Reden und hören, beten und gehorchen

Predigt über Hebräer 5,7‑9 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Einen großen Teil unserer Lebenszeit verbringen wir mit Gesprächen. Wir reden mit anderen Menschen und hören, was sie uns sagen. Dabei finden unsere Gespräche in sehr unter­schiedlichen Situationen statt. Da reden wir zum Beispiel täglich mit unseren Haus­genossen; wir sprechen mit ihnen über das, was gerade ansteht. Da treffen wir Bekannte auf der Straße und wechseln spontan ein paar Worte. Da gibt es offizielle Be­sprechungs­termine, etwa im Zusammen­hang mit unserer Arbeit. Und manchmal kommt es vor, dass wir uns in großer Not an Leute wenden, von denen wir Rat und Trost erhoffen.

Wenn wir mit Gott reden, dann nennen wir das „beten“. Auch unser Beten geschieht in sehr unter­schiedlichen Situ­ationen. Auch da gibt es die all­täglichen Gebete über das, was gerade ansteht: Wir bitten Gott um seinen Segen zu unseren Mahlzeiten und danken ihm für seine Gaben; wir befehlen ihm morgens das an, was uns an dem Tag erwartet; wir bitten ihn abends um Vergebung für das, was wir falsch gemacht haben. Auch spontan reden wir mit Gott, wenn uns danach zumute ist: Wir tun es oftmals formlos ohne Händefalten und Augen­schließen, zum Beispiel unterwegs, wenn uns gerade etwas einfällt, was wir Gott sagen wollten. Dann gibt es da noch die offiziellen „Be­sprechungs­termine“ mit Gott, wo wir uns mit anderen Christen zum Gebet verabreden; das ist ja auch ein wichtiger Gesichts­punkt unserer Gottes­dienste hier. Und dann können wir schließlich in Situationen kommen, wo wir uns in großer Not an Gott wenden und ihm einfach unser Herz aus­schütten, weil wir nicht weiter wissen. In solchen Situationen haben manche erst richtig beten und Gott vertrauen gelernt; Not lehrt ja bekanntlich beten.

In so eine notvolle Gebets­situation gibt uns die heutige Epistel­lesung Einblick. Es ist kein Geringerer als unser Herr Jesus selbst, der da in großer Not mit seinem Vater im Himmel spricht. Von ihm heißt es: „Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dar­gebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.“ Da denken wir an Jesus im Garten Gethsemane am Donnerstag­abend, wenige Stunden vor seiner Verhaftung, einen Tag vor seinem Tod. Jesus weiß genau, was der Vater im Himmel ihm zumutet. Seine Freunde sind ihm jetzt keine Hilfe, sie schlafen vor Er­schöpfung, mit ihnen kann er nicht reden, kann ihnen nicht seine Angst klagen. Aber die Angst ist übermächtig groß, auch diese schmerz­liche Erfahrung im Menschen­leben bleibt Jesus nicht erspart. Jesus ist todtraurig, hat Todesangst. Er weint, er schreit, er ruft um Hilfe bei seinem himmlischen Vater. Er betet: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ (Matth. 26,39). Er weiß, dass sein Vater die Macht hat, ihn jetzt noch heraus­zureißen und seinen Plan zu ändern. Er weiß, dass sein Vater ihn vom Tod erretten kann, und er vertraut ihm. Jesus wendet sich in seiner großen Not an die richtige Adresse, und er betet nicht vergeblich. Wir lesen: „Er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.“

Inwiefern ist er denn erhört worden? Er musste ja schließlich doch den bitteren Kelch trinken, den er lieber vorübergehen lassen wollte. Der Vater im Himmel hat seinen Plan mit Jesus ja nicht noch in letzter Minute geändert. Wieso also erhört? Die Antwort finden wir im zweiten Teil des Satzes: „Er ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.“ Das tat er, indem er sein Gebet begann mit den Worten „Vater, ist's möglich“, und indem er an die Bitte um Verschonung die Worte anschloss: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Er machte es für sich selbst genauso, wie er es seine Jünger mit der dritten Vaterunser­bitte gelehrt hatte: „Dein Wille geschehe!“ Ja, damit hat Jesus seinen himmlischen Vater in Ehren gehalten. Das bedeutet: Er hat ihm das letzte Wort in dieser Sache überlassen, die letzte Ent­scheidung. Er hat den Willen seines Vaters respektiert und ihn über seinen eigenen Willen gestellt. Darum konnte der Vater seinen ein­geborenen Sohn in den Tod geben, ohne dessen Gebet zu verwerfen. Er hat ja Jesus tatsächlich darin erhört, dass er's nicht gemacht hat, wie Jesus es wollte, sondern wie er selbst es wollte. Das bedeutet freilich nicht, dass er hartherzig übergangen hätte, was Jesus im ersten Teil erbeten hatte, nämlich dass der Kelch an ihm vorüber­gehe. Wir wissen, dass der himmlische Vater gleich im Anschluss an dieses Gebet einen Engel zu Jesus gesandt und ihn auf diese Weise gestärkt hat (Lukas 22,43). Gott hat auf diese Weise dafür gesorgt, dass der Kelch weniger bitter wurde, dass die Angst kleiner wurde, dass das Erlösungs­werk für seinen Sohn er­träglicher wurde. Ja, auf so wunderbare Weise hat der Vater Jesus erhört, weil Jesus ihn in Ehren hielt. Und Jesus seinerseits hat auf das gehört, was sein Vater von ihm erwartete, und hat sich dessen Willen unter­worfen. Jesus hörte und gehorchte, das hat er in seinem Menschsein gelernt. In unserer heutigen Epistel heißt es darum: „So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir können Jesus dafür nicht dankbar genug sein. Denn wenn wir es recht bedenken, dann stand damals unsere Erlösung auf Messers Schneide. Die Todesangst Jesu war Satans letzte große Versuchung Jesu, nämlich Satans letzter Versuch, den Sühnetod am Kreuz zu vereiteln. Hätte Jesus dem Vater nicht die Ehre gegeben und nur gebetet: „Dieser Kelch soll an mir vorüber­gehen!“, dann hätte der Vater, um ihn zu erhören, seinen Heilsplan mit ihm aufgeben müssen. Wir hätten dann keinen Erlöser, keine Vergebung der Sünden, kein Leben im Licht Gottes und keine ewige Seligkeit. Gott sei Dank, es ist nicht so gekommen. Jesus war dem Vater treu geblieben und hatte sich auch in dieser Stunde gehorsam seinem Willen unter­geordnet. Darum heißt es dann auch weiter in unserer Epistel­lesung: „Als er vollendet war, ist er für alle, die ihm ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.“

„Für alle, die ihm gehorsam sind“ – damit sind die Glaubenden gemeint. Wenn die Bibel vom Gehorsam der Menschen zu Gott redet, dann ist sehr oft der Glaubens­gehorsam gemeint. Es ist genau derselbe Gehorsam, den wir vorbildlich bei Jesus sehen: der Gehorsam, der Gott in Ehren hält und ihm in jedem Falle das letzte Wort überlässt. Wer solchen Glaubens­gehorsam hat, vertraut dem wunderbaren letzten Wort Gottes, das er durch Jesus gesprochen hat. Es ist die frohe Botschaft des Evan­geliums, die uns zuruft: Dir sind deine Sünden vergeben; du bist Gottes Kind; du sollst ewig leben.

Wenn wir dieses Evangeliums­wort hören, dann verändert es etwas bei uns. Nicht dass wir dann kein Leid mehr sehen müssten, nicht dass wir dann nie mehr Angst haben würden, nicht dass wir dann nicht mehr zu sterben brauchten, nein. Aber dieses Wort stärkt uns über die Maßen, stärkt uns so, wie der Engel Jesus stärkte im Garten Gethsemane. Das Evangelium ermutigt uns, immer wieder mit Gott zu reden und vertrauens­voll darauf zu hören, was er uns antwortet. Dieses Evangelium macht uns Mut zum Beten in allen Lebens­situationen. Dieses Evangelium macht uns auch gehorsam und demütig, sodass wir die dritte Vaterunser­bitte aufrichtig sprechen lernen: „Dein Wille geschehe.“ Dieses Evangelium soll uns durch das ganze Leben hindurch begleiten bis hin zur letzten Stunde. Und wenn dann die Angst übermächtig wird und uns vor der letzten Reise graut, dann möge uns dieses Evangelium helfen, nach dem Vorbild Jesu zu bitten: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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