Der Mann mit den Schlüsseln

Predigt über Offenbarung 1,18

Liebe Freunde!

In demselben Moment, als die Wohnungstür „klack!“ machte, wusste die alte Dame, dass sie einen Fehler begangen hatte. Sie wollte nur einen kleinen Spaziergang machen. Nun war ihr Haustür­schlüssel noch in der Handtasche, die auf dem Schränkchen im Flur stand. Sie war aus­gesperrt. Was tun? Zum Glück wohnte sie in einem jener Miets­häuser, die nicht irgendeiner anonymen Immobilien­firma gehörten, sondern wo der Besitzer noch selbst drin wohnte. Sie klingelte bei ihm, und er meldete sich über die Sprech­anlage. Nachdem sie ihr Miss­geschick gebeichtet hatte, sagte er: „Ist ja nicht so schlimm. Ich schicke eben meinen Sohn zu ihnen mit einem Ersatz­schlüssel.“ Der Sohn des Haus­besitzers kam mit einem dicken Schlüssel­bund, und im Nu war die Wohung der alten Dame geöffnet. Ihr fiel ein Stein vom Herzen.

Ein Stein kann auch uns vom Herzen fallen, liebe Freunde, denn es gibt auch für uns den Mann mit den Schlüsseln. Es ist der Sohn des himmlischen Vaters. Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, da wird er uns so vor Augen gestellt, wie wir ihn zwar nicht sehen können, wie wir ihn aber glauben sollen. Er erschien dem Apostel Johannes durch eine Vision in über­irdischem Glanz mit großer Herrlich­keit. Er erinnerte daran, dass er als Jesus von Nazareth am Kreuz gestorben und dann wieder ins Leben zurück­gekehrt war. Er machte zugleich deutlich, dass er Gottes Sohn ist, der ewige Gott, den es schon immer gab und der nie aufhören wird zu sein. Er sagte: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“

Was haben die Schlüssel zu bedeuten? Gehen wir noch einmal zurück zu unserer kleinen Geschichte vom Anfang: Der Sohn des Hauswirts hatte die Schlüssel zur Wohnung der alten Dame; er kam und schloss ihr auf. Das heißt: Er hatte eine gewisse Macht, und er nutzte sie, um der alten Dame zu dienen. Die Schlüssel sind Zeichen der Macht und zugleich Zeichen des Dienstes. Schon in ganz alter Zeit, lange bevor Jesus geboren wurde, gab es Schlösser und Schlüssel – zum Beispiel für Königs­paläste und für Schatz­truhen. Wer diese Schlüssel bei sich hatte, der hatte Macht, der hatte eine Vertrauens­stellung. Zugleich war er aber ein Diener, der den befugten Leuten Räume aufschloss, vor den Unbefugten sie aber ver­schlossen halten musste.

Seht, dasselbe bedeuten die Schlüssel, die Jesus hat. Der Vater im Himmel hat sie seinem Sohn übergeben als Zeichen der Vollmacht. Jesus selbst hat gesagt: „Mir ist gegeben alle Vollmacht im Himmel und auf Erden.“ Zugleich aber sind diese Schlüssel Zeichen seines Dienstes, und zwar seines Dienstes für uns Menschen. Er kommt uns mit diesen Schlüsseln im Namen seines himmlischen Vaters zu Hilfe, wie der Sohn des Hauswirts von seinem Vater geschickt wurde, um der alten Dame zu helfen. Jesus ist mächtig und hilfsbereit zugleich, er ist unser Herr und unser Diener – das zeigen seine Schlüssel.

Nun wollen wir darauf achten, was Jesus denn mit seinen Schlüsseln auf- und zuschließt. Er sagt: „Ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Für „Hölle“ steht da in der griechi­schen Original­sprache „Hades“. Wir könnten statt „Hölle“ auch „Unterwelt“ sagen, oder „Toten­reich“, oder (in der Sprache des Alten Testaments) „Scheol“. Selbst „Gefängnis“ wäre eine zutreffende Über­setzung, denn der Apostel Petrus hat das Totenreich in einem seiner Briefe so genannt (1. Petrus 3,19). Den Tod können wir uns demnach wie einen Raum vorstellen oder wie einen Sicherheits­bereich in einem Gebäude, zu dem nur Jesus die Schlüssel hat. Dabei müssen wir berück­sichtigen: Wenn die Bibel vom „Tod“ redet, dann meint sie sehr oft nicht das, was wir normaler­weise darunter verstehen, also nicht das Aufhören des Lebens im bio­logischen Sinne. Wenn die Bibel vom „Tod“ redet, dann meint sie damit meistens den Bereich der Gottferne. Wer keine Gemein­schaft mit Gott hat, der ist im biblischen Sinne tot, auch wenn er noch lebt. Wer aber mit Gott Gemein­schaft hat, der lebt ewig, auch wenn er einmal biologisch sterben muss. Das, was wir „Hölle“ nennen, ist eigentlich die ewige Konsequenz eines Lebens ohne Gott. Wir können auch sagen: Es ist die ewige Strafe für die Sünde. Denn im Grunde genommen ist Sünde ja nichts anderes, als dass ein Mensch Gott die Gemein­schaft aufkündigt; er lässt ihn nicht Gott sein in seinem Leben. „Der Sünde Sold ist der Tod“, heißt es an anderer Stelle in der Bibel; also: Sünde führt in den Bereich der Gottferne (Römer 6,23).

Nun steckt ja leider in uns allen dieser unselige Trieb drin, dass wir uns von Gott emanzi­pieren wollen. Wir möchten gern selbst­bestimmt leben, unser eigener Herr sein, unser eigenes Ding machen. Damit entfremden wir uns von Gott und begeben uns in den Bereich der Gottferne, in den Bereich des Todes. Und wir ahnen dabei meistens gar nicht, in was für eine Gefahr wir uns begeben und wie wir uns selbst das schöne Leben kaputt machen, das Gott uns zugedacht hat. Aber da kommt Jesus, der Mann mit den Schlüsseln, und schließt uns das Totenreich vor der Nase zu. Er dient uns damit, er beschützt uns vor den fatalen Folgen unserer Sünde. Er hat das getan, indem er selbst die Gottferne und den Tod geschmeckt hat, als er am Kreuz hin­gerichtet wurde. Das hat er für dich und für mich getan, damit wir Tod und Gottferne nicht schmecken müssen. Er hat uns auf diese Weise die Hölle zu­geschlossen wie ein Trafo­häuschen mit lebens­gefähr­licher Hoch­spannung, damit wir nicht blindlings in die tödliche Gefahr hinein­tappen. Er hat uns das Totenreich zu­geschlossen wie einen heim­tückischen Brunnen­schacht, in den man hinein­fallen kann, wenn man nicht aufpasst. Er hat uns den Tod ver­schlossen wie die Waggontür eines dahin­rasenden Schnell­zugs, damit wir nicht aus dem Zug fallen. Er hat gesagt: „Ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Wir können ihm unendlich dankbar sein für seinen Dienst, denn er rettet uns das Leben!

Man kann nun dieses grandiose Schlüssel­gleichnis auch herumdrehen und sagen: Wenn Jesus den Bereich der Gottferne zuschließt, dann schließt er damit zugleich den Bereich der Gottnähe auf. Er schließt uns das Leben auf, das nie enden soll. Er schließt uns das Himmelreich auf, den Palast seines himmlischen Vaters. Er schließt uns eine Schatzkiste auf voll un­ermess­licher Reichtümer – noch dazu Reichtümer, die keiner Wirt­schafts­krise zum Opfer fallen können. Wir dürfen Leben die Fülle haben, wir dürfen jederzeit zu Gott kommen und mit ihm reden, wir dürfen bei Gott zu Hause sein. Also: Wenn der Mann mit den Schlüsseln das Totenreich zuschließt, dann schließt er zugleich das Himmelreich auf; die Totenreich-Schlüssel sind zugleich Himmelreich-Schlüssel.

Über die Himmelreich-Schlüssel sagt die Bibel nun auch noch an anderer Stelle etwas. Wir betrachten dazu ein Bild. Es zeigt den Apostel Petrus, den Oberjünger, der hier stell­vertretend für die anderen Jesus-Jünger und für die ganze Christen­heit steht. Und er hat offen­sichtlich zwei Schlüssel in der Hand. Die meisten Dar­stellungen des Petrus zeigen den Apostel mit Schlüsseln. Das kommt daher, weil Jesus dem Petrus einmal gesagt hat: „Ich will dir die Schlüssel des Himmel­reichs geben“ (Matth. 16, 19). Dumme Menschen meinen, Petrus sei damit zum Wetter­macher ernannt worden; wenn er den Himmel auf­schließt, dann regnet es, und wenn er ihn zuschließt, dann bleibt es trocken. Aber die Schlüssel bedeuten in diesem Wort dasselbe wie in dem Jesuswort aus der Offen­barung: Sie stehen für Vollmacht und Dienst. Jesus hat dem Petrus und mit ihm der ganzen Christen­heit die Vollmacht gegeben, für Menschen die Hölle zu­zuschließen und den Himmel auf­zuschlie­ßen. Das geschieht im weiteren Sinne immer dann, wenn Menschen durch Jesus in Gottes Reich geführt werden. Zum Beispiel in der Taufe: Da werden Sünden ab­gewaschen, ein Mensch kommt zum Glauben an Jesus, er findet durch ihn zu Gott und ins Himmel­reich. Oder wenn Gottes gute Nachricht bezeugt wird: Menschen wird damit im Namen Jesu ver­sprochen, dass sie, wenn sie an ihn glauben, ewig leben werden. Auch wenn ich hier jetzt über den Mann mit den Schlüsseln predige, dann tue ich das in der Vollmacht, die Jesus an seine Kirche weiter­gegeben hat: Ich lade jeden ein, an Jesus zu glauben und durch ihn zur herrlichen Gemein­schaft mit Gott und zum Leben zu finden. Und wer nicht getauft ist, den lade ich ein, sich taufen zu lassen und damit alles hinter sich zu lassen, was ihn von Gott und vom wahren Leben trennt. Petrus-Vollmacht und und Petrus-Dienst geschieht überall da, wo Menschen in Gottes Reich gerufen werden.

Nun kennt die Christen­heit aber noch ein Schlüssel­amt im besonderen Sinn, das von der Petrus-Vollmacht abgeleitet ist. Es ist die Beichte. Wir betrachten dazu ein weiteres Bild. Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Altars der Witten­berger Stadt­kirche; man kann das Original also gar nicht weit von hier be­sichtigen. Das Bild ist fast 500 Jahre alt und wurde von dem berühmten Lucas Cranach gemalt. Es stellt die Beichte dar. Die Person in der Mitte ist der Pfarrer, der die Züge des damaligen Witten­berger Stadt­pfarrers Johannes Bugenhagen trägt. Rechts und links sind zwei Personen dar­gestellt, die zur Beichte kommen. Die Beichte wurde damals aus­schließlich in der Form der Einzel­beichte geübt, also als seel­sorger­liches Gespräch zwischen dem Beichtenden und dem Pfarrer. Luther hat diese Form der Beichte nie ab­geschafft, sondern als wichtigen Ausdruck des Glaubens­lebens betont. In der Beichte hat der Beichtende Gelegen­heit, Sünden zu bekennen und seiner Reue Ausdruck zu geben. Daraufhin vergibt ihm der Pfarrer im Namen Jesu die Sünden. Genau das geschieht auf der linken Seite. Wer genau hinschaut, sieht den Löse­schlüssel in des Pfarrers rechter Hand: Hier werden Sünden vergeben, hier wird die Hölle zu­geschlossen und das Himmelreich auf­geschlos­sen. Wer noch genauer hinschaut, sieht, dass der Schlüssel­bart den ersten und den letzten Buchstaben des griechi­schen Alphabets enthält, das Alpha und das Omega. Zusammen sind diese beiden Buchstaben ein Erkennungs­zeichen für den Mann mit den Schlüsseln, denn er hat von sich gesagt: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“, und an anderer Stelle: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Offb. 22.13). Es ist eine wunderbare Sache, in der Seelsorge sein Herz aus­zuschütten, eigene Fehler und Sünden beim Namen zu nennen und dann diese ganze Last loszuwerden durch Christi Schlüssel, den er über Petrus seiner Kirche anvertraut hat: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Nichts anderes geschieht in der Beichte.

Aber da ist auf der rechten Seite auch noch der andere Beichtende. Was unter­scheidet ihn vom ersten? Er trägt ein Schwert; er ist zu Gewalttaten bereit. Seine Hände sind gefesselt; er ist in Sünden gefangen und sieht nicht ein, dass er sich von ihnen lösen muss. Er kniet nicht nieder wie der Mann zur Linken; er ist zu stolz dazu; er will sich vor Gott nicht klein machen. Auch ist er halb abgewandt zum Gehen, will wohl Gottes Segen nur so im Vorbeigehen mitnehmen, damit seine Unter­nehmungen Erfolg haben. Der Pastor hält für ihn den anderen Schlüssel bereit, den sogenannten Binde­schlüssel, den Schlüssel ohne das Christus­symbol. Damit zeigt er ihm: So im Vorbei­gehen, so stolz, so ohne Reue, so gebunden von der Sünde kannst du keine Gemein­schaft mit Gott haben. Deine Sünden verurteilen dich, führen dich in die Gottes­ferne, in den Tod. Solange du nicht umkehrst, solange du deine Sünden nicht bereust, solange du dich nicht unter die Macht des Mannes mit den Schlüsseln beugst, kann dir nicht geholfen werden.

Ja, liebe Freunde, auch diese Seite dürfen wir nicht ver­schweigen, wenn wir über den Mann mit den Schlüsseln reden. Wer stolz leugnet, was er falsch gemacht hat, wer Gottes Gebote nicht als Maßstab für sein Leben annimmt, wer nicht die Macht Christi anerkennt und lieber sein eigener Herr sein möchte, dem kann im Namen Gottes nur verkündigt werden: Deine Sünden sind dir behalten; die Tür zum Himmelreich bleibt dir ver­schlossen, solange du dich nicht änderst. Wer sich aber nach der Nähe mit Gott sehnt sich nicht selbst etwas vormacht hin­sichtlich seiner Sünde, der kann in der Seelsorge über die Beichte die Tür des Himmel­reichs weit offen finden. Jesus selbst schließt sie ihm auf durch seine Boten in der Christen­heit. Jeder Pfarrer ist bereit zur Seelsorge und zur Beichte, und jeder Pfarrer ist dabei zu absoluter Ver­schwiegen­heit ver­pflichtet. Die Beichte ist freilich keine Pflicht­übung und auch kein verdienst­volles Werk der Frömmig­keit, aber sie ist eine großartige Gelegenheit zu erfahren, wie der Mann mit den Schlüsseln an uns persönlich handelt, wie er für uns den Bereich des Todes zuschließt und den Himmel auf­schließt, und das für alle Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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