewirkt und Glauben keimen lässt. Ich vertraue darauf, dass diese Botschaft uns auch heute noch die Sündenschuld fortnimmt und an der Erlösung Anteil gibt, wie Paulus schreibt: „Gott hat den Menschen ihre Übertretungen nicht angekreidet, sondern das erlösende Wort unter uns aufgerichtet.“ Diese Evangeliums-Botschaft ist es auch, die den Sakramenten ihre Kraft gibt. Wann immer wir hier einen Menschen taufen, dann geschieht es, dass ihn der Tod Jesu vom ewigen Tod erlöst. Wann immer hier Menschen den Leib und das Blut Christi empfangen im Heiligen Abendmahl, dann geschieht es, dass die Erlösungskraft von Christi Tod sie im Glauben stärkt wie Proviant auf der Reise zur ewigen Seligkeit. Seht, so erlöst uns Jesu Tod: Indem wir durch die Botschaft seines Todes Anteil bekommen am Nutzen seines Todes. Wir werden mitgerissen in den Tod Jesu, aber wir werden auch mitgerissen in seine Auferstehung. In unserer Taufe sind wir mit Christus gestorben und begraben worden und dann auch auferstanden zu einem neuen Leben, das nie mehr enden soll.
Damit kommen wir zu drittens: Wir sind keine normalen Menschen mehr. Paulus schreibt: „Einer ist für alle gestorben… Das bedeutet, dass die Lebenden künftig nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den Einen, der für sie gestorben und wieder lebendig geworden ist… Wir sehen: Wenn jemand zu Christus gehört, dann ist er ein ganz neues Lebewesen. Das Alte ist vorbei, also aufgepasst: Es hat jetzt etwas Neus angefangen!“ Wir sind wie Söhne, die jetzt wieder ein prima Verhältnis zum Vater haben und ihren ganzen Ehrgeiz hineinsetzen, diesen großartigen, liebevollen Vater zu ehren. Wir sind wie Verunglückte, die bei einem schweren Unfall haarscharf am Tod vorbeigeschrammt sind und nun jeden weiteren Lebenstag wie ein köstliches Geschenk erleben. Seit wir in unserer Taufe mit Jesus gestorben und auch wieder auferstanden sind, sind wir neu geboren, neu geschaffen! Wir sind keine normalen Menschen mehr, die einfach so vor sich hinleben und dann irgendwann aufhören zu leben. Wir leben für Jesus, wir atmen für Jesus, wir essen für Jesus, wir trinken für Jesus, wir schlafen für Jesus, wir arbeiten für Jesus, wir reden für Jesus, wir singen für Jesus! „Die Liebe Jesu nimmt uns in die Pflicht“, wie Paulus es formulierte. Wir sind immer für ihn da, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, und danach in alle Ewigkeit. Der Mann am Kreuz ist unser Lebensinhalt, und darum nennen wir uns auch nach seinem Namen „Christen“. Es ist so mit uns, wie Paulus sagt: „Die Lebenden leben künftig nicht mehr für sich selbst, sondern für den Einen, der für sie gestorben und wieder lebendig geworden ist.“ Ja, so ist das bei uns, so schön und herrlich. Die Beerdigungsstimmung des Karfreitags bleibt nicht, sondern sie weicht der Osterfreude. Ja so ist das, und so soll es bleiben bei allen, die das Wort vom Kreuz nicht von einem verhärteten Herzen abprallen lassen – das Wort, das da lautet: „Einer ist für alle gestorben“. Amen.
PREDIGTKASTEN |